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Der neoliberale Imperialismus als neues Stadium des Kapitalismus

Eingereicht on 4. Juni 2016 – 10:26

Yvan Lemaitre. Der Kampf, der heute von den Arbeiterinnen und Arbeitern und den verarmten ländlichen und städtischen Schichten überall auf der Welt geführt wird, findet in einer bestimmten Entwicklungsphase des weltweiten Kapitalismus statt, eines spezifischen Momentes seiner Geschichte, die ihrerseits die Geschichte der ganzen Menschheit ist.

Die im Juli/August 2007 einsetzende Wirtschafts- und Finanzkrise, die im September einen ersten Höhepunkt erreichte (Zusammenbruch der Lehmann-Bank) und zu einer weltweiten Rezession führte und in eine anhaltende Stagnationsphase mündete, ist viel mehr als eine «sehr grosse Krise». Sie markiert in einem bislang nicht gekannten Ausmass die historischen Grenzen des Kapitalismus, die, da er nicht überwunden werden konnte, eine barbarische Epoche ankündigen. Diese umfasst als zentrale Elemente die – sicherlich je nach Land und Kontinent unterschiedliche – Verwandlung der Ausbeutungsformen und der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der verarmten Massen, aber auch die klimatischen Veränderungen und andere Dimensionen der Umweltkrise (beispielsweise die chemischen Verschmutzungen), von der gerade diese verarmten Bevölkerungen oft genug die ersten sind, die deren Folgen zu tragen haben. Die Periode ist zudem durch neue Kriege geprägt, deren Opfer ebenfalls vor allem verarmte Bevölkerungen sind, wie etwa im Nahen und Mittleren Osten. (François Chesnais, unter: http://alencontre.org/laune/economie-mondiale-une-situation-systemique-qui-est-specifique-a-la-financiarisation-comme-phase-historique.html )

  1. Wachsende Instabilität

Die zweite grosse kapitalistische Globalisierung hat, ein Jahrhundert nach der ersten, die in die Herausbildung des Imperialismus und zu den beiden Weltkriegen hineingeführt hat, den Kapitalismus und den Planeten tiefgreifend verändert. Dabei änderten sich die grundlegenden Voraussetzungen des Klassenkampfes im internationalen Massstab. Wir stehen in einer neuen Phase der Entwicklung des Kapitalismus.

Die Umwälzungen, die zu der sogenannten grossen historischen Wende geführt haben, wurden durch die 2007-2008 einsetzende Krise beschleunigt und verstärkt und scheinen sich in einer anhaltenden Krise zu verlängern, einem langen Prozess der Stagnation und der Verwesung des Kapitalismus. Parallel dazu gewinnen reaktionäre Kräfte der extremen Rechten und des religiösen Fundamentalismus zunehmend Oberwasser. Sie versuchen, das Wasser der Unzufriedenheit aufgrund der gesellschaftlichen Zerfallsprozesse, der Destabilisierung aller Verhältnisse, des Militarismus, der Kriege auf internationaler Ebene auf ihre Mühlen zu lenken. Dies insbesondere, da die Arbeiterbewegung von der politischen Bühne verschwunden ist.

Die Steigerung der internationalen Konkurrenz unter dem Druck der Krise erzeugt eine immer grösser werdende Instabilität, ein geopolitisches Chaos, eine Zunahme der militärischen Konflikte. Die globale Ordnung des Kapitalismus wird in einen Zerfallsprozess hineingezogen, der seinerseits wiederum eine neue Phase revolutionärer Umwälzung einleiten wird.

  1. Eine neue Periode

Diese neue Welle der Globalisierung des Kapitalismus hat nach einer langen Periode der Niederlagen und des Rückzuges der Arbeiterbewegung eingesetzt. Nachdem sie von der Sozialdemokratie verraten, von der stalinistischen Bürokratie, die mit der bürgerlichen Reaktion im Bunde stand, erstickt, zerschlagen und physisch ausgelöscht wurde, wurde die Revolte der unterdrückten Völker nach dem Zweiten Weltkrieg eine Gefangene des Nationalismus. Das Proletariat war nicht in der Lage, ihnen eine internationalistische Perspektive anzubieten. Dieser revolutionäre Aufbruch hat die Welt nichtsdestotrotz umgestaltet, indem Millionen von Unterdrückten ihr Joch kolonialistischer und imperialistischer Unterdrückung abschütteln konnten.

Aber weit entfernt davon, sich auf einen Weg sozialistischer Entwicklung zu begeben, haben die neuen Regimes versucht, sich in den kapitalistischen Weltmarkt zu integrieren und darin ihren Platz zu finden. Kuba ist der letzte aus dieser revolutionären Welle geborene Staat gewesen, der der grössten Weltmacht die Stirn geboten hat und ist eine Bestätigung der Macht der Völker, sofern sie es wagen, die herrschenden Klassen und Staaten herauszufordern. Der Kapitalismus hat über den gesamten Planeten triumphiert; während sich die alten Strukturen der Herrschaft der Grossmächte und der kapitalistischen Klassen auflösen, bringt er nur mehr Krisen, gesellschaftlichen und demokratischen Rückschritt, Kriege, ökologische Katastrophe. Er eröffnet eine Periode von Krieg, von Instabilität und von Revolutionen.

  1. Theorie als strategische Aufgabe

In dieser neuen Phase in der Entwicklung des Kapitalismus kombinieren sich die alten imperialistischen Beziehungen mit den neuen Beziehungen des globalisierten Neoliberalismus. Man spricht von der imperialistischen und neoliberalen Entwicklung. Es bilden sich neue Beziehungen zwischen den alten herrschenden Staaten und den unterdrückten Nationen heraus. Dieser Zusammenhang muss herausgearbeitet werden, sowohl was die Geschichte des Kapitalismus, den Verlauf seiner Entwicklung, als auch die Möglichkeiten einer neuen Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft, den Sozialismus und den Kommunismus, die Möglichkeit einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft betrifft.

