Marxistische Feministinnen solidarisieren sich mit Palästina
Karin Hilpisch. In meinem Artikel „“Marxist feminism — an oxymoron?“ argumentiere ich, dass der Feminismus der Anti-Sexismus der vom Sexismus Betroffenen ist, analog zum Anti-Rassismus der vom Rassismus Betroffenen, dass der Begriff keine bestimmte Ideologie bezeichnet. Im Gegensatz zum liberalen und radikalen Feminismus lehnt der marxistische Feminismus Klassenzusammenarbeit (klassenübergreifende „Schwesternschaft“), Separatismus („Männer sind der Feind“) und Biologismus („Männer vergewaltigen Frauen, weil Männer Penisse haben“) ab.
Einige Genossinnen und Genossen widersprechen diesem Verständnis mit dem Argument, dass Feminismus – als solcher und per se – den Geschlechterkampf über den Klassenkampf stellt. Daher könnten Feministinnen per definitionem nicht bedingungslos mit Palästina gegen Israel solidarisch sein, wenn man die spezifische Bedrohung der Frauen durch palästinensische islamistische Kräfte bedenkt. Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig.
Im Allgemeinen ist die spezifische Unterdrückung eine Ableitung der Klassenunterdrückung, und zwar insbesondere ihrer Ausprägung in der Epoche der imperialistischen Phase des Kapitalismus. Die nationale Unterdrückung führt zu einer Verschärfung der Unterdrückung der fortschrittlichen sozialen Gegenkräfte. Darüber hinaus kann die imperialistische nationale Unterdrückung reaktionäre Kräfte wie die Hamas hervorbringen, deren politische Dominanz in Gaza durch den Zionismus verstärkt, wenn nicht gar verursacht wird. Der wirksamste Weg, sich der Unterdrückung der Frauen durch die Hamas entgegenzustellen, ist daher der Kampf gegen den Zionismus und seine imperialistischen Unterstützer.
Israelische Frauen genießen innerhalb Israels ein höheres Maß an rechtlicher Gleichstellung als palästinensische Frauen in den besetzten Gebieten. Stellt die größere Gleichheit der israelischen Frauen für marxistische Feministinnen ein Dilemma dar, für welche Seite sie sich entscheiden sollen? Nein, ein solches Dilemma gibt es nicht. Wenn die geschlechtsspezifische Unterdrückung durch das Hamas-Regime brutaler ist als die der Zionisten, dann deshalb, weil die israelische „Demokratie“ auf der nationalen Unterdrückung der Palästinenser beruht.
In „Marxismus in unserer Zeit“ (1939) schreibt Trotzki:
„Die Bourgeoisie der Mutterländer war in der Lage, ihrem eigenen Proletariat, insbesondere den oberen Schichten, eine privilegierte Stellung zu sichern, indem sie dafür mit einem Teil der in den Kolonien erwirtschafteten Superprofite bezahlte, ohne dass irgendeine Art von stabilem demokratischem Regime völlig unmöglich wäre. In ihrer erweiterten Ausprägung wurde die bürgerliche Demokratie zu einer Regierungsform, die nur den aristokratischsten und ausbeuterischsten Nationen zugänglich war und ist. Die antike Demokratie beruhte auf der Sklaverei, die imperialistische Demokratie auf der Enteignung von Kolonien.“
Obwohl es in der Beziehung zwischen Israel und Palästina kein „Mutterland“ gibt, trifft Trotzkis Analyse zu, da beide Nationen konkret als miteinander verflochtene Völker existieren.
Es gibt keinen Widerspruch zwischen einem auf der Arbeiterklasse basierenden Feminismus und einer pro-palästinensischen Solidarität. Im Gegenteil, sie gehen Hand in Hand, wie die folgenden Zitate von feministischen Gruppen (die sich als marxistisch bezeichnen können oder auch nicht) zeigen:
>>“Palästina ist ein feministisches Thema…Wir bejahen das Leben und fordern Feministinnen überall auf, ihre Stimme zu erheben, sich zu organisieren und sich dem Kampf für die palästinensische Befreiung anzuschließen.“<<
The Palestinian Feminist Collective
>> Warum kümmert sich eine feministische Gruppe um Gaza? Was haben Bomben und Völkermord mit Frauen und Feminismus zu tun? (…) Diese Frage stellt einen falschen Gegensatz zwischen zwei Dingen her, die als gegensätzlich angesehen werden: Gerechtigkeit für die Palästinenser auf der einen Seite und Feminismus auf der anderen. (…)
Wir wissen, dass in Zeiten menschlicher Katastrophen und Krisen, in Zeiten von Barbarei und Unterdrückung Frauen die Hauptlast der Gewalt tragen: sowohl auf zwischenmenschlicher als auch auf institutioneller Ebene. Wir wissen, dass Krieg mit brutaler, geschlechtsspezifischer Gewalt einhergeht. Diese allgemeingültigen Tatsachen – die sich aus dem Leben in einer patriarchalischen und gewalttätigen Welt ergeben – ändern sich auch nicht, wenn die Frauen Palästinenserinnen sind. (…)
Aus diesem Grund haben palästinensische Frauenrechtsorganisationen und Aktivistinnen selbst lange darauf bestanden, dass der Kampf der Frauen und der Kampf für die nationale Befreiung untrennbar miteinander verbunden sind…
Wir kümmern uns um Gaza, weil wir uns um die Frauen kümmern. Und wir kümmern uns um Frauen, weil wir uns um die Menschheit kümmern.<<
„Sind die Palästinenser nicht auch Frauen?“
Sisters Uncut. Taking direct action for domestic violence services
>>Anlässlich des diesjährigen Internationalen Tages für die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Gewalt wollen wir laut und deutlich sagen: Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist Teil des Kampfes gegen Völkermord und Besatzung. Niemand von uns kann frei von Gewalt sein in einer Welt, die auf Rassismus, Imperialismus und ethnischer Säuberung beruht. <<
ROSA International Socialist Feminists
Quelle: classconscious.org… vom 20. November 2023; Übersetzung durch die Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Feminismus, Imperialismus, Palästina, Strategie, Trotzki, Zionismus
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