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Auf Kommando des CIA-Chefs: Wie der Ukraine-Krieg am 15. April 2014 begann

Eingereicht on 17. April 2023 – 11:58

Thomas Röper. Der kürzliche Jahrestag des Beginns des Krieges in der Ukraine ist eine gute Gelegenheit, noch einmal auf die Ereignisse Mitte April 2014 zurückzublicken. Ich werde dazu eine weitere Leseprobe aus meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014 veröffentlichen, in dem ich die Chronologie der Ereignisse vom Beginn des Maidan im November 2013 bis zur Unterzeichnung des Zweiten Minsker Abkommens im Februar 2015 auf fast 700 Seiten und mit fast tausend Quellen im Detail nachgezeichnet habe.

Die Vorgeschichte

Ende Februar fand in Kiew der Maidan-Putsch statt. Über die Ereignisse des Maidan und warum das per Definition ein aus den USA gelenkter Putsch war, habe ich in meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014 ausführlich berichtet und im Februar habe ich – ebenfalls aufgrund des neunten Jahrestages der Ereignisse – bereits eine 15-teilige Serie mit Leseproben aus dem Buch veröffentlicht. Die Teile, in denen es um den Putsch des Jahres 2014 in Kiew geht, finden Sie hier, hier und hier.

Nach dem Maidan spaltete sich die Krim von der Ukraine ab und beschloss, sich mit Russland zu vereinigen. Wie das abgelaufen ist und warum das keine „russische Annexion“ sondern eine Sezession, also eine Abspaltung der Krim von der Ukraine war, die von der absoluten Mehrheit der Bevölkerung seit Jahren gewünscht wurde, können Sie in Leseproben aus dem Buch hier, hier und hier nachlesen.

Es ist wichtig, zu erwähnen, dass es im Donbass bereits seit Dezember 2013 Proteste gegen den Kiewer Maidan, die sogenannte „Anti-Maidan-Bewegung“, gegeben hat. Nach dem Putsch Ende Februar 2014 verstärkten sich die Proteste nicht nur auf der Krim, sondern auch im Donbass und der Südukraine. Auch Städte wie Odessa, Melitopol oder Mariupol verweigerten der neuen Kiewer Maidan-Regierung den Gehorsam. All das verlief jedoch friedlich, es gab kaum Gewalt und vor allem keine Toten.

Das änderte sich im April 2014, denn am 15. April 2014 begann die Kiewer Maidan-Regierung die „Anti-Terror-Operation“ in den rebellierenden Gebieten und setzte Panzer gegen die Demonstranten in der damaligen Ost- und Südukraine in Marsch. Diese „Anti-Terror-Operation“ war der Beginn des Krieges in der Ukraine, in den Russland im Februar 2022 eingegriffen hat. Der Krieg dauerte zum Zeitpunkt von Russlands Eingreifen – unbeachtet von den westlichen Medien – bereits fast acht Jahre lang.

Dass es Kiew war, das diesen Krieg angefangen hat, wird deutlich, wenn man sich die Chronologie der Ereignisse des Frühjahres 2014 anschaut. Während des Maidans wurde vom Westen gefordert, die ukrainische Regierung dürfe keine Gewalt gegen die Maidan-Demonstranten anwenden, sondern solle ihre Forderungen ernst nehmen und erfüllen. Nach dem Maidan war es anders und niemand forderte von der durch den Putsch an die Macht gekommenen Maidan-Regierung, mit den Demonstranten im Süden und Osten der Ukraine zu verhandeln. Zwei Monate lang verweigerte Kiew jedes Gespräch mit den Demonstranten und schickte dann im April – anstatt einer Verhandlungsdelegation – Panzer und Kampfflugzeuge gegen die damals noch unbewaffneten Demonstranten.

