Baerbock? Habeck? Hofreiter? Logisch, dass sie die Nato & Aufrüstung toll finden
Arno Luik. 1980 gründeten sich die Grünen – nicht zuletzt wegen der Aufrüstung, der Stationierung von US-Langstreckenraketen. Sie wollten die Abschaffung der Nato, eine bessere Welt. Und heute? Heute sind sie so rücksichts- wie gewissen- und hemmungslos für all das, was sie damals bekämpften.
Zu ihrem 25. Geburtstag analysierte Arno Luik die Grünen und ihre Gier nach Ministerämtern, für die sie all ihre Gründungsideale opferten. Aus gegebenem Anlass: Ein Nachruf von 2005 auf die Friedenspartei a.D.
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Ich gebe es zu: Ich habe mich sehr gefreut, damals, als sich am 12./13. Januar 1980 die Grünen gründeten. Ich gebe es zu: Ich habe auch sehr gelacht über diese merkwürdigen Menschen in der Karlsruher Stadthalle. Diese fast groteske Ansammlung von Schlabberkleidern, wallenden Gewändern, rauschenden Bärten, langen Mähnen, Kindern, die auf dem Boden rumkrabbelten, Delegierten, die aus Schlafsäcken krochen, schmuddelig, mit verquollenen Augen. Es sah so kindisch aus. Doch die Bürger bekamen einen Schreck.
So eine Parteigründung hatte es in der deutschen Geschichte noch nicht gegeben: Militante Brokdorf-Demonstranten stritten sich mit christlichen Pazifisten, obskure Vogelschützer sich mit Punks, Maoisten mit durchgeknallten Anthroposophen. An den Mikrofonen standen heute fast Vergessene, Petra Kelly, Herbert Gruhl, standen heute fast Verfemte wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann. Es fehlten die heutigen Helden der Grünen wie Joschka Fischer und Dany Cohn-Bendit. Die spotteten über diese bunte Truppe: „Ökospießer“ seien das, „politische Nillen“, „grüne Mäuse“, „Arschlöcher“.
Nicht nur die Brezel – die ganze Bäckerei wollen wir!
Innerhalb von ein paar Wochen hatten diese Nillen in der Tat ein paar Nullen mehr: über 10 000 Mitglieder. Und diese Tage der Gründung waren für fast eine ganze Generation das: Aufbruch. Befreiung aus der bleiernen Zeit der 70er Jahre. Dieser Zeit der Berufsverbote. Der Zeit des Deutschen Herbstes. Die Grünen – das war eine große Hoffnung. Es ist heute fast vergessen, kaum mehr vorstellbar, wie Hunderttausende damals das Gefühl hatten, zerrieben zu werden von einem Staat, der sich nach dem Mord an Arbeitgeberpräsident Martin Schleyer immer aggressiver gebärdete und der Militanz der RAF-Desperados. Die Grünen – das war der Traum, eine bessere Welt ist möglich, das war der pathetisch-naive Traum, Geschichte ist machbar, zumindest ein bisschen, der Glaube, dass man eingreifen kann in dieses Räderwerk, das einen zermalmt.
So war das am Anfang der Grünen. Nicht Minister wollten die Grünen damals werden, Sand im Getriebe wollten sie sein, frech und respektlos. Vier Prinzipien hatten sie sich gegeben: basisdemokratisch, ökologisch, gewaltfrei, sozial wollten sie sein, und ganz viel – parlamentarisch und außerparlamentarisch – wollten sie erreichen: eine bessere Welt. Eine Welt ohne Unterdrückung. Ohne Hunger. Ohne Waffen.
Ihre Parolen (es waren die Rufe der Anti-Atombewegung, der Frauen- und Friedensbewegung) brachten Hunderttausende auf die Straßen: Sofortiger Atomausstieg, einseitige Abrüstung, die Auflösung der Nato und des Warschauer Paktes, ökologische Wirtschaft statt Profitwirtschaft, kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich – und so weiter, ein Graffito brachte den Traum auf den Begriff. „Wir wollen nicht nur die Brezel, wir wollen die ganze Bäckerei!“
Und was heute vergessen ist: Die Grünen hatten, damals, ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber dem Staat, gegen die Verführung der Macht. Eines war diesen Idealisten klar und trieb sie vorwärts: Man wollte nicht so werden wie die Typen in den etablierten Parteien, nein, nicht wie die, das nie! Die meisten von ihnen hatten massenweise kluge Bücher gelesen, jahrelang gegen Korruption und politische Dekadenz agitiert. Wenn schon eine Partei, hieß es nun, dann eine, die dem Drang nach Eitelkeit oder persönlicher Bereicherung abbremste. Deshalb gab es – ein Novum – die strikte Trennung von Amt und Mandat, Rotation, Abgabe von Diäten (auf das Niveau eines Facharbeiterlohnes!), keinen Vorsitzenden, das Verbot, Ämter anzuhäufen, Aufsichtsratsposten und Beraterverträge anzunehmen. Die Grünen, sagte Petra Kelly, und das war keine Lüge, sei eine „Anti-Partei-Partei“.
