Nawalnys Witwe als „Führerin der demokratischen Opposition“ in Russland
Andrea Peters. Nach dem Tod des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny am vorletzten Freitag haben die USA und ihre Verbündeten mit Hilfe der westlichen Medien eine Kampagne lanciert, seine Frau Julija als nächste Führerin der „demokratischen“ russischen Opposition gegen die Putin-Regierung zu propagieren. Wie es sich für eine Aristokratin gehört, wurde die „First Lady der russischen Opposition“ zur natürlichen „Erbin“ ihres Mannes ernannt und auf den höchsten Ebenen des Staats empfangen.
Am Donnerstag trafen sich Nawalnaja und ihre Tochter in San Francisco mit US-Präsident Joe Biden. Das Weiße Haus veröffentlichte überall in den sozialen Netzwerken Fotos, auf denen sich die beiden umarmten, und lobte „Julija und Dascha“ und ihren Kampf „für Demokratie und Menschenrechte“.
Die ganze Woche über wurde in allen großen Medien auf beiden Seiten des Atlantiks – in der New York Times, der Washington Post, dem Wall Street Journal, auf MSNBC, CNN, BBC, im Guardian, auf der Deutschen Welle, im Spiegel, in Le Monde, El Pais, La Repubblica und so weiter –mit Schlagzeilen über Nawalnaja berichtet. Am Dienstag widmete die Times ihr eine Top-Story, die alle anderen wichtigen Entwicklungen der Welt verblassen ließ, vor allem Israels Massaker an den Palästinensern in Gaza, das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange und das Debakel des US/Nato-Kriegs in der Ukraine.
Nur wenige Stunden nach der Nachricht vom Tod ihres Mannes trat Nawalnaja auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf, wo sie bereits zuvor als Rednerin vorgesehen war. Scheinbar unbelastet von Trauer oder der Tatsache, dass – wie sie selbst einräumte – Nawalnys Tod noch nicht bestätigt war, verurteilte die Frau des rechten Oppositionellen Putin und rief zur Zerschlagung seiner Regierung auf, d.h. „um dieses Böse zu besiegen, um das schreckliche Regime zu besiegen, das jetzt in Russland herrscht“.
Drei Tage später traf Nawalnaja mit dem Rat der Europäischen Union für Auswärtige Angelegenheiten zusammen. Dazwischen fand sie die Zeit, eine Videobotschaft vorzubereiten, die von der internationalen Presse weiterverbreitet wurde. Darin erklärte sie, Putin sei der Mörder ihres Mannes.
Die USA und die Nato benutzen die Behauptung, der russische Präsident sei persönlich für den Tod des Oppositionellen verantwortlich, um ihre anti-russische Kriegskampagne zu vertiefen. Sie befindet sich angesichts der seit Monaten anhaltenden Misserfolge auf dem Schlachtfeld in der Ukraine und der tiefen Spaltungen innerhalb der amerikanischen herrschenden Klasse in einer Krise. Obwohl die Ursache von Nawalnys Tod noch nicht bekannt ist, hat US-Präsident Joe Biden bereits am Dienstag eine ganze Reihe neuer Sanktionen gegen Russland angekündigt. Es gehe darum, Putin „zur Rechenschaft zu ziehen“, wie er behauptete.
Dass Nawalnaja so verehrt wird, hat nichts mit ihrer Bedeutung als politischer Persönlichkeit zu tun, geschweige denn mit ihren demokratischen Referenzen, die sie ebenso wenig besitzt wie ihr verstorbener Ehemann. Vielmehr ist sie Teil der Bestrebungen, einen akzeptablen Ersatz für Alexei Nawalny zu finden, einen ohne problematische Vergangenheit, einen politischen Niemand, den die Imperialisten zu ihrem politischen Jemand aufbauen können.
Nawalnaja, die Tochter aus einer kleinbürgerlichen Moskauer Familie, hat Wirtschaftswissenschaften studiert und kurzzeitig in dem Möbelunternehmen ihrer Schwiegereltern gearbeitet. Seit 2007 ist sie nicht mehr außerhalb des Hauses beschäftigt gewesen und macht eine Show um die Tatsache, dass sie sich in den letzten 20 Jahren hauptsächlich um Heim und Herd gekümmert hat.