Das war übrigens kaum eine Entscheidung, die Kiew unabhängig getroffen hat, denn der damalige CIA-Chef war extra nach Kiew gereist und nahm an der entscheidenden Sitzung des ukrainischen Sicherheitsrates, auf der die „Anti-Terror-Operation“ beschlossen wurde, teil. Er wird auf der Sitzung kaum den Kaffee serviert haben, sondern er dürfte den Krieg im Donbass angeordnet haben, der den Interessen der USA entsprach: Die USA wollten (und wollen bis heute) Russland und die Ukraine dauerhaft voneinander trennen, wie Geostrategen in Washington seit den 1990er Jahren offen erklären. Und was könnte zwei eigentlich eng verbundene Brudervölker effektiver gegeneinander aufbringen, als ein blutiger Krieg?

Kommen wir nun zur Chronologie der Ereignisse von Mitte April 2014, wie Sie sie in meinem Buch über die Ukraine-Krise nachlesen können. In dem Buch sind die Quellen zu den genannten Zitaten und Ereignissen alle angegeben.

Ausrufung der „Anti-Terror-Operation“

Beginn der Leseprobe:

Am 13. April beschloss der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine die Antiterror-Operation im Osten der Ukraine. Darüber berichtete die ukrainische Agentur „Ukrinform“ unter der Überschrift: „Turtschynow: Der Sicherheitsrat hat beschlossen, das Militär in die Antiterror-Operation einzubinden“ In diesem heute im Netz nicht mehr verfügbaren Artikel wurde ausgeführt:

„Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat hat eine großangelegte Antiterror-Operation unter Einbeziehung der Armee beschlossen. Das berichtet der geschäftsführende Präsident Alexander Turtschynow in seiner Videoansprache an das ukrainische Volk.“

Es mag unglücklich formuliert sein, aber es ist merkwürdig, dass der Sicherheitsrat dies beschlossen hat und der Präsident es lediglich verkündete. Gegen eine unglückliche Formulierung spricht allerdings, dass es alle ukrainischen Medien so meldeten. Hatten in Kiew in diesen Tagen die Hardliner um den Sicherheitsratsvorsitzenden Andrij Parubij von der „Swoboda“ das Sagen und die führenden Politiker um Turtschynow wurden von ihnen getrieben? Oder gab es noch andere Gründe dafür, dass nun anscheinend der Sicherheitstrat der Regierung den Kurs vorgab? Zur Antwort auf diese Frage kommen wir etwas später.

Moskau reagierte auf die Ausrufung der Anti-Terror-Operation am gleichen Tag, wie „Ria Novosti“ schrieb:

„Russland verurteilt den Einsatz von Gewalt unter Einbeziehung von Kämpfern des Rechten Sektors gegen Demonstranten in der Südost-Ukraine und ruft den Westen dazu auf, Kiew davon zu überzeugen, sich von Neonazis zu distanzieren, erklärt das Außenministerium Russlands in einer Mitteilung, die Ria Novosti am Sonntag erhalten hat. Außerdem bezeichnen russische außenpolitische Beobachter den Ukas des Übergangspräsidenten Turtschynow, die Armee gegen Demonstranten einzusetzen, als Verbrechen.“

Interessant war die Berichterstattung des Westens, exemplarisch sei der deutsche Nachrichtensender „N-TV“ vom 13. April zitiert. Dort wurde unter der Überschrift „Tote bei „Anti-Terror-Einsatz“ in der Ukraine“ geschrieben:

„Nach der Besetzung mehrerer öffentlicher Gebäude in der Ost-Ukraine gehen ukrainische Sicherheitskräfte nach Angaben der Regierung gegen pro-russische Gruppen vor. Dabei gab es dem Innenministerium zufolge „Tote und Verletzte auf beiden Seiten“ Ein Geheimdienstagent sei getötet und fünf weitere Menschen seien verletzt worden, bei den „Separatisten“ habe es eine unbekannte Zahl an Opfern gegeben, so Innenminister Awakow. … Einheiten aller Sicherheitskräfte des Landes seien beteiligt, schrieb Awakow. Er forderte die Bewohner von Slawjansk auf, das Stadtzentrum zu räumen, in ihren Häusern zu bleiben und sich von den Fenstern fernzuhalten. Reporter berichteten von Militär-Hubschraubern, die zeitweise über der Stadt zu sehen waren.“

Davon, dass Kiew ausdrücklich mit der Armee gegen die Demonstranten vorgehen wollte, las man an diesem Tag in der deutschen Presse kein Wort, lediglich die Umschreibung, dass „Einheiten aller Sicherheitskräfte“ beteiligt wurden. Die Regierungen im Westen reagierten mit Schuldzuweisungen an Moskau. Man muss sich fragen, warum der Westen und die westliche Presse die versuchten Räumungen des Maidan durch die Polizei so heftig kritisiert hatten, nun aber zu einem Einsatz der Armee gegen Demonstranten schwiegen.

