Mieterstreik in Zürich 1932: Jeder Häuserblock eine Sturmzelle
tai. 1932 streikten in Zürich die MieterInnen. Seit dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Mieten in der Stadt verdoppelt, gleichzeitig erfolgte ein massiver Lohnabbau. ArbeiterInnen lebten in «Löchern und Baracken». Der Zürcher Mieterstreik brach aus, angeführt von der Kommunistischen Partei.
«Ein Mieterkomitee hat sich gebildet, um eine Massenbewegung für die Herabsetzung aller Mieten um 25 Prozent zu organisieren.» So trat das Mieterkomitee am 5. Januar 1932 zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Im «Kämpfer», in der Tageszeitung der Kommunistischen Partei (KP) Zürichs, drückte das Komitee den Missmut der Arbeiterschaft über die hohen Mieten «in einer Zeit des Lohnabbaus und der sinkenden Baukosten» aus. Es berichtete, dass sich bereits die MieterInnen von mehreren Häusern an die VermieterInnen gewendet hätten, um eine Herabsetzung des Mietzinses um 25 bis 30 Prozent zu verlangen, «andernfalls sie kollektiv in Mieterstreik treten» würden. In einem Haus wäre der Mieterstreik schon im Gang. Was bedeutet Mieterstreik? Die MieterInnen «verweigerten die Zahlung des Hauszinses, deponierten den Betrag beim Komitee und verharrten in dieser Haltung so lange, bis die Hausbesitzer einlenkten und mit dem Komitee über die Forderungen verhandelten».
Das erste Streikhaus
Am Tag darauf wurde die Identität des ersten Hauses in Zürich, das in den Mieterstreik getreten war, bekanntgemacht: «In dem Haus, Quellenstrasse 6, ist ein Mieterstreik ausgebrochen. Die Mieter verlangen eine Herabsetzung der Mietzinse um 25 Prozent und eine Anzahl Instandsetzungen dieser gründlich verlotterten Mietkaserne.»
Der Besitzer der Immobilie, ein gewisser Herr Bleiberg, wurde im Kampfblatt der KP Zürich mit Namen an den Pranger gestellt. Im Artikel wird beschrieben, wie in «diesen elenden Wohnlöchern» der Wind durch die Fugen pfiff und anstelle von Fenstern Papierfetzen hängen würden. Trotz gesundheits- und feuerpolizeilicher Beanstandungen, trotz wiederholter Bitten der MieterInnen, den unerträglichen Zustand zu beheben, hatte Herr Bleiberg bisher nichts unternommen. Die Forderungen wurden von Herrn Bleiberg abgelehnt, in der Folge lehnten die MieterInnen ihrerseits die Zahlung des Mietzinses ab und schlossen sich mehrheitlich dem «Mieter-Aktionskomitee» an, wie das Komitee nun genannt wurde. Die MieterInnen deponierten den Zins beim Mieter-Aktionskomitee. Sollte Bleiberg mit Kündigungen oder Gewaltmassnahmen gegen die MieterInnen vorgehen, würde er «auf den geschlossenen Widerstand der gesamten proletarischen Mieter Zürichs stossen». Das Mieter-Aktionskomitee mahnte Wohnungssuchende explizit, nicht in die Quellenstrasse 6 einzuziehen.
Die Taktik der SP
Auf den 12. Januar hatte Bleiberg eine «freie Besichtigung» des Hauses an der Quellenstrasse 6 angekündigt für potenzielle NachmieterInnen. Statt den Zahlungsbefehl zurückzunehmen, hatte er nun auch gleich drei weitere Zahlungsbefehle und Kündigungsdrohungen überwiesen. «Die Mieter liessen sich aber nicht einschüchtern. Sie appellieren an die Hilfe der proletarischen Mieterschaft.» Im «Kämpfer» erschien nun zum ersten Mal auch eine Kritik an der Sozialdemokratie in diesem Zusammenhang. Das «Volksrecht», der Tageszeitung der Zürcher SP, hatte bisher versucht, den Mieterstreik totzuschweigen. Der Fall bekam aber mittlerweile so viel Aufmerksamkeit, das diese Taktik nicht mehr angewandt werden konnte. Das «Blatt der sozialdemokratischen Hausbesitzer» stellte den Fall Quellenstrasse 6 nun aber als eine Einzelerscheinung dar und verlor über das Mieter-Aktionskomitee kein Wort. Auch gegen den «sozialdemokratisch-bürgerlichen alten Mieterverein» wurde im «Kämpfer» scharf geschossen. Er würde einer bald 30-jährigen Untätigkeit in Sachen der Herabsetzung der Mieten zurückblicken und bezüglich seines Präsidenten, des SP-Polizeidirektors (!) Wiesendanger, wird die Frage gestellt, ob er seine Gummiknüppel in Zukunft nicht mehr nur gegen die kämpfenden ArbeiterInnen, sondern auch gegen werktätige Mieter-Innen einsetzen wird. Das Mieter-Aktionskomitee warnte «die Staatsgewalt der zürcherischen Hausbesitzer-Demokratie, den Bogen zu überspannen»: Die Stimmung der proletarischen MieterInnen wäre bitterbös. Das zeigte sich darin, dass nun in einem weiteren Haus der Mieterstreik ausgebrochen war: Auch an der Martastrasse 116 weigerten sich die MieterInnen, die Miete zu zahlen.
