Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, Geschichte und Theorie, Kampagnen

Vor 500 Jahren: Der Deutsche Bauernkrieg

Submitted by on 24. Juli 2025 – 10:20

Oda Lux & Bruno Tesch. Der „großartigste Revolutionsversuch in der Geschichte des deutschen Volkes“, so Friedrich Engels in seiner Schrift „Der deutsche Bauernkrieg“, endete mit einer unbarmherzigen Niederlage und der weiteren Zersplitterung Deutschlands unter der Herrschaft der großen Fürsten, der einzigen Klasse, die als Siegerin die Früchte des konterrevolutionären Sieges davontrug. Über Jahrhunderte prägte die Niederlage der Bäuer:innen zugleich auch die Lage in Deutschland, so dass eine Betrachtung des Bauernkrieges auch nach 500 Jahren notwendig bleibt.

Die Klassenlage der Bäuer:innenschaft

Engels beschreibt in seiner 1883 veröffentlichten Flugschrift „Der deutsche Bauer“ die Entwicklung der bäuerlichen Verhältnisse in Deutschland. Die anfängliche Markgenossenschaft mit gemeinschaftlichen Bebauungsformen war über die Einrichtung des Haus- und Hofplatzes – ursprünglich auch ein rechtlicher Schutzraum – dem stückweisen Privatbesitz an Grund und Boden gewichen, der von einzelnen Familien vererbbar bewirtschaftet wurde. Dies bedingte auch, dass diese Strukturen die Herausbildung eines gemeinsamen Klasseninteresses und dessen organisierte Wahrnehmung erschwerten.

Im feudalen Gemeinwesen stülpte sich dem freien Bäuer:innentum als zahlenmäßig größtem produzierenden Teil der Gesellschaft und für die Nahrungsversorgung zuständig – etwa 90 % der Bevölkerung waren im Deutschland des 16. Jahrhunderts in der Landwirtschaft tätig – die Herrschaft anderer Klassen über. Adel und Klerus residierten über den bäuerlichen Massen und ließen sich von ihnen mästen. Ersterer nahm in der Regel das Land in Besitz, hatte jedoch in seinen jeweiligen Hoheitsgebieten für den leiblichen Schutz der ländlichen Bevölkerung zu sorgen. Diese war als „Privileg“ vom Waffendienst befreit, musste aber unentgeltliche Frondienste, z. B. bei Bauvorhaben und Transporten, für ihre Grundherr:innen leisten. Der Geistlichkeit fiel im Feudalstaat die Funktion der sozialen und ideologischen Aufsicht und Verwaltung („Seelsorge“) zu. Aber sie verfügte auch über beträchtlichen Landbesitz (Klöster) und in Ländern wie Italien auch über weltlichen. Auch den kirchlichen Trägerschaften gegenüber waren die Bäuer:innen abgabepflichtig. So beanspruchten die Klöster Dörferbesitz.

Die Zahl ihrer Abgabenempfänger:innen mehrte sich fortschreitend. Zudem wurde im süd- und mitteldeutschen Raum die Realteilung angewendet. Die Zahl der zu bewirtschaftenden Einheiten verkleinerte sich, aber die zur Verfügung stehende Produktionsfläche blieb gleich der wie vor der Aufteilung, was entsprechend geringere Erträge nach sich zog. Dies und Missernten zwangen viele Bäuer:innen dazu, sich in völlige Abhängigkeit von Grundherrschaft zu begeben.

Gesellschaftliche Veränderungen

Der pompöse Titel für das staatliche Konstrukt „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ bemäntelt die gesellschaftlichen Widersprüche, die sich seit dem Mittelalter auf deutschem Gebiet vollzogen und auf Veränderung drängten. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich oder Britannien bestand keine echte Zentralmacht mit Verwaltungszentrum.

Zwar monarchisch geführt, zerfiel das Reich doch in ständische Verbände mit nur wenigen gemeinsamen Institutionen wie Reichstag und Reichskammergericht. Seit dem 15. Jahrhundert war das Reich strukturell nicht mehr zu außengerichteter Kriegsführung und Machterweiterung in der Lage.

