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Zweiter Völkermord in Gaza und ethnische Säuberung im Westjordanland

Eingereicht on 3. März 2025 – 11:59

Jean Shaoul. Israels stellvertretender Parlamentssprecher Nissim Vaturi hat offen zu einem weiteren Völkermord in Gaza aufgerufen. Ihm zufolge sollen Kinder von ihren Müttern getrennt und dann alle Erwachsenen abgeschlachtet werden. Er bezeichnet die Palästinenser als „Untermenschen“.

In der Sendung Kol BaRama erklärte der Likud-Abgeordnete der Knesset, dass niemand in Gaza, auch keine Zivilisten, „unschuldig“ sei. „Sie sind Ausgestoßene, und niemand auf der Welt will sie.“

Israel müsse „die Kinder und Frauen trennen und die Erwachsenen in Gaza töten; wir sind zu rücksichtsvoll“, erklärte Vaturi. Freigelassene palästinensische Gefangene sollten in die Stadt Dschenin im Westjordanland geschickt werden, „damit sie später eliminiert werden können“. Man müsse „Dschenin auslöschen“.

Dies sind nicht nur die Wahnvorstellungen eines widerlichen Faschisten. Es ist die Politik, die Benjamin Netanyahus regierende Likud-Koalition bereits umsetzt. Sie hat angekündigt, dass sie mit der Hilfe der Trump-Regierung die Palästinenser aus dem Gazastreifen vertreiben will. Gegen die Flüchtlingslager in Dschenin und anderen Teilen des Westjordanlandes hat sie eine fünfwöchige Militäraktion namens „Eiserne Mauer“ gestartet, worauf bisher schon 40.000 Menschen in andere Orte geflohen sind.

Die Militäraktion folgt Punkt für Punkt dem Gaza-Drehbuch. In Dschenin, Tulkarem, Tubas und den umliegenden Gebieten sind hunderte von Gebäuden und Infrastrukturen systematisch dem Erdboden gleichgemacht worden. Es ist die größte israelische Offensive gegen das Westjordanland seit dem Angriff auf Dschenin im Jahr 2002.

Nur zwei Tage nachdem Israel dem Waffenstillstandsabkommen in Gaza zugestimmt hatte, nahm das Sicherheitskabinett das Westjordanland in seine Kriegsziele auf und forderte: „In Judäa und Samaria [biblische Namen für das Westjordanland] müssen die Verteidigung und Sicherheit verstärkt werden, wobei der Schwerpunkt darauf liegen muss, die Sicherheit der Bewegungsfreiheit und der Siedlungen aufrechtzuhalten.“ Kurz zuvor hatten mehrere faschistische Mitglieder der Regierung, gleichgesinnte Journalisten und Siedlerführer an Premierminister Benjamin Netanjahu appelliert, „den Krieg in das Westjordanland hinein auszuweiten“.

Am 23. Februar kündigte Verteidigungsminister Israel Katz an, dass die Offensive der israelischen Streitkräfte (IDF) im Westjordanland ausgeweitet werde und das Militär „für das kommende Jahr“ in den Flüchtlingslagern bleiben werde.

Erstmals seit mehr als 20 Jahren hat die IDF Panzer im Westjordanland eingesetzt. Dabei wurden dieselben Taktiken wie im Gazastreifen angewendet: Auf Luftangriffe und den Einsatz moderner Waffen folgten Bodenangriffe durch Spezialeinheiten und Sprengungen, sowie das Vordringen gepanzerter Bulldozer, um palästinensische Städte von der angeblichen „terroristischen Infrastruktur zu befreien“. Seit Jahresbeginn wurden mindestens 70 Menschen getötet, darunter 10 Kinder, eine schwangere Frau und ein älterer Mann. Allein in Dschenin sind 38 Menschen getötet worden.