Wir sind die besseren Menschen!
Lange ist das her. Ich bin in die Grünen nie eingetreten, obwohl ich viele ihre politischen Forderungen teilte. Aber von Anfang an nervte mich an den Grünen dieser selbstgefällige Gestus: Wir sind die besseren Menschen!
Aber dennoch: Ein paar Jahre lang machte es Spaß zu beobachten, wie die Grünen im Bundestag die „Altparteien“ rhetorisch aufmischten, wie Ditfurth oder Ebermann in den TV-Elefantenrunden Franz Josef Strauß, Martin Bangemann, Dietrich Genscher und auch Willy Brandt auseinandernahmen, das war frisch, frech, ungestüm, und es war angefeuert von dem politischen Willen: Wir wollen eine gerechtere Gesellschaft! Es war auch ein Genuss, als Joschka Fischer Ende der 80er Jahre im Bundestag die Mitglieder des Hohen Hauses verhöhnte: Das sei eine Versammlung von Alkoholikern, und man lachte auf, als Fischer zum Bundestagspräsidenten sagte: „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch.“ Das war spektakulärer Klamauk, angetrieben von dem Willen: Ich will bekannt werden!
Das war alles sehr schön, wirklich. Nun sind die Grünen 25 Jahre alt, und sie sind mächtig alt geworden. Über 100 Jahre brauchten die Sozialdemokraten, um den Marxismus ihrer Gründerzeit zu entsorgen. Die Grünen schafften es im Schnelldurchlauf, ihre Gründungsideale wegzuwerfen. Aber sie haben verdammt viel erreicht: Sie sitzen in der Bundesregierung, sie stellen den Außenminister, und der ist sehr populär, sie sind in Landesregierungen mit an der Macht. Die Grünen – das ist eine grandiose Erfolgsgeschichte, einmalig, wirklich einmalig, Chapeau und Respekt, diese Partei hat wirklich viel erreicht.
Tatsächlich? Und für wen eigentlich?
Mitmachen. Dabeisein bei jeder Schweinerei
Wem fiele es denn auf, wenn er nach längerer Zeit aus dem Ausland nach Deutschland zurückkäme, dass seit gut sechs Jahren die Grünen in der Berliner Republik mitregieren?
Die LKWs brummen wie noch nie über die Straßen, die PKWs rasen ohne Tempolimit über die deutschen Autobahnen, die AKWs liefern Strom so lange es technisch geht, die Schere zwischen arm und reich ist weiter offen denn je, der deutsche Waffenexport ist höher denn je, es werden vor allem mehr todbringende Kleinwaffen ausgeführt als jemals zuvor, deutsche Soldaten haben – erstmals seit 1939 – wieder Kriege geführt, und die deutsche Sicherheit, sagt der Verteidigungsminister wie der imperiale Kaiser Wilhelm II. klingend, wird „auch am Hindukusch“ verteidigt. Es werden mehr Telefongespräche abgehört als früher, überall, auf vielen öffentlichen Plätzen registrieren Überwachungskameras die Bewegungen der Bürger, auf den Autobahnen ist mit den Mautstellen eine Technik installiert worden, die nahezu lückenlose Bewegungsprofile jedes Einzelnen ermöglichen, wenn man sie so einsetzen will; bald wird es biometrische Daten und Fingerabdrücke in Pässen geben. Das muss so sein, heißt es, der Sicherheit wegen. Vor ein paar Jahren hätten die die Grünen gegen diesen staatlichen Allmachtsanspruch Diskussionen, Kongresse, Demos organisiert und gesagt: „Mit Sicherheit stirbt die Demokratie“.
Es gäbe 1000 Gründe, eine grüne Partei zu gründen.
