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Aleppo: Eine Stadt als Geisel

Eingereicht on 12. Oktober 2016 – 16:27

Karin Leukefeld. Frankreich will ein Verfahren wegen möglicher Kriegsverbrechen in Syrien vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anstrengen. Das teilte der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault am Montag mit,

nachdem eine französisch-spanische Resolution im UNO-Sicherheitsrat für ein Flugverbot über Aleppo am Veto der Russischen Föderation gescheitert war. Wie nie zuvor sei Frankreich »entschlossen, die Bevölkerung von Aleppo zu retten«, so der französische Außenminister. Die Bombardierung von Aleppo sei ein »Kriegsverbrechen«, sagte Ayrault. »Das bezieht alle ein, die zu dem Geschehen in Aleppo beitragen, auch russische Führungspersonen.« Wegen derartigen Äußerungen aus Frankreich, hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag seinen für den 19. Oktober geplanten Besuch in Paris abgesagt. Auch werde es zunächst kein Treffen mit Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Entwicklung in Syrien geben.

Ayrault ist erst seit Februar 2016 Chef des Quai dOrsay, des Außenministeriums in Paris. Dennoch sollte ihm bekannt sein, dass Frankreich als Mandatsmacht in Syrien (19201946) ein Erbe hinterlassen hat, das die »Grande Nation« zur Zurückhaltung mahnen sollte. Die Aufteilung der Region im Sykes-Picot-Abkommen 1916 und die entsprechend 1922 von Frankreich verfügte Aufspaltung des Landes hatten unzählige kleine und große Aufstände der Syrer zur Folge, was Frankreich mit Soldaten und Luftangriffen beantwortete. Die Bomben trafen Aufständische in der Provinz Sweida und wiederholt das Zentrum von Damaskus (1925 und 1926). Die letzten französischen Luftangriffe der Mandatszeit trafen 1945 die Zitadelle und das Parlament von Damaskus, Hunderte Menschen starben.

Es ist noch nicht drei Monate her, dass französische und US-Kampfjets der »Anti-IS-Allianz« unweit von Manbidsch in Nordsyriens das Dorf Al-Tukhar bombardierten und dort mehr als 100 Bewohner töteten. 30mal luden die Kampfflugzeuge an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ihre tödliche Fracht über dem Ort ab. Das US-Zentralkommando leitete eine Untersuchung ein.

Im UN-Sicherheitsrat wird Aleppo zur Geisel gemacht. Die westlichen Vetomächte USA, Frankreich und Großbritannien werfen Russland und Syrien vor, die Stadt zu vernichten. Moskau fordert einen Waffenstillstand und die Trennung der »moderaten bewaffneten Opposition« von terroristischen Gruppen wie der Fatah-Al-Scham-Front oder dem »Islamischen Staat«. Die syrische Armee schafft mit ihren Verbündeten vor Ort Fakten. Die Nachschubwege in den Ostteil von Aleppo wurden abgeriegelt, Bodentruppen rücken vor, bei Al-Scheich Said im Süden der Stadt finden heftige Kämpfe statt.

Die Militärführung erneuerte das bereits Anfang August unterbreitete Angebot für freies Geleit, wenn die Kämpfer Ostaleppo verlassen. Es wurde von der Fatah-Al-Scham-Front, die bis Juli unter dem Namen Nusra-Front firmierte, postwendend zurückgewiesen. Als der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, daraufhin anbot, den Abzug persönlich zu begleiten, um das Leben der Kämpfer zu garantieren, wurde er von der Dschabha Fatah Al-Scham und ihren Verbündeten verhöhnt.

Als einige Kämpfer im August ihre Waffen niederlegten und mit ihren Familien den Ostteil von Aleppo über einen von der syrischen Armee und Russland markierten Weg verlassen wollten, wurden sie von den Dschihadisten gestellt, gefangengenommen und getötet. Bis zu 40 Menschen seien hingerichtet worden, hieß es damals in einem Bericht des »Russischen Zentrums für Versöhnung«, das mit den betroffenen Gruppen in Verbindung stand.

Lokale syrische Versöhnungskomitees setzen sich jedoch weiterhin dafür ein, dass Zivilisten und Kämpfer, die ihre Waffen niederlegen wollen, den Osten der Stadt verlassen können. Die libanesische Tageszeitung Al-Safir berichtete, dass Gruppen aus Aleppo, die den Kampf einstellen wollten, mit Islamisten der Fatah-Al-Scham-Front und der »Armee der Eroberung« aus Idlib darüber stritten.

Die Hälfte der »schätzungsweise 275.000 Syrer im belagerten Ostaleppo« wolle dort weg, heißt es in einem Bericht der UN-Nothilfekoordination (OCHA), der vor wenigen Tagen bekanntwurde. Es gebe kaum noch etwas zu essen, es fehle an Brennstoff. Besonders betroffen seien Frauen, Kinder und alte Menschen.

Die anhaltenden Vorwürfe, Krankenstationen und Hospitäler zu bombardieren und zu zerstören, haben sowohl Russland als auch das syrische Militär zurückgewiesen. Die von den Kampfgruppen eingerichteten »Feldlazarette«, die auch von westlichen Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden, sind meist nicht als Kliniken gekennzeichnet, berichtete gegenüber junge Welt ein Mitarbeiter einer medizinischen Organisation in Damaskus. Seine Arbeitsregularien sähen nicht vor, mit der Presse zu sprechen, weswegen er anonym bleiben will.

Das größte Krankenhaus in Aleppo, das Al-Kindi-Krankenhaus im Norden der Stadt, wurde bereits im Dezember 2013 von Islamisten zerstört. Monatelang hatten damals die syrischen Streitkräfte die Klinik gegen Einnahmeversuche der Kampfgruppen verteidigt. Anfang Dezember 2013 bildeten die Milizen ein Operationszentrum mit dem Namen »Ein Herz«. Daran beteiligt waren die »Islamische Front«, Ahrar Al-Scham, Liwa Al-Tawhid, die Fatah-Al-Scham-Front und die Al-Fadschr-Bewegung.

Am 20. Dezember 2013 rasten zwei Lastwagen in den Eingangsbereich der Klinik. Mit 40 Tonnen Sprengstoff, wie oppositionelle Webseiten damals verkündeten. Dutzende Soldaten und medizinisches Personal wurden getötet, andere gefangengenommen. Die Islamisten übernahmen die Kontrolle über das Krankenhaus, das auch aufgrund seiner Lage auf einem Hügel über dem palästinensischen Lager Handarat strategisch bedeutsam war.

Das Al-Kindi-Krankenhaus war Anfang der 1960er Jahre in der Zeit der Vereinigten Arabischen Republik, die Syrien und Ägypten umfasste, unter der Führung von Gamal Abdel Nasser gebaut worden. Es war Teil der Universität von Aleppo und mit 250 Ärzten und mehr als 650 Pflegekräften das größte Klinikum der Region.

Quelle: Junge Welt vom 12. Oktober 2016

 

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