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Gast oder Gästin? Das ist hier die Frage

Eingereicht on 22. Juni 2023 – 10:24

Frank Blenz. Bisher wurde die Frage „Gast oder Gästin?“ muttersprachlich ohne jede Aufregung gelöst: Es heißt „Gast“. „Du bist mein Gast“, sagt man zu einem Menschen, egal welchen Geschlechts er ist. Das zu ändern und einfach „Gast“ zu sagen nicht (mehr) gut zu finden, finde ich sehr ungerecht. Denn jeder angesprochene Gast wusste bisher selbst sehr wohl, welches Geschlecht er hat und dass sein Gegenüber sehr wohl dies mit dem Wort „Gast“ einbezog: Gast schließt alle ein. Generisches Maskulinum sagt man dazu. Deutsche Sprache – herrliche Sprache.

Ein englisches Wort drängt die deutsche Sprache in die Defensive

NachDenkSeiten. Auf dieser hier so lebendigen Plattform NDS werden vielfältige Themen zur Sprache gebracht. „Schau es Dir an, ich habe etwas für Dich, lies mal“, sagt man, wenn man einen Tipp zu den NachDenkSeiten loswerden, für diese Seite werben will. Mich als Autor und Bürger beschäftigt seit längerer Zeit und in jüngster zunehmend ein Wort: Gendern (englisch ausgesprochen „dschendern“).

Ich beobachte: Wir alle sind betroffen, als Bürger, als Leser, als Kunde, als Student, als Radiohörer, Leser, Zuschauer usw., denn vielerorts wird geradezu aggressiv mittels Genderns hervorgehoben, wie wichtig, wie richtig diese „neue“ Sprachmodifikation sei. Die „alte“ Sprache gerät dabei in die Defensive. Es gehe um Gerechtigkeit, lautet die Begründung der Genderer, was unterstellt, dass unsere Sprache nicht gerecht sei, weil die Geschlechter in ihr nicht gebührend vorkämen. Sie kommen aber vor, finde ich, das generische Maskulinum schließt alle ein. Ein guter Freund, sprachgewandt und belesen, sagte mir jüngst, werbend für das Gendern, dass so viel Zeit sein müsse, alle einzubeziehen. Sich Zeit nehmen, höflich sein, aufmerksam – ich stimmte ihm zu. Doch die deutsche Sprache ist seit jeher eine, die viele Wörter, viele Worte zur Verfügung stellt, um sich Zeit zu nehmen und höflich, ja gerecht zu sein, entgegnete ich ihm. Die Höflichkeit kommt nicht zu kurz: Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste, liebe Besucher! Liebe Anwesende! – Wer wird allein schon bei dieser einleitenden Anrede vergessen?

Mit „*“ und „-Innen“ ist es mit der Gerechtigkeit nicht getan, legte ich weiter Einspruch ein. Denn in Sachen umfassender Gerechtigkeit in der Gesellschaft versiegt das Engagement der Genderer*Innen, so meine Beobachtung. Gleichberechtigung in der Sprache, in der Nennung der Personen hinsichtlich ihres Geschlechts und/oder ihrer Orientierung – sorgt eben nicht für Gleichberechtigung beim Lohn, bei der Verteilung von Macht und Kompetenzen, bei der Gleichberechtigung in vielen Teilen der Gesellschaft.

Die inflationär verwendete englische Bezeichnung „gender“ in der deutschen Sprache zur Gewährleistung von Gerechtigkeit der Geschlechter „männlich“, „weiblich“, „divers“ ist für Otto Normalverbraucher, den Muttersprachler, eine Zumutung. Diese Zumutung hält eine andauernde Krise im Land am Laufen, wir haben schon viele Krisen. Die Sprache, die Rede, die Anrede, alles Schriftliche, Vertonte, Werbung – alle Bereiche werden von Sternchen und „Inneninnen“ okkupiert. Das ist die eine Seite, die der sich wichtig nehmenden, mächtigen Deutungshoheiten.

Schaut dem Volk aufs Maul

Der Durchschnittsbürger, mit Bürger sind alle (geschlechterbetreffend) gemeint, redet wie immer. Gott sei Dank. Man stelle sich Gespräche von Durchschnittsbürgern im Innen-Hicks-Stil vor. Hab ich noch nicht gehört. Tatsächlich wird einem aber diese Sprachweise in TV-Beiträgen und Rundfunkinterviews zunehmend von Fachleuten und Profis und wohl richtigen Freunden dieses Stils offeriert. Dabei zuzuhören, das ist anstrengend. Man fragt sich: Soll das wirklich d i e Sprache unserer Zukunft sein? Ich erinnere mich: Ein Rundfunk-Interview über die Betreuung von Jugendlichen, die einen Knacks „dank“ all der vergangenen und bestehenden Krisen der Gesellschaft erlitten haben oder gerade erleiden, strotzte vor Genderausdrücken. Es reichte der Fachfrau nicht, der Expertin, ja, so viel Zeit muss sein, in der Mehrzahl ihrer Aufzählung der beteiligten Psychologen, Physiologen, Experten, Doktoren, Soziologen, Pädagogen die hier genannte Form zu nutzen. Bei jeder Aufzählung nahm sie sich stattdessen noch viel mehr Zeit: Psycholog (ganz kurze Redepause) Innen, Physiolog Innen, Expert Innen, Doktor Innen, Soziolog Innen, Pädagog Innen. Sie zählte die Experten in dieser Art sehr oft auf …

Kürzlich las ich in einem Leserbrief auf einer Internetseite einen Vorschlag, das „Innen“ zu umgehen, laut Gedankenprotokoll meinerseits gebe ich es wieder:

  • Präsens: Forschende
  • Präteritum: Geforschte
  • Perfekt: Geforschthabende
  • Plusquamperfekt: Geforschtgehabte
  • Futur I: Forschendwerdende
  • Futur II: Geforschthabendwerdende
  • Konjunktiv I: Geforschthättende
  • Konjunktiv II: Geforschthabendwürdende

Das Kind „Sprache“ ist schon in den Brunnen gefallen, dank Denglisch. Doch …

Wenn wir ehrlich sind, haben wir unsere Sprache schon enorm ramponiert, beschädigt, kulturell verwahrlosen lassen. Wir erleben bis heute eine Inflation des „Denglischen“, „beeindruckend“ ist schon lange zu „cool“ geworden, nur bei „cool“ leuchten unsere Augen. Geschäftsführer heißt neuerdings CEO, und der Abgabeschluss für einen Auftrag wird von einer Deadline gezogen. Roundabout, live, Cashflow, Meeting, App, Smartphone, Flatrate, Shopping, Black Friday, Row Area (ein neues englisches Wort für einen noch spannenderen Raum im Backstage-Bereich einer Musikbühne). Man unternehme nur mal zum Spaß den Versuch, eine DIN-A4-Seite mit englischen Wörtern, die in unserer Sprache „in“ oder ein „must“ sind, aufzulisten. Ich garantiere, ich schwör’ (habe ich von einem türkischen Freund): Ein Blatt reicht nicht.

Doch … wir können optimistisch sein. Denn die Sprache, also auch unsere Muttersprache – sie ist ein wunderbares, dynamisches Wesen. Man höre nur mal der Jugend zu. Die fanden es früher echt knorke, dann cool und nun mega Dicka. Es könnte auch wieder der Tag kommen, an dem sie im dann angesagten Trend ausrufen werden, freuten sie sich besonders über etwas: „Mensch – das ist schön!“

