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Russischer Durchbruch der Front bei Pokrowsk und das Treffen Trump-Putin

Submitted by on 15. August 2025 – 21:00

Florian Rötzer. Nach dem ukrainischen Generalstab, dessen Informationen aber nicht sehr vertrauenswürdig sind, wurden 100.000 russische Truppen in der Umgebung von Pokrowsk zusammengezogen. Dort haben die Russen wegen der Personalknappheit der ukrainischen Streitkräfte und der russischen Anpassung an den „Drohnenwall“ bereits die Verteidigungslinie im Westen von Pokrowsk in Richtