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Russische Bergleute arbeiten unter „sklavenähnlichen Bedingungen“

Eingereicht on 29. April 2022 – 17:54

Andrea Peters. Etwas mehr als fünf Monate nach einer Explosion im Bergwerk von Kemerowo, im Südwesten Sibiriens bei der 51 Arbeiter ums Leben kamen, erklärte der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow am Mittwoch vergangener Woche, eine Untersuchung habe ergeben, dass die Bergleute des Listwjaschnaja-Schachts „unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten mussten“. Er nannte das Fehlen von persönlicher Schutzausrüstung und die Missachtung von Arbeits- und Freizeitplänen als nur zwei von 3.000 Verstößen, die in dem Bergwerk aufgedeckt wurden. In anderen Betrieben in ganz Russland seien viele Tausend weitere Verstöße festgestellt worden, sagte er.

Krasnows Eingeständnis soll Besorgnis vortäuschen, ist aber nicht mehr als ein halbherziger Versuch, der weit verbreiteten Wut über die verheerenden Bedingungen in vielen russischen Betrieben zu begegnen. Die wahre Haltung der herrschenden Elite des Landes zeigt sich darin, dass ein hoher Beamter, der für die Fortsetzung der groben Verstöße in Listwjashnaja verantwortlich gemacht wird, Alexander Mironenko, gerade zum Berater der Regionalregierung von Kuzbass ernannt wurde. Er wird insbesondere für die Beratung in sozioökonomischen Fragen zuständig sein.

Im Dezember mussten die Bergleute von Listvyazhnaya einen so genannten „Verantwortungseid“ ablegen, in dem sie sich zur Einhaltung von Sicherheitsstandards verpflichteten. Die Bergwerksbetreiber taten dies nicht. Trotz des Versprechens, dass die Rettungskräfte, von denen fünf Männer bei der Katastrophe im November letzten Jahres ums Leben kamen, in Anerkennung ihres Heldentums ausgezeichnet werden sollten, wurde bisher nichts unternommen, und Nachrichtenberichte deuten darauf hin, dass die Behörden dies auch nicht vorhaben.

In den Tagen nach Krasnows Erklärung gab es mehrere Todesfälle in der Rohstoffförderung, der Metallindustrie und der Bauindustrie des Landes.

Am Montag vergangener Woche forderte die Explosion einer Wasserleitung in einem Bergwerk in der russischen Region Kuzbass einen Toten und einen Verletzten, 200 weitere Personen mussten evakuiert werden. Zwei Tage zuvor waren drei Arbeiter bei einer Explosion in einer der größten russischen Kupferminen in Orenburg, nahe der Grenze zu Kasachstan, ums Leben gekommen. Weitere 58 Menschen, die mehr als einen Kilometer unter der Erde arbeiteten, konnten rechtzeitig gerettet werden. Offenbar waren Sicherheitsverstöße die Ursache.

Anfang April bedrohte ein Brand in einer Phosphatmine in Murmansk das Leben von 110 Bergleuten. Zur gleichen Zeit wurden zwei Arbeiter im Taldinskaja-Zapadnaja-Bergwerk in Kemerowo unter Tage eingeschlossen, als ein Dach auf sie einstürzte. Einige Wochen zuvor wurde die Leiche eines Arbeiters des Bergwerks Osinnikovskaya in der gleichen Region aus den Trümmern geborgen. Er war durch eine Kombination aus Gasleck und Steinschlag erstickt und erdrückt worden.

Im Januar starb ein 33-jähriger Mann in Miass, einer Stadt in der Region Tscheljabinsk, in einer Metallschrottfabrik, nachdem er sich beim Entladen von Material verletzt hatte. Im selben Monat stürzte ein Arbeiter in Moskau in den Tod, als das Kabel einer Aufzugskabine, die er gerade reparierte, nachgab. Mittwoch vergangener Woche kam ein weiterer Arbeiter in der russischen Hauptstadt auf ähnliche Weise ums Leben, als er auf einer Baustelle 33 Stockwerke tief in einen Aufzugsschacht stürzte. Am Sonntag stürzte ein 52-jähriger Angestellter der Maschinenbaufirma Uralvagonzavod ebenfalls in den Tod. Wenige Tage zuvor wurde ein 26-Jähriger in einem Materialverarbeitungsbetrieb in Lipezk, einer Stadt mit knapp über 500.000 Einwohnern im Westen Russlands, von einer Maschine erdrückt. Am Dienstag wurde ein Landarbeiter, Mitte 40, auf einem Bauernhof in der Region Tambow von einem Traktor überrollt.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Offiziellen Regierungsstatistiken zufolge sterben jedes Jahr Tausende russische Arbeiter bei Arbeitsunfällen. Einige Forschungsinstitute, die wahrscheinlich andere Maßstäbe zur Messung der Daten verwenden, gehen von Zehntausenden aus.

Die Todesfälle und Katastrophen in der russischen Schwerindustrie gehen einher mit den ersten Anzeichen eines wachsenden Widerstands der Arbeiterklasse.