Nein zur Nötigung, zum Zwang, zum Nachteil für Menschen, die Gendern ablehnen

Gendern. Dschendern. Es ist ein Unwort. Es ist ein Wort, welches Unbehagen auslöst. Nicht, weil die Idee der Gleichberechtigung Unbehagen auslöst. Das Unbehagen löst der englische Ausdruck wegen seiner innewohnenden, selbstgefälligen, besserwisserischen Penetranz des Stils aus. Der Stil versucht, die bisherige und sich doch stets wandelnde und entwickelnde Sprache ins Abseits zu drängen, was von den „AktivistInnen“ bis zu einer fanatischen Ekstase ausgelebt wird. Das Unbehagen der „Normalen“ dagegen verstärkt sich, weil: Es geht eben um Zwang. Um Ausgrenzen. Um diese unausgesprochene Drohung: Wer nicht mitmacht, der/die/es ist draußen und/oder gar nicht (mehr) dabei. Das Leben bietet traurige, empörende Beispiele dieser Entwicklung: Man/frau stelle sich vor: Eine Diplomarbeit – ach ja, die heißt ja jetzt Bachelor oder Master – wird von dem Studenten ganz ohne Gendern verfasst. Das aber bedeutet, ganz gleich, ob man/frau fachlich richtig, ja brillant schreibt – Punktabzug. In den Medien, Zeitung, TV, Rundfunk – ist eine berufliche Laufbahn in Redaktionen zunehmend nicht möglich, wenn man das Gendern nicht beherrscht und nutzt. Bürger schütteln den Kopf, lesen sie Behördenpost. Bei der Deutschen Bahn muss die Kundschaft neuerdings gendergerecht angesprochen werden. Ein Gericht entschied, dass die Anrede „Herr“ oder „Frau“ diskriminierend sei.

Geklagt hatte eine Person, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnet. Nach Auffassung des Gerichts wird sie diskriminiert, da sie bei der Fahrkartenbuchung zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. Das Urteil ist nicht anfechtbar. Gendergerechte Ansprache ab Januar 2023. Dem Urteil zufolge muss die Bahn im kommenden Jahr die Anrede ihrer Kunden umstellen. Bei Zuwiderhandlung muss sie ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro zahlen. Das Gericht sprach der klagenden Person zudem 1.000 Euro plus Zinsen als Entschädigung zu. Sie hatte 5.000 Euro gefordert. Außerdem muss die Bahn die Verfahrenskosten der Person von knapp 500 Euro übernehmen. (Quelle: mdr.de)

Gendern gerät in die Defensive – in der Politik schreit man auf – bei den Konservativen

Deutlich sei angemerkt, dass die CDU ganz leise sein sollte mit ihrem ausgestellten Widerstand in Sachen Gendern. Hätte die CDU in vielen Jahren Kanzlerin-Regentschaft der Gleichberechtigung von Mann und Frau einschließlich gleicher Löhne und gerechter Positionen in der Gesellschaft zum Sieg verholfen, es gäbe keinen Fanatismus des Genderns. Sei‘s drum, nun positioniert sich die einstige Regierungspartei so:

Die CDU macht sich gegen Gender-Sprache in Behörden, Schulen, Universitäten sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stark. Man wolle etwa „auch nicht, dass jemand an der Universität dafür bestraft wird, dass er die Sprache verwendet, die ohne Gendersternchen funktioniert“, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Freitag kurz vor Beginn eines Kleinen Parteitags der Christdemokraten in Berlin.

In einem von der Antragskommission der Partei veränderten Antrag des CDU-Verbandes Braunschweig, der von den gut 160 Delegierten diskutiert und verabschiedet werden sollte, heißt es: „Die CDU Deutschlands spricht sich gegen jede Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen aus, die keine Gender-Sprache verwenden möchten.“ „Man sei dafür, dass in allen Behörden, Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen sowie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine grammatikalisch falsche Gender-Sprache“ verwendet werde. Zudem lehne man „negative Folgen einer korrekten, den Vorgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung entsprechenden Schreibweise bei Prüfungsleistungen oder Förderanträgen ab.“ (Quelle dpa)