Im Inneren befanden sich auch die herrschenden Klassen in einem Wandlungsprozess. Teile des Adels verarmten, viele widerstreitende Herrschaftsansprüche, oft mit militärischen Mitteln ausgetragen, in die teilweise auch klerikale Würdenträger verwickelt waren, Schacher um Landbesitz machten das deutsche Gebiet zu einem territorial, rechtlich und wirtschaftspolitisch unübersichtlichen, kontraproduktiven Gebilde. Auch innerhalb des Klerus, der dank seiner herausgehobenen intellektuellen Stellung schon seit dem Mittelalter soziale Fragen theoretisierte, mehrten sich nun Widerstände gegen Amtsmissbräuche, z. B. Bereicherung der geistlichen Oberschicht durch Ablasshandel, in der noch einheitlichen christlichen Kirche. Dies spiegelte sich in den Bestrebungen zu ihrer Reformierung wider, was sich später auch in Territorien unterschiedlicher Konfession analog den rivalisierenden Landesherrschaften niederschlug.

Zugleich hatten sich Städte als Bewegungsraum für den Formierungsprozess einer neuen Klasse, des Bürger:innentums, etabliert. Sie waren jedoch ständisch eingebunden. Seine Machtpositionen konnte es letztlich nur regional geltend machen. Ehedem freie Reichsstädte hatten vielfach ihre Selbstständigkeit eingebüßt und befanden sich in Abhängigkeit von weltlichen Landesherren bzw. Bischöfen. Die urbanen Bewohner:innen hatten sich auch klassenmäßig aufgesplittet. Ihre Oberschicht, die städtischen Patrizierfamilien, profitierte ihrerseits von dem den Bäuer:innen auferlegten Abgabensystem, während die plebejischen Elemente, meist Tagelöhner:innen, sich materiell und rechtlich kaum besser standen als die auf dem Lande Lebenden.

Selbst Gründungen wie der Bund der Kaufmannschaft im norddeutschen Raum, die Hanse oder Handelshäuser wie die Fugger, die von Süddeutschland aus operierten und am aufkommenden kolonialen Boom der frühen Neuzeit teilhatten und als Kriegsunternehmer sogar kaiserliche Potentaten zeitweise in finanzielle Abhängigkeit brachten, vermochten die gesellschaftlichen Schranken nicht zu durchbrechen. Die Grundlage für eine neue kapitalistische Produktionsweise war noch nicht geschaffen, während zugleich die feudale Gesellschaftsformation ihren Zerfallsprozess durchlief.

Der Nährboden für einen gesellschaftlichen Gärungsprozess hatte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts angereichert und günstigere Voraussetzungen bereitet als 100 Jahre zuvor, als es im damals politisch fortgeschrittenen Böhmen (heute Tschechien) zu Erhebungen um einige städtische Zentren wie Tábor herum kam, die sich später versprengt, doch über einen längeren Zeitraum fortsetzten und als Hussitenkriege, benannt nach dem Theologen und zeitweisen Kanzler der Prager Universität Jan Hus, Eingang in die Geschichte fanden. Diese Widerstände gegen die bestehende Ordnung reihen sich wiederum in Vorläuferorganisationen „ketzerischer“ Gemeinschaften auf europäischem Boden wie Waldenser:innen (Südfrankreich), Pikard:innen (Nordfrankreich, Böhmen), Lollard:innen (England) ein.

Es waren verarmte Kleriker an der Basis, die auf die Massen Einfluss nahmen und von dem durch Ablass und andere Tricksereien angehäuften Reichtum wenig hatten. Denn sie predigten in den Kirchen, spendeten Trost und die Sakramente. Ebenso sahen sie das Elend und konnten aus einer christlichen Überzeugung heraus zu einer Kritik der Obrigkeit kommen. Ihre Weltverbessererei ähnelt daher dem Ansporn der utopischen Sozialist:innen, die Ideen hatten, die ihrer Zeit voraus waren und im selben Moment dem Druck der kapitalistischen Gesellschaft nie langfristig hätten standhalten können.

Eine politisierte Bewegung, die im Kern die bäuerliche Bevölkerung erfasste, bildete sich im 15. Jahrhundert, allerdings auf Schweizer Boden, in Form des „Bundschuh“. Die gebräuchliche Fußbekleidung der Bauern und Bäuerinnen diente als Erkennungszeichen. Auf einer ihrer Zusammenkünfte formulierten die Anhänger:innen 1439 Forderungen wie die Abschaffung von Kirchenabgaben, die Beseitigung adeliger Vorrechte bei der Nutznießung der Wälder, Jagd und Fischgründe und gipfelten in dem Wahlspruch „Wir mogen von Pfaffen und Adel nit genesen.“

Hergang der Geschehnisse

Die Bundschuh-Bewegung griff auch in den alemannischen Raum Südwestdeutschlands aus und nahm programmatisch etliches vorweg, was sich dann im Frühjahr 1525 in dem 12 Artikel umfassenden Manifest von Bäuer:innengruppen der Region wiederfindet.

