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Die AV2020: Griff in den Giftschrank der Sozialpartnerschaft

Eingereicht on 31. August 2017 – 16:14

maulwuerfe.ch. Die Führungen der grössten Gewerkschaften Unia und VPOD werden nicht müde, die Reform der Altersvorsorge 2020 (AV2020) in ihrer Kampagne als bestmöglichen Kompromiss zur «Sicherung der Renten und zur Stärkung der AHV » anzupreisen. Derweil sind sie intern mit einer starken Opposition vor allem aus der Romandie und dem Tessin konfrontiert; diese linke Opposition ist es denn auch, die zusammen mit linken Parteien und Basisorganisationen das linke Referendum  lanciert und eingereicht haben. Dieses sieht die AV2020 als eine Vorlage, die den Abbau in der Altersvorsorge um weitere entscheidende Schritte weitertreibt, da das Rentenalter für Frauen erhöht und die Renten in der zweiten Säule gesenkt, und die Zusatzkosten via Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Beiträge der breiten Bevölkerung aufgehalst werden. Eine Einschätzung, der wir nur beipflichten können!

Das Problem der Altersvorsorge heisst zweite Säule

Die Altersvorsorge in der Schweiz ist innig verbunden mit der Herausbildung und der weiteren Geschichte der Sozialpartnerschaft ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (siehe dazu: Stoppt den Plan Berset und die Gegenreformen in der Altersvorsorge; dieser Text liefert neben der historischen Einbettung auch einige wichtige Elemente zum Mengengerüst eines Überganges vom Drei-Säulenmodell in eine Volkspension und hat eine Literaturliste beigefügt). Dabei haben – entgegen aller Mythen, die sowohl von der Bourgeoisie wie auch von den Gewerkschaftsführungen und der Sozialdemokratie eifrig gepflegten werden – letztere keine rühmliche Rolle gespielt. Der verheerende Einfluss der Sozialpartnerschaft machte sich vor allem bei der Abstimmung vom Dezember 1972 zur «Volkspensionsinitative» der PdA, mit Unterstützung der RML und der POCH bemerkbar: dieser Vorschlag wurde nur dank der Unterstützung der SPS und der Gewerkschaften verworfen und damit der Weg für das sogenannte Drei-Säulenmodell freigemacht. Die Unternehmer, Banken und Versicherungen rieben sich damals wie heute angesichts der AV2020 die Hände! Die Lohnabhängigen und die Rentnerinnen und Rentner gewärtigen dagegen immer grösser Abstriche an ihren Einkommen, gerade auch mit der AV2020.

Nachdem das BVG, als gesetzliche Grundlage der zweiten Säule, 1986 in Kraft gesetzt wurde, haben sich die Rentenansprüche in der zweiten Säule um schätzungsweise 40 % verringert; die Faktoren dabei waren verschiedene Gegenreformen in den Sammelstiftungen und in den Pensionskassen, wie insbesondere der Übergang vom Leistungsprimat in das Beitragsprimat, kein Teuerungsausgleich mehr seit zwanzig Jahren, starke Senkung des Umwandlungssatzes im überobligatorischen Bereich, u.a.m.  Dazu kamen ökonomische Entwicklungen wie etwa die schweren Verluste über mehrere Hundert von Mia in den Krisen der 1990er und 2000er Jahren und die Inflation, die ja in den Renten nicht ausgeglichen wird. Ferner wurden der technische Zinssatz und der Umwandlungssatz politisch laufend den Bedürfnissen der Banken und der Versicherungen angepasst, bzw. aus dem politischen Prozess herausgelöst; diese versichern mit 2.4 Mio etwa 60% der aktiven Versicherten. Die zweite Säule erweist sich demzufolge als das eigentliche Problem der Altersvorsorge: die Renten sind gar nicht gesichert, sie generiert eine starke Ungleichheit auch im Rentenalter und sie ist unverhältnismässig teuer und zudem politisch sehr undemokratisch.

Zudem wurden unter der SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss 1997 das Rentenalter der Frauen von 62 auf 64 Jahre angehoben. Nun ist es wieder ein SP Bundesrat, der das Frauenrentenalter anheben will.

Dass vor allem aus linken Kreisen in der Unia das Referendum gegen die Senkung des Umwandlungssatzes im BVG-Teil der zweiten Säule ergriffen und 2010 gewonnen wurde, kann als eher untypischer «Unfall» der Geschichte der Schweizer Altersvorsorge betrachtet werden – die Unia-Führung stand damals vorerst nicht hinter diesem Referendum.

Der Abbau der zweiten Säule im öffentlichen Dienst ist eine kontinuierliche Reihe von Rückschritten, denen kaum Widerstand seitens der Gewerkschaften entgegengesetzt wurde. Das letzte und «pionierhafte» Vorgehen bei der «Sanierung» der Pensionskasse des öffentlichen Dienstes im Kanton Zürich, der BVK, ist in jeder Hinsicht «beispielhaft»: aggressives Vorgehen der politischen Behörden, kein wirklicher Widerstand der Gewerkschaften und der SP und anderer im Parlament vertretener «linker» Parteien.