Arbeiterhilfe solidarisiert sich
Die Arbeiterschutzwehr, der Kampfverband der KommunistInnen, beschloss am 10. Januar, der Mieteraktion ihren Schutz zu gewähren. Die Zürcher Sektion der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), ein kommunistisches Hilfswerk, verkündete sogar, sich dem Aktionskomitee anzuschliessen, und stellte ihm seine Büros zwecks Sprechstunden zur Verfügung. Sie tat dies aus ihrer Grundeinstellung, «jede Klassenbewegung des Proletariates zu fördern, jeweils alles zu tun, um durch diese Aktionen die allgemeine revolutionäre Bewegung zu stärken». Die Interessenverteidigung der werktätigen MieterInnen gehörte auch offiziell zum Aufgabenkreis der sozialpolitischen Betätigung der IAH, wie es zuvor an ihrem Weltkongress 1931 festgelegt worden war. Gerade im Zeitpunkt der «Generaloffensive des Unternehmertums» gegen die Löhne der Arbeiterschaft habe der Kampf um die Herabsetzung der Mietzinse besondere Bedeutung. «Als überparteiliche Organisation ist es unsere besondere Aufgabe, bei dieser Bewegung die Einheitsfront von unten aufzubauen», liess die IAH verlauten. Das Beispiel der Quellenstrasse, wo sich parteilose, sozialdemokratische und christliche MieterInnen zusammengeschlossen hatten, müsste vertausendfacht werden: «Jeder Häuserblock muss eine Sturmzelle werden.»
Die Besichtigung der Quellenstrasse 6 wurde von der MieterInnenbewegung in eine Aktion umgewandelt: Der Massenbesuch mit bis 600 Personen jagte dem Vermieter Bleiberg einen gehörigen Schrecken ein. NachmieterInnen hatte er nicht finden können.
Im Grossen Stadtrat von Zürich (heute Gemeinderat) machte der KP-Vertreter Vogt im Auftrag des Mieterkomitees auf den Mieterstreik aufmerksam, er forderte auch, dass die bestreikten Wohnungen im städtischen Wohnungsanzeiger nicht mehr ausgeschrieben werden dürfen. Der Rat folgte natürlich nicht. Im zweiten Streikhaus an der Martastrasse konnte rasch ein erster Erfolg verzeichnet werden: Der Hausbesitzer begann mit Instandsetzungen; unter anderem wurde der Waschkessel repariert und neue Badewannen und Gasherde wurden installiert.
Streikführer Itschner
Eine erste öffentliche «Mieterversammlung» am 16. Januar wurde von über 400 Personen besucht. Hans Itschner (1887-1962) trat hier als Referent und Vertreter des Mieter-Aktionskomitees auf. Er war ein Arbeiteraktivist, der schon sehr früh zur kommunistischen Bewegung gestossen war. 1931 lebte er zeitweise in der UdSSR und war für die Komintern tätig, unter anderem in China und Westeuropa, sprach über die Waffe des Mieterstreiks. Tatsächlich war Itschner, zusammen mit Willi Münzenberg, schon in der ersten Zürcher kämpferischen MieterInnenbewegung aktiv. Itschner berichtete an der Mieterversammlung, wie bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit der «Mietergewerkschaft» eine ähnliche Bewegung entstanden war und erfolgreiche Mieterstreiks führte, «bis das ‹Volksrecht› unter dem Druck der sozialdemokratischen Hausbesitzer die Bewegung zu sabotieren begann, so dass sie ohne Organ blieb und zusammenbrechen musste».
Die Mieterversammlung drückte ihre Solidarität und Unterstützung der beiden Streikhäuser aus und stimmte der offiziellen Gründung des Mieter-Aktionskomitees zu, «das sich die gemeinsame Vertretung aller Mieter der Arbeiterklasse und des Mittelstandes zur Aufgabe stellt». Die Mietzinse in Zürich hätten eine unerträgliche Höhe erreicht, konstatierte die Versammlung: Sie waren 1932 auf 207 Prozent der Vorkriegszeit gestiegen. Die Wirtschaftskrise würde den MieterInnen aller Schichten schwerste Opfer auferlegen, während die HausbesitzerInnen daraus Gewinne zögen. In der Resolution wurde die Forderung erhoben, «dass die Mietzinse in Zürich ganz allgemein um durchschnittlich 25 Prozent herabgesetzt werden müssen». Das Mittel dazu sei die Aktion der MieterInnen selbst. Die Versammlung hielt es auch für notwendig, die allgemeine Senkung der Hypothekarzinsen, sowohl für städtische wie für landwirtschaftliche Hypotheken, zum Ziel der Bewegung zu machen. Die Überlegung dabei war – im Sinne der Einheitsfront – den mit Hypotheken belasteten kleinen und mittleren BäuerInnenstand in den Widerstand einzubeziehen.