Dabei handelt es sich nicht um eine akademische Diskussion über die Frage einer formalen Definition des Imperialismus, sondern eher um einen Versuch, die Entwicklungen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, indem man sie in eine strategische Debatte einbettet, diejenige um die revolutionären Perspektiven, um unsere Aufgaben. Diese Debatte erfordert eine breite kollektive Arbeit und deren Verbindung mit unseren Aufgaben als Aktivistinnen und Aktivisten. Welches sind die Folgen der Integration der unterdrückten Länder, die ihre Unabhängigkeit erkämpft haben, in den Weltmarkt? Der neuen internationalen Arbeitsteilung? Der Proletarisierung der Millionen von ruinierten Bauern und Bäuerinnen auf der ganzen Welt?  Des sich über den ganzen Planeten erstreckenden Neoliberalismus?  Des neuen Modus der Finanzakkumulation? Kann zwischen diesen verschiedenen Wirkmechanismen eine Einheit ausgemacht werden, um ein neues sozialistisches Programm und eine revolutionäre Strategie zu begründen?

  1. Die klassische Imperialismustheorie

Der Rahmen, wie er in der Diskussion um die erste imperialistische oder koloniale Globalisierung, dem kolonialen Imperialismus des Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts, entwickelt wurde, genügt nicht mehr für eine Interpretation der gegenwärtigen Epoche, sosehr die Umwälzungen des verflossenen Jahrhunderts für die Völker auch von Bedeutung waren. Unsere Überlegungen reihen sich ein in eine Kontinuität der Klassenkämpfe und des revolutionären Marxismus, der «permanenten Revolution».

Die erste überlieferte Idee aus jener Epoche ist der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg, zwischen dem Krieg und dem Klassenkampf, die Jaurès mit seiner berühmten Formel aufgezeigt und illustriert hat: «Der Kapitalismus birgt den Krieg in sich wie die Wolke das Gewitter». Lenin wird dies dann mit der Formel «die unvermeidliche Verbindung zwischen den Kriegen und dem Klassenkampf» theoretisieren. In der «Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus» zeigt er auf, dass die Herausbildung des Imperialismus in der eigentlichen Natur des Kapitalismus liegt. Es ist hilfreich, sich an seine Argumentation zu erinnern: «Der Imperialismus erwuchs als Weiterentwicklung und direkte Fortsetzung der Grundeigenschaften des Kapitalismus überhaupt. Zum kapitalistischen Imperialismus aber wurde der Kapitalismus erst auf einer bestimmten, sehr hohen Entwicklungsstufe, als einige seiner Grundeigenschaften in ihr Gegenteil umzuschlagen begannen, als sich auf der ganzen Linie die Züge einer Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation herausbildeten und sichtbar wurden. Ökonomisch ist das Grundlegende in diesem Prozess die Ablösung der kapitalistischen freien Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole. Die freie Konkurrenz ist die Grundeigenschaft des Kapitalismus und der Warenproduktion überhaupt; das Monopol ist der direkte Gegensatz zur freien Konkurrenz, aber diese begann sich vor unseren Augen zum Monopol zu wandeln, indem sie die Großproduktion schuf, den Kleinbetrieb verdrängte, die großen Betriebe durch noch größere ersetzte, die Konzentration der Produktion und des Kapitals so weit trieb, dass daraus das Monopol entstand und entsteht, nämlich: Kartelle, Syndikate, Trusts und das mit ihnen verschmelzende Kapital eines Dutzends von Banken, die mit Milliarden schalten und walten. Zugleich aber beseitigen die Monopole nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte. Das Monopol ist der Übergang vom Kapitalismus zu einer höheren Ordnung.

Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müsste man sagen, dass der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist. Eine solche Definition enthielte die Hauptsache, denn auf der einen Seite ist das Finanzkapital das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist, und auf der anderen Seite ist die Aufteilung der Welt der Übergang von einer Kolonialpolitik, die sich ungehindert auf noch von keiner kapitalistischen Macht eroberte Gebiete ausdehnt, zu einer Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde.

Doch sind allzu kurze Definitionen zwar bequem, denn sie fassen das Wichtigste zusammen, aber dennoch unzulänglich, sobald aus ihnen speziell die wesentlichen Züge der zu definierenden Erscheinung abgeleitet werden sollen. Deshalb muss man – ohne zu vergessen, dass alle Definitionen überhaupt nur bedingte und relative Bedeutung haben, da eine Definition niemals die allseitigen Zusammenhänge einer Erscheinung in ihrer vollen Entfaltung umfassen kann – eine solche Definition des Imperialismus geben, die folgende fünf seiner grundlegenden Merkmale enthalten würde: 1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, dass sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses <Finanzkapitals>; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist»[i].

Ohne hier darauf einzugehen, dass Lenins Analyse eine erschöpfende Beschreibung der imperialistischen Beziehungen in ihrer Vielheit und Entwicklung liefert, dass bei ihm keinerlei Automatismus zwischen den ökonomischen Veränderungen, ihren gesellschaftlichen Folgen und den revolutionären Möglichkeiten besteht, so bietet seine in der Argumentation entwickelte Methode den Rahmen, um die Analyse für unsere Periode weiterzuentwickeln, ohne den geschichtlichen Faden zu verlieren. In dieser Diskussion geht es in Wirklichkeit darum, die revolutionären Perspektiven herauszuarbeiten, die Möglichkeiten des Aufbaus einer Gesellschaft, die von Ausbeutung befreit ist, darum, die möglichen Beiträge bei der Herausbildung einer internationalistischen revolutionären Bewegung festzulegen.