Wie schon im Gazastreifen hat die israelische Armee auch im Westjordanland vier Gesundheitseinrichtungen aufs Korn genommen. Nach Angaben des Medienrats im Flüchtlingslager Dschenin hat das israelische Militär 470 Gebäude zerstört, 153 Hausdurchsuchungen durchgeführt und 14 Luftangriffe geflogen. Die israelische Armee hat die Wasserversorgung für 35 Prozent der Stadt Dschenin, einschließlich des Flüchtlingslagers und vier Krankenhäuser, bis auf weiteres unterbrochen. Zwanzigtausend Bewohner des Flüchtlingslagers Dschenin und drei Viertel der Bewohner des Flüchtlingslagers Tulkarem wurden vertrieben.

Den 40.000 vertriebenen Palästinensern ist es praktisch unmöglich, in ihre Häuser zurückzukehren, denn die Zerstörung der Häuser geht insbesondere damit einher, dass an ihrer Stelle mit dem Bau von Straßen begonnen wurde, die die Lager von einem Ende zum anderen in mehrere Richtungen durchtrennen.

Die israelische Armee hat 900 Kontrollpunkte und Barrieren errichtet. Dadurch wurde das Westjordanland in 300 getrennte Gebiete aufgeteilt, sodass es so gut wie unmöglich ist. sich darin fortzubewegen.

Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete von neuen Befehlen des Militärs, die es erlauben, Personen zu erschießen, die verdächtigt werden, einen Sprengsatz zu legen. Sie erlauben auch das Beschießen von Fahrzeugen, die aus einem Kampfgebiet auf einen Kontrollpunkt zu fahren.

Alles ist jetzt erlaubt, und die Soldaten toben sich aus und verbreiten Angst und Schrecken. Offiziere und Reservisten ab dem Rang eines Oberst haben ihre Gesichter vermummt, und in Medieninterviews werden ihre Namen nicht genannt, um ihre Verhaftung zu verhindern, sollten sie ins Ausland reisen.

Israels Offensive im Westjordanland ist Teil eines umfassenden Plans zur Ausweitung der zionistischen Siedlungen und schließlich zur Annexion des Westjordanlandes. Zunächst sollen die Palästinenser aus dem Gebiet C vertrieben werden, das gemäß den Osloer Verträgen von 1993 unter der vollständigen militärischen Kontrolle Israels steht. Es umfasst 60 Prozent des palästinensischen Territoriums.

Wie das Badil Center for Refugee Rights mit Sitz in Bethlehem verlautet, besteht Israels Ziel darin, im Westjordanland „die Flüchtlingslager zu demontieren“ und „die israelische Präsenz zu normalisieren“. Weiter heißt es: „Durch Invasionen und Razzien, die umfangreiche Zerstörungen und vorsätzliche Tötungen beinhalten, wird ein neuer Status quo im Westjordanland geschaffen“, mit dem Ziel, „die vollständige israelische Kolonialherrschaft zu beschleunigen“.

Der Fokus der IDF auf die Zerstörung der Flüchtlingslager geht mit Netanyahus Bemühungen einher, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zu zerschlagen. Das UNRWA versorgt rund fünf Millionen registrierter palästinensischer Flüchtlinge in den Palästinensergebieten, in Jordanien, im Libanon und in Syrien mit lebensnotwendiger Hilfe im medizinischen, sozialen und Bildungsbereich. Seit Ende letzten Monats bedeutet das israelische Verbot der UNRWA-Einsätze, dass diese UN-Agentur nicht mehr in Israel/Palästina tätig sein kann. Die Zerstörung der Lager dient in Israels Augen dazu, die Daseinsberechtigung der UNRWA zu beseitigen.

Dies ebnet den Weg für Israels jüngsten Angriff auf alle in Israel/Palästina tätigen Menschenrechtsorganisationen. Die Knesset hat ein Gesetz vorgelegt, das darauf abzielt, den Rechtsschutz und den Steuerbefreiungsstatus von israelischen Menschenrechtsgruppen, die von ausländischen Regierungen finanziert werden, aufzuheben. Die Auflage für die rund 200 NGOs, Steuern in Höhe von 80 Prozent ihrer Spenden aus dem Ausland zu zahlen, wird ausländische Spender abschrecken.