Erste Gefechte

Am 13. April berichtete „RIA Novosti“ unter der Überschrift „Vor Einsatz in Slawjansk: CIA-Chef soll heimlich Kiew besucht haben“ von einem Besuch des CIA-Chefs Brennan in Kiew:

„Der CIA-Chef John Brennan hat am Samstag zu Geheimgesprächen in Kiew geweilt, erfuhr RIA Novosti aus ukrainischen Sicherheitskreisen. … „Er (Brennan) war hier unter einem anderen Namen. Nach seinen Treffen mit Sicherheitschefs wurde die Operation in Slawjansk beschlossen“ … Der russische Parlamentarier Nikolai Kowaljow hält diese Meldungen für unglaubwürdig. „Für einen derart ranghohen Chef gibt es keine Notwendigkeit in die Ukraine zu reisen, und schon gar nicht unter falschem Namen“, kommentierte Kowaljow, einst Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.“

Am 14. April bestätigte Washington jedoch den Besuch, wie „RIA Novosti berichtete“:

„Das Weiße Haus hat bestätigt, dass der CIA-Chef John Brennan am vergangenen Wochenende zu einem Besuch in der Ukraine geweilt hatte. … Zuvor hatte ein ranghoher Mitarbeiter der ukrainischen Sicherheitskräfte der Nachrichtenagentur RIA Novosti mitgeteilt, dass sich Brennan am Samstag in Kiew mit Vertretern der ukrainischen Militär- und Sicherheitsstrukturen getroffen hatte. Gleich darauf kündigte das ukrainische Innenministerium eine Sonderoperation gegen die Anhänger des Föderalismus in östlichen Regionen der Ukraine an.“

Ab dem 15. April berichteten dann auch die deutschen Medien darüber. So schrieb der „Spiegel“ am 15. April:

„Eine brisante Enthüllung russischer Medien: CIA-Chef John Brennan war auf geheimer Mission in Kiew. Moskau bezichtigt den Geheimdienstchef prompt, einen Einsatz gegen Separatisten in der Ostukraine organisiert zu haben. Die USA spielen den Besuch herunter. … Angesichts der Vorhaltungen aus Russland sah sich das US-Außenministerium zu seiner Erklärung genötigt. John Kerrys Sprecherin Jennifer Psaki bestätigte am Montag, dass Brennan tatsächlich in Kiew war – angeblich zu einem Routinebesuch.“

Der Artikel beschäftigte sich dann auch damit, dass Washington bestritt, der Besuch könnte etwas mit der zeitgleich angekündigten „Antiterror-Operation“ zu tun haben. Interessant war der letzte Absatz:

„Was genau Brennan mit seinem Blitzbesuch in Kiew bezweckte, dürfte also erst deutlich werden, wenn sich die Ukraine-Krise weiter zuspitzen sollte.“

Da sich die Krise schon in den nächsten Tagen massiv zuspitzte, ist es schade, dass der „Spiegel“ später zu dieser Frage nicht zurückgekehrt ist, die er hier selbst aufgeworfen hatte.