  1. Der neoliberale Imperialismus

Die imperialistische Entwicklung und der Kampf der imperialistischen Mächte um die Aufteilung der Welt führten in den ersten imperialistischen Krieg und dann in eine Welle von Revolutionen, die durch die faschistische und stalinistische Reaktion besiegt und zerschlagen wurde. Diese Revolutionen konnten deshalb die zweite barbarische Periode des Kampfes um die Aufteilung der Welt nicht verhindern – den Zweiten Weltkrieg, mittels dessen sich die amerikanische imperialistische Macht als einzige Kraft durchsetzte, die in der Lage ist, die kapitalistische Weltordnung zu verwalten. Dann kam es zu zwanzig Jahren Krieg und Revolutionen, zu der Erhebung der kolonialisierten Völker.

Der Sieg des vietnamesischen Volkes hat in einem gewissen Sinne diese Periode des kolonialen Imperialismus beendet. Die Aufteilung der Welt in Einflusszonen zwischen den imperialistischen Ländern spielt sich seither anders ab. Seit dem Ende der 1970er Jahre wurde eine neue Phase eröffnet, diejenige der neoliberalen Offensive, unter der Führung der nun einzigen imperialistischen Grossmacht, den USA und des verbündeten Grossbritanniens. Damit begann als Antwort auf den Einbruch der Profite die zweite Globalisierung, mit der der Kapitalismus sich weltweit, über den ganzen Planeten, als Produktionsweise durchsetzte. Diese neoliberale Offensive hat am Ende der 1980er Jahre, nach dreissig Jahren Wachstum seit dem Ende der 1940er Jahre, in den Zusammenbruch der UdSSR und der Bürokratie geführt; diese hatte einerseits die nationalen Befreiungskämpfe gestärkt, andererseits aber die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltordnung im Namen der friedlichen Koexistenz, das heisst, die Verteidigung der Interessen der Bürokratie, gefördert

  1. Die Ursachen der geopolitischen Instabilität

Das Ende der UdSSR eröffnete eine Verschärfung der Offensive der Kapitalistenklasse unter der Führung der USA. Die neoliberale und imperialistische Euphorie hatte während der Ära Bush Oberhand, der Kapitalismus triumphierte über den ganzen Planeten. Aber der Mythos vom «Ende der Geschichte» verlor schnell seine realen Grundlagen. Der erste Irakkrieg eröffnete eine lange Periode von Angriffen auf die Völker, um den globalisierten Neoliberalismus mit einer «Strategie des Chaos» aufzuzwingen, die in eine destabilisierte Weltordnung und in neue Kriege hineingeführt hat. Das Scheitern der Neokonservativen beweist die Unmöglichkeit eines Superimperialismus, von dem die Nato der bewaffnete Arm gewesen wäre. Dieser bewaffnete Arm ist zum Instrument der Verteidigung der Interessen der westlichen Mächte gegen ihre neuen Rivalen geworden.

Das «Nordatlantische Verteidigungsbündnis» hat, nachdem es sich nach Osteuropa (bis ins Innere der Ex-UdSSR) und nach Zentralasien ausgebreitet hat, sein Augenmerk nun auf andere Regionen vorerst im Mittleren Osten und in Afrika gerichtet; nachdem es 2011 Libyen mit einem Krieg zerstört hat, wendet es sich gegenwärtig den Gewässern des Indischen Ozeans und des Golfes von Aden, Lateinamerika und dem Pazifik zu. Aber es ist heute nicht in der Lage, eine stabile Weltordnung aufrechtzuerhalten. Obama hat behauptet, nach der Ära Bush eine neue Politik zu führen. Da er aber auf die durch die «Strategie des Chaos» geschaffene Situation keine entsprechende politische Antwort zu geben vermochte, hatte er keine andere Wahl, als sich anzupassen, vorerst im Irak und dann in Afghanistan, das auf dem besten Weg ist, in eine amerikanische Militärbasis verwandelt zu werden.

Seit der Finanzkrise von 2007/2008 tendiert dieser internationale Neoliberalismus in eine Phase der Reorganisation der internationalen Beziehungen überzugehen, während die globalisierte Ökonomie jedweder Regulation entrinnen kann, da keine Macht mehr die Mittel dazu besitzt. Derweil verschärft sich der Widerspruch zwischen einer durch die globalisierte Konkurrenz erzeugten Instabilität und der Notwendigkeit, einen umfassenden Rahmen des Funktionierens des Kapitalismus, der Produktion und des Austausches, zu gewährleisten. Während 30 Jahren wurden die Kräfteverhältnisse grundlegend verändert; die BRICS-Staaten und vor allem China, alle Völker kämpfen in der Krise um eine Teilhabe an der Entwicklung der Weltwirtschaft. Selbst wenn die USA in allen Bereichen weiterhin die erste Weltmacht bleiben, so müssen sie doch Verbündete suchen. Heute stammt die Hälfte der Weltindustrieproduktion aus Schwellenländern. Der Widerspruch zwischen dem Nationalstaat und der Internationalisierung der Produktion und des Austausches ist so stark wie noch nie, während keine herrschende Macht in der Lage ist, die internationalen Beziehung auf geordnete Grundlagen zu stellen. Die beiden Faktoren wirken zusammen und schaffen so die Voraussetzungen für eine Destabilisierung der internationalen Beziehungen.

