Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr
Guido Biland. Brauchen die USA einen Stellvertreterkrieg, um ihre Schuldenwirtschaft am Leben und am Laufen zu halten? Einiges spricht dafür.
Zurzeit geschehen ungeheuerliche Dinge. Die Medien zitieren den US-Präsidenten Joe Biden mit Schlagzeilen wie diesen: «Biden warnt vor Armageddon» (spiegel.de), «Biden warnt vor Nuklear-Armageddon» (tagesschau.de), «So nah am Armageddon wie seit 1962 nicht» (faz.net). Die Botschaft ist klar: Es droht der Weltuntergang – und schuld daran ist allein der Erzfeind Russland und sein satanischer Präsident Wladimir Putin.
Sollte es tatsächlich zu einem Atomkrieg kommen, erübrigt sich die Klärung der Schuldfrage. Solange noch eine Chance besteht, ihn zu verhindern, ist die Klärung der Schuldfrage von größter Relevanz. Wer die Kräfte identifiziert, die an der Eskalation eines regionalen Kriegs zum Weltkrieg interessiert sind, kann wenigstens versuchen, sich ihnen zu widersetzen. Vielleicht stößt man dabei auf Überraschendes.
Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Frage: Wer hat ein vitales Interesse an der Eskalation eines Konflikts zwischen der Ukraine und Russland? In anderen Worten: Wer profitiert von einem potenziellen Weltkrieg?
These
Wenn wir über Profit sprechen, sprechen wir von ökonomischen Vorteilen. Um die Fragen zu beantworten, müssen wir ökonomische Zusammenhänge verstehen. Über ökonomische Zusammenhänge liest man in der Kriegsberichterstattung zum Ukrainekrieg so gut wie nichts. Dabei sind sie in jedem Krieg zentral. Kriege fallen nicht vom Himmel. Sie werden meistens geführt, weil irgendwie ökonomische Interessen im Spiel sind. Meine These lautet wie folgt:
- Auch im Ukrainekrieg sind ökonomische Interessen im Spiel.
- Hauptprofiteur des Ukrainekriegs sind die USA.
Grenzenlose Unterstützung mit hohem Kriegspotenzial
Es ist zunächst einmal auffallend, wie stark sich die USA seit vielen Jahren für die Ukraine engagieren, genauer gesagt: den prowestlichen Teil der Ukraine. Bereits 1997 wurde zwischen der NATO und der Ukraine ein Partnerschaftsvertrag abgeschlossen (NATO-Ukraine-Charta). 2008 warben die USA für die Aufnahme des russischen Nachbars in die NATO – wohl wissend, dass Russland eine solche Entwicklung nicht goutieren würde. Es ist kein Geheimnis, dass die USA die Gegner der prorussischen Regierung unter Wiktor Janukowytch massiv unterstützten und sich nach dem Staatsstreich 2013/14 hinter den Kulissen für eine prowestliche Regierung einsetzten. Das Engagement verstärkte sich nach dem Krim-Referendum 2014 noch einmal deutlich – rhetorisch, finanziell und militärisch.
Da stellt sich die Frage: Was nützt den USA ihr kostspieliges Engagement in einem Konflikt, der sie weder unmittelbar noch mittelbar betrifft? Eine weitere Frage drängt sich auf: Ist es möglich, dass die USA in Wahrheit mehr an einem grossen Konflikt interessiert sind als am Schicksal der Ukraine?
Die USA und ihre Schulden
Werfen wir einen Blick auf ökonomische Zusammenhänge. Ich möchte vier interessante Zahlen nennen:
- BIP pro Kopf Schweiz 2021: ca. 85.000 CHF
- BIP pro Kopf USA 2021: ca. 69.000 USD
- Staatsschulden pro Kopf Schweiz 2022: ca. 13.000 CHF
- Staatsschulden pro Kopf USA: ca. 93.000 USD
Der Vergleich zwischen der Schweiz und den USA ist frappant. Obwohl die USA ein geringeres BIP pro Kopf erwirtschaften, betragen ihre Staatsschulden pro Kopf ein Vielfaches vom Schweizer Wert. Auch in anderen wirtschaftsstarken Regionen ist die Staatsverschuldung pro Kopf deutlich geringer als in den USA (EU ca. 30.000 EUR, Japan ca. 70.000 EUR).