Erfolgreicher Streik
Ab Mitte Januar begann der «Kämpfer», fast täglich über den Mieterstreik zu berichten. Am 21. Januar konnte die kommunistische Tageszeitung titeln: «Sieg im Zürcher Mieterstreik.» Der Streik an der Quellenstrasse 6 war erfolgreich beendet worden, nachdem zwischen dem Vermieter Bleiberg und dem Mieter-Aktionskomitee eine Einigung erzielt worden war. Ein sogenannter Miettarifvertrag wurde geschlossen. Der Konflikt war beigelegt. Der Vermieter verpflichtete sich zu umfassenden Reparaturen und einer Mietzinssenkung für sämtliche Wohnungen (rückwirkend auf den 1. Januar). Es wurde unter anderem erreicht, dass WCs ins Wohnungsinnere verlegt wurden, dass dabei aber auch nach Vollendung der Verbesserungen der Zins nicht erhöht würde und während der Reparaturen eine Mietzinsermässigung um 40 Prozent eintritt. Das Mieter-Aktionskomitee gestand ein, dass das Ziel der Gesamtbewegung – die Herabsetzung der Miete um 25 Prozent – nicht erreicht wurde. An der Quellenstrasse 6 konnten immerhin Herabsetzungen um 10 bis 12 Prozent erreicht werden. Man sei sich darüber klar, dass der Kampf «unmöglich schon den vollen Erfolg haben konnte, der von einer Massenbewegung der Mieter und einem Massenstreik zu erwarten ist». Unter den MieterInnen konnten zwei neue Mitglieder für die KP gewonnen werden.
Zeit der SP-Repression
Der Mieterstreik fiel in eine Zeit zunehmender Repression gegen KommunistInnen in Zürich durch die sozialdemokratisch geführte Polizei. Den Höhepunkt bildete die Zürcher Blutnacht vom 15. Juni, als in der Auseinandersetzung zwischen streikenden HeizungsmonteurInnen und der Polizei ein Arbeiter getötet und viele schwer verletzt wurden. Aber bereits am 23. Januar war auf eine Demonstration des Kommunistischen Jugendverbandes scharf geschossen worden. 5000 junge DemonstrantInnen hatten ihre Solidarität mit zwei hungerstreikenden Genossen im Gefängnis ausgedrückt, als ohne Warnung ein Kugelregen erfolgte, wodurch fünf Arbeiter schwer verletzt wurden. Die «Führer der Sozialdemokratie» haben damit erneut bewiesen, «dass sie wirklich Sozialfaschisten sind», schreibt der «Kämpfer». Der Vorfall zeige klar die Rolle des bürgerlichen Staates: «Er ist kein neutrales Gebilde, das über dem Volk steht, sondern ist eine Organisation der Kapitalisten zur Niederhaltung der Werktätigen.» Die sozialdemokratische Zeitung «Volksrecht» beschimpfte die DemonstrantInnen als polterndes «Lumpenproletariat». Am 25. Januar fand eine Demonstration mit 10 000 TeilnehmerInnen statt, die gegen die Polizeigewalt protestierten.
Ein Sieg der Frauen
Am 26. Januar konnte der Sieg an der Martastrasse 116 verkündet werden. Die Streikenden waren hier allesamt Frauen, die schon vor Monaten eine Liste mit Forderungen an der Vermieter wegen Reparaturen gestellt hatten, durch das Vorbild der Quellenstrasse 6 nun aber auch eine Mietzinssenkung verlangt hatten. Die Frauen nahmen den Kompromiss des Vermieters an und gaben sich mit der restlosen Erfüllung ihrer ursprünglichen Forderungen zufrieden. Die Forderung der Zinsherabsetzung würden sie in einiger Zeit wieder stellen, «wenn die Mieterbewegung einen grösseren Umfang angenommen haben wird».
Den proletarischen Frauen kam in dieser Bewegung eine zentrale Rolle zu. Als Hausfrauen würden sie die eigenen Nöte und die der Nachbarinnen bestens kennen, und zwar nicht nur bei der Höhe der Miete, sondern in allen MieterInnenfragen («Waschküche, Aborte, Badgelegenheit, Reparaturen etc.»). Jede Genossin sollte zur Informantin des Aktionskomitees werden und Eigeninitiative entwickeln. Das Aktionskomitee schwärmte: Die Frauen «schrecken vor keinem Pfändungsbeamten und Polizisten zurück. Bei Exmissionen sind sie die ersten am Platz, um diese zu verhindern.» Später wurde sogar ein Frauenaktiv im Mieter-Aktionskomitee gegründet.
Februar: Neue Streiks
Im Februar sprangen die SozialdemokratInnen auf den Zug auf und stellten ebenfalls die Forderung «Herunter mit den Mietzinsen!». Laut KommunistInnen, um den Mieterstreik zu untergraben: «Der Mieterstreik ist aber das einzige Mittel zur Herabsetzung der Mietzinsen.» Laut SP brauchte es einen Mietzinsabbau, weil man den Lohnabbau nicht verhindern könnte. Für die KP hingegen war der Kampf für die Herabsetzung des Mietzinses ein Mittel für den verschärften Kampf gegen Lohnabbau und für die Erhöhung der Löhne. Die SP versuchte nun zumindest rhetorisch, mit einer breitangelegten Aktion eine Reduktion der Mietzinse zu erreichen. Die Aktionen des KP-nahen Aktionskomitees wurde hingegen schlechtgemacht, StreikbrecherInnen wurden bejubelt.
Am 1. Februar wurde bekanntgegeben, dass nach Beendigung der ersten beiden Mieterstreiks sechs neue begonnen hatten. Ferner stünden Dutzende Versammlungen von Mieter-Innen bevor, die über die Verweigerung der Mietzahlung diskutieren würden. Schon am Tag darauf wurde die Zahl der Häuser im Mieterstreik mit 16 stark nach oben korrigiert.