Die „Welt“ berichtete am 16. April unter dem Titel „Wie die CIA Kiew mit Geheim-Informationen hilft“ darüber und schrieb:

„Russische Medien hatten zuvor berichtet, Brennan sei unter falschem Namen in die Ukraine gereist. In Kiew habe er sich mit den neuen „Machthabern“ in „geheimen Gesprächen“ über die Krise in der Ostukraine beraten, berichtete die Agentur Interfax. Der Geheimdienstchef habe Kiew nahegelegt, Antiterrormaßnahmen gegen die Separatisten im Osten des Landes einzuleiten, meldete die Agentur weiter. Ukrainische Zeitungen vermuteten hingegen, bei den Gesprächen sei es um den Austausch von Geheimdienstinformationen gegangen. Vergangene Woche drängte Nato-General Philip Breedlove den Westen, mehr militärisches Aufklärungsmaterial wie Satellitenbilder an die Ukraine weiterzugeben. … Der ukrainische Geheimdienst SBU und die CIA würden bereits eng zusammenarbeiten, behauptet Wladimir Golub, Abgeordneter der Kommunistischen Partei im ukrainischen Parlament. Die Amerikaner hätten den ukrainischen Geheimdienst übernommen, sagt Golub. Darüber würden die Abgeordneten im Parlament angeblich offen sprechen.“

Wir werden wahrscheinlich nie herausbekommen, was bei diesem Besuch in Kiew besprochen wurde. Aber dass just an dem Tag, an dem Brennan mit dem Sicherheitsrat sprach, dieser die Antiterror-Operation ausrief, kann kaum ein Zufall sein. Wir erinnern uns an die Formulierung, dass der Sicherheitsrat die Operation beschlossen und Übergangspräsident Turtschynow dies lediglich verkündet hätte. Wenn ein so wichtiger Gast wie der CIA-Chef in die Ukraine kommt und mit dem Sicherheitsrat spricht, der just in dem Moment auch die Anti-Terror-Operation beschließt, ist es kaum vorstellbar, dass er in die Beratungen über die zu ergreifenden Maßnahmen nicht eingebunden war.

Am 15. April begann die Antiterror-Operation. Das „Manager Magazin“ schrieb unter dem Titel „Erste Gefechte in der Ost-Ukraine“:

„Mit einem Sondereinsatz gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes hat die Ukraine den Zorn Moskaus auf sich gezogen – zwei Tage vor internationalen Krisengesprächen in Genf. Es kam zu ersten Gefechten. … Nach schweren Gefechten hätten die Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich der Stadt Donezk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Interimspräsident Alexander Turtschynow am Dienstag. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. … Die USA verteidigten das militärische Eingreifen der Ukraine gegen die Separatisten. … Bereits am frühen Morgen hatten Regierungskräfte das Feuer auf Straßensperren bei Slawjansk eröffnet. Dabei seien mehrere Menschen verletzt worden, sagte ein Sprecher der prorussischen Separatisten. Bewaffnete hätten die Stadt umstellt, die moskautreuen „Selbstverteidigungskräfte“ bereiteten sich auf einen Angriff vor. … Ziel des Vorrückens im Norden des ostukrainischen Gebiets Donezk sei der „Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen“. … „Die Soldaten haben hohen Kampfgeist und hohe Bereitschaft, die Ukraine an der Front zu verteidigen“ sagte der Chef des ukrainischen Sicherheitsrats, Andrej Parubij. Moskau forderte von der ukrainischen Regierung einen sofortigen Stopp des Einsatzes und warnte vor einem Scheitern der für Donnerstag geplanten Gespräche in Genf.“

Nur zwei Tage später wollte man sich in Genf zu Friedensgesprächen treffen, eigentlich kein Zeitpunkt, die Situation noch zu eskalieren. Der „Sondereinsatz“ war aber genau das: Eine weitere Eskalation, die nun zu den ersten echten Gefechten führte. Im Westen wurde jedoch nicht Kiew kritisiert, dass für diese Eskalation verantwortlich war, in dem es Truppen anstatt Verhandlungsdelegationen schickte, sondern Moskau. Und das obwohl es von Seiten Kiews nicht einen Versuch gegeben hatte, mit den Rebellen zu verhandeln.