  1. Militarismus und wachsende Instabilität

Der Imperialismus entfaltet sich nach dem Ende der Kolonialreiche und der UdSSR im Rahmen der freien Konkurrenz auf Weltebene. Die Kartelle und die internationalen monopolistischen Zusammenschlüsse gehen mit der globalisierten Konkurrenz Hand in Hand. Die Monopole haben sich zu transnationalen Konzernen entwickelt und sind in den Bereichen der Industrie, Handel, Finanzen tätig. Es kam zu einer grossen wirtschaftlichen Konzentration, so dass 147 transnationale Konzerne über 40% des ökonomischen Wertes aller weltweiten multinationalen Konzerne verfügen. Wenn diese auch eine nationale Basis beibehalten, so sind sie doch weltweit in einem weitverzweigten Beziehungsnetz tätig. Die parasitäre Entwicklung des Finanzkapitals hat eine beträchtliche Masse von spekulativem Kapital hervorgebracht, begleitet von einer Verringerung der produktiven Investitionen. Dieser parasitäre Charakter drückt sich in der Schuldenwirtschaft aus wie auch in der Tatsache, dass die USA und die alten imperialistischen Mächte zu einem je unterschiedlichen Grade Nettoimporteure von Kapital sind. Dieser Kapitalimport stellt eine Art des Abzweigens des Reichtums in die alten imperialistischen Zentren dar, der vom Proletariat der Schwellenländer produziert wird.

Es kommt zu einer noch nie dagewesenen Konzentration des Reichtums. Ein Banken-Oligopol kontrolliert die Finanzen und hat sich die Staaten mit dem Hebel der öffentlichen Schulden unterworfen. Parallel dazu hat sich die weltweite Arbeiterklasse durch einen globalisierten Arbeitsmarkt erheblich ausgeweitet, wobei die Lohnabhängigen des gesamten Planeten miteinander in Konkurrenz gesetzt werden. Dabei werden die Errungenschaften der «Arbeiteraristokratie» der alten imperialistischen Zentren in Frage gestellt und mithin auch die materielle Basis des Reformismus untergraben.

Durch die wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen Kolonien oder unterdrückten Länder, insbesondere der Schwellenländer, bildet sich eine neue internationale Arbeitsteilung heraus, eine Globalisierung der Produktion und nicht lediglich eine Internationalisierung, eine «weltweit integrierte Wirtschaft», wie Michel Husson das ausdrückt[ii]. Die territoriale Aufteilung der Welt, die durch die beiden Weltkriege und die Welle der nationalen Befreiungsbewegungen in Frage gestellt wurde, wurde durch einen von den multinationalen Konzernen strukturierten Kapitalismus der freien Konkurrenz im weltweiten Massstab abgelöst. Der Kampf um die Aufteilung der Welt wich einem Kampf um die Absatzkanäle, die Produktionsstandorte, die Energieversorgung etc..

Die Logiken des Kapitalismus und der territorialen Kontrolle kombinieren sich, nach einer Formulierung von David Harvey[iii], unter anderen Formen. Die Rivalitäten unter den alten imperialistischen Mächten haben sich, ohne dass sie aufgehoben worden wären, unter amerikanischer Hegemonie den neuen Gegebenheiten angepasst. Die daraus hervorgehende wachsende Instabilität der Welt führt in ein Zunehmen des Militarismus, in ein Anwachsen der Spannungen, die die USA gezwungen haben, sich militärisch neu aufzustellen und sich dabei die alten Mächte – Europa, Japan – und die Schwellenländer in dieser Politik der Aufrechterhaltung der Weltordnung beizugesellen. Die Ausweitung der Nato ist ein Instrument dazu gewesen. Diese Politik ist ein Fehlschlag, der lediglich in ein weiteres Anwachsen der Instabilität und des religiösen und terroristischen Fundamentalismus geführt hat, der zu einem Faktor des permanenten Chaos geworden ist.

  1. Ökonomische und ökologische Krise

Zur selben Zeit, in der der Kapitalismus die Grenzen des Planeten erreicht hat, ruft er eine bislang ungekannte ökologische Krise globalen Ausmasses hervor, die sogar die Frage der Zukunft der Menschheit stellt. Die Profitlogik führt im globalen Massstab in eine aberwitzige Organisation der Produktion, mit einer Verachtung für die Bevölkerungen und das ökologische Gleichgewicht. Die Kombination der ökologischen und klimatischen Krise einerseits und der wirtschaftlichen und sozialen Krise andererseits stellt für die Menschheit eine bislang nicht gekannte Herausforderung dar. Ohne eine Überwindung des Kapitalismus gibt es keine Lösung, schon gar nicht im nationalen Rahmen und ohne eine weltweite demokratische Planung, die sich auf die Zusammenarbeit der Völker entsprechend ihren gesellschaftlichen und ökologischen Bedürfnissen abstützt.

Diese Krise stellt ein Faktor für die Entwicklung eines internationalistischen Bewusstseins dar, nicht nur im Sinne, dass unser Vaterland die Menschheit ist, sondern auch im Sinne des Lokalen und des Globalen. Der Kampf gegen die Gefahren, die auf der Zukunft des Planeten lasten, überschreitet alle Grenzen. Er ist integrierender Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus, im Zusammenhang mit den sozialen und politischen Klassenkämpfen. Die ökologische und die soziale Frage hängen zusammen, es gibt keine Antwort auf die erste, ohne dass auf die zweite geantwortet wird.

  1. Das Drama der Flüchtenden

Das Drama der Flüchtenden drückt in besonders empörender Form die Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls als Folge von Krieg, des Wirtschaftsliberalismus, der beherrschenden Stellung der multinationalen Konzerne, der Landenteignungen, des Ruins der breiten Bauernschaft, des Erstarkens von reaktionären integristischen Kräften wie auch von der Umwelt- und Klimakrise aus.