In Basel bildete sich ein «Komitee werktätiger Mieter». An seiner ersten Versammlung nahmen über 2000 Menschen teil. Das Interesse war gross. Mit der Forderung, die Mietzinse um 20 Prozent zu reduzieren, ging das Basler Komitee später an die HausbesitzerInnen heran und drohte, ab dem 1. April zu streiken.
Die VermieterInnen sahen der organisierten Aktion der MieterInnen natürlich nicht tatenlos zu: Durch Zahlungsbefehle, Betreibungen und Exmissionen (Zwangsräumungen) versuchten sie, ihre Gewinne zu sichern. Aber die MieterInnen hätten eine gewaltige Waffe dagegen, schrieb Itschner, mittlerweile der offizielle Sekretär des Mieteraktionskomitees: Ihre Solidarität durch den Massenmieterstreik. Durch die Verweigerung der Mietzahlung zu Tausenden würden dem «Wucherkapitalismus» keine Betreibungen und Drohungen mehr helfen. Am 3. Februar liess das Mieter-Aktionskomitee die Parole heraus: Allgemeiner Mieterstreik in ganz Zürich auf den 1. März! Dann würde dem Häuserkapital nichts anderes übrig blieben, als mit dem Mieter-Aktionskomitee über die Herabsetzung der Mietzinse in der ganzen Stadt zu verhandeln. Beim allgemeinen Mieterstreik könnten sich auch Einzelne beteiligen, «denn wenn in der ganzen Stadt Tausende streiken, kommt es nicht darauf an, dass jedes Haus nur geschlossen mitstreiken kann». Wenn nur schon tausend einzelne Mietparteien streiken würden, würde dies den ganzen Pfändungs-, Rententions-, und Betreibungsapparat über den Haufen werfen. Man rief zu Hausversammlungen auf. Es wurden ReferentInnen ausgesandt
Schnelle Erfolge
Am 3. Februar waren nun schon 29 Häuser in Zürich in den Streik getreten. In einem Haus konnte schon am dritten Streiktag ein Zugeständnis nach eine Zinsherabsetzung um 30 Prozent errungen werden. In einem weiteren wurde die Reduktion des Mietzinses prinzipiell zugestanden.
Ein Haus war währenddessen vom Streik abgefallen, während ein anderes dazugewonnen werden konnte. Das Haus an der Neptunstrasse 14, das als erstes den Streik abbrach, wird als bürgerliches Haus mit höheren Mieten beschrieben. Die Mietsparteien hätten sich spontan zum Streik gemeldet, aber den Zins nicht hinterlegen wollen. Sie meinten, von sich aus Solidarität halten zu können: «Als dann der übliche Zahlungsbefehl erschien, zahlte eine Mieterin, von panischem Schrecken ergriffen, augenblicklich den Zinsbetrag an den Besitzer, worauf die anderen zögernd dem Beispiel folgten.» Dieses Beispiel veranschaulichte gut, weshalb es nötig war, den Mietzins beim Aktionskomitee zu deponieren. Eine Kontrolle über die tatsächliche Durchführung von Mieterstreiks wäre nur durch die Deponierung möglich: «Nur wenn jeder Mieter des andern sicher ist, kann ein Erfolg gewährleistet werden.»
Aus Furcht vor dem Mieter-Aktionskomitee empfahl der Hausbesitzerverband an einer Versammlung Anfang Februar seinen Mitgliedern den Mietzinsabbau. «Die Herren fürchten sich vor dem Mieter-Aktionskomitee!», hiess es triumphierend im «Kämpfer», «sie wollen lieber verhandeln als einen Mieterstreik.»
«Freiwilliger» Sinneswandel
Am 8. Februar kamen acht neue Streikhäuser hinzu. Ein weiteres Haus stellte den Streik jedoch ein; es scheint Druck von der SP und seiner Zeitung Grund gewesen zu sein. Es waren also 35 Häuser im Streik. Die rasche Ausbreitung des Streiks übertraf die Erwartungen des Aktionskomitee deutlich. Die Verhandlungen mit den HausbesitzerInnen harzten hingegen zunehmend. Dem Aktionskomitee wurden nur «ungenügende Angebote» gemacht. Dass das Aktionskomitee die Offerten von bescheidenen Zinsreduktionen nicht annahm, geschah auch in der Überlegung, dass die Ausdehnung des Streiks am 1. März noch grössere Erfolge bringen könnten. In den folgenden Tag ging es dann auch vor allem darum, auf den allgemeinen Mieterstreik am 1. März vorzubereiten. In zunehmenden Masse bekundeten Häuser, im kommenden Monat in Streik zu treten. Auch aus Seebach, das damals noch nicht eingemeindet war, konnten drei Streikbeschlüsse vermeldet werden.
In zahllosen Häusern, die nicht streikten, wurden aus Angst plötzlich «freiwillige» Herabsetzungen des Zinses oder längst geforderte Reparaturen durchgeführt. Mitte Februar hatte sich die Zahl der streikenden Häuser auf 33 eingependelt, wobei drei Häuser insgesamt abgesprungen waren. Das «Volksrecht» nahm diese Abgänge als Gelegenheit zur Hetze wahr, um zum Streikbruch aufzurufen und die Aktion als Misserfolg abzustempeln. Itschner wurde auch persönlich im SP-Blatt angegriffen; der Mieterstreik wird als eine Art privates «Aktiönli» von Itschner dargestellt. Neben dem «Volksrecht» begann auch die Gewerkschaftszeitung «Der Eisenbahner», die Forderung nach einer Mietzinssenkung zu untergraben. Dort wurde argumentiert, dass der Mietzinsabbau das Kapital «investitionsscheu» machen könne.
