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Haben ukrainische Soldaten russische Kriegsgefangene hingerichtet?

Eingereicht on 19. November 2022 – 10:57

Florian Rötzer. Nach Videos scheint dies der Fall zu sein, sie belegen dies aber nicht. Dass Russland den Vorfall benutzt, ist nicht verwunderlich. Gleichzeitig machten die G7-Innenminister wieder deutlich, dass Bekämpfung von Desinformation und Aufklärung über Kriegsverbrechen nur interessiert, wenn es gegen Russland geht.

Seit gestern zirkulieren Videos, die zeigen sollen, wie ukrainische Soldaten mindestens 11 unbewaffnete russische Kriegsgefangene zwingen, sich auf den Boden zu legen, um sie dann mit Kopfschüssen zu töten. Die Videos, die vom russischen Militärkommandanten Alexander Kots auf Telegram veröffentlicht wurden, aber ursprünglich von ukrainischen Soldaten gepostet wurden, sollen in dem Dorf Makiivka gemacht worden sein. Das ist vor ein paar Tagen von ukrainischen Truppen eingenommen worden und liegt in der Nähe von Lyman im Oblast Donezk.

Das erste Video wurde offensichtlich mit einer Drohne gemacht und zeigt die Leichen der russischen Soldaten mit dem Kommentar, dass das das Ergebnis eines Mörserangriffs sei. Im zweiten Video sieht man, wie sich die russischen Soldaten im selben Hof ergeben und sich niederlegen. Am Ende sind Schüsse zu hören, womöglich schoss einer der russischen Soldaten, als er aus dem Haus kam, das letzte Bild zeigt vermutlich den verletzten ukrainischen Soldaten. Das Massaker selbst ist nicht zu sehen, aber das erste Video lässt es plausibel erscheinen, dass die russischen Soldaten in der Position, in der sie sich ergeben haben, hingerichtet wurden.

Angeblich wurde das Massaker von den Grenzsoldaten Bortnichuk Artur und Mikhailovsky Nazar, Absolventen der Universität des Innenministeriums in Charkiw, begangen. Sie sollen der 80. Luftlandebrigade der regulären ukrainischen Streitkräfte angehören, keinen Freiwilligenverbänden. Kots vermutet, dass einer der russischen Soldaten einen ukrainischen namens „Andryukha“, höchstwahrscheinlich Andrey Sokol, verletzt habe. Aus Rache seien dann alle russischen Gefangenen getötet worden. Das ist eine wahrscheinliche Annahme, die aber nicht durch Bilder oder andere Beweise belegt ist.

Russland versucht nun, auch Stimmung gegen die Ukraine zu machen, hat die Videos bei der Menschenrechtskommission  der Vereinten Nationen (OHCHR) eingereicht und fordert eine Untersuchung. Die soll bereits eingeleitet worden sein. Überdies wurden sie an Menschenrechtsorganisationen, die OSZE, Politiker und Journalisten geschickt. Das russische Verteidigungsministerium behauptet, dass solche Tötungen eine gängige Praxis der ukrainischen Streitkräfte seien, während man selbst ukrainische Gefangene nach den Richtlinien der Genfer Konventionen behandle. Russland und die Ukraine werfen sich regelmäßig gegenseitig vor, Gefangene zu foltern, zu misshandeln oder zu töten. Dazu werden auch Aussagen von im Austausch Freigelassenen präsentiert. Nach einem Bericht des OHCHR, für den ukrainische und russische Kriegsgefangene befragt wurden, werden auf beiden Seiten die Kriegsgefangenen oft nicht nach den Genfer Konventionen behandelt.

Offiziell hat die Ukraine dazu nicht Stellung genommen (was die russische Seite nebenbei auch nicht macht). Julian Röpke hat auf den Vorfall hingewiesen und eine Untersuchung gefordert, was dazu führte, dass er vom ukrainischen Regisseur Volodymyr Demchenko, der gegenwärtig Soldat ist, als russisches Schwein“ beschimpft wurde. Auch ukrainische Medien haben berichtet.

Die unerträgliche Einseitigkeit des Westens – Beispiel G7

Wir hören in der Regel in unseren Medien nur von Kriegsverbrechen, die russische Streitkräfte in der Ukraine begangen haben. Als Angreifer, der nicht einmal einen Krieg erklärt hat, steht Russland primär in der Verantwortung und wird auch entsprechend dämonisiert. Das haben gerade wieder die Innenminister der G7-Länder demonstriert, die sich hinter die Ukraine stellen und dieser einen Persilschein ausstellen, während sie der russischen Desinformation den Kampf ansagen („Wir halten den Lügen die Fakten entgegen“) und bekunden, verstärkt bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit russischer Truppen in der Ukraine zusammenarbeiten zu wollen (Abschlusserklärung).

Eigentlich wäre die Aufgabe auch oder gerade dann, wenn man ein Land gegen einen Angreifer unterstützt, Desinformation von allen Seiten zu bekämpfen. Zuletzt hatte der ukrainische Präsident Selenskij mit seiner Regierung am Beispiel des vermutlichen Raketeneinschlags deutlich gemacht, Desinformation zu verbreiten, um die Stimmung für die Ukraine und gegen Russland zu beeinflussen und womöglich gefährlich zu eskalieren.

Desinformation wird täglich in der Ukraine von Behörden und Medien verbreitet, die ähnlich wie in Russland einen Maulkorb verpasst bekommen haben oder verboten wurden. Wenn die deutsche Bundesinnenministerin Faeser verkündet: „Zusammen werden wir unsere demokratischen Werte, die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit verteidigen“, dann sollte dies, wenn es nicht nur Propaganda sein soll, auch in der Ukraine verteidigt werden.

