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Die Feiern zum D-Day: Eine Mischung aus Hetze und Geschichtsfälschung

Eingereicht on 7. Juni 2024 – 13:08

Patrick Martin & David North. Am 6. Juni jährte sich zum 80. Mal die Landung der alliierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Kanadas in der Normandie. Die offiziellen Feiern waren eine zynische Mischung aus politischer Propaganda und Geschichtsfälschung. Während die Nato-Mächte den Völkermord in Gaza unterstützen und den Krieg gegen Russland eskalieren, schlachten sie die Ereignisse vom 6. Juni 1944 aus, um ihre heutige verbrecherische Politik zu rechtfertigen und zu verherrlichen.

Um es ganz direkt zu sagen: Die Politik und die Ziele der Nato haben auffallende Ähnlichkeit mit denen des Naziregimes, gegen das die Alliierten im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Würde Hitler zu diesem Anlass auferstehen, so würde er sich in Gesellschaft von US-Präsident Biden, dem britischen Premierminister Sunak, dem französischen Präsidenten Macron und dem deutschen Bundeskanzler Scholz pudelwohl fühlen. Er würde die Feierlichkeiten nutzen, um ihnen Ratschläge für die Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland zu erteilen.

Mit Sicherheit hätte sich Hitler über die Entscheidung Macrons gefreut, auf Betreiben der USA und Großbritanniens die Einladung Russlands zur Gedenkfeier zurückzuziehen. Die Anwesenheit einer russischen Delegation wäre eine unerwünschte Erinnerung an den monumentalen und entscheidenden Beitrag der Sowjetunion zur Niederlage des Dritten Reichs gewesen. Zwar ist die Sowjetunion aufgelöst und der Kapitalismus wiederhergestellt worden, doch Russland wird im Denken der imperialistischen Mächte für immer das Stigma der sozialistischen Revolution vom Oktober 1917 tragen.

„Wir würden uns der französischen Regierung fügen, die die Gedenkfeier in der Normandie organisiert“, hatte ein Beamter der Biden-Administration gegenüber Politico gesagt, nachdem die Einladung letzten Monat bekannt geworden war. „Aber vielleicht wird dies die Russen daran erinnern, dass sie tatsächlich einmal gegen echte Nazis gekämpft haben und nicht gegen imaginäre, wie in der Ukraine.“

Der abfällige Ton war durchaus nicht angebracht. Die Regierung in Kiew ist tatsächlich mit Bewunderern der Nazis durchsetzt. Stepan Bandera, der ukrainische Nationalist, dessen Truppen an der Seite der Wehrmacht gegen die Sowjetunion kämpften und beim Holocaust mit den Nazis kollaborierten, ist in der Ukraine zum Nationalhelden erhoben worden.

Während Biden und seine imperialistischen Verbündeten den 80. Jahrestag des amphibischen Angriffs auf die Nazi-Herrschaft in Frankreich feiern, haben sich die Nato-Mächte genau dasselbe Ziel zu eigen gemacht, das Nazideutschland an der Ostfront verfolgte: die Eroberung und Zerstückelung Russlands und die Ausbeutung seiner riesigen Gebiete und Ressourcen. Der 80. Jahrestag soll ausgenutzt werden, um den Krieg in der Ukraine voranzutreiben und den Weg für eine offene Nato-Intervention zu ebnen.

Außerdem wird dieser Krieg im Bündnis mit den politischen Nachfahren Hitlers und Mussolinis geführt. Macron hat eingeräumt, dass es in ganz Europa einen Aufschwung faschistischer Kräfte gibt, preist aber selbst Philippe Pétain, den Chef der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung, als „großen Soldaten“. Nächste Woche wird Biden in Europa am G7-Gipfel in Italien teilnehmen, der erstmals von einer Faschistin ausgerichtet wird: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, einer Anhängerin des Mussolini-Kults.

Zugleich werden die Methoden Hitlers unter der Führung der USA in Gaza wiederbelebt, wo die israelischen Streitkräfte die palästinensische Bevölkerung massakrieren, zivile Stadtviertel bombardieren und die Überlebenden dem Hungertod preisgeben. Israel hat bei diesem Völkermord mehr Bomben auf den Gazastreifen abgeworfen, als während des Zweiten Weltkriegs auf London, Hamburg und Dresden zusammen niedergingen.