Dies zielt darauf ab, die Hilfe für all diejenigen Gruppen weiter zu kürzen, die die Palästinenser unterstützen; damit soll die Annexion erleichtert werden. Dazu hat die israelische Menschenrechtsgruppe B’Tselem erklärt: „Das Ziel des Gesetzes ist es, Menschenrechtsorganisationen zu zerstören, indem unsere finanziellen Quellen ausgetrocknet werden.“

Die Operation „Eiserne Mauer“ im Westjordanland ist Netanjahus Gegenleistung für die Partei des religiösen Zionismus von Finanzminister Bezalel Smotrich und für andere ultranationalistische und religiöse Parteien, damit sie in seiner Koalition verbleiben. Sie bieten ihm somit einen gewissen Schutz gegen sein laufendes Korruptionsverfahren.

Neben dem Finanzressort ist Smotrich auch für alle zivilen Angelegenheiten im Westjordanland zuständig. Er ist entschlossen, die Annexion sowohl des Westjordanlands als auch des Gazastreifens zu vollenden, und strebt dafür ein Ende des Waffenstillstands im Gazastreifen an, sowie auch einen umfassenden Krieg zur Vertreibung der Palästinenser aus allen Gebieten, die Israel seit dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 illegal besetzt. Smotrich geht fest davon aus, dass die Trump-Regierung sein Expansionsprojekt unterstützen wird.

Das Waffenstillstandsabkommen hat die Freilassung von Hunderten von Palästinensern beinhaltet, die ohne Gerichtsverfahren oder Anklage in israelischen Gefängnissen festgehalten worden waren. Seither lässt Verteidigungsminister Katz auch alle Siedler im Westjordanland frei, die in Verwaltungshaft gehalten wurden. Katz erklärte: „Dies ist eine klare Botschaft zur Stärkung und Ermutigung der Siedlungen, die an vorderster Front im Kampf gegen den palästinensischen Terrorismus stehen und mit wachsenden Sicherheitsherausforderungen konfrontiert sind.“

Selbsternannte Schlägergruppen weiten ihre Terrorkampagne im Westjordanland systematisch aus und greifen Bauern- und Hirtengemeinschaften an. Allein im Januar haben israelische Siedler 375 Angriffe auf palästinensische Gemeinden durchgeführt, darunter bewaffnete Angriffe, Landraub, körperliche Übergriffe und die Zerstörung von Ernten und Eigentum. Das sind die Zahlen einer Kommission der Palästinensischen Autonomiebehörde, welche die israelischen Siedlungs- und Landraubaktivitäten überwacht.

Am 25. Februar gab der Palästinensische Rote Halbmond bekannt, dass sein medizinisches Personal einen 20-jährigen Behinderten in ein Krankenhaus in der nördlichen Stadt Tubas bringen musste, weil ihn illegale Siedler in den Bauch gestochen hatten.

Präsident Mahmud Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde haben keinerlei Maßnahmen ergriffen, um Widerstand gegen die Militäroffensive Israels zu leisten. Nur wenige Wochen vor dem israelischen Angriff hat die Palästinensische Autonomiebehörde ihre eigene 52-tägige Sicherheitsoperation gegen das Flüchtlingslager Dschenin und die anderen Lager durchgeführt und Journalisten daran gehindert, über die Ereignisse zu berichten. Die Autonomiebehörde bedient sich desselben Vorwands wie Israel, nämlich dass es nötig sei, islamistische Terroristen und Milizen auszurotten.

#Titelbild: Israelischer Merkava-Panzer in einer Straße in Gaza, 4. Januar 2024 [Photo by Yairfridman2003 / CC BY-SA 4.0]

Quelle: wsws.org… vom 3. März 2025

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