Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und rechtsextremer FPÖ gescheitert
Markus Salzmann. In Österreich sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei (FPÖ) und der Volkspartei (ÖVP) gescheitert. Dies teilte FPÖ-Chef Herbert Kickl nach einem Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen am vergangenen Mittwoch in Wien mit. Nachdem Kickl den Regierungsauftrag zurückgab, hat die Alpenrepublik auch mehr als vier Monate nach der Parlamentswahl noch keine Regierung.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe lud Van der Bellen die Parteichefs von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos in die Hofburg, um die Möglichkeiten für neue Verhandlungen auszuloten. Dabei betonte er die Dringlichkeit, schnellstmöglich eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen.
Grundsätzliche Optionen sind Neuwahlen, bei denen aktuellen Umfragen zufolge lediglich die FPÖ profitieren würde, die Bildung einer Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, die Einberufung einer Expertenregierung oder ein weiterer Versuch, eine Koalition ohne die FPÖ zustande zu bringen.
Berichten zufolge nahmen die ÖVP und die sozialdemokratische SPÖ am Montag erneut Gespräche über eine mögliche Koalition auf. „Es laufen Gespräche darüber, ob eine Zusammenarbeit und der Abschluss für ein Regierungsübereinkommen möglich sind oder nicht“, hieß es aus der ÖVP. Auch von Seiten der SPÖ wurden die Gespräche bestätigt.
Ein Bündnis von ÖVP und SPÖ hätte im Nationalrat nur die Mehrheit von einer Stimme. Im Januar waren Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos an Budgetfragen gescheitert. Ungeachtet dessen, ob ÖVP und SPÖ nun eine Regierung bilden oder es doch zu einer anderen Regierungskoalition oder Neuwahlen kommt, werden Sozialkürzungen, Flüchtlingshetze und Aufrüstung im Zentrum der Regierungsagenda stehen.
Deutlich wurde dies nach dem tragischen Messerangriff im südösterreichischen Villach am Samstag, bei dem ein 14-Jähriger getötet und fünf weitere Personen verletzt wurden. Obwohl noch keine zuverlässigen Informationen über mögliche Motive vorlagen, genügte die Tatsache, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen 23-jährigen Syrer mit gültigem Aufenthaltstitel handelte, um eine aggressive Hetzkampagne gegen Flüchtlinge zu lancieren. Vertreter aller Parteien überboten sich mit Rufen nach härteren Strafen und Abschiebungen.
„Einsperren und abschieben“ sei nun die Devise, erklärte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Darüber hinaus kündigte er an, es werde ab sofort flächendeckend „anlasslose Massenüberprüfungen“ geben. Zynischerweise rechtfertigte Karner diese weitreichende Maßnahme damit, dass der Täter zuvor nicht polizeilich auffällig geworden sei.
FPÖ und ÖVP hatten sich in weiten Teilen bereits über die Agenda der künftigen Regierung geeinigt. Beide Parteien stimmten darin überein, tiefgreifende Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich umzusetzen. In der Flüchtlings- und Asylpolitik war man sich bereits einig, das Programm der FPÖ vollständig zu übernehmen. Auch im Bereich der inneren Aufrüstung hatte man sich bereits auf die weitreichende Aufstockung der Sicherheitsbehörden und eine massive Ausweitung von deren Befugnissen geeinigt.
Falls die FPÖ nun doch nicht in die Regierung eingebunden wird, liegt das nicht an ihrer rassistischen, menschenverachtenden Politik und daran, dass die Partei enge Kontakte ins Neo-Nazi-Milieu pflegt. Und auch nicht an ihrer Forderung, die letzten Reste des Sozialstaats zu zerstören und dies gegen jede Opposition in der Bevölkerung durchzusetzen.
Der Grund ist das Verhältnis der FPÖ zu Russland, das in Österreich und der EU vor dem Hintergrund des Nato-Kriegs in der Ukraine als Hindernis für eine weitere Eskalation wahrgenommen wird.
Auslöser war die Forderung der FPÖ, das Innenministerium und das Finanzministerium zu führen. Vor allem der Anspruch auf das Innenministerium löste heftige Spannungen aus, da dem Innenministerium die Kontrolle der Geheimdienste zugeordnet ist.
Um den Koalitionsvertrag nicht zu gefährden, schlug die ÖVP als Entgegenkommen ein eigenes Asyl- und Migrationsministerium für die FPÖ vor. Im Gegenzug sollte die ÖVP das Innenressort mit der Kontrolle über Sicherheitsbehörden und Geheimdienste erhalten.
