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»Die Troika ist in voller Pracht nach Athen zurückgekehrt«

Eingereicht on 2. September 2015 – 10:30

Interview mit Antonio Mosacato. Was halten Sie von den »Strukturreformen«, die die Euro-Gruppe mit ihrem dritten Memorandum Griechenland auferlegt?

Die Unterschrift von Ministerpräsident Alexis Tsipras unter das Papier bedeutet, dass sich Griechenland verpflichtet, eine weitere Phase der Austeritätspolitik unter der direkten und noch erdrückenderen Kontrolle der europäischen Institutionen und der Gläubiger umzusetzen. Die Troika ist in voller Pracht und mit noch größeren Machtbefugnissen als früher nach Athen zurückgekehrt.

Die Maßnahmen, die dieses Memorandum vorsieht, sind dramatisch: weitere Rentenkürzungen, Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Verkauf von 14 Flughäfen an die deutsche Firma Fraport für den Spottpreis von etwas mehr als einer Milliarde Euro. Außerdem natürlich weitere Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Von den 86 Milliarden Euro sogenannter Hilfen gehen nur elf Milliarden tatsächlich an Griechenland – wodurch allerdings auch der Schuldenberg weiter wächst. Das alles widerspricht total dem Wahlprogramm, mit dem Tsipras vor einem halben Jahr mit seiner Partei Syriza angetreten ist.

Gab es in Italien eine ähnliche Hetzkampagne gegen die griechische Regierung wie in Deutschland?

In Italien war das ein wenig anders. Dieselben Massenmedien, die Tsipras erst dämonisiert und den damaligen Finanzminister Gianis Varoufakis beinahe gelyncht hätten, haben Mitte Juli begonnen, Tsipras’ »Realismus« zu loben. Die Informationen über die Teile von Syriza, die sich dieser Unterwerfung widersetzten, wurden so gering wie möglich gehalten, ihre Opposition als folkloristische Randerscheinung dargestellt. Es gibt nur wenige Internetseiten, die angemessen darüber berichten.

Tsipras hat angekündigt, Widerstand zu leisten – im Rahmen des Memorandums allerdings. Ist das realistisch?

Welcher Widerstand ist denn denkbar, wenn derjenige, der ihn organisieren müsste, profitable Flughäfen verkauft, die Renten um 92 Euro pro Monat kürzt und die Mehrwertsteuer erhöht?

Die Kürzungen werden im Oktober in Kraft treten. Daher die Eile von Tsipras: Er möchte schnelle Neuwahlen, bevor sich die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit weiter verschlechtert haben. Und um regierungskritische Kandidaten seiner Partei nicht zum Zuge kommen zu lassen, trickst er mit den Listenaufstellungen. Tsipras macht damit einen weiteren Schritt zur Beseitigung der Demokratie in Europa.

Was bedeutet das Einknicken von Tsipras und der engeren Syriza-Führung für die Linke und die Kämpfe gegen die neoliberale Politik in Europa? Was können wir daraus lernen?

Eine der Lehren ist sicherlich, dass es eine Mitschuld der gesamten europäischen Linken gibt. Sie hätte Syriza während der fünf Monate, in denen sie dem Druck der Troika widerstanden hat, mit Nachdruck unterstützen müssen. Mir scheint, dass die Debatte über die EU und das Funktionieren der Euro-Zone, die inzwischen ja auch in der deutschen Linkspartei aufgeflammt ist, jetzt innerhalb der europäischen Linken noch schwieriger zu entwickeln ist.

Warum verteidigt ein Großteil der italienischen Linken diesen Kurswechsel? Wohin führt uns der »Tsipras-Kult«, wie Sie es einmal nannten?

Dass die Demokratische Partei das Einknicken von Tsipras gutheißt, wundert mich nicht. Dass das aber auch die früher radikal linken Parteien wie Rifondazione Comunista, die grün-linke SEL und auch die Tageszeitung Il Manifesto machen, trifft mich schon. Alle drei verbindet die Unfähigkeit, sich vom politischen Erbe des ehemaligen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Italiens, Palmiro Togliatti, zu lösen. Erinnern wir uns: Als diese Partei 1945 bis 1947 mitregierte, hat sie aufgrund der von Togliatti vorgegebenen Linie unter anderem die Mobilisierungen der Erwerbslosen und die Landbesetzungen im Süden abgewürgt. Und das, weil sie ihr Bündnis mit den bürgerlichen Kräften nicht gefährden wollte.

Quelle: Junge Welt vom 31. August 2015.

Das Interview wurde von Raoul Rigault geführt. Antonio Moscato war Professor für Zeitgeschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung an der italienischen Universität Lecce und 15 Jahre lang aktives Mitglied von Rifondazione Comunista, bis er wegen deren Regierungspolitik austrat. Heute engagiert er sich in der Griechenland-Solidarität.

 

 

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