Fakt ist: Die USA sind hoch verschuldet. 2017 betrug die Staatsverschuldung noch ca. 20 Billionen USD. Heute beträgt sie 31 Billionen USD. Das ist ein Plus von 55 Prozent in fünf Jahren. Dazu kommen noch die schnell wachsenden Schuldenberge der Unternehmen (ca. 20 Billionen USD) und Privathaushalte (ca. 19 Billionen USD). Gesamtverschuldung der USA im Jahr 2022: ca. 70 Billionen USD. Das sind 212.000 USD pro Kopf. Tendenz: rasch steigend (Stichwort Leitzinserhöhung zwecks Inflationsbekämpfung).
Offensichtlich können sich die USA eine extensive Verschuldung leisten. Woran liegt das? Vereinfacht gesagt liegt das daran, dass die USA eine wirtschaftliche und militärische Supermacht sind und der Dollar die globale Leitwährung ist. Mit diesem Power-Status können sie so viele Dollar drucken, wie sie wollen – sie werden immer Abnehmer dafür finden. Damit das so bleibt, müssen die USA den Welthandel dominieren und militärisch omnipräsent sein. Darum brauchen die USA die NATO. Und darum gaben sie letztes Jahr ca. 800 Milliarden USD für Rüstung aus.
Der Dollar muss Leitwährung bleiben, sonst …
Was passiert, wenn der Dollar den Status als globale Leitwährung zu verlieren droht? Das würde bedeuten, dass die globale Nachfrage nach dem Dollar einbricht. Eine Entwertung wäre die Folge. Die ausländischen Investoren würden sich massenhaft aus dem Dollar zurückziehen, was eine verheerende Finanzkrise in den USA auslösen und wahrscheinlich zum Kollaps des Wirtschaftssystems führen würde. Eine Währungsreform wäre unvermeidlich. Um dieses Szenario zu verhindern, müssen die USA eine Supermacht bleiben. Fallen sie wirtschaftlich zurück, bleibt noch die Option Krieg, der sich in vier Stufen führen lässt:
- Stufe 1: Wirtschaftskrieg in den Varianten Freihandelsabkommen, Zins- und Währungspolitik, Strafzölle, Sanktionen
- Stufe 2: Planung von Chaos und Regime Change
- Stufe 3: Stellvertreterkrieg
- Stufe 4: Invasion
Dies führt mich zu einer zugegebenermaßen provokativen Behauptung: Stehen die USA im globalen Wirtschaftswettbewerb unter Druck, kann ihnen nichts Besseres passieren als Krieg. Idealerweise ein Krieg, in den sie keine Soldaten schicken müssen, also Stufen 1 bis 3. So halten sie ihre Schuldenwirtschaft am Laufen. Ist diese Behauptung absurd? Wenn man in ökonomischen Kategorien denkt, macht das kostspielige Engagement der USA in der Ukraine sehr viel Sinn.
Bedrohungslage aus Sicht der USA
Die Weltordnung hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. China hat wirtschaftlich viel mehr Einfluss gewonnen. Russland hat militärisch mehr Einfluss gewonnen. Die EU, v.a. Deutschland, hat wirtschaftlich mehr Einfluss gewonnen und mit dem Euro eine Konkurrenzwährung zum Dollar geschaffen. Der zunehmende Einfluss dieser Blöcke auf die Weltordnung bedroht das schuldenbasierte Wohlstandsmodell und damit die globale Vormachtstellung der USA.
Strategische Provokation
Die USA brauchten nach dem Abflauen des War on Terror dringend ein neues Schlachtfeld. Die Unterstützung der Ukraine als antirussisches Bollwerk, insbesondere die in Aussicht gestellte Aufnahme in die NATO, war eine strategische Provokation, um Russland in einen militärischen Konflikt zu verwickeln. Eine ähnliche Strategie verfolgen die USA mit Taiwan. Das Ziel: Die globale Vormachtstellung stabilisieren.
Nutzen des Ukrainekriegs für die USA
Mit dem Ukrainekrieg erreichen die USA mehrere Ziele:
- Russland existenziell schwächen (militärisch und wirtschaftlich)
- China mit Sanktionsandrohungen in Schach halten und wirtschaftlich schwächen
- Deutschland und die Eurozone wirtschaftlich schwächen
- die wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit der Verbündeten langfristig erhöhen (Waffen, Energie, politische Einflussnahme)
- militärisch-industriellen Komplex aufblähen
- schuldenfinanzierten Wohlstand sichern
Aufgrund dieser Erkenntnisse muss man zum Schluss kommen, dass die USA mit Abstand die größten Nutznießer des Ukrainekriegs sind und folglich auch ein Interesse haben, ihn fortzusetzen und (kontrolliert) zu eskalieren, indem sie so lange Waffen und Geld liefern, bis sich die Russen vollständig aus der Ukraine zurückziehen – was sehr lange dauern und im Worst Case zum Atomkrieg führen kann.
Schlussfolgerungen
Aus Sicht der USA ist das alles sehr erfreulich. Die «Pax Americana» trägt die gewünschten Früchte: Fortsetzung des amerikanischen Lebensstils bzw. Mehrung des Reichtums der amerikanischen Plutokratie.
Aber die Welt besteht nicht nur aus den USA. Während man sich in Washington darüber freuen dürfte, dass alles nach Plan läuft, müssen die Eliten in Europa ihrem Fußvolk erklären, warum im Winter möglicherweise die Heizungen und der Strom ausfallen und unser Wohlstand flöten geht. Angeblich geht es um Werte wie Freiheit, Demokratie und Frieden. Zweifel sind angebracht. Wenn es in diesem Krieg hintergründig um die Rettung des schuldenbasierten Wohlstandsmodells der USA geht, sollten materielle Werte nicht mit ideellen verwechselt werden. Dann muss man das Business so benennen, wie es ist: Plutokraten in den USA füllen sich die Taschen mit lukrativen Energie- und Waffendeals, und der Rest der Welt soll Opfer bringen. Es ist skandalös: Regierungen, welche die Interessen der USA unterstützen, dienen mehr den amerikanischen Plutokraten als dem eigenen Volk. Das kann zu lauten Demos führen, wenn es sich herumspricht. Und die Parteien an den Rändern des politischen Spektrums freuen sich auf die nächsten Wahlen.
Noch ein Skandal: Das Informationsangebot in den westlichen Gesellschaften tabuisiert und verschleiert die ökonomischen Interessen und Zusammenhänge im Ukrainekrieg systematisch. Stattdessen werden militante Ressentiments gegen Russen und pazifistische Intellektuelle geschürt. Der demokratisch-kritische Diskurs weicht der orchestrierten Propaganda. Das Narrativ vom edlen Westen und den bösen Russen und Chinesen ist omnipräsent. Auch das ist im Interesse der USA.
Man darf gespannt sein, wie weit Russland und China gehen können und werden, um die kolonialistisch-kapitalistische Weltdominanz der USA zu beenden. Eine multipolare Weltordnung lassen die USA nicht zu. Sie verlangen «Full-spectrum dominance». Ihr Wohlstand hängt davon ab. Gut für die USA, schlecht für den Weltfrieden.
Die US-Diplomatin Victoria Nuland sagte ca. 2014: «Fuck the EU!» Der ukrainische Diplomat Andrej Melnik sagte zu Elon Musk, der am 3. Oktober 2022 einen möglichen Friedensplan twitterte: «Fuck off!»
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Quelle: overton-magazin.de… vom 19. Oktober 2022
Tags: China, Europa, Imperialismus, Neoliberalismus, Politische Ökonomie, Russland, Steuerpolitik, Ukraine, USA
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