Der sozialdemokratische Gegenangriff zeigte Wirkung: Eine zweite Mieterversammlung Ende Februar war «bedeutend schwächer» besucht. Streikende begannen zu schwanken unter der Propaganda des «Volksrechts» und der bürgerlichen Medien. Immerhin konnten nun 72 Streikbeschlüsse für den März gezählt werden und 33 Häuser befanden sich noch im Streik.
Streikbruch
Das Mieter-Aktionskomitee zeigte für MieterInnen von Streikhäusern, die sich dem Mieterstreik nicht anschlossen, ein gewisses Verständnis. Die Waffe des Mieterstreiks sei noch zu neuartig und unerprobt. Nicht zu tolerieren, schrieb das Aktionskomitee, seien aber MieterInnen, die sich zuerst unterschriftlich dem Streik anschlossen und dann am Streiktag den Zins bezahlen würden. Solches Verhalten wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Im Haus Mühlegasse 12 soll sich ein derartiger Fall zugetragen haben. Ein gewisser Schäfer schloss sich sogar als Erster im Haus dem Aktionskomitee an und überzeugte weitere MieterInnen zum Beitritt. Diese traten dann auch in den Streik. Schäfer selber zahlte dann den Zins aber doch durch den Einfluss des Mietervereins und der SP. Das Aktionskomitee rief in der Folge zum Boykott des Geschäfts von Schäfer auf.
Der «sozialdemokratisch-bürgerliche» Mieterverein nahm damals eine Resolution an, die vor dem Mieterstreik warnte und aufrief, individuell Bittschriften an die VermieterInnen zu senden. An der Versammlung des MVs sprach auch Bürgermeister Klöti, der meinte, die Stadt habe kein Recht, in das Verhältnis von Mieter und Vermieter einzugreifen. Sein Rezept lautete: Vermehrung des Angebots durch Förderung des Wohnungsbaus.
März: Allgemeiner Mieterstreik?
Ab März kam es zu spontanen Streiks, die völlig unabhängig vom Aktionskomitee ausbrachen. Die Zahl der vom Aktionskomitee geleiteten Mieterstreiks belief sich Anfang März auf 118 Streikhäuser. Es waren 88 Häuser neu dazugekommen. Ausserhalb Zürichs, in Seebach, gingen sieben Häuser in den Streik. Laut Itschner beteiligten sich rund 600 MieterInnen am Streik, an einer anderen Stelle wird von «ca. 400» gesprochen.
Am 5. März konnte über den ersten Erfolg des dritten Streikmonats berichtet werden: Im Streikhaus Korrodistrasse 6 wurden vom Besitzer Zinssenkungen von 15 Prozent angeboten. Das Haus an der Neptunstrasse, das bereits im Februar gestreikt hatte, dann aber den Zins wieder zahlte, nahm den Streik im März wieder auf. Mit Erfolg: Die Mieten wurde alle um 10 Prozent gesenkt.
Das Fürsorgeamt (heute: Sozialamt) schien im März dem Mieterstreik nicht abgetan zu sein: Es wurde berichtet, dass in einem Fall das städtische Amt den Mietzins beim Aktionskomitee deponierte und die Herabsetzung um 33 Prozent vom Vermieter forderte.
Im März nahm die «breitangelegte Aktion mit ausserparlamentarischen Mitteln» der SP, um gegen die hohen Mieten zu kämpfen, Gestalt an. Über den Mieterverein wurden die MieterInnen aufgefordert, Bittbriefe an die HausbesitzerInnen zu schreiben. Der «Kämpfer» schrieb: «Dank dem Mieterstreik und aus Angst vor dem Mieterstreik sind die Hausbesitzer heute schon vielfach bereit, ‹freiwillig› etwas nachzulassen.» Bei Erfolg der Aktion des Mietervereins würde sich dieser also mit falschen Lorbeeren schmücken, gleichzeitig fuhr er eine Kampagne zur Diskreditierung des Mieterstreiks. Viele MieterInnen nutzen die Situation auch aus, indem sie in ihren Bittbriefen mit dem Mieterstreik drohten. Das Aktionskomitee verurteilte diese Taktik als Ausdruck der «sozialen Feigheit». Verschiedene MieterInnen, die mit der Bittbrief-Aktion keinen Erfolg hatten, hätten aber angekündigt, auf den 1. April in den Streik zu treten.
VermieterInnen schlagen zurück
Die verärgerten HausbesitzerInnen riefen im März zu einer «Massenaktion der Hauseigentümer gegen das Streikkomitee» auf. Gegen das Aktionskomitee sollten Strafklagen wegen Nötigung und Betrug erhoben werden. Der Mieterstreik wäre «eine Gefahr für den Wert der Liegenschaften»; den beiden Anführern Itschner und Kappeler ginge es darum, «kommunistische Stadträte» zu werden.