ÖVP-Chef Christian Stocker erklärte am Mittwoch, es habe sehr deutliche Warnungen ausländischer Partner gegeben, Österreich vom internationalen Informationsfluss zwischen Geheimdiensten auszuschließen, falls die FPÖ die Kontrolle über die Geheimdienste erhalte. Dies hätten ausländische Vertreter bereits vor den Wahlen sehr deutlich gemacht, so Stocker.
Konstantin Kuhle, FDP-Fraktionsvize und Mitglied im Geheimdienste-Kontrollgremium des deutschen Bundestags, hatte schon kurz nach den Wahlen im Oktober gegenüber dem Handelsblatt erklärt, ein Regierungseintritt der FPÖ würde bedeuten, dass auch Deutschland seine nachrichtendienstliche Kooperation mit dem Nachbarland auf „den Prüfstand stellen“ müsse.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Geheimdienstgremiums, Konstantin von Notz von den Grünen. „In Zeiten eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in Europa und massiver Einflussnahme- und Desinformationskampagnen auch und vor allem aus Russland wäre die FPÖ in Regierungsverantwortung durchaus ein erhebliches Sicherheitsproblem für österreichische Behörden, aber auch ihre Partner“, so von Notz gegenüber dem Handelsblatt.
Als Kickl von 2017 bis 2019 Innenminister unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) war, genehmigte er eine Razzia beim Nachrichtendienst BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung). Durchgeführt wurde sie von einer Polizeieinheit unter dem Kommando eines FPÖ-Funktionärs. Was mit den damals sichergestellten Akten und Daten passierte, ist bis heute unklar.
Gleichzeitig wurde unter Kickl eine geheime Einheit aufgebaut, die mit FPÖ-Kadern besetzt war. Später stellte sich heraus, dass diese eng mit russischen Diensten zusammenarbeitete. Im Zuge dieser Vorgänge wurde das BVT 2018 aus dem sogenannten Berner Club, einem informellen Zusammenschluss westlicher Inlandgeheimdienste, ausgeschlossen. Aktuell arbeitet die Nachfolgeorganisation des BVT an einer erneuten Annäherung an den Verbund.
Die EU-kritische Haltung der FPÖ und ihre Forderung nach einem Ende der Russland-Sanktionen hatten bereits in der Vergangenheit für Konflikte zwischen den Parteien gesorgt. Bei der Aufrüstung der EU gegen Russland sperrt sich die FPÖ teilweise. Die FPÖ unterhält darüber hinaus einen Freundschaftsvertrag mit der Kreml-Partei „Einiges Russland“, und zahlreiche hochrangige Mitglieder verfügen über enge persönliche Kontakte in den Kreml.
In den Koalitionsverhandlungen traten in diesem Zusammenhang erneut die Spannungen über den Raketenschutzschild Sky Shield zu Tage. An dem von Deutschland 2022 initiierten Projekt sind mittlerweile 21 europäische Länder beteiligt. Dabei geht es um die gemeinsame Raketenabwehr und den Austausch von Daten über den Luftraum. Obgleich es weder ein Projekt der NATO noch der EU ist, ist es eindeutig auf eine weitere Eskalation des Kriegs gegen Russland ausgerichtet.
Vor dem Hintergrund des wachsenden Konflikts zwischen den USA und Europa werden auch die Auswirkungen einer möglichen FPÖ-Regierung innerhalb EU mit Sorge betrachtet. Harald Vilimsky, FPÖ-Abgeordneter im EU-Parlament, begrüßte die Initiative von Trump und bezeichnete sie als „historische Chance“, die „höchsten Respekt“ verdiene. Umso unverständlicher sei daher die ablehnende Reaktion der EU-Spitze auf diese Entwicklung, so Vilimsky.
Trumps Ankündigung, über die Köpfe der Europäer hinweg mit Putin zu verhandeln, hat innerhalb der EU die Krise noch weiter verschärft und es mehren sich die Stimmen nach einem starken und geeinten Europa, um die europäischen Interessen nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegen die USA durchzusetzen. Die Orientierung der FPÖ auf Trump und Putin gilt dabei als Hindernis.
#Titelbild: FPÖ-Führer Herbert Kickl [AP Photo/Christian Bruna]
Quelle: wsws.org… vom 19. Februar 2025
Tags: Imperialismus, Neue Rechte, Österreich, Politische Ökonomie, Rassismus, Russland, Service Public, Sozialdemokratie, Steuerpolitik, Strategie, Ukraine
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