Einmal ging es sogar in der Ukraine zu weit und wurde Lyudmila Denisova, die Menschenrechtskommissarin, am 31. Mai 2022 von der Rada gefeuert, offiziell, weil sie es versäumt habe, humanitäre Korridore einzurichten oder zu verhindern, dass Ukrainer nach Russland evakuiert/deportiert werden. Vermutlich wurde sie aber entlassen, weil sie mit ihren erfundenen Geschichten zu weit gegangen war und Lügen über Sexualverbrechen von russischen Soldaten offiziell verbreitete, u.a. hatte sie behauptet, ein russischer Soldat habe ein sechs Monate altes Mädchen mit einem Teelöffel vergewaltigt, oder Soldaten hätten im Beisein der Eltern kleine Kinder vergewaltigt. In Kritik ist auch Pramila Patten, UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt bei Konflikten, geraten, weil sie das Gerücht verbreitet, es sei eine militärische Strategie der Russen, den Soldaten Viagra für Massenvergewaltigungen zu geben.

Vor allem sollte man meinen, dass Kriegsverbrechen auf beiden Seiten aufgeklärt werden müssten, also diese nicht einseitig politisch instrumentalisiert werden dürfen. Einmal davon abgesehen, dass sich etwa die USA, aber auch andere Nato-Länder bei der Aufklärung und Verfolgung eigener Kriegsverbrechen nicht besonders hervorgetan haben. So wurden zahlreiche Zivilisten in Afghanistan und anderswo durch Drohnenangriffe getötet und verletzt, ohne dass jemand belangt wurde, schon gar nicht Bush, Obama, Trump (der auch noch üble Kriegsverbrecher begnadigt hat) oder Biden. Assange, der über Kriegsverbrechen aufklärte, sitzt noch immer im Gefängnis, Guantanamo gibt es weiterhin, für Abu Ghraib wurden nur ein paar kleine Fische bestraft.

Als der Internationale Strafgerichtshof, dessen Etablierung die US-Regierung verhindern wollte, auch gegen CIA-Agenten und US-Soldaten wegen Folter in Afghanistan ermitteln wollte, wurden am Verfahren Beteiligte wie die Generalstaatsanwältin Fatou Bensouda mit Einreiseverboten und Wirtschaftssanktionen belegt. Man werde „mit allen Mitteln“ gegen den ICC vorgehen, warnte der damalige Sicherheitsberater John Bolton. Der ICC gab klein bei, von den europäischen Staaten hörte man keinen Protest, man war ja auch am Afghanistan-Krieg beteiligt. 2020 waren auch schon Ermittlungen gegen britische Soldaten wegen willkürlicher Morde, Folter, unmenschlicher Behandlung, Vergewaltigung und anderer sexuelle Gewalt und Vergehen gegen die menschliche Würde eingestellt worden (Es ist momentan schlecht um die Menschenrechte und die internationale Gerichtsbarkeit bestellt).

Da die G7-Staaten Kriegsbeteiligte sind, wären gerade zur Aufklärung von Kriegsverbrechen unabhängige Organisationen erforderlich, also in erster Linie die Vereinten Nationen. Offenbar haben aber die G7-Staaten kein größeres Interesse, solche Instanzen zu stärken und wollen lieber selbst für dann politisch gefällige Aufklärung sorgen.

Interessant ist, dass die G7-Staaten auch gegen Rechtsextremismus verstärkt antreten wollen. „Der Rechtsextremismus ist eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratien“, sagte Faeser. Man werde „im G7-Rahmen weiterhin alle Formen des Terrorismus und Extremismus, die unsere freien Gesellschaften bedrohen, mit allen Mitteln bekämpfen“.

Dazu gehören auch Menschen, die im Ausland in „Kampfzonen“ militärische Erfahrung erhalten haben und gewaltbereit sind, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren. Interessant zu sehen, wie hier die Gefahren minimalisiert werden, obgleich bekannt ist, dass Rechtsextreme schon vor dem Krieg in die Ukraine gereist sind, um sich in rechtsnationalistischen Freiwilligenverbänden wie Asow oder dem Rechten Sektor zu engagieren: „Wir sehen, dass einige Staatsangehörige sowie Einwohnerinnen und Einwohner aus G7-Ländern und anderen Ländern allein in die Ukraine reisen, um sich am bewaffneten Konflikt zu beteiligen. Die meisten dieser Freiwilligen verfolgen das Ziel, die Ukraine zu unterstützen, aber es gibt auch eine geringe Zahl an Personen, deren Kampferfahrung bei ihrer Rückkehr eine erhöhte Bedrohung darstellen könnte. Wir verpflichten uns, die möglichen Risiken, die diese zurückkehrenden Freiwilligen für unsere innere Sicherheit darstellen könnten, genau zu beobachten.“

Wer die Ukraine unterstützt, so die Aussage, kann ja kaum gefährlich werden, steht er doch auf der richtigen Seite. Dass Rechtsextremismus und Ultranationalismus im Verein mit dem Aufbau bewaffneter Verbände ein Problem der Ukraine sind, ist lange bekannt. Aber weil der Feind des Feindes dein Freund ist, wurden die rechtsextremen Strukturen der Ukraine weißgewaschen und wie Asow zu Helden verklärt, die angeblich uns und die westliche Demokratie verteidigen.

#Bild: Satirische Karte von 1887. Am Bild des bösen Russen, der sich Europa unterwerfen will, hat sich wenig geändert. Bild: gemeinfrei

Quelle: overton-magazin.de… vom 19. November 2022

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