Denn die etablierten Grünen sagen heute gar nichts mehr. Und wenn sie etwas sagen, hat es nichts zu sagen. Sie wollen nur noch mitmachen. Dabeisein. Nicht die Macht verlieren. Am 16. November 2001 ging es im Berliner Parlament um die Entsendung deutscher Truppen nach Afghanistan. Die pazifistischen Grünen (bis auf vier, die Kanzlermehrheit nicht gefährdende, grüne Parlamentarier) stimmten dem Kriegseinsatz zu: „Mein Ja war eigentlich ein Nein“, sagte anschließend die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Perfekter oder: zynischer oder: schäbiger lässt sich der Abschied von Überzeugungen kaum formulieren.
Die Grünen? Fischers persönliches Resozialisierungsprojekt
Klaus Kinkel, der als ehemaliger Chef der Umfaller-Partei FDP sich bestens auskennt im Handwerk des politischen Pragmatismus und Opportunismus, hat mal mit einem hübschen Bild erklärt, wie solch fundamentale Politikwechsel möglich sind: „Die Diskussion mit Vegetariern wird anders, sobald sie eine Wurstfabrik geerbt haben.“
Einer, der sich mit Würsten auskennt, ist der Metzgersohn Joschka Fischer.
Ohne die Grünen wäre Fischer vermutlich ein Nobody, vielleicht abhängig von Sozialhilfe, Entschuldigung, ein Hartz- IV-Empfänger. Die Grünen sind Fischers persönliches Resozialisierungsprojekt.
Anfang der 80er Jahre war Fischer ein hoffnungsloser Fall. Er war, wie die Zeitschrift „Natur“ schrieb, „ein Fuzzi, der am liebsten schwarz mit der Bahn fuhr“. Er war ein in die Jahre gekommener Straßenkämpfer mit dubioser Vergangenheit und trister Zukunft: Bei einer von Fischer mitorganisierten Demo war ein Polizeiauto gezielt mit Molotow-Cocktails angegriffen, ein Polizist schwer verletzt worden; er war ein Mann ohne Job, ohne Schulabschluss, war einer, der ziemlich viel ziemlich erfolglos versucht hatte: Er fuhr Taxi, war Filmstatist, „betrieb mit geklauten Büchern ein Antiquariat“ (Parteigründerin Ditfurth über Fischer). Er schrieb damals über sich: „Stalin war also so ein Typ wie wir“, ließ sich über seine „Lust am Schlagen“, aus: „ein tendenziell sadistisches Vergnügen“. Er wusste nicht, was er tun sollte, er las Ernst Jünger, verehrte in ihm erst den „Kämpfer“, dann den „Drogen-Jünger“, dann den „kosmischen Jünger“, sammelte im Wald Fliegenpilze („Wenn Sie Erleuchtung wollen, müssen Sie Glockendüngerling suchen“), schwärmte von der „Glaubenskraft“ der 1978 im Iran zur Macht gekommen Mullahs und jammerte, ein „Veteran“ sei er geworden, dem „es ziemlich dreckig geht“. Er klagte pathetisch „sich in einem magischen Kreis verfangen zu haben, aus dem es keinen Ausweg, allerhöchstens Flucht gibt: Flucht in den Beruf, Flucht in den Untergrund, Flucht in die Droge, Flucht in den Selbstmord.“
Das war Joschka Fischer Anfang der 80er Jahre.
“Ich werde noch Minister!“
Und als die Grünen immer größeren Erfolg hatten, in Parlamente einzogen, erkannten Fischer, Cohn-Bendit und die Männer in ihrer sogenannten „Putztruppe“: Da gibt’s Jobs. Gute Jobs. Sehr gute Jobs. Die Grünen als Jobmaschine für verkrachte Existenzen.
Im September 1982 kam Fischer zu den Grünen, und er schaffte Wundersames: Innerhalb kürzester Zeit gelang ihm, nicht zuletzt dank der treu ergebenen und schlagstarken „Putztruppe“, so um die 40 Leute waren das, die ein paar Jahre zuvor noch in Frankfurts Wäldern den Kampf gegen die Polizei trainiert hatten, den Durchmarsch bei den Grünen: Er wischte die grünen Gründungsträumer zu Seite, sprach bald von Realpolitik, fing an, auf Bierdeckeln, sein Kabinett zusammenzustellen, verkündete seinem SPD-Gegenspieler Karsten Voigt („Fratze der Macht“): „Wirst sehen, ich werd noch Minister.“
Das hat er geschafft. Es war ein langer Weg für ihn. Seine Gegenspieler musste er wegbeißen, fast alle Gründungsmitglieder haben die Partei längst verlassen, die sanfteren Kritiker hat er mit Posten ruhiggestellt, aber er hat auf der ganzen Linie gesiegt: die ehemals antiautoritäre Partei ist, so muss man das ausdrücken – deutsche Geschichte hin, deutsche Geschichte her: eine Führerpartei.