Es beginnt mit der freien Wahl und möglichen Abwahl eines kirchlichen Vorstehers der Gemeinde. Dieser Amtsträger wird von der Gemeinde durch die steuerliche Abführung des Zehnten (10 % der Einkünfte) besoldet. Zusätzliche Abgaben sind abzuschaffen.

Jedem/r soll das Recht auf Jagd und Fischfang zugestanden werden. Ebenso sollen Wälder für Holzeinschlag zu Bau- und Brennstoffbedarf freistehen. Artikel 10 postuliert die Wiederüberführung der von den Herrschenden angeeigneten Wiesen und Äcker in Gemeindehand.

In Punkt 8 und 11 wird gefordert, dass „ehrbare Leute“ die Pachtabgabe an den Grundbesitzer festsetzen und überwachen mögen, sowie die Abschaffung der Erbschaftsteuer.

Die Belastung durch Frondienste soll verringert werden. Artikel 3 behandelt die Abschaffung der Leibeigenschaft, also des Rechts der Grundherr:innen, über Leben und Tod der Bäuer:innen zu entscheiden. Ein späterer Passus klagt über die rechtliche Willkür bei der Strafbemessung.

Der abschließende Paragraf bringt noch einmal zum Ausdruck, was sich durch alle Artikel hindurchzieht, nämlich dass sie die Rechtmäßigkeit ihrer Anliegen ausschließlich aus dem Inhalt der Bibel beziehen. In der Anrufung dieser Instanz drückt sich die große Furcht vor den Konsequenzen seitens der Obrigkeit aus.

Die Forderungen dürften nach heutiger Lesart wohl als reformerisch betrachtet werden. Aber auch wenn ihre Verfasser:innen als in einer feudalistischen Weltsicht befangen erscheinen, musste dieses Dokument in den Augen der herrschenden Klassen als aufrührerische Ungeheuerlichkeit und Angriff auf ihre Machtbasis wirken. Treffend bemerkt Franz Mehring dazu, dass die deutschen Bäuer:innen 1525 das forderten, was die französischen ab dem Jahr 1789 erreichen konnten, dass sie durchaus fortschrittliche radikale bürgerliche Forderungen stellten, wenngleich sie andererseits in den unreifen Verhältnissen ihrer Zeit befangen blieben.

Dank der technischen Revolution des Buchdrucks konnten innerhalb von zwei Monaten insgesamt 25.000 Exemplare gedruckt und verbreitet werden. Ihr Einfluss auf die folgenden Aufstände dürfte beträchtlich gewesen sein, obwohl unklar ist, wie viele Bauern und Bäuerinnen die Schrift erreicht hat und ob sie bzw. wie viele von ihnen sie überhaupt lesen konnten. Sicher ist davon auszugehen, dass der Inhalt der Schrift v. a. durch Mundpropaganda und Reden kursierte.

Bereits vorher beließen es bäuerliche Gruppen nicht bei Deklarationen, vielmehr waren immer wieder lokale Unruhen, vorzugsweise südlich der Mainlinie, aufgeflammt, die aber schnell wieder erloschen. Im Jahr 1525 traf sich dann der angestaute soziale Unmut mit den kirchlichen Reformbestrebungen und entfachte einen revolutionären Flächenbrand.

Vor allem die dörfliche Oberschicht wollte Veränderungen. Dorfvorsteher, Handwerker:innen und Ackerbürger:innen aus den Kleinstädten trugen den Aufstand und drängten vielerorts die armen Bäuer:innen zum Anschluss an die aufständischen Haufen.