Der „Spiegel“ berichtete unter dem Titel „Flughafen Kramatorsk: „Wir haben Angst, dass sie auf uns schießen““:

„“Sie nennen uns Terroristen! Sie nennen uns ausländische Provokateure! Aber ich bin Ukrainerin. Ich bin in Kramatorsk geboren“ ruft eine junge Frau mit langen blonden Haaren aufgebracht und streckt ihren Ausweis in die Fernsehkameras des russischen Senders „Erster Kanal“ Dem Kreml-treuen Sender sind die Szenen hochwillkommen, scheinen sie doch Wladimir Putins Version zu bestätigen, dass die russischsprachigen Ukrainer im Osten von der neuen Regierung in Kiew bedroht werden. … Die ukrainische Regierung wiederum behauptet dreist, sie sei im Osten auf dem Vormarsch, denn sie muss endlich Erfolge vorweisen. Doch kann davon keine Rede sein. … „Wir haben Angst davor, was sie als Nächstes tun werden“ sagt der 25-jährige Konstantin aus Kramatorsk über die eingeflogenen ukrainischen Soldaten. Seine Worte lassen erahnen, wie tief das Land inzwischen gespalten ist. Für Konstantin sind die ukrainischen Soldaten Fremde. „Wir wollen keine Besatzer aus der Westukraine“ sagt er. „Wir wissen zwar, dass Wiktor Janukowitsch ein Gangster ist“ sagt er über den gestürzten Präsidenten, „aber ich hatte nie Angst, dass er Soldaten schicken würde, um auf uns zu schießen“ In der Ostukraine traut man den Menschen aus dem Westen des Landes inzwischen offenbar fast alles zu – und umgekehrt genauso.“

An diesem Tag hatte der „Spiegel“ – wie erwähnt – im Zusammenhang mit dem Besuch des CIA-Chefs geschrieben, man könne den Besuch erst einordnen, wenn sich die Situation danach weiter zuspitzen sollte. Wie wir sehen, spitzte sich die Situation schon am selben Tag zu. Der „Spiegel“ kam auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage jedoch nicht mehr zurück.

Zu den Anschuldigungen des Westens, Russland stecke hinter den Vorkommnissen in der Ost-Ukraine schrieb der „Spiegel“ an diesem 15. April unter dem Titel: „Fakten-Check: Sagen die Russen die Wahrheit?“:

„Russlands Außenminister Sergej Lawrow bestritt am Montag zum wiederholten Male alle westlichen Vorwürfe, Moskau würde sich unstatthaft in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischen. „Dort gibt es keine Agenten von uns“ sagte er. „Wenn es Fakten gibt, sollte man sich nicht genieren, diese vorzulegen“ Und: „Wenn ihr euch geniert, heißt das, dass es keine Fakten gibt““

Dann ging der „Spiegel“ auf einige Behauptungen und Fotos aus Kiew ein und schrieb weiter:

„Die „FAZ“ nimmt diese Beweise ernst – wie es auch die Bunderegierung tut -, sagt aber zugleich: „Eine Möglichkeit, die Echtheit dieser Aufnahme zu prüfen, gibt es nicht“ … Können wir nach den später nichtigen „Beweisen“ vor dem Irakkrieg ausschließen, dass auch westliche Geheimdienste „schlampen“ oder „nachhelfen“? … Fazit: Im Vergleich zum Geschehen auf der Krim ist die Lage in der Ostukraine sehr viel unübersichtlicher. Doch daran, dass es russische Agenten und Einflussnahme gibt, ist kaum zu zweifeln. (Ebenso wenig daran, dass es dort westliche Agenten gibt.) Wie weit der russische Einfluss im Einzelfall reicht und was die bisher präsentierten Beweise wirklich wert sind, darüber lässt sich allerdings streiten.“

In den folgenden Tagen zeigte sich wieder, wie schon auf der Krim, wo schon Soldaten die Seiten gewechselt hatten, dass nicht nur das Land zwischen Russland und Europa gespalten war, sondern auch die Armee. Am 16. April liefen Einheiten der Armee zu den Demonstranten über, wie auch deutsche Medien berichteten. Unter der Überschrift „Ukrainische Regierungstruppen laufen mit Panzern zu Separatisten über“ schrieb z.B. „N-TV“:

„In der Ostukraine sind Regierungseinheiten Medien zufolge mit mindestens zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den prorussischen Separatisten übergelaufen. Ein Video des Portals espreso.tv zeigte, wie die Truppen mit russischen Flaggen durch die Großstadt Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich von Donezk fuhren. Das russische Staatsfernsehen berichtete von ähnlichen Szenen im nahen Slawjansk. Den Berichten zufolge waren die Einheiten eigentlich zu einem «Anti-Terror-Einsatz» gegen die nach Moskau orientierten Aktivisten in der Gegend befohlen, liefen dann aber über.“

Dies sollte sich in den nächsten Tagen fortsetzen.