Die Beschäftigten der Müllabfuhr in Nowosibirsk, einer russischen Großstadt mit mehr als 1,5 Millionen Einwohnern und einem großen Industriegebiet, streiken. 211 Müllmänner legten vor mehr als einer Woche die Arbeit nieder. Sie protestieren gegen die schlechte Qualität der Maschinen, mit denen sie arbeiten müssen, sowie Vertragsverletzungen und unzureichende Löhne.

In Sachalin, im äußersten Osten Russlands, streiken die Arbeiter einer Geflügelfabrik, weil das Unternehmen ihnen die Löhne nicht auszahlt und die Entschädigungen zu niedrig sind. Die Lohnrückstände nehmen in Russland zu, was eine Folge der durch die antirussischen Sanktionen ausgelösten Wirtschaftskrise ist.

Die Taxifahrer protestieren. In Twer verweigerten Mitte April 100 von ihnen die Arbeit und erklärten gegenüber der Presse, dass sie sich in einer unmöglichen Situation befinden. „Ersatzteile sind teuer, Autos sind teuer, Benzin ist teuer“, sagten sie gegenüber Tatar-inform. Für eine Fahrt von 15 Kilometern erhalten sie etwa 200 Rubel, was nach dem derzeitigen Wechselkurs etwa 2,60 Euro entspricht.

In Moskau streiken die Angestellten des Kurierdienstes Delivery Club, weil das Unternehmen die Art und Weise, wie ihre Vergütung berechnet wird, so geändert hat, dass die Mehrheit der Beschäftigten eine Lohnsenkung von 20 Prozent hinnehmen musste. Die Wut unter den Beschäftigten ist groß. Im Februar entließ Delivery Club einen Mitarbeiter, weil er seine 14-Stunden-Schicht versäumt hatte, um an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen. Der Anführer des Protestes der Delivery-Club-Beschäftigten wurde gerade von der Polizei festgenommen. Es wird ihm vorgeworfen illegale Versammlungen abzuhalten.

Im Januar protestierten Ärzte, Sanitäter und Krankenwagenfahrer in Ishimbay, einer Stadt mit rund 65.000 Einwohnern in der russischen Republik Baschkortostan, mit einer „Arbeit-nach-Vorschrift-Aktion“ gegen Hungerlöhne, massive Unterbesetzung und Verstöße gegen ihre Arbeitszeiten. Sie sagen, dass die bestbezahlten unter ihnen nur 29.000 Rubel im Monat (380 Euro) nach Hause bringen, wobei viele weit weniger verdienen.

In einer öffentlichen Erklärung, die an lokale, regionale und nationale Beamte, einschließlich Präsident Wladimir Putin, gerichtet war, erklärten die Mediziner: „Wir erfüllen gewissenhaft unsere Pflichten, aber unser Berufsstolz erlaubt es uns nicht, zuzusehen, wie unseren Mitbürgern die medizinische Notfallversorgung vorenthalten wird. Wir sind gegen die Entsendung von Ambulanzbrigaden, die nicht vollständig besetzt sind, wenn statt der gesetzlich vorgeschriebenen zwei Sanitäter nur einer zur Verfügung steht. Wir sind quasi gezwungen, gegen die Standards der medizinischen Versorgung zu verstoßen.“

Als Vergeltungsmaßnahme wurden die Anführer des Arbeitskampfes entlassen. Einige von ihnen erhielten Anrufe, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass ihr Arbeitsverhältnis gekündigt worden sei, weil sie angeblich per Post aufgefordert worden seien am Wochenende zu arbeiten aber nicht zur Schicht erschienen seien. Sie hatten allerdings nie ein solches Schreiben erhalten und angesichts der kurzen Frist auch gar nicht erhalten können. Nachdem sie gegen dieses Vorgehen protestierten, wurden einige von ihnen inzwischen wieder eingestellt.

Die verheerenden Bedingungen, mit denen die Mehrheit der russischen Arbeiter konfrontiert ist, steht in direktem Zusammenhang mit einer wachsenden Wirtschaftskrise. Die Inflation, insbesondere bei den grundlegenden Verbrauchsgütern, steigt drastisch an, so dass viele lebenswichtige Güter für die Arbeiter unerschwinglich werden und Millionen von ihnen zu verarmen drohen. Die Bemühungen Washingtons und der NATO, die Regierung Putin durch die Herbeiführung einer wirtschaftlichen Katastrophe im Lande zu stürzen, fordern ihren Tribut und verstärken die brutalen Angriffe der russischen herrschenden Klasse auf die eigene Bevölkerung.

#Bild: Menschen legen Blumen nieder und zünden Kerzen an zum Gedenken an die toten Bergleute in der Listwjaschnaja-Grube in der sibirischen Stadt Kemerowo, etwa 3.000 Kilometer östlich von Moskau, Freitag, 3. Dezember 2021 (AP Photo/Sergei Gavrilenko) [AP Photo/Sergei Gavrilenko]

Quelle: wsws.org… vom 29. April 2022

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