In Gestalt des studierten Predigers Thomas Müntzer erwuchs der aufständischen Bewegung eine führende Persönlichkeit. Über einen zunächst theologischen Disput mit Luther, der auf der Stufe reiner Reformen im kirchlichen Sektor stehen blieb und der im Bauernkrieg voll und ganz die Seite der Obrigkeit ergriff, radikalisierte sich Müntzer. Er entwickelte Vorstellungen eines Umsturzes, die die ständische Gesellschaftsordnung und deren neue Gesellschaft betrafen, auf der er Gütergemeinschaft zu bauen hoffte, und ging dabei auch weit über die 12 Artikel von Memmingen hinaus zu frühkommunistischen, ihrer Zeit weit vorausliegenden, wenn auch letztlich utopischen Zielen. Anders als andere Theoretiker:innen erkannte er aber auch, dass die alte Ordnung nur durch die Mobilisierung der besonders Unterdrückten zum Einsturz gebracht werden könne.

In Müntzers Person paarte sich das intellektuelle Rüstzeug zur programmatischen Wegweisung mit dem nötigen Organisationstalent zur Vorbereitung und Führung von kämpferischen Auseinandersetzungen. Er richtete eine eigene Druckerei ein und nutzte die Schienen des bestehenden Nachrichtennetzwerks, das die aufstandsbereiten mitteldeutschen mit den südwestdeutschen Kreisen verband, und nahm Fühlung mit den dortigen Bauernführer:innen auf.

In der Hochphase der Kämpfe versuchte er, die verschiedenen Einheiten zu koordinieren, und ließ Kanonen gießen.

In seinem unmittelbaren Wirkungskreis Mühlhausen versuchte Müntzer mit Tatkraft, einiges von seinen Vorstellungen umzusetzen: u. a. Beseitigung von Privilegien, Auflösung der Klöster, Einquartierung von Obdachlosen.

Zurück in Thüringen arbeitete er an der Organisierung des verabredeten Aufstands. Da dies nicht in aller Öffentlichkeit vor sich gehen konnte, andererseits die Obrigkeiten nicht über einen ausgebauten geheimdienstlichen Apparat verfügten, wurden die herrschenden Klassen vom Ausbruch der Kampfhandlungen zur Jahreswende 1524/1525 und im folgenden Frühling überrascht, und die Empörer:innen genossen zu Beginn sogar Vorteile.

Doch dies hielt nicht lange an. Wie Karl Kautsky in seinem Werk „Vorläufer des neueren Sozialismus“, Band 2, S. 79, darlegt:

„Zur Zeit der Reformation (…) wurde die Verschwörung noch besonders erleichtert durch das kolossale Misstrauen der Herrschenden untereinander. (…) Die Zerrissenheit Deutschlands erschwerte ein planmäßiges Zusammenwirken der Obrigkeiten verschiedener Lokalitäten. (…) Es mußte ihnen erst das Wasser an die Kehle gehen, ehe sie sich zu einer ‚reaktionären Masse‘ vereinigten.“

Bei der als „Entscheidungsschlacht“ apostrophierten militärischen Konfrontation am 25. Mai 1525 erlitten die Aufständischen gegen die vereinigten Truppen von Landgrafen und Herzögen eine verheerende Niederlage. Ebenso erging es den anderen Aufstandsversuchen. Sie wurden nach dem Verständnis der reaktionären Kräfte „gottgefällig“ hingemetzelt.

Woran ist die Revolution gescheitert?

Nicht zuletzt entschied die Frage des militärischen Kräfteverhältnisses über den Ausgang der Auseinandersetzung. Insgesamt zählten die Aufständischen bei den Zusammenstößen mit den feindlichen Truppen höchstens 30.000 Streitkräfte. Außerdem waren sie ihren Gegnern in der Regel hoffnungslos unterlegen. Die schlecht bewaffnete und militärisch ungeübte Schar der 8.000 von Frankenhausen sah sich wohlgerüsteten und erprobten Kriegern gegenüber, die über zahlreiche Geschütze verfügten. Die schließlich mangelnde Koordination und Strategie bei der Weiterführung der Kämpfe gab der vereinten Reaktion die Gelegenheit, die Revolutionszellen zu isolieren und einzeln zu zermalmen.

Tiefer liegende Ursachen für das Scheitern sind in den sozialen Verhältnissen zu finden.

Im Allgemeinen hatten die Bestrebungen Müntzers, ein Zusammenwirken der revolutionären Bewegungen der verschiedenen Gegenden herbeizuführen, nur geringen Erfolg. Z. B. folgten ganze 300 Leute aus der Stadt Mühlhausen seinem Aufruf, den Bäuer:innen zur Hilfe zu eilen.