Am 21. März berichtete der «Kämpfer», dass von Hausbesitzerseite und von AgentInnen der Polizei «Manöver» durchgeführt würden, um Verwirrung und Misstrauen unter die streikenden MieterInnen zu säen. Gemeint war damit das Auftreten verdächtiger Personen, die sich ausserhalb der Sprechstunden des Aktionskomitees an Leute, die den Mietzins beim Aktionskomitee deponierten, heranmachten.
Eine andere Taktik der HausbesitzerInnen war, AusländerInnen mit der Ausweisung zu bedrohen. Gezielt wurden ausländische ArbeiterInnen bei ihren ArbeitgeberInnen denunziert, um ihre Entlassung zu bewirken, womit sie auch ihr Aufenthaltsrecht verloren.
Ein gewisser Rechtsanwalt Flachsmann, der sich immer wieder als Hetzer gegen den Mieterstreik hervorgetan hatte, wurde vom Aktionskomitee wegen «Massenverleumdnung» verklagt. Er hatte dem Aktionskomitee den haltlosen Vorwurf gemacht, deponierte Mietzinse nicht wieder zurückzuzahlen, und verklagte das Aktionskomitee seinerseits wegen «Nötigung». Die Klage von Flachsmann scheiterte, der Hausbesitzer trug die Kosten.
Exmissionen verhindert
Exmissionen (Zwangsräumungen), die gerichtlich verfügt wurden, nahmen an der Zahl zu. Sie waren nun keine blosse Drohung mehr. Ein «Mieter-Alarmruf» in der KP-Zeitung machte auf die Zwangsräumung eines streikenden Mieters im Kreis 6 aufmerksam und rief zur Solidarität durch einen Protest vor dem Haus auf. Die «Mietersolidarität» konnte so diesen Willkürakt abwehren. Ebenso konnte an der Limmatstrasse am 24. März durch solidarische MieterInnen eine Exmission verhindert werden. Doch neue Exmissionen standen bevor. «Ausbreitung des Mieterstreiks, Steigerung der Solidarität aller Mieter, Bereitschaft, jederzeit bedrängten Mietergenossen gegen Exmissionen zu Hilfe zu eilen» wurde zum Gebot der Stunde. In der Frühe angesetzte Exmissionen wurden durch die Mobilisierung der Arbeitslosen und der streikenden Frauen verhindert.
Ende März berichtete der «Kämpfer» über einen Fall, bei dem die Exmittierung nicht verhindert werden konnte. Der Mieter wurde von der Polizei aus der Wohnung geholt. Nachdem es bisher nicht möglich war, eine Streikexmission unter Innehaltung der üblichen Normen durchzuführen, wurde nun offen Gewalt angewendet. Nunmehr wäre der MieterInnenkampf zum politischen Massenkampf geworden, der sich direkt gegen die kapitalistische Staatsgewalt richtete, schrieb das Aktionskomitee. Der Aktionskomitee organisierte daraufhin eine Demonstration.
Höhepunkt des Mieterstreiks
Anfang April vermeldete das Aktionskomitee einen weiteren Sieg: An der Werdgasse 7 wurde der Streik erfolgreich beendet. Der Hauptaktivist im Haus, dem auch die Exmission angedroht worden war, erhielt dabei eine sehr hohe Mietzinsreduktion von 26 Prozent. Aber auch alle anderen Streikenden mussten von nun an bis zu 20 Prozent weniger Miete zahlen. Ein anderer Streik endete nach 11 Wochen erfolgreich.
Der April blieb ruhig, der «Kämpfer» berichtete zu Beginn des Monats weniger häufiger über die MieterInnenbewegung. Allerdings war die Rede von nun über 140 Häusern, die streikten, mit insgesamt rund 500 streikenden Mietparteien – der quantitative Höhepunkt im Zürcher Mieterstreik.
Im April begann offen die Verbindung des Mieterstreiks mit der Wahlkampagne der KP für den Kantonsrat. Es wurde die Forderung nach Mieterräten erhoben, die über die Höhe des Mietzinses entscheiden sollten. Als Gradmesser würde die wirtschaftliche Kraft des Mieters dienen. Im neuen Parlament würde, so ihr Versprechen, für die radikale Beseitigung des ganzen Exmissions- und Retentionsrechtes gekämpft. Aber: «Völlig verkehrt wäre es, zu glauben, dass dieses neue Recht im Parlament selbst entstehen könnte! Es muss geboren werden im Kampf der Massen, in der Aktion der Mieter selbst, im Mieterstreik.»
Praktische SP-Politik
Die sozialdemokratisch geführte Polizei hatte mittlerweile einige Polizeierlasse gegen den Mieterstreik herausgegeben. Der SP-Polizeiinspektor hatte «modrige, reaktionäre, mittelalterliche» Gesetzesparagraphen herausgesucht, um eine breite Polizeiaktion gegen den Mieterkampf zu eröffnen. Die solidarische Hilfe von anderen MieterInnen bei einer drohenden Exmission sollte gesetzlich verhindert werden: Ansammlungen auf den Trottoiren wurden untersagt. Wer Beamte am Vollzug von Exmissionen hinderte, wurde bestraft. Jede Solidaritätsausserung wurde mit schweren Bussen belegt.
