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Postmoderne Sprachpolitik als Sinnverkehrung

Eingereicht on 7. Juli 2018 – 8:48

Richard Albrecht. Natürlich gibt es in Deutschland Sprachpolitik.[1] Dies besonders ausgeprägt in der ganzdeutschen Postmoderne. In der, auch in dekonstruktivistischerer Weise, Sprache als das Hauptmittel gilt, um politisch erwünschte Inhalte im Sinne einer vorgeblich linksliberalen political correctness, die weder links noch liberal ist, blank durchzusetzen, oft auch: zu erzwingen. Nicht nur über das bekannte Sternchen. Sondern auch über aktuelle, zu Formeln geronnene, Schlagworte. Die zunehmend auch Vergangenheiten übergestülpt werden. Grad so, als hätte es ´68 in der Altbundesrepublik keine Studentenbewegung. Sondern eine – geschlechtsneutrale – Studierendenbewegung gegeben.[2]

Das geht inzwischen im massenwirksamen Unterhaltungsbereich sogar soweit, daß nach dem bekannten Palmström´schen Muster des Christian Morgenstern[3] – Und er kommt zu dem Ergebnis: »Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil«, so schließt er messerscharf, »nicht sein kann, was nicht sein darf« – der prominente Fernsehunterhalter Florian Silbereisen als Sänger mit Begleitgruppe ganz im Sinne antihistorischer politischer Korrektheit den bekannten, von Hans Albers nachhaltig vorgetragenen, 1912 entstandenen, Seeleuteshanty Auf der Reperbahn nachts um halb eins von Ralph Arthur Roberts fälscht: Da kommt´n Seemann eben nicht wie im Orginaltext braungebrannt wie´n Hottentott. Sondern in der Textfälschung braungebrannt wie´n Sonnengott nach St. Pauli zurück[4]. Damit kann auch niemand mehr verstehen, daß es im reichsdeutschen Sprachduktur Hottentotten und Deutschen Reich Anfang 1907 tatsächlich umgangssprachlich Hottentottenwahlen genannte Wahlen zum damaligen Berliner Reichstag gab. (Diese konnten kurzfristig den beständigen wahlpolitischen Erfolg der damaligen Sozialdemokratie aufhalten[5].)

Die politisch durchschlagendste Begriffsverkehrung freilich wird im gegenwärtigen Ganzdeutschand heute typischerweise gar nicht mehr und schon gar nicht von politisch Korrekten aller Formate, Farben und Preisklassen bemerkt. Sie ist seit Generationen so allgegenwärtig wie unbemerkt über wirtschaftlichen und rechtlichen Jargon habitualisiert oder eingeschliffen. Und in Alltagsleben und alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen als Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dies ist die Interessen falsifizierende Umkehrung von Geben und Nehmen: Kapitalisten oder Unternehmer beschäftigen wohl Arbeiter und vernutzen dabei deren Arbeitsvermögen. Das nicht sie, sondern Arbeiter allerlei Geschlechts – männliche, weibliche und andere – besitzen.

So gesehen, ist die sowohl sachlich angemessene als auch politisch korrekte Bezeichnung nicht „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ (im Revier alltagssprachlich bis heute gelegentlich noch: Arbeitsgeber und Arbeitsnehmer). Sondern Arbeitskraftgeber und Arbeitskraftnehmer. Auf diesen schlichten Sachverhalt machte bereits der Altmarxist Friedrich Engels 1883 im Zusammenhang mit seiner Bearbeitung der beiden Folgebände von Marx´ Kapitalaufmerksam: „Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das ‚Kapital‘ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z. B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäftigung“ gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.“[6]

Die drei Beispiele sprachpolitischer Sinnverkehrung in der ganzdeutschen Postmoderne ergeben in ihrer Wirksamkeit etwas, das Reinhard Opitz bereits 1974 als Bewußseitsfalsifikation beschrieben hat.

Quelle: trend.infopartisan.net… vom 7. Juli 2018


[1] Damit meine ich nicht nur spezielle Erscheinungsformen und Varianten wie das bereits Mitte der 1980er Jahre von mir kritisierte Denglisch; s. Richard Albrecht, Bilder-Welten: Aspekte veränderter Wahrnehmungsprozesse durch elektronische Medien; in: Alphons Silbermann (Hg.), Die Rolle der elektronischen Medien in der Entwicklung der Künste. Frankfurt/Main 1987: 83-99

[2] Als aktuelles Beispiel s. Dieter Boris, Die „68er Revolte“ aus der Sicht ihrer Mentoren; in: Forum Wissenschaft, 35 (2018) 2, Juni 2018: 43-46

[3] http://freiburger-anthologie.ub.uni-freiburg.de/fa/fa.pl?cmd=gedichte&sub=show&add=&noheader=1&id=1384

[4] https://www.youtube.com/watch?v=UUc6CauwCjE

[5] Als erste Übersicht https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_1907

[6] Im Vorwort zur 3. Auflage von Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band (Marx-Engels-Werke; MEW Band 23, Zitat 34); s. jetzt auch die begriffsgeschichtliche Aufarbeitung von Roland Karassek in der Fachzeitschrift Arbeit – Bewegung – Geschichte(Maiheft 2017); im Netz http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/wp-content/uploads/2017/06/ABG2017-2_Karassek_Arbeitnehmer_Arbeitgeber.pdf

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