CDU-Chef Friedrich Merz hat vor dem Hintergrund jüngster Umfrageergebnisse mit einer strittigen These zum Erfolg der AfD Kritik auf sich gezogen. „Bei näherer Betrachtung sind die Ursachen doch seit Langem ziemlich klar“, erklärte Merz am Samstag in seinem Newsletter. „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Eine große Mehrheit der Bevölkerung lehne „gegenderte Sprache und identitäre Ideologie“ ab, so der 67-Jährige. (Quelle: berliner-zeitung.de)

Zurück zur genderfernen, aufmerksamen, gerechten Sprache – sogar mit „innen“

Das Bemühen in der Sprache, die Praxis, die Menschen in der Gesamtheit abzubilden, und zwar unmittelbar – sie war, ist und bleibt lebendig. Geschlechtliche Abbildung erreicht das generische Maskulinum, vorausgesetzt, man ist gewillt, diese Vereinbarung zu akzeptieren, weil man dem Nutzer eben nicht unterstellt, Menschen mit dem Mittel generisches Maskulinum auszugrenzen. Wenn man, wie mein Freund fordert, sich Zeit und Mühe gibt, sich einen Überblick verschafft, wird man bemerken, dass ganz ohne „*“ und „Innen“ Frauen und Männer und auch Menschen ohne Zuordnung zu den Geschlechtern in der Sprache würdig wiedergegeben werden. Meine Damen und Herren, liebe Anwesende.

Da gibt es noch eine Schönheit unserer Sprache. Die Mehrzahl bei Wörtern, die eine Menge von Menschen bezeichnen: Freundeskreis, Fans, Publikum, Mannschaft, Gemeinschaft, Bevölkerung. Schön und charmant ist – wir lieben ja Fußball –, wenn zum Beispiel die Frauen auflaufen, sie eben die Frauennationalmannschaft sind.

Es braucht kein anmaßendes Gendern in einer modernen Gesellschaft, konkret kein Gendern, welches den Finger hebt, welches ausgrenzt, welches diejenigen, die das mit dem * und dem Innen nicht können und/oder wollen, dumm dastehen lässt. Bildungsrundfunk und Bildungsfernsehen lassen das ungebildete Publikum (noch) spüren, wie doof es ist. Kulturzeit (3Sat) und viele Sendungen bei DLF, DLF Kultur strotzen vor Sternen und Hicks (die geringfügige Pause vor …Innen).

Die Fanatiker dieser Sprachausformung tun dabei nichts, so meine Beobachtung, die Gesellschaft besser zu machen. Warum? Das wäre anstrengend, die Ursachen für all die wirklichen Ungerechtigkeiten zu benennen. Dann müsste man, ganz nebenbei, die Klassenfrage, die Eigentumsfrage stellen. Klassenfrage? Viele wissen gar nicht, was Klassen sind. Denen sei gesagt: Die Bundesrepublik ist eine kapitalistische, eine Klassen-, eine Leistungsgesellschaft, eine, in der unter anderem das (private) Eigentum und die damit verbundene Macht über vielen anderen Dingen stehen. Den selbstgefälligen Genderfreunden gefällt es, von ArbeiterInnen und ArbeitgeberInnen zu reden, die sich aber damit eben nicht gleichberechtigt und in fairer Zusammenarbeit zu gleichem Vorteil gegenüberstehen. Die widersprüchliche, ungerechte Situation dieses Klassenkampfes wird mit „Innen“ nicht gelöst. Im Übrigen heißt es beispielsweise (im Proletarierjargon), so viel Zeit und Höflichkeit für die Frauen unserer Welt muss sein: „Liebe Arbeiterinnen und Arbeiter!“ und nicht „Arbeiter Innen!“.

Titelbild: FrankHH/shutterstock.com

Quelle: nachdenkseiten.de… vom 22. Juni 2023

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