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Selbst Rosa Luxemburg war gelegentlich deprimiert

Eingereicht on 23. März 2021 – 17:33

Nathaniel Flakin. Rosa Luxemburg war bekannt als ein Energiebündel – «wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt.» Aber wie jeder Mensch litt auch sie unter Momenten der Verzweiflung.

Wir haben gerade den 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg gefeiert. Man erinnert sich an sie als eine der erstaunlichsten Revolutionärinnen in der Geschichte des Kampfes des Proletariats um Emanzipation.

Sie war eine Frau in einer Gesellschaft, die Frauen vom politischen Leben ausschloss; sie war eine Immigrantin in einem zutiefst rassistischen Land; sie war eine Jüdin in einer antisemitischen Welt. Obwohl sie mit so viel Diskriminierung konfrontiert war, erschreckte sie den Zaren, den Kaiser und alle Kapitalisten.

Ihre Freundin Clara Zetkin schrieb über sie: «Die kleine, zerbrechliche Rosa war die Verkörperung einer unvergleichlichen Energie.»[1] Luxemburgs Motto war, dass ein Mensch «wie eine Kerze sein muss, die an beiden Enden brennt.»

In gewisser Weise ist es sehr schwer, sich mit jemandem wie ihr zu identifizieren. Ich fühle mich von Luxemburg inspiriert, aber ich fühle selten «unvergleichliche Energie». Ganz im Gegenteil: Ich fühle mich oft deprimiert und mutlos. Ich denke, vielen Menschen im Jahr 2021 geht es ebenso.

So war es in gewisser Weise herzerwärmend zu lesen, dass auch Luxemburg Verzweiflung empfand und manchmal ihre Arbeit als Revolutionärin aufgeben wollte. Die Entbehrungen und der Stress, die endlosen Versammlungen und die anstrengenden Kämpfe können jeden zermürben – Luxemburg verbrachte viele Stunden mit anderen Hobbys wie dem Sammeln von Pflanzen.

Im Frühjahr 1917, als sie wegen ihres Widerstandes gegen den Ersten Weltkrieg im Gefängnis sass, schrieb Rosa Luxemburg an ihre liebe Freundin Sophie Liebknecht:

Tief im Innern fühle ich mich in einem kleinen Garten wie diesem oder auf einem Feld zwischen Hummeln und Gräsern viel wohler als – auf einem Parteitag. Ich kann Ihnen das alles sagen: Sie werden nicht sofort einen Verrat am Sozialismus wittern. Sie wissen, dass ich trotzdem hoffentlich auf meinem Posten sterben werde: in einer Strassenschlacht oder im Gefängnis. Aber mein Innerstes gehört mehr meinen Vögeln als meinen Genossen.[2]

Dass sie andere Leidenschaften hatte, die ihr am Herzen lagen, machte sie nicht weniger zu einer Revolutionärin. Und das macht ihr tragisches Ende irgendwie reizvoll: Sie erlosch genauso, wie sie es sich erhofft hatte.

Die Revolution am 9. November 1918 befreite sie aus dem Gefängnis, und die letzten zwei Monate ihres Lebens verbrachte sie in einem Strudel von Reden, Schreiben, Redigieren und Verstecken vor konterrevolutionärer Gewalt. In einer dieser Nächte, auf dem Rückweg von der Redaktion der Roten Fahne in ihre Wohnung in Berlin-Südende, äusserte sich Luxemburg gegenüber ihrer Freundin und Sekretärin Mathilde Jacobs:

Können Sie mir sagen, warum ich immer in einem Zustand lebe, zu dem ich nicht die geringste Neigung habe? Ich möchte malen und auf einem Fleckchen Erde leben, wo ich Tiere füttern und sie lieben kann. Ich möchte Naturwissenschaften studieren. Vor allem möchte ich selbst friedlich leben und nicht in diesem endlosen Getümmel.[3]

Das ist ein Mensch, mit dem ich mich identifizieren kann! Wenn wir also danach streben, wie Luxemburg zu sein, müssen wir nicht immer «unvergleichliche Energie» spüren. Wir müssen nicht immer Freude an unserer politischen Arbeit haben. Wir können auch Gefühle der Hoffnungslosigkeit anerkennen und versuchen, dagegen anzukämpfen, wie sie es tat. Es schadet auch nicht, sich ab und zu Zeit zu nehmen, um Vögel zu füttern und Pflanzen zu sammeln, wie Luxemburg es zwischen ihren politischen Engagements tat.

Endnoten

[1] Clara Zetkin, «Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht», Sozialistische Klassiker 2.0, unsere Rückübersetzung aus dem Englischen.

[2] Rosa Luxemburg in einem Brief an Sophie Liebknecht, zitiert in: Heinz Knobloch, «Meine liebste Mathilde» (Berlin: Der Morgen, 1988), 169, unsere Rückübersetzung aus dem Englischen.

[3] Ebd., 167, unsere Rückübersetzung aus dem Englischen.

#Bild: Dies ist nicht Rosa Luxemburg. Es ist die Schauspielerin Barbara Sukowa, die Rosa Luxemburg in einem Film von 1986 spielt. Es scheint keine historischen Fotos von Mimi, der Katze, zu geben, also haben wir dieses ausgewählt.

Quelle : leftvoice.org… vom 23. März 2021; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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