Fischer ist der Star. Er ist der beliebteste Politiker des Landes. Und das ist eine Erfolgsgeschichte der sonderbaren Art: Kein Politiker in Deutschland hat seine Positionen so häufig und so fundamental wie er gewechselt. Doch seine Grünen stehen verdammt gut da: 11 Prozent, sagen die Umfragen, wollen bei der Bundestagswahl diese Partei wählen. Und bei der letzten Wahl in Hamburg kamen die Grünen auf 13 Prozente der Stimmen.
Sensationell ist das, doch wenn man genau hinsieht, fällt auf: Diesen Triumph erreichten sie mit weniger Stimmen als bei den Wahlen zuvor. Im Klartext: Die Stärke der Grünen liegt darin, dass immer weniger Menschen wählen gehen.
Und daran sind, ganz sicherlich, auch die Grünen schuld. Ihre Erfolgsgeschichte ist eine Geschichte des Verrats von Idealen. Was für Ziele, Positionen, Visionen hat denn diese Partei heute noch? Sie will an der Macht bleiben. Aber wofür? Und für wen?
Claudia Roth ist die Vorsitzende der Grünen, und das ist gut so, denn sie verkörpert aufs Beste die Neuen Grünen. Die Nato-Oliv-Grünen. Die Regierungs-Grünen. Die Grünen, die überall dabei sein wollen.
Gaaaanz wichtig: Welcher Schal passt zum Bühnenhintergrund?
Politik hat immer etwas mit Symbolen zu tun, und in der Person Roth zeigt sich beispielhaft, wie lammfromm, wie überangepasst sich die Grünen haben, die ja mal eine linke, manchmal sogar eine linksradikale Partei war – die das Establishment vorführen wollte. Jetzt führen sie sich selber vor: als Gesamtkunstwerk.
Man sieht Claudia Roth im wallenden Escada-Kleid, rot, rosa, aubergine, alles Ton in Ton, von Kopf bis Fuß durchgestylt in Bayreuth zu den Wagner-Festpielen schreiten. „Wie ein Eichhörnchen auf Exstasy“, höhnte Harald Schmidt, „die Blindenhunde im Umkreis von 30 Kilometern knurrten“, spottete Wiglaf Droste.
Und als Claudia Roth im Herbst zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, stand sie stundenlang im Hotel vor ihrem Koffer, überlegte sich, was sie anziehen sollte, ärgerte sich, dass sie zu wenige Kleider dabeihatte, und erzählte das alles der „Bunten“. „Typisch Claudi“, klagte sie dem Klatschblatt, denn „ich wollte zu dem rot noch ein bisschen Glitzer und Glamour kombinieren“. Zwei Semester lang hat Claudia Roth Theaterwissenschaften studiert, und so weiß sie, bekundet sie, was Bühne heißt, Farbe, Kostüm und Maske bedeuten. Sie denkt deshalb lange nach, wie die Farbe, das Licht zusammenwirken, stimmt sich mit den Fotografen ab, lässt sich von ihnen sagen, welcher Schal zum Bühnenhintergrund passt, achtet darauf, dass sie keine Karohose anzieht, denn dann drehen die Kameraleute durch, und auch der Lippenstift muss zum Kleid zum Schal zu den Haaren passen, ja, und auch die Fingernägel sind ganz wichtig.
Mehr Sein durch Schein – das sind die Grünen im Jahr 2005.
Die Grünen wollten mal eine Welt ohne Waffen. Ohne Armee. Ohne Nato. Ohne Krisenreaktionsstreitkräfte. Ohne Verfassungsschutz. Ohne Baumsterben. Sie wollten mal Tempo 130 auf den Autobahnen.
Sie haben das Dosenpfand bekommen.
Und damit werden sie in die Geschichte eingehen.
Aktuelle Ergänzung, Juli 2024: Das Dosenpfand bringe sie in die Geschichtsbücher? Mein Gott, wäre das schön, wenn es nur das gewesen wäre.
Quelle: overton-magazin.de… vom 21. Juli 2024
Tags: Deutschland, Grüne, Imperialismus, Kalter Krieg, Kultur, Neoliberalismus, Strategie
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