Präsident Biden wird bei seinem Besuch in Frankreich anlässlich der D-Day-Feierlichkeiten auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij zusammentreffen, um das massive militärische Hilfspaket weiterzuverfolgen, das er durch den Kongress gebracht und vor sechs Wochen unterzeichnet hat. Ebenso wird sich Biden im Rahmen eines offiziellen Staatsbesuchs mit Macron treffen, nachdem der französische Präsident vor wenigen Tagen im Namen der imperialistischen Mächte den Einsatz von Nato-Bodentruppen in der Ukraine vorgeschlagen hat, was zu einem offenen Krieg zwischen der Nato und Russland mitsamt der Gefahr eines nuklearen Flächenbrands führen kann.

Biden wird Phrasen über die Verteidigung der Demokratie dreschen und dabei lügen wie gedruckt. Der amerikanische Imperialismus ist die Bastion der globalen politischen und sozialen Reaktion. Seine Politik zielt auf die Versklavung, nicht auf die Befreiung der Völker der Welt.

Abgesehen von der zynischen Instrumentalisierung des D-Day-Gedenkens zur Rechtfertigung der heutigen Verbrechen des Imperialismus war die Verherrlichung der Ereignisse des 6. Juni 1944 schon immer mit einer grundlegenden Verdrehung der wirklichen Interessen verbunden, die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien im Zweiten Weltkrieg verfolgt wurden.

Es steht außer Frage, dass die Soldaten, die vor 80 Jahren an Land stürmten, einen mutigen Kampf führten und von Hass auf Hitler und den Nazismus motiviert waren. Die Tausenden jungen Soldaten, die an diesem Tag starben, müssen in Erinnerung bleiben und geehrt werden. Doch ihr Idealismus wurde von den Führern des US-amerikanischen und britischen Imperialismus nicht geteilt. Diese Politiker wussten genau, dass der Krieg nur dann die Unterstützung der Massen finden konnte, wenn er als Kampf gegen den Faschismus verkauft wurde. Es war die Zeit der Volksfrontpolitik und des Kriegsbündnisses mit der UdSSR. Die Stalinisten arbeiteten Hand in Hand mit den Imperialisten, um den Krieg in den Augen der Bevölkerung zu legitimieren.

In der Bevölkerung herrschte enorme Sympathie für den Kampf der Sowjetunion gegen den Überfall Hitlers – den größten Militärangriff der Geschichte mit dem Ziel, den Marxismus und Sozialismus durch Massenmord auszurotten. Ungeachtet der unsäglichen Verbrechen Stalins, der Trotzkisten und andere Revolutionäre einschließlich der gesamten Führung der Roten Armee ermorden ließ und einen Pakt mit Hitler unterzeichnet hatte, kämpften die sowjetischen Massen mit aller Kraft für die Verteidigung der verbliebenen Errungenschaften der Oktoberrevolution. Die Rote Armee verlor in Schlachten wie Stalingrad täglich 10.000 Soldaten. Zum Vergleich: Die geschätzten Verluste des D-Day, des blutigsten Tages im Westen, belaufen sich auf knapp 5.000 Gefallene.

Während Roosevelt die demokratischen und antifaschistischen Gefühle der Bevölkerung effektiv ausnutzte, tobte hinter den Kulissen ein Kampf zwischen dem aufstrebenden US-Imperialismus und dem britischen Empire, seinem nominellen Verbündeten. Der britische Premier Churchill widersetzte sich trotz der verzweifelten Bitten Stalins der Eröffnung einer „zweiten Front“ im Westen und zögerte sie hinaus, um die UdSSR ausbluten zu lassen und die britischen Anstrengungen auf Südeuropa, den Nahen Osten und vor allem den indischen Subkontinent zu konzentrieren. Churchill drängte sogar auf einen amerikanisch-britischen Schlag von Italien über die Adria nach Jugoslawien, um dem revolutionären Kampf in diesem Land zuvorzukommen, die britischen Interessen in Griechenland zu wahren und die Alliierten in die Lage zu versetzen, direkt in den deutsch-sowjetischen Krieg einzugreifen.