Diese Vorgänge erreichen extreme und irreversible Ausmasse, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg nie mehr erreicht wurden. Sie beziehen ihre Dynamik aus der durch die kapitalistische Globalisierung erzeugten Instabilität, den permanenten Kriegszustand als Antwort auf diese permanente Instabilität, in die der Mittlere Osten und grosse Teile Afrikas abgedrängt wurden, auf die heftige Konkurrenz zwischen den alten und den neuen Grossmächten, beispielsweise im Mittleren Osten zwischen Iran und Saudi-Arabien, als Antwort auch auf den sozialen Krieg, den die grossen Finanzgruppen und ihre Staaten gegen die Arbeiter, Arbeiterinnen und die Völker führen.

Die Krise, wie sie sich besonders in Europa äussert, verweist auf das Scheitern des Projektes des Aufbaus eines kapitalistischen Europas. Wir stehen einer humanitären Krise aussergewöhnlicher Tiefe gegenüber. Unsere Interventionen müssen die Solidaritätsbewegungen, wie sie gerade in Europa erstarkt sind, ernst nehmen. Damit aber unsere Politik sich nicht nur auf das Humanitäre beschränkt, müssen wir uns in den Gewerkschaften und den Basisorganisationen der Arbeiterbewegung entsprechend einbringen. Die Migrantinnen und Migranten sind ein integraler Teil des Proletariates, in Europa, in den USA oder sonst wo. Diese Krise ruft ein Anwachsen von fremdenfeindlichen Angst- und Abwehrreflexen hervor und bringt alle politischen Kräfte durcheinander; sie kann ein revolutionäres Ferment sein, im Sinne, dass die einzige Antwort eine umfassende internationalistische Solidarität gegenüber denjenigen Kräften sein kann, die als Antwort nichts als Krieg und polizeiliche Repression haben, um die durch ihre Politik hervorgerufene dramatische Instabilität in Schach zu halten.

  1. Krise der Hegemonie des US-Imperialismus

Die an ihre Grenzen stossende erweiterte Finanzakkumulation, die auf dem exponentiellen Wachstum des Kredits und der Schulden basiert, geht nach der Formel von D. Harvey in eine Herausbildung der «Akkumulation durch Enteignung» über. Da der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, den Hunger des Kapitals durch eine entsprechende Steigerung des Mehrwertes zu stillen, sucht der Kapitalismus eine Lösung der Akkumulationsprobleme in der Eröffnung einer doppelten Offensive: Gegen die Lohnabhängigen und gegen die breite Bevölkerung, um ihnen eine zunehmend unvorteilhaftere Verteilung des Reichtums aufzuzwingen.

Damit entsteht ein erbitterter Kampf um die Kontrolle von Territorien, Energiequellen, Rohstoffen, Handelswegen, … Die globalisierte freie Konkurrenz entwickelt sich zu einem Kampf um die Kontrolle der Reichtümer, um die Aufteilung der Welt, allerdings unter gegenüber dem Ende des XIX. und dem Beginn des XXI. Jahrhundert radikal veränderten Kräfteverhältnissen. Die Krise von 2007 – 2008 stellt deshalb auf der Ebene der internationalen Beziehungen eine Wende dar, indem sie eine Steigerung der Spannungen hervorgerufen hat.

Die USA verfügen nicht länger über die Mittel, um sich gegenüber den anderen Grossmächten und Ländern durchzusetzen. Das tritt im Mittleren Osten offen zutage. Sie sind gezwungen, ihre Politik den neuen Kräfteverhältnissen anzupassen, um ihre eigene Hegemonie durchzusetzen und die Weltordnung abzusichern. Beides hängt zusammen.  Die Hegemonie der USA hängt von ihrer Fähigkeit ab, die Weltordnung aufrechtzuerhalten, die sogenannte «Lenkungsordnung der Welt». Hierzu müsste die herrschende Grossmacht in der Lage sein, ihren Anspruch, im allgemeinen Interesse handeln zu können, glaubwürdig aufzuzeigen; die militärische und wirtschaftliche Übermacht alleine reichen dafür nicht aus.

Das Hervortreten neuer Mächte mit imperialistischen Ambitionen oder von regionalen Mächten mit eigenen Interessen, die sie im Machtspiel zwischen den Grossmächten verteidigen wollen, macht die amerikanische Führung immer fragiler und die internationale Lage immer chaotischer. Wieweit können sich diese Spannungen und Ungleichgewichte entwickeln? Langfristig sind alle Hypothesen möglich. Es geht darum, die möglichen Entwicklungen der Weltlage zu verstehen, um Auswege aus dieser Krise zu formulieren, in die die herrschenden Klassen uns hineingeführt haben. Nichts berechtigt dazu, die schlimmste aller Hypothesen ausser Acht zu lassen, diejenige einer Globalisierung der lokalen Konflikte in einer verallgemeinerten Feuerbrunst, einem neuen Weltkrieg oder eher einem globalisierten Krieg.   Die Ausweitung des Krieges in Syrien gibt dazu eine gute Illustration ab, wie vorher derjenige in der Ukraine.

Am Grunde der Problematik liegt die Beziehung zwischen China und den USA und ihrer möglichen Entwicklung. Ist die gegenwärtige Krise die Krise des Aufstieges Chinas, so wie die Krise von 1929 die Krise des amerikanischen Aufstieges war (Joshua[iv])?  Ebenso wie die imperialistische Politik aus der internen Krise des englischen Kapitalismus geboren wurde, könnte eine aggressivere Politik Chinas aus seinen inneren Widersprüchen hervorgehen, aus der Unfähigkeit seiner herrschenden Klassen, eine Antwort auf die soziale Frage zu finden, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten, ohne den sozialen Frustrationen ein Ventil zu verschaffen. Wir sind noch nicht so weit, aber nichts berechtigt uns, die Hypothese auszuschliessen, dass daraus ein Konflikt um die Weltherrschaft entbrennen könnte. Die Antwort darauf hängt in Wirklichkeit vom Proletariat und den Völkern ab, ihrer Fähigkeit, direkt einzugreifen, um das Schlimmste zu verhindern.