Während ihrer gesamten Ehe blieb sie dem Rampenlicht fern und lehnte Appelle ab, anstelle ihres Ehemanns für ein Amt zu kandidieren, nachdem dieser verhaftet worden war. Sie hat sich nie politisch geäußert, abgesehen von Äußerungen zur Verfolgung und der angeblichen Vergiftung ihres Ehemanns. Ihr Image in der Öffentlichkeit bestand im Wesentlichen daraus, vor Kameras eine strenge Mine aufzusetzen sowie ihren Hass auf Putin und ihre Liebe zu ihrem Ehemann zu bekunden. Einmal hat sie zudem mit ihren Kindern für Luxusmode posiert.
Abgesehen von der Tatsache, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann Mitte der 2000er-Jahre Mitglied in der rechten Partei Jabloko war, hat sie persönlich keine politische Vergangenheit. Sofern sie überhaupt eigene politische Ansichten hat, ist das einzig Augenfällige, dass sie die pro-kapitalistischen, rechten und nationalistischen Ansichten ihres verstorbenen Gatten uneingeschränkt unterstützt. Vielleicht ist sie darin sogar noch radikaler. Nawalny hatte gegenüber dem russischen YouTuber Juri Dud in einem Interview im Jahr 2020 erklärt, er sei im Vergleich zu seiner Frau „sehr gemäßigt“.
Das macht sie für die imperialistischen Mächte äußerst wertvoll. Nawalny scheint schon vor seinem Tod seine Nützlichkeit für den westlichen Imperialismus verloren zu haben. Seine Inhaftierung durch die Putin-Regierung und die Schließung seiner Anti-Korruptionsstiftung haben seinen Einfluss begrenzt. Seine Social-Media-Posts aus der Haft, die von seinen Anwälten in die Welt verbreitet wurden, konnten keine große Beachtung gewinnen. Ihm drohte eine jahrelange Haftstrafe.
Zudem hatte es immer für gewisse Schwierigkeiten gesorgt, Nawalny als Verfechter der Demokratie zu verkaufen, da er sich entschieden gegen Immigranten aussprach und offen politische Bündnisse mit der extremen Rechten unterstützte. Mitte der 2000er hatte er auf YouTube eine Reihe von fanatisch nationalistischen Videos veröffentlicht. In einem davon forderte er, Immigranten wie „Kakerlaken“ zu zerquetschen. In einem anderen erklärte er, es sei notwendig, Immigranten „entschlossen abzuschieben“ und trat für „das Recht ein, in Russland Russen zu sein“. Er spielte auch wiederholt eine zentrale Rolle beim jährlichen Russischen Marsch, einem Treffen von nationalistischen, rechtsextremen und neofaschistischen Elementen.
Nawalny hat es immer abgelehnt, sich von diesen Positionen und Aktivitäten zu distanzieren. Amnesty International hatte ihm wegen seiner Ansichten kurzzeitig den Status als „gewaltloser politischer Gefangener“ aberkannt. In einem Dokumentarfilm über ihn aus dem Jahr 2022, der von Hollywood mit Preisen überhäuft wurde, wurde der Oppositionelle erneut zu diesen Themen befragt. In seiner Antwort betonte er, Bündnisse mit der extremen Rechten seien richtig und notwendig, und er schäme sich nicht dafür.
Die imperialistischen Mächte fühlten sich nicht trotz, sondern wegen dieser Positionen von Nawalny angezogen. Sie sahen in ihm einen Menschen, der frei von jeglichen Prinzipien war, einen, der in ähnlicher Weise als Strohmann benutzt werden konnte wie Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine.
Jetzt ist es an der Zeit, neue Wege einzuschlagen. Seine Witwe Nawalnaja lässt sich deutlich leichter vermarkten. Da sie kaum eine politische Vorgeschichte hat, muss keine problematische Vergangenheit wegdiskutiert werden. Verschiedene Details ihrer Biografie sind nicht einmal öffentlich zugänglich – z.B. wo genau sie während ihres Wirtschaftspraktikums nach der Universität gearbeitet hat.
Die Washington Post berichtet in ihrem Artikel „Was man über Julija Nawalnaja wissen muss“ fünf „grundlegende Fakten“ – wo sie geboren wurde, wo sie ihren Abschluss gemacht hat, wo sie und ihr Mann sich kennengelernt und gelebt haben und die Tatsache, dass in den letzten mehr als 20 Jahren ihre Hauptaufgabe darin bestand, sich um ihre Kinder zu kümmern. Der einzige Hinweis auf irgendetwas Politisches in ihrer Vergangenheit ist ihre Mitgliedschaft in der Partei Jabloko, welche die Zeitung wahrheitswidrig als „progressiv gesinnte Mitte-links-Partei“ darstellt.