Als die US-amerikanischen, britischen und kanadischen Streitkräfte in der Normandie landeten, hatte die Rote Armee der Wehrmacht in der Ukraine und im Westen Russlands bereits eine entscheidende Niederlage beigebracht, die Belagerung von Leningrad durchbrochen und die baltischen Staaten zurückerobert. Die Rote Armee stand kurz davor, im Rahmen einer allgemeinen Gegenoffensive in Richtung Wien und Berlin in Polen einzumarschieren. Den meisten historischen Schätzungen zufolge hatte Hitler zwei Drittel seiner Streitkräfte, etwa 200 Divisionen, gegen die Sowjetarmee eingesetzt, sodass nur noch knapp 50 Divisionen für die erwartete Landung der Alliierten über den Ärmelkanal und den Vormarsch der alliierten Streitkräfte auf der italienischen Halbinsel übrig blieben (die Befreiung Roms erfolgte am 4. Juni 1944, zwei Tage vor dem D-Day).

Neun Tage nach der erfolgreichen Landung in der Normandie umriss US-Präsident Franklin Roosevelt die Kriegsziele des amerikanischen Imperialismus in einer Rede, in der er die Gründung der Vereinten Nationen als politisches Instrument für die Aufteilung der Kriegsbeute unter den Siegern vorbereitete. In einem Kommentar in The Militant, der damaligen trotzkistischen Zeitung in den Vereinigten Staaten, heißt es dazu:

Die alliierten Soldaten vergießen ihr Blut nicht, um die europäischen Völker vom Nationalsozialismus zu befreien, nicht, um die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts aller Nationen und Völker zu gewährleisten, nicht, um die „vier Freiheiten“ in jeden Winkel der Erde zu tragen, sondern um das alte System der Machtverhältnisse so wiederherzustellen, dass die Weltherrschaft des amerikanischen Imperialismus gewährleistet wird.

Die trotzkistische Zeitung beschrieb den zentralen politischen Zweck des Bündnisses, das der amerikanische und britische Imperialismus mit der Sowjetbürokratie unter dem konterrevolutionären Massenmörder Stalin geschlossen hatte:

Eine weitere Funktion des neuen Dreierbündnisses, das sich in die „internationale Organisation“ eingehüllt hat, besteht darin, Europa und die ganze Welt vor der tödlichen Gefahr der sozialistischen Revolution zu bewahren. Stalin fürchtet, wie die Imperialisten, die sozialistische Revolution. Die sowjetische Bürokratie weiß, dass eine siegreiche sozialistische Revolution irgendwo in Europa ihren Sturz bedeuten wird.

Das Muster dieser Polizeifunktion hat sich bereits in Italien und Nordafrika deutlich abgezeichnet, wo polizeilich-militärische Diktaturen mit alliierten Bajonetten gestützt werden. Das sind die zutiefst reaktionären Ziele der Herren von der Wall Street. Das sind ihre „Kriegsziele“. Das sind ihre „Nachkriegspläne“.

Zu dieser Zeit saßen 18 amerikanische Trotzkistenführer wegen ihrer Opposition gegen den Weltkrieg im Gefängnis. Auch in Großbritannien waren vier führende Trotzkisten angeklagt worden und sollten bald wegen einer ähnlichen prinzipiellen Antikriegsposition zu Gefängnisstrafen verurteilt werden.

Achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg steht die Welt am Abgrund eines neuen globalen Flächenbrands. Im Vorfeld der D-Day-Gedenkfeier haben Biden und andere imperialistische Führer die Ukraine ermächtigt, russisches Territorium mit von der Nato gelieferten Raketen anzugreifen und damit den Krieg der Nato gegen einen atomar bewaffneten Staat massiv zu eskalieren. Gleichzeitig zeigt die Eskalation des Kriegs, dass die Außenpolitik der russischen Oligarchie unter der Führung von Wladimir Putin ebenso reaktionär wie bankrott ist. Ihr Bestreben geht dahin, ihre imperialistischen „Partner“ durch militärischen Druck zu einem Deal zu bewegen, der Moskaus Interessen entgegenkommt.

Die zentrale Herausforderung besteht darin, diesen globalen Krieg zu beenden, indem die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt in einem gemeinsamen Kampf gegen das kapitalistische System mobilisiert wird, das die Hauptursache für Krieg ist.

#Titelbild: Mitglieder des Chors der U.S. Joint Military Service Academy bei einer Zeremonie am Utah Beach in der Nähe von Sainte-Marie-du-Mont, 5. Juni 2024 [AP Photo/Daniel Cole]

Quelle: www.wsws.org… vom 7. Juni 2024

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