Es geht hier nicht darum, Prognosen zu formulieren, sondern darum, unsere eigene Strategie auf ein Verständnis der Entwicklung der Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen und den Nationen zu gründen. Die Krise der Klassenherrschaft und der herrschenden Staaten eröffnet eine Periode der revolutionären Umbrüche. Durch sie bilden sich die Bedingungen für die Geburt einer neuen Welt heraus.

  1. Revolutionäre Strategie jenseits des Lagerdenkens

Die revolutionäre Strategie ist kein Glaube, dem man sich anpasst oder für den man sich begeistert, sondern vielmehr eine Praxis, die sich auf objektive Fakten, auf eine Politik abstützt, die sie möglich und notwendig machen und von unserer konkreten Erfahrung, der Erfahrung der breiten Bevölkerung ausgeht. Die Fortentwicklung des Imperialismus in den neoliberalen Imperialismus hat mehrere Konsequenzen hinsichtlich der Aktualität der revolutionären Strategie.  Wir versuchen, das Wesentliche zusammenzufassen.

Durch die Verminderung der imperialistischen Surplus-Profite, einem Kitt der Klassenzusammenarbeit, werden die materiellen Grundlagen des Reformismus untergraben, und es kommt zu einer verstärkten Konzentration des Reichtums mit einer Verschärfung der Ungleichheiten und der Armut. Die Diktatur des Kapitals schränkt den Manövrierraum der Staaten und der Politiker weitestgehend ein, unabhängig davon, ob sie nun direkt in seinen Diensten stehen oder diese Diktatur bekämpfen, ohne aber den vorgegebenen Rahmen des Systems zu verlassen. Das griechische Drama und die Kapitulation von Tsipras sind eine gute Illustration dafür. Sie verleiht dem Internationalismus einen konkreten Inhalt, der im Alltag von Millionen Proletarier und Proletarierinnen verankert ist.

Die soziale Frage und der Internationalismus werden fortan in ihrer viel grösseren gegenseitigen Abhängigkeit wahrgenommen, als dies in der Vergangenheit der Fall sein konnte. Die zunehmende internationale Destabilisierung rührt ebenso von der Instabilität der Staaten, die ihrer Arbeiterklasse und breiten Bevölkerung gegenüberstehen, wie auch von den zunehmenden Rivalitäten zwischen den Grossmächten, zwischen den Grossmächten und Regionalmächten …, einer Instabilität, die neue Interventionsmöglichkeiten für die ausgebeuteten Klassen eröffnet. Der Antiimperialismus hat in der Vergangenheit oft die Form des Kampismus angenommen und dabei den Klassenkonflikt der nationalen Unterdrückung untergeordnet, während die Geografie der internationalen Politik die kolonialen Länder direkt den Kolonialmächten gegenüberstellte. So sehr dies bereits ein Fehler war, so kann dies heute in noch fatalere Fehlentwicklungen führen. Jedwede manichäische kampistische Einstellung, die die Klassenanalyse vergisst, führt in eine Sackgasse. Die neoliberale und imperialistische Offensive liess die alten politischen Beziehungen auseinanderbrechen, auch in den stabilsten Ländern des alten kapitalistischen Europa. Die Parteien und die Institutionen stehen gänzlich unter der Fuchtel des Kapitals, ohne Unabhängigkeit und ohne Manövrierraum. Der alte parlamentarische links-rechts Gegensatz hat jeden Inhalt verloren. Der einzige fortdauernde Gegensatz, unser Kompass, ist der Klassengegensatz, der unversöhnliche Gegensatz zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, zwischen den ausgebeuteten Klassen und der Kapitalistenklasse.

Die Zukunft scheint auf im Hervortreten einer internationalen Arbeiterklasse. Sie interveniert immer häufiger in der Verteidigung ihrer Rechte, der Löhne, gegen die Arbeitslosigkeit; ohne eigene politische Organisation, unabhängig von den politischen Organisationen kann sie jedoch noch nicht als eine Klasse intervenieren, die sichtbar die Zukunft der Gesellschaft in sich trägt. Ausserhalb dieser unabhängigen politischen Intervention des Proletariates bleibt die Kritik des neoliberalen Imperialismus durch andere Klassen oder andere soziale Schichten moralisch oder reformistisch und wird sogar von reaktionären, nationalistischen, neofaschistischen oder religös-fundamentalistischen Kräften verfälscht. Der Kampf gegen die aufsteigenden Kräfte der Zerfallsprodukte einer durch die Politik der Kapitalistenklasse zerstörten Gesellschaft ist heute zur zentralen politischen Frage geworden. Antwort wie Lösung dieser Frage liegen in einer Klassenpolitik für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft.

  1. Kampf für den Sozialismus und gegen den Fundamentalismus

Der religiöse Fundamentalismus in seinen radikalsten Ausprägungen, dem Terrorismus und dem Dschihadismus, wurde durch die Politik der Grossmächte hervorgebracht, ist jedoch im umfassenden Sinne das Kind der neoliberalen Politik, die das Elend hervorruft und die Ungleichheit wie noch nie zuspitzt. Der Kampf gegen das Anwachsen der reaktionären Kräfte, der extremen Rechten, sei sie nun faschistisch oder religiös-integristisch, ist ein weltweiter Kampf gegen den gesellschaftlichen und politischen Zerfall, wie er durch die Politik der kapitalistischen Klassen hervorgerufen wird.