Die SP gab in ihrem Wahlkampf eine spezielle Wahlzeitung «Der Zinslipicker geht um!» zur Wohnpolitik heraus. Gemeinsam mit den Hausbesitzer-Innen hätte sie aber wirksame Massnahmen gegen die Wohnungsnot, wie zum Beispiel die kommunistische Wohnrechtsinitiative von 1924, bekämpft. Die Initiative hätte den Staat verpflichtet, so viele Wohnung zu bauen, wie Bedarf besteht. Die praktische Politik der SP strafte ihre «mieterfreundliche» Wahlzeitung Lügen, laut KP. Die damalige SP hatte zur Wohnungsnot tatsächlich nur eine Lösung anzubieten: Wohnungsbau. Sie ging nicht so weit, direkt Mietzinssenkungen zu fordern.
Mieter, wählt Kommunisten!
Die KP Zürich konnte bei den Kantonsratswahlen gute Zugewinne verzeichnen. In allen Kreisen, in denen sie antrat, konnte sie mehr Stimmen holen als 1929. Im Kreis 5 wurde sie zur zweitstärksten Partei. Neue Mandate konnte sie aber nicht gewinnen. 1932 erhielten die KommunistInnen einen Wähleranteil von 8,9 Prozent (+1%). Aber auch die SP legte in absoluten Zahlen leicht zu, wobei sie prozentual 0,4 Prozentpunkte verlor, dabei mit einem Anteil von 42,7 Prozent mit Abstand stärkste Partei blieb.
Zwei Tage nach den Wahlen wurde die Exmission einer streikenden Mieterin durchgesetzt. Per Polizeigewalt wurde eine ältere, alleinstehende Frau aus dem Haus gezwungen. Das SP-Blatt «Volksrecht» schrieb über den Vorfall: «Das Gesetz muss geschützt werden, auch wenn es ein Gesetz der Ungerechtigkeit ist.» Die Polizei begann nun auch härter gegen Demonstrationen der MieterInnenbewegung vorzugehen. So am 9. Mai, als das Aktionskomitee mit etwa 500 Leuten einen Protest gegen einen Vermieter organisierte, der mit seinen Söhnen streikende MieterInnen verprügelt hatte. Die Demo wurde illegalisiert und eingekesselt. Noch kam es aber zu einigen Erfolgen. In rund 50 Häusern waren Zinsreduktionen durchgesetzt worden.
Der Mieterstreik machte im Mai einem anderen Thema Platz, das für die KP zentraler wurde: Der Streik der HeizungsmonteurInnen. Den Zürcher HeizungsmonteurInnen war ein Lohnabbau angekündigt worden, wogegen sie Widerstand aufnahmen und in den Streik traten. Die «Volksrecht»-Zeitung und die GewerkschaftssekretärInnen hetzten schon von Beginn an gegen den Streik, er sei von der Kommunistischen Partei beschlossen worden, ein Putsch gar.
Beginn vom Ende
Ende Mai wurde zum ersten Mal eingestanden, dass es wohl nicht zum Allgemeinen Mieterstreik kommen würde: «Wenn der Mieterstreik nicht zu einer umfassenden Aktion wurde, so aus Furcht, Polizeiterror und in erster Linie, weil die Sozialdemokratische Partei ihren offenen Verrat in unerhörter Weise an den untersten Proleten dokumentiert hat.» Es sei aber unleugbare Tatsache, dass der Mieterstreik «den ganzen Tross vom sozialdemokratischen Mieterverein bis zu den Zinslipickern, Mietzinswucherern, Häuserspekulanten aus dem Dornröschenschlaf aufgerüttelt hat und man auf der ganzen Front zum Mietzinsproblem Stellung nehmen musste». Von der SP wurden aber nur Resolutionen verfasst – praktisch wurde rein gar nichts getan.
In dieser Zeit muss es auch zum Zerwürfnis zwischen dem Aktionskomitee unter Itschner und der KP gekommen sein. Am 6. Juni erscheint im «Kämpfer» ein Bericht über eine Mieterversammlung, in dem es heisst, dass Itschner und Kappeler die KP und ihre FunktionärInnen verleumden würden. Ein Grund dürfte wohl gewesen sein, dass Itschner den Streik mit Mitteln auszudehnen versuchen wollte, die der KP zu weit gingen. Offenbar war der Vorschlag Itschners, die Steigerung des Streiks dadurch zu vollziehen, dass er «zur ausschliesslichen Aktion der Mitglieder der Kommunistischen Partei» gemacht würde (anscheinend stellte er die Forderung, dass 80 Prozent der KP-Mitglieder in den Streik treten sollten). Die KP schrieb, der Mieterstreik sei Teil der Massenbewegung zur Herstellung der breitesten Einheitsfront, «ohne dabei zu vergessen, dass der Kampf in den Betrieben unsere Hauptaufgabe ist». Bei Itschner spielte wohl auch eine Rolle, dass er die Möglichkeiten des Mieterstreiks völlig falsch einschätzte. Für ihn war im Mieterstreik stets die Verbindung von ArbeiterInnen und Mittelstand zentral, wohl weil hierbei im Gegensatz zum betrieblichen Streik grössere Volksschichten einbezogen werden könnten. Er vertrat die Ansicht, den Mieterstreik «in zwei Jahren zur sozialen Revolution» steigern zu können.
Parteiausschluss
Eine Parteiversammlung wurde einberufen, an der konstatiert wurde, dass Itschner einen offenen Parteidisziplinbruch begangen habe. Es wurde die politische Frage gestellt, welche Rolle der Mieterstreik spielte. Und die KP stellte fest: «Die Hauptfrage ist der Kampf gegen den Lohnabbau.» Der Mieterstreik wäre trotzdem richtig und könnte «in gewissen Momenten vorübergehend» zu einer aktuellen Frage der Partei und der revolutionären Bewegung werden.