Zusammengefasst gesagt ist Nawalnaja politisch noch inhaltsloser als es ihr Mann war. Als Frau hat sie den zusätzlichen Vorteil, die Bedürfnisse des gender-besessenen begüterten Kleinbürgertums zu befriedigen. Und wie die Ereignisse der letzten Woche deutlich gemacht haben, ist sie begierig darauf, ein willfähriges Werkzeug der USA und der Nato zu sein.
Während die bürgerlichen Medien für Nawalnaja werben, strömen die pseudolinken Medien über von Bewunderung für ihren Ehemann und sind dabei, ihn in eine Art Linken zu verwandeln. Auf diese Weise wollen sie ihre eigene Beteiligung an der Kampagne zur Unterstützung seiner Frau vorbereiten.
Das Magazin Jacobin veröffentlichte am Dienstag einen Kommentar von Ilja Budraitzkis über Nawalny. Budraitzkis ist ein langjähriges Mitglied der Russischen Sozialistischen Bewegung (RSM). Er ist heute Gastdozent an der University of California-Berkeley, zudem ein politischer Aktivist mit Beziehungen zur elitären akademischen Schichten, den Democratic Socialists of America (DSA) und dem Staat. Er unterstützt und verteidigt die US-Operationen in der Ukraine und hält Vorträge über den Menschenrechtsimperialismus, bei denen er behauptet, die USA, die Nato und die Faschisten in Kiew würden einen fortschrittlichen Befreiungskrieg führen. Zu Nawalnys Tod veröffentlichte die RSM eine schmeichelhafte Erklärung, in der sie den Mann als politischen Märtyrer und Populisten feiert, der trotz „seiner rechten Referenzen, dazu tendierte, den oligarchischen Kapitalismus zu problematisieren“.
Budraitzkis‘ Artikel in der Zeitschrift Jacobin von letzter Woche mit dem Titel „Alexei Nawalny hat der russischen Opposition gezeigt, wie man mobilisiert“ geht in die gleiche Richtung. Er zeichnet ein Bild des Oppositionellen in leuchtenden Farben, bezeichnet seine Immigranten-feindliche Einstellung als „Flirt“ und erklärt unter Tränen, es sei „schwer, mit dem Gedanken an Nawalnys Tod klar zu kommen“.
Budraitzkis verweist auf eine weitschweifige Stellungnahme Nawalnys vom letzten August und erklärt, dieser habe verstanden, dass die Wurzeln des Putinismus in den marktfreundlichen Reformen der 1990er-Jahre liegen. Die „soziale Wut“, die Nawalny kanalisiert habe, sei „Klassenwut“ gewesen, und die „Frage der sozialen Gerechtigkeit begann, einen wichtigen Platz in Nawalnys Rhetorik einzunehmen“. Als Beweis für seinen progressiven Charakter verweist er auf Nawalnys Bemühungen, Stimmen für die Kommunistische Partei Russlands zu rekrutieren, die unverhohlen Stalin und die orthodoxe Kirche feiert.
Nawalnys politisches Programm war weder progressiv, noch in irgendeiner Massenbewegung verwurzelt. Wie viele Oppositionelle aus der „Anti-Korruptions-“Liga, versuchte er, von der gesellschaftlichen Unzufriedenheit über den korrupten Charakter des politischen und wirtschaftlichen Systems Russlands zu profitieren. Er behauptete, soziale Verbesserungen seien möglich, wenn man das Land von den Bürokraten säubert.
Seine Versprechen, das Gesundheits- und Bildungswesen zu verbessern und den Mindestlohn zu erhöhen, waren nur eine durchsichtige Verschleierung des kapitalistischen Politikers. Seine zentralen Forderungen waren die weitere Privatisierung der Wirtschaft, die Senkung der Unternehmenssteuern, den Wechsel der staatlichen Rentenkassen an die Börse und die Übertragung bedeutender wirtschaftlicher Befugnisse von der Zentralregierung auf die Regionen. Die Folgen dieser Schritte wären eine deutliche Verschärfung der sozialen und regionalen Ungleichheit gewesen.
Diese Maßnahmen zielten darauf ab, eine Schicht von Oligarchen durch eine andere zu ersetzen – diejenigen aus dem Umfeld Nawalnys, die am ehesten bereit sind, Russland vor den Karren des amerikanischen und europäischen Imperialismus zu spannen. Nichts davon ist jedoch auf einer demokratischen Grundlage möglich.
- Quelle: wsws.org… vom 26. Februar 2024
Tags: Imperialismus, Neoliberalismus, Repression, Russland, USA
Neueste Kommentare