Zwar fand er unter den Bergarbeiter:innen v. a. aus den nahen Mansfelder Gruben sicherlich viele Anhänger:innen; in der entscheidenden Stunde waren sie aber nicht auf dem Frankenhausener Schlachtfeld erschienen. Belegt ist ein gemeinsames Vorgehen von bäuerlichen und Bergarbeiterstreitkräften nur im Erzgebirge nach der Katastrophe von Frankenhausen.

Die Bäuer:innen blieben in den Kämpfen zumeist unter sich und konnten nicht auf Bundesgenoss:innen aus anderen Klassen und Schichten zählen. Auch die Bäuerinnenschaft selbst war keine homogene Klasse. Die nicht von Realteilung und deren Folgen betroffenen Teile im Westen, Norden und Osten erhoben sich nicht. Die Wirksamkeit der Propaganda für tätige Veränderung reichte zwar dazu, dass Aufstände ungefähr zeitgleich losbrachen, doch im Fortgang der Ereignisse trat dann wieder bäuerlicher und kleinstädtischer lokaler Partikularismus hervor.

Weder gab es eine einheitliche Zielsetzung – Müntzers Vorstellungen wurden auch von seinen Mitstreiter:innen nicht allenthalben geteilt – noch ließen sich die verschiedenen Konzepte zur Veränderung miteinander vereinen. Das Bürger:innentum wollte ein vereinheitlichteres Wirtschaftsgebiet und mehr Unabhängigkeit von den herrschenden Klassen, war aber bereit, sich mit ihnen zu arrangieren und einen historischen Kompromiss zu schließen, auch auf Kosten der in der Rangordnung noch weiter unten stehenden Bäuer:innenschaft. Die wollte das Joch der Unterdrücker:innen abschütteln und im Bestfall egalitäre gesellschaftliche Teilhabe oder doch wenigstens alte Freiräume für sich wiederhergestellt wissen. Die Revolution blieb also bei einem Versuch.

Folgerungen

Günter Vogler, einer der wichtigsten Historiker zum Bauernkrieg, führte u. a. in seinem Artikel „Das Konzept ,deutsche frühbürgerliche Revolution‘. Genese – Aspekte – kritische Bilanz“ seine Überlegungen zur Charakterisierung und Einordnung der Bauernkriege als „frühbürgerliche Revolution“ aus. Er legt darin dar, dass die beiden Komponenten – Reformation und Bauernkrieg – sich in der Bewertung ergänzen müssten.

Vogler führt an, dass das Städtebürger:innentum an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert keine monolithische Einheit darstellt. Seine Differenziertheit spiegelt sich in dem Weiterbestehen einfacher Warenproduktion, die sich jedoch zunehmend in einen frühkapitalistischen Produktions- und Austauschprozess einbindet, was auch den Anteil der Lohnarbeit erhöhte und das Spektrum der sozialen Schichten im unteren Segment der Gesellschaft erweiterte.

Ein Krisenbewusstsein der sozialen Veränderungen ist zu der Zeit allgemein vorhanden, doch es nimmt verschiedene Erscheinungsformen an und ist geprägt von jeweiligen gesellschaftlichen Interessen.

Die Reformation wird als eine Art Katalysator herausgestellt: Die lutherischen Ideen boten den Bäuer:innen u. a. einen Ansatzpunkt durch die Betonung des Gemeindegedankens und eröffneten auch die Perspektive, die Dorfgemeinde zu stärken. Zur Förderung von Selbstbehauptung gegen obrigkeitliche Übergriffe trugen auch die Berufung auf christliche Freiheit und göttliches Recht bei. Die Reformationsbewegung, die zunächst in Städten und bei einigen Adelshäusern Anklang gefunden hatte, erhielt während der Bauernkriege durch die Aufnahme dieser Grundideen eine gestärkte soziale Basis.

Vogler meint, von beiden Komponenten, Reformation und Bauernkrieg, gingen systemsprengende Impulse aus, und es sei dementsprechend gerechtfertigt, hier den Revolutionsbegriff anzuwenden. Er begründet dies mit dem Verlangen nach „Respektierung der Normen des Evangeliums, Beseitigung des privilegierten Status der Geistlichkeit, Säkularisierung des kirchlichen Besitzes, Verbürgerlichung des Kirchenwesens (gemeint ist wohl Zugang des Bürger:innentums zu Kirchenämtern; d. Verf.), Anhebung der sozialen und politischen Rolle der Gemeinden, (…) Streben der Untertanen nach Landstandschaft (Rechtsschutz) und politischer Mitsprache, Aufhebung der Leibeigenschaft“.