Es handelte sich um einen Konflikt bei der Ausrichtung der Strategie: Itschner wollte in einem allgemeinen Mieterstreik ArbeiterInnen und Mittelstand vereinen hin zu einer sozialen Revolution. Die strategische Ausrichtung der KP bestand hingegen, ebenso kritikwürdig, darin, in die Reihen der sozialdemokratischen ArbeiterInnen einzudringen und so die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse zu gewinnen. Deshalb die ständigen Angriffe auf die SP-Leitung. Konkreter kritisierte die KP an der Führung des Mieterstreik durch Itschner auch, dass die Mieterstreiks vereinzelt geführt wurden und die Polizei die Einzelnen dann auf die Strasse stellen konnte: «Es müssen ganze Häuser in den Streik gezogen werden. Es wird dann der Polizei schwerer fallen, mehrere Familien auf die Strasse zu werden.»
Noch am 10. Juni veröffentlichte die KP Zürich eine Resolution, worin sie beschloss, den Mieterstreik (wörtlich: den Kampf der werktätigen Mieter) fortzuführen, ihn sogar auszudehnen zu seiner Massenbewegung. Fünf Tage später wurden Itschner und Kappeler, der überhaupt erst durch den Mieterstreik von der SP in die KP übergetreten war, aus der Partei ausgeschlossen. Die Gründe waren: Fraktionelle Tätigkeit und Verleumdung der Partei. Ihnen wurde auch schlechte Führung vorgeworfen: «In der Führung des Mieterstreiks durch Itschner und Kappeler ist eine Gleichgültigkeit festzustellen, zufolge derer die streikenden Mieter vielfach hohe Unkosten für Gericht, Polizeibussen usw. bezahlen müssen.» (Itschner erwiderte, diese Kosten seien durch Sabotage des KP-Apparats entstanden.) Es wurde zur «restlosen Liquidierung der Fraktion Itschner» aufgerufen.
Am gleichen Tag: Das Blutbad an den streikenden Heizungsmonteuren. Die 400 streikenden Heizungsmonteure waren bereits seit vier Wochen im Ausstand gegen den Lohnabbau gestanden. In ihrem Kampf versuchten die Monteure, eine Streikdemonstration durchzuführen. Die Polizei ging brutal mit Gummiknüppeln, Säbeln und Revolvern auf die DemonstrantInnen los. Das Fazit: 31 Schwerverwundete, ein Toter. Die sogenannte Blutnacht von Zürich ging in die Geschichte ein. Für die KP hatte es ernsthafte Folgen, ihre Presse wurde teilweise verboten, mehrere führende Genossen wurden ins Gefängnis gesteckt.
Völlige Niederlage?
Ende Juni gab das Aktionskomitee eine eigene Zeitung «Die Aktion» heraus, weil das bisherige Publikationsmittel, der «Kämpfer», es seit drei Wochen nicht mehr publizieren liess. In der «Aktion» wurde die KP-Führung kritisiert, die KP als Ganzes jedoch vor der Sozialdemokratie in Schutz genommen. Hier wurde publik gemacht, dass Anfang Juni noch «gegen hundert» MieterInnen gestreikt hätten. «Der 1. Mai brachte nur noch sporadische neue Streiks, der 1. Juni nur noch einen einzigen und den noch im Streike befindlichen Mietern der Streikwellen von Februar, März und April drohte die völlige Niederlage.» Dabei handelte es sich laut Itschner nicht um eine Niederlage infolge der Übermacht des Gegners, sondern durch einen ungenügenden Einsatz der Partei und der Klasse für den Streik. Es war eine «konterrevolutionäre Handlung» durch das Parteisekretariat.
Am 25. Juni wurde im «Kämpfer» nochmals der Fall diskutiert, hier wurde aber ein anderer Aspekt ins Spiel gebracht: Da seit einiger Zeit bekannt war, dass im Mieter-Aktionskomitee Unregelmässigkeiten vorgekommen waren, forderte die Partei den Kassier Kappeler auf, innert zehn Tagen über die angelegten Gelder Bericht abzulegen. Kappeler weigerte sich, angeblich im Auftrage Itschners, dieser Forderung nachzukommen. «Die Partei musste deshalb jedes Vertrauen in das Mieter-Aktionskomitee verlieren und die Beziehungen abbrechen und Kappeler sowie Itschner aus der Partei ausschliessen», schrieb die KP. Das Aktionskomitee konnte später offenbar den streikenden MieterInnen die deponierten Mietzinse nicht mehr zurückzahlen.
Dass sich in der Folgezeit keine kämpferische MieterInnenbewegung entwickelte, könnte damit in Zusammenhang stehen, dass sich genau ab 1932 die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen begann. Die Mieten sanken laut dem Statistischen Amt der Stadt Zürich bis 1939 um etwa 20 Prozent im Durchschnitt. Erst Ende der 40er Jahre stiegen die Mietzinse wieder signifikant. Im Vergleich zu 1939 dürften die Mieten in der Stadt Zürich im Jahr 2025 die 1000-Prozent-Marke knacken.
Quelle: vorwaerts.ch… vom 27. Dezember 2017
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