Aus all diesen ihren Erfolgen haben die Abbauer um die Unternehmerverbände, die Banken und die Versicherungen mit ihren politischen Organen um die FdP, die GLP und die SVP anlässlich der AV2020 ihren Mut geschöpft: Sie stellen sich gegen die Reform Berset, weil sie rasch noch weitergehen wollen: Rentenalter auf 67 oder 70 anheben, den Umwandlungssatz für den obligatorischen Teil aus dem politischen Prozess herausnehmen und einen Rentenabbau auf bestehenden Renten. Die Gewerkschaften, die SPS und die Grünen haben neben einer Verwirrung über dieses dreiste Vorgehen nichts zur Hand als das verzweifelte Klammern an die Abbauvorlage AV2020.

Kein Weg aus dem Niedergang der Altersvorsorge?

Die Argumentation der parlamentarischen Linken um die SPS und die Grünen und um die Gewerkschaftsführungen sieht die AV2020 als bestmöglichen Kompromiss der Verhandlungen mit den Vertretern der Bourgeoisie im Parlament. An den Aufbau einer breiten Mobilisierung und an weitere Kampfmassnahmen zur Verteidigung der Altersvorsorge wurde bei ihnen naturgemäss gar nie gedacht.

Dass ein Neuansatz erforderlich ist, der die AHV wirklich stärkt und die grossen Vermögen der zweiten und der dritten Säule dazu nutzt, ein gerechteres und sichereres System der Altersvorsorge aufzubauen, daran denken diese Kräfte nicht. Sie können dies auch gar nicht. Denn im Parlament alleine lässt sich kein wirklicher sozialer und politischer Konflikt führen, und die Gewerkschaften mit ihren Vertretungen in den Stiftungsräten der über 1’860 Pensionskassen, einem zentralen Pfeiler der Sozialpartnerschaft sind zu sehr mit der zweiten Säule verbunden. Und dass letztendlich die Löhne erhöht werden müssten, um die Finanzierung der AHV sicherzustellen, scheint keine Option zu sein; immerhin werden 80 % der Einnahmen der AHV über Lohnprozente finanziert und die Reallöhne stagnieren seit über 25 Jahren. Die Gewerkschaftsführungen setzen lieber auf das «Erfolgsmodell Schweiz» und die damit verquickte Sozialpartnerschaft als auf den Aufbau von Voraussetzungen, damit die unausweichlichen Kämpfe geführt werden können, und die SPS und die Grünen erobern lieber Parlamentsmandate und Regierungssitze, als sich um die wirkliche Verteidigung der Altersvorsorge zu scheren.

Ein solcher Umbau der Altersvorsorge ist zwar sicher technisch und vor allem politisch nicht einfach, aber Geld wäre genügend zur Verfügung, um allen ab 64/65 eine Rente von mindestens 5’000.- zu garantieren, samt automatischem Teuerungsausgleich; dieser wäre angesichts der aufgeblähten Finanzblase eine absolute Notwendigkeit, um den systemisch hohen Risiken einer massenweisen Altersarmut entgegenzuwirken. Das ganze Übergangsszenario könnte u.E. einen Besitzstand, von sagen wir, bis zu einer Jahresrente von 100’000.- garantieren. Wie folgende Überschlagsrechnung der wichtigsten Variablen zeigt, wäre dieser Übergang solide finanzierbar, vor allem wenn entsprechende Lohnerhöhungen erkämpft und gegebenenfalls die Profite stärker besteuert würden.

In der zweiten Säule liegt derzeit ein Vermögen von etwa 900 Mia (davon gegen 200 Mia bei den sogenannten Sammelstiftungen, die mehrheitlich von den Versicherungen verwaltet werden), in der dritten Säule von etwa 100 Mia Franken; die jährlichen Einnahmen der AHV liegen bei über 40 Mia, die der zweiten Säule bei knapp 70 Mia. Bei obiger minimalen Rente würden die Ausgaben bei ca 2.5 Mio Rentnerinnen und Rentnern gegen 130 Mia Franken betragen. Alles wäre also erstens zwar leicht teurer, zweitens viel gerechter und drittens viel sicherer. Zudem könnten die Lohnabhängigen und die Rentnerinnen und Rentner politisch durch ein gemeinsames Interesse an höheren Löhnen und guten, gerechten und sicheren Renten zusammengeführt werden. Nur die Unternehmer, die Banken und die Versicherungen und der stinkende Schwarm von Beratungs- und Treuhandbüros rund um die zweite und dritte Säule und diejenigen Personen mit besonders hohen Guthaben in der zweiten und der dritten Säule hätten Grund, sich gegen eine solche Reform zu stellen. Ein typischer Klassenkonflikt also! Und im Konflikt geht es halt unweigerlich konflikthaft zu – da hat die Sozialpartnerschaft keine vernünftige Funktion!

All dies aber ist nur über den Aufbau einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik, einer politischen Linken und einer breiten Mobilisierung möglich. Dies würde es ermöglichen, die Lohnabhängigen politisch wieder langsam zusammenzuführen. Die Atomisierung und die politische Lethargie, die als bleierne Schwere über diesem Lande lastet, könnten nur so allmählich aufgelöst werden. Und nur dadurch, nur dadurch, könnte die Altersvorsorge gesichert und gerechter reformiert werden. Deshalb:

  • 2 X NEIN am 24. September!
  • Für eine Altersvorsorge auf Basis der AHV!
  • Für massive Lohnerhöhungen vor allem für die unteren Schichten!

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