Der gesellschaftliche Prozess mit seinen vielfältigen Konflikten war von der Tendenz geprägt, den Weg zu einer bürgerlichen Gesellschaft zu öffnen. Die städtische Umgebung bot die besten Voraussetzungen, die reformatorischen Ideen praktisch zu wenden. Neugestaltungen – oftmals weitreichender Art –, so argumentiert Vogler, wurden zuerst überwiegend in städtischen Kommunen eingeleitet, die Eigentums-, Rechts- und Statusfragen ansprachen. Spezifische Anliegen der ländlichen Gesellschaft, die das Gleiche behandelten, wären mit bürgerlichen Interessen durchaus kompatibel gewesen.

Er kommt zu dem Schluss, dass die Revolution unter unausgereiften Bedingungen ausgelöst wurde, und damit wurden auch Problemlösungen limitiert. 1525 waren weder der reine Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit noch die historischen Umstände, die sie hervorgebracht haben, die Industrialisierung, denkbar.

Diese Folgerung unterscheidet sich nicht grundlegend von denen eines Friedrich Engels oder Franz Mehring. Gegen Lassalle hält auch dieser fest: „Er wollte eine wirkliche Revolution nur anerkennen, wo ein altes Prinzip durch ein neues ersetzt werde, und indem er den Grundbesitz als das Prinzip des Mittelalters, die Industrie als das Prinzip der neuen Zeit auffaßte, sprach er dem Bauernkrieg mit Unrecht den revolutionären Charakter ab, weil er am Prinzip des Grundeigentums festgehalten und vom Prinzip der Industrie nichts gewußt habe.“ (Mehring, Deutsche Geschichte vom Ausgang des Mittelalters, in Mehring, Gesammelte Schriften, Band 5, S. 38)

Zugleich stellten aber Mehring und Engels eine wichtige Schlussfolgerung heraus, die bei Vogler und seinem Begriff der „Auftaktrevolution“ in der frühbürgerlichen Phase eher unklar bleibt, nämlich die Rolle des Bürger:innentums in der „frühbürgerlichen Revolution“. Im „Deutschen Bauernkrieg“ zieht Engels eine Parallele zwischen der Rolle dieser Klasse in den Bauernkriegen und in der Revolution 1848 – nur eine Minderheit kämpfte, die Mehrheit agierte zögerlich und suchte ihren Frieden mit der Obrigkeit. Dabei wird die geschichtliche Grundlage für die besonders servile, obrigkeitsgläubige Rolle des deutschen Bürger:innentums gelegt, die mit der Niederlage der Bäuer:innen über Jahrhunderte verfestigt wird.

Schon im Bauernkrieg entschieden sich nicht nur die städtischen Patrizier:innen für die Konterrevolution, sondern auch die Masse des noch ständisch geprägten, erst in der Entstehung begriffenen Bürger:innentums. Wenn man den Begriff der „frühbürgerlichen Revolution“ verwenden will, so handelte es sich um eine ohne Bürger:innentum. Es distanzierte sich davon und stellte sich auf die Seite der Schlächter:innen. Besonders etliche unter den heute noch so gefeierten „Humanisten“, wie Melanchthon u. a., verleumdeten und hetzten aufs Übelste gegen die Bäuer:innen. Der „große Reformator“ Martin Luther forderte in seiner Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ ihre brutale Niederschlagung durch die Fürstenhäuser, was diese in ihrem heiligen Eifer auch taten.

Folgen

Für die Bäuer:innenschaft bedeutete die Niederschlagung der Aufstände in Deutschland eine historische Niederlage. Ihr Los als unterdrückteste Klasse blieb über Jahrhunderte unverändert. Auch die offizielle Aufhebung der Leibeigenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts stürzte sie letztlich nur in neue Abhängigkeiten.

Was änderte sich in Deutschland? Das Fürstentum, der Hochadel, siegte und spaltete sich in einen katholischen und einen protestantischen Flügel. Die einfache Bevölkerung hatte gewiss nichts davon, denn der Kompromiss, auf den sich beide Seiten einigten, war eine religiöse Koexistenz, die schon ein Jahrhundert später (Dreißigjähriger Krieg) auch politische Auswirkungen haben sollte. Sie hatten nun die Wahl, sich von protestantischer oder katholischer Seite ausbeuten zu lassen. Dies schwächte darüber hinaus das Kaisertum und die Entstehung einer absoluten Monarchie, verzögerte die nationale Einheit, gestützt auf das Bürger:innentum, zu Lasten v. a. der Landesfürst:innen.