An dieser Stelle sei wieder eine Anmerkung von mir gestattet. Ich werde die „Separatisten“ als „Demonstranten“ oder „Rebellen“ bezeichnen und weiche bewusst von den in den deutschen Medien genutzten Bezeichnungen ab. Der Grund ist, dass ich für vergleichbare Vorgänge auch vergleichbare Begriffe verwenden möchte. Als Menschen auf dem Maidan demonstriert, Gebäude besetzt und Waffen gegen die Polizei eingesetzt haben, wurden sie als „Demonstranten“ bezeichnet und nicht als „Terroristen“ oder „Banditen“ etc. Nun geschah im Osten das Gleiche: Demonstranten besetzten Plätze und Gebäude und setzten sich auch mit Waffen gegen die Polizei zur Wehr, aber die Bezeichnungen in den Medien waren plötzlich andere. Es ist dabei unerheblich, ob Russland die Vorgänge im Osten gesteuert, oder beeinflusst hat oder nichts dergleichen getan hat. Auch der Maidan war eindeutig vom Westen mindestens beeinflusst, ja sogar vom Westen gesteuert. Wenn man versuchen möchte, neutral zu berichten, dann sollte man für vergleichbare Vorgänge auch vergleichbare Begriffe benutzen und sie nicht nach Lage der eigenen Sympathie mit wertenden Bezeichnungen versehen. Die Benutzung von suggestiven Formulierungen ist keine Berichterstattung mehr, sondern schon Beeinflussung oder sogar Meinungsmache, wenn man das „böse Wort“ Propaganda vermeiden möchte.

Dazu äußerte sich auch Frau Krone-Schmalz in dem schon mehrfach zitierten ZAPP-Interview. Da dieses Interview ebenfalls an diesem 16. April ausgestrahlt wurde, wollen wir nun auf einige Punkte genauer eingehen. Der Hintergrund des Interviews war, dass die deutschen Medien „mit Leserbriefen überhäuft“ wurden, in denen die Leser gegen die, ihrer Meinung nach, einseitige deutsche Berichterstattung protestierten. Frau Krone-Schmalz äußerte Verständnis für die Beschwerden der Leser und benannte Fehler, die die Medien ihrer Meinung nach gemacht haben. Sie nannte hier den Umgang mit Begriffen, mit denen die Medien unpräzise umgingen. Dann sagte sie:

„Im Umgang mit Russland ist oft die Rede von „wohl“, „offensichtlich“, „wahrscheinlich“. Auch die Frage von den Kollegen im Studio (an die Korrespondenten vor Ort, Anm. d. Verf.) sind ja darauf ausgerichtet: „Was glauben Sie?“ „Was meinen Sie?“ Da sollte man sich viel öfter verweigern. … Oder wenn von „pro-russischem Mob“ die Rede ist, wir reden ja auch nicht von „pro-europäischem Mob““

Dann forderte sie, man müsse als Journalist alle Interessen deutlich benennen, was die Medien nicht getan hätten:

„Das EU-Assoziierungsabkommen ist als Tür in den Westen dargestellt worden. … Kaum berichtet worden ist, dass die EU natürlich auch Interesse hat, die Ukraine „rüber zuziehen“. Darüber müssen Medien reden. Das ist am Anfang nicht passiert. … Brüssel ist als Hort der Freiheit, des Wohlstandes, der Chance für die Ukraine dargestellt worden. Was so sein kann, aber nicht nur so ist. Im Gegensatz dazu, ist alles was aus Moskau kam, mit einem negativen Vorzeichen belegt worden. … Natürlich nicht immer, aber es reicht, wenn der Mainstream so ist. Deshalb freue ich mich über die Proteste der Bürger, das zeigt, wir haben mündige Bürger, die sich das auf die Dauer nicht mehr gefallen lassen. … Unabhängig davon, ob ich jemanden, über den ich berichte, mag oder nicht. Putin zum Beispiel wurde von den Medien nie ernst genommen. „Wie der schon aussieht“ und „Der kommt ja aus dem KGB“. Sich über so etwas klar zu werden, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, ist für mich seriöser Journalismus. … Die Vorgänge in der Ostukraine werden immer mit den Vorgängen auf der Krim verglichen, nie mit den Vorgängen in Kiew. Das wäre die bessere Parallele, bringt die „Pro-Westliche“ Argumentation aber durcheinander. Dazu gehören auch Schlagzeilen wie „Russland zündelt“ oder „Wer stoppt Russland“. … Alle haben sofort den Begriff Annexion gebraucht, dabei ist der völkerrechtlich falsch. Fakt ist, dass das Völkerrecht mindestens zwei widerstreitende Prinzipien in sich vereint. Die Unverletzlichkeit der Grenzen und Selbstbestimmungsrecht der Völker. Beide sind gleich wichtig. … Und es kann nicht sein, dass wir das Selbstbestimmungsrecht für bestimmte Gegenden der Welt akzeptieren, für andere Gegenden nicht. Ein konkretes Beispiel: Wenn sich 90 Prozent der Montenegriner für die EU entscheiden, finden wir das ein tolles Ergebnis. Wenn sich 97 Prozent der Krim-Bewohner für Russland entscheiden, kann das nicht stimmen.“

Ab dem 17. April stockte die Antiterror-Operation schon merklich. Der „Spiegel“ schrieb unter dem Titel: „Aufstand im Osten: Ukrainische Einheit zieht sich aus Gebiet Donezk zurück“:

„Sie waren von prorussischen Bewaffneten und Anwohnern blockiert worden – nun haben sich ukrainische Regierungstruppen mit 15 gepanzerten Fahrzeugen aus dem Gebiet Donezk zurückgezogen. Die Einheit im Osten des Landes werde in voller Stärke zurück nach Dnjeprpetrovsk verlegt. Das teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Moskautreue Aktivisten hatten am Mittwoch bei Kramatorsk gewaltlos sechs gepanzerte Fahrzeuge übernommen. Diese Mannschaften seien nun in ihre Basis zurückgekehrt, betonte das Ministerium.“

Hier ist die Formulierung bemerkenswert: Der „Spiegel“ schrieb nun, die Fahrzeuge seien „übernommen“ worden, die Berichte an dem entsprechenden Tag meldeten jedoch, die Mannschaften seien samt Fahrzeugen übergelaufen und es wurden Videos davon veröffentlicht. Auch von einer Rückkehr der Mannschaften „in ihre Basis“ hat, außer dem Kiewer Ministerium, niemand berichtet.

Ende der Leseprobe

Es bleibt noch hinzuzufügen, dass es – wie gesehen – ab Mitte April 2014 zu ersten Kampfhandlungen kam, dass sie aber noch nicht wirklich eskalierten, weil die ukrainischen Soldaten keine Lust hatten, auf ihre Landsleute im Donbass zu schießen. Viele ukrainische Einheiten – weit mehr, als hier aufgeführt – sind damals zu den Rebellen übergelaufen. Deshalb waren die Rebellen recht schnell gut bewaffnet, denn ganze Kasernen und Militärstützpunkte im Osten der Ukraine sind zu den Rebellen übergetreten.

Die Kämpfe eskalierten erst etwas später, als Kiew die aus den neonazistischen „Sicherheitskräften“ des Maidan gebildeten „Freiwilligenbataillone“ in den Donbass schickte. Diese Einheiten trugen Namen wie „Asow“ und sollten wegen ihrer Brutalität schnell zu trauriger Berühmtheit gelangen.

Quelle: anti-spiegel.ru… vom 17. April 2023

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