In den reichen Ländern wäre es ein Fehler, eine Hierarchie der Bedrohungen zu erstellen. Die Bedrohungen durch einen westlichen Neofaschismus speisen sich aus den Bedrohungen durch einen religiösen Fundamentalismus. Die beiden sind Feinde des Fortschrittes, der Demokratie und der Freiheiten, Feinde der Lohnabhängigen und der Völker, die sie sich unterwerfen wollen. In dieser nationalen und internationalen Lage, wo die soziale und die politische Frage auf komplexe Art miteinander verknüpft sind, sind die manichäischen Argumente des Kampismus oder des Moralismus unangemessen, wenn nicht gefährlich. Wir bekämpfen alles, was uns auf die eine oder andere Art in die Falle eines Krieges der Zivilisationen, des Kommunitarismus, laufen lassen könnte.

Wir zielen darauf ab, die Ziele der Grossmachtpolitk, den Zusammenhang zwischen dem sozialen Krieg der verschiedenen Bourgeoisien gegen die Arbeiterklasse und dem Krieg gegen die Völker, zwischen der globalisierten Konkurrenz und den Rivalitäten zwischen den verschiedenen Mächten auf dem internationalen Terrain aufzuzeigen. Wir stellen uns auf die Seite von allem, das die Organisierung und die Intervention der ausgebeuteten Klassen weiterbringt, ganz besonders angesichts des Anwachsens der fundamentalistischen religiösen und terroristischen Kräfte. Wir verurteilen die angebliche Bekämpfung des Terrorismus und des radikalen Islamismus durch die westlichen Mächte, die ebenso in den Krieg führt, wie der religiöse Fanatismus, der sich die Völker unterwerfen will.

Unser Kampf für den Frieden und die Demokratie ist untrennbar von unserem Kampf für den Sozialismus.

  1. Feminismus

In diesem Zusammenhang des Aufstiegs der reaktionären Kräfte gewinnt der Kampf für die Gleichheit der Geschlechter eine ganz besondere Wichtigkeit. Er wird zu einem entscheidenden revolutionären Faktor. Wir beteiligen uns an diesem Kampf in allen Aspekten und uneingeschränkt, am Arbeitsplatz, am Wohnort, bei der Ausbildung. Wir übernehmen die demokratischen Forderungen gegen die Männerherrschaft und die patriarchalische Familie, die einhergeht mit dem Privateigentum und eine Form der Unterdrückung und der Beherrschung der Frau und der Jugend darstellt; es wird immer offensichtlicher, dass das Patriarchat der modernen Entwicklung und dem sozialen Fortschritt im Wege steht.

Die Frauen sind die ersten Opfer der Ausbeutung und der zerstörerischen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung der gesamten Gesellschaft. Sie reihen sich in diesem Prozess ein in die Klasse der Lohnabhängigen. Ihr Kampf wird der von allen Ausgebeuteten und Unterdrückten. Weit entfernt davon, die Unterdrückten unter sich zu spalten, dem Kampf der Frauen den Kampf der Männer gegenüberzustellen, setzen wir uns dafür ein, dass sich die gesamte Arbeiterbewegung die feministischen Kämpfe für die politische und die gesellschaftliche Befreiung der Frauen zu eigen macht. Die beiden Kämpfe sind eins. Wenn die Frau die Proletarierin des Mannes ist, so wird dieser doch nur seine Ausbeutung beenden können, wenn er die Frau als ihm gleichgestellt betrachten wird. Der Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter ist untrennbar vom Kampf gegen die Fundamentalismen und die Vorurteile, wie sie von den Religionen gefördert werden, die alle die Unterwerfung der Frauen rechtfertigen und verteidigen.

  1. Unabhängigkeit und Einheit der Arbeiterklasse

Wenn auch die grösstmögliche Einheit der demokratischen Kräfte in den reichen wie in den armen Ländern erforderlich ist, um die Bedrohung durch faschistische und fanatische fundamentalistisch-religiöse Kräfte zu bekämpfen, so kann uns diese Einheit nur dahin führen, im Namen der nationalen Einheit, welche Form diese auch immer annehmen möge, auf die Klassenunabhängigkeit zu verzichten. Unsere Solidarität mit den Völkern darf sich nicht auf die angebliche «internationale Gemeinschaft» berufen, auch nicht auf die UNO, deren Funktion zunehmend darin besteht, für die Politik der Grossmächte einen demokratischen Deckmantel abzugeben. Demgegenüber bringen wir immer wieder die notwendige Solidarität zwischen den Arbeitern, Arbeiterinnen und den Völkern zur Geltung, den einzigen Ausweg aus der aggressiven und militaristischen Politik der Grossmächte, die die Völker manipulieren und gegeneinander aufhetzen. Unsere internationale Solidarität kritisiert ohne Einschränkung die nationalistische Politik der Bourgeoisien, die die Aufstände und die demokratischen Hoffnungen auf Abwege lenken. Die Solidarität darf die politischen Meinungsverschiedenheiten nicht überdecken.

Unser Internationalismus definiert sich als die unablässige Suche nach einer unabhängigen Politik für die vereinigte Arbeiterklasse im Kampf gegen unsere eigene Bourgeoisie.

Der Prozess des gesellschaftlichen Zerfalls, wie er die aktuelle Epoche charakterisiert, schafft komplexe Situationen, wie sie sich etwa als Folge der Interventionen der Grossmächte im Irak, in Libyen oder in Syrien mit dem Auftreten des Islamischen Staates, von al Qaida oder von Boko Haram herausbilden. Diese fundamentalistischen und terroristischen Organisationen, Produkte der kapitalistischen Barbarei, besitzen ihre eigene Strategie der Machteroberung, um sich der breiten Bevölkerung mittels Terror aufzuzwingen. Wir verurteilen diese Kräfte unzweideutig und bekämpfen sie und handeln aus Solidarität mit den fortschrittlichen Bewegungen, die gegen sie kämpfen oder Widerstand leisten; dabei verurteilen wir die Propaganda der Grossmächte, die sich auf eine neue Version vom «Kampf der Kulturen» beziehen, um ihre Politik zu rechtfertigen. Unsere Solidarität vermischt sich auf keine Art und Weise mit der Politik der herrschenden Staaten.

  1. Übergangsstrategie

Die grosse historische Wende ist keine blosse Formel. Sie spielt sich als Drama und im Blute ab und verpflichtet uns, alles neu zu überdenken. Wie kann man dazu beitragen, eine revolutionäre Bewegung im nationalen, europäischen und internationalen Massstab entstehen zu lassen – diese Frage wird uns unter neuen Bedingungen gestellt.

Die Strategie des sogenannten «Breiten Parteien» war Teil der Prozesse der Neuzusammensetzung, die durch den Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR und der kommunistischen Parteien ausgelöst wurden. Sie liess die neuen Gegebenheiten der Periode ausser Acht, ungeachtet der Tatsache, dass sie kein funktionierendes Instrument gewesen ist. Wir müssen unsere Strategie in einem Augenblick neu formulieren, in dem die Kräfte, die aus den Veränderungen oder dem Zusammenbruch der alten stalinistischen Parteien hervorgegangen sind, sich in das System einordnen oder darauf hoffen, dies tun zu können und die Austeritätspolitik zu verwalten, wie Syriza in Griechenland. In einem Moment auch, wo man sieht, wie Podemos in Spanien dazu dient, die Unzufriedenheit in die institutionellen Kanäle zu lenken; oder wie der Linksblock in Portugal, der sich in seinem Bündnis mit der Sozialistischen Partei in einer von der Bourgeoisie und der Troïka aufgezwungenen Zwangsjacke einschliesst.

Heute geht es darum, eine Strategie der Neugruppierung der antikapitalistischen und revolutionären Kräfte voranzubringen; diese stützt sich auf ein Programm der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft, ausgehend von elementaren Bedürfnissen der Ausgebeuteten, einem garantierten Lohn und anständigen Renten, der Beseitigung der Arbeitslosigkeit mittels einer Aufteilung der Arbeit auf alle, der Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen, um dann die Machtfrage zu stellen, so dass die Schulden gestrichen, ein öffentliches Bankenmonopol geschaffen und die grossen Industrie- und Handelsunternehmen vergesellschaftet werden können.

Diese Strategie und dieses Programm werden je nach Land und Situation verschieden ausgestaltet sein, sie werden jedoch um eine Übergangsstrategie herum organisiert und stellen die Frage der Macht der Arbeiter, der Arbeiterinnen und der breiten Bevölkerung, der 99%, um mit den Schulden aufzuhören und den Banken und den multinationalen Konzernen das Handwerk zu legen, so dass sie nicht mehr schaden können.

Wir müssen in der Lage sein, aus den vergangenen Niederlagen und Rückzügen sowie aus den aktuellen Umwälzungen die Elemente herauszuarbeiten, die im Sinne einer revolutionären Gesellschaftstransformation wirken, um zur unabhängigen Organisierung der Arbeiterklasse beitragen zu können, so dass diese imstande ist, die sozialen, demokratischen und ökologischen Forderungen der anderen Gesellschaftsklassen, der ganzen Gesellschaft vorwärtszubringen.

Während die reaktionären Kräfte die durch die Verwüstungen der Globalisierung erzeugten Ängste und Verzweiflung der breiten Bevölkerung ausspielt, um ihre fremdenfeindliche und nationalistische Propaganda zu entfalten, müssen wir auf eine Neugruppierung am entgegengesetzten Pol hinarbeiten, bei den Arbeiterinnen und Arbeitern ansetzen, die mit dem Kapitalismus und seinen Institutionen gebrochen haben. Wir arbeiten auf eine Einheit der ausgebeuteten Klassen hin, für ihre Organisierung auf der Basis der Unabhängigkeit ihrer Klasse. Der Dringlichkeit und den Anforderungen der Situation gerecht zu werden heisst, den Dialog und die politische Zusammenarbeit mit den anderen antikapitalistischen und revolutionären Kräften weltweit einzuleiten, mit dem Ziel der Bildung einer neuen Internationale. Die IV. Internationale, wie alle anderen internationalen Gruppierungen können nicht beanspruchen, für sich allein die Zukunft der revolutionären Bewegung zu repräsentieren. Eine neue Internationale muss im Sinne von neuen Orientierungspunkten neue Zusammenschlüsse bewirken. Die Zukunft hängt von denjenigen ab, die auf einen Neuzusammenschluss der revolutionären Kräfte in einer einzigen Bewegung hinwirken und mit sektiererischen und antidemokratischen Praktiken aus der Vergangenheit brechen, die die revolutionäre Bewegung auseinanderbrechen liessen. Die grosse aktuelle weltweite Instabilität eröffnet auf kurze und mittlere Frist neue Möglichkeiten; um diese nutzen zu können, muss sich die antikapitalistische und revolutionäre Bewegung die erforderlichen Instrumente schaffen.

[i] Beginn des Kapitels VII: Der Imperialismus als besonderes Stadium des Kapitalismus [Anm. d. Ü.]

[ii] Siehe beispielsweise: Michel Husson: La formation d’une classe ouvrière mondiale. Dezember 2013. Unter : http://hussonet.free.fr/classow.pdf [Anm. D. Ü.]

[iii] David Harvey : The New Imperialism. Oxford University Press, 2003 [Anm. d. Ü.]

[iv] Isaac Joshua: La crise de 1929 et l’émergence américaine. PUF, « Actuel Marx confrontation », 1999 [Anm. D. Ü.]

Dieser Aufsatz wird in der Inprekorr vom Juli/August 2016 publiziert. Die Übersetzung aus dem französischen Original erfolgte durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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