Die Zahl der Verlierer:innen des Krieges erstreckte sich nicht nur auf die Bäuer:innen, sondern auch auf die Geistlichkeit, die ihren Reichtum und ihre Macht, vor allem in den protestantischen Gebieten, eingebüßt hatte. Aus Sicht des Kleinadels kam das Resultat des Krieges ebenfalls einer Niederlage gleich, denn auch er wurde entmachtet. Allerdings nicht durch die Bäuer:innenschaft, sondern durch die Fürstengeschlechter, die sich durchgesetzt hatten. Gerade im Heiligen Römischen Reich zeigte sich, was der Rückfall zur Monopolisierung der Macht in den Händen der Sieger:innen bedeutete, sodass sich frühere Klassen oder Subklassen geschlagen geben mussten. Selbst die städtische Oberschicht hatte nicht gesiegt, noch lange nicht.

Im Gegenteil. Die Bourgeoisie emanzipierte sich in Deutschland selbst wirtschaftlich äußerst schwerfällig. Erst durch die napoleonische Eroberung und die Einführung moderner Produktionsmethoden erhielt sie einen Schub voran. V. a. politisch blieben ihr die Türen verschlossen. Ihr Revolutionsversuch 1848 scheiterte kläglich. Das gewünschte einheitliche Wirtschaftsgebiet wurde nicht aus eigener Machtfülle, sondern durch den monarchisch geführten Obrigkeitsstaat erst 1871 von oben hergestellt. Die deutsche Bourgeoisie spielte in allen Phasen der Entwicklung ihrer Gesellschaft schon eine erbärmliche Rolle. Fortschritt musste ihr – selbst in ihrem eigenen Interesse – von anderen aufgezwungen werden.

Auch wenn die Bauernaufstände und vor allem ihre politisch fortgeschrittensten Führer:innen wie Thomas Müntzer gewissermaßen zu früh kamen, so verdeutlicht ihre Rolle zugleich, dass in allen Wendepunkten der deutschen Geschichte die Kraft der Revolution ausschließlich aus den untersten, ausgebeuteten Klassen kam.

Anhang: Ungelöste Fragen

An Erkenntnisse aus dem Bauernkrieg können wir in Deutschland nicht mehr anknüpfen, da sich Sozialstruktur und Status der restlichen Bäuer:innen im Agrarkapitalismus nicht mehr mit der aus dem 15. und 16. Jahrhundert vergleichen lassen.

Aber nach wie vor ist die Agrarfrage international immer noch nicht gelöst. Hunderte Millionen sind weiterhin in den imperialisierten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in der Landwirtschaft tätig und müssen unter menschenunwürdigsten Ausbeutungsverhältnissen dahinvegetieren. Sie sind auch die erste Adresse als Bundesgenoss:innen für die Arbeiter:innenklasse im weltweiten Kampf zum Sturz des Kapitalismus.

Deshalb gehört ein Agrarprogramm in das unverzichtbare Arsenal einer revolutionären internationalistischen Organisation. Als Schlüsselforderungen gelten:

  • Das Land denen, die es bebauen!
  • Enteignung des Großgrundbesitzes, Landaufteilung an die Kleinbäuer:innen bzw. Verstaatlichung der Großbetriebe und Plantagen mit Landarbeiter:innen unter deren Kontrolle!
  • Anreize zum genossenschaftlichen Zusammenschluss durch gemeinschaftliche Nutzung von Maschinen, Dünge- und Futtermitteln!
  • Freier Zugang zu Ressourcen, insbesondere Wasser und Energievorräten!
  • Schutz vor Umwelt- und Klimaschäden!
  • Schutz vor imperialistischer Ausbeutung und finanzieller Abhängigkeit!
  • Einebnung der Kluft zwischen Stadt und Land!

#Titelbild: Schlacht bei Frankenhausen vom 15. Mai 1525. Quelle: https://www.bauernkrieg2025.de/de/das-bauernkrieg-wiki/bauernkrieg

Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 24. Juli 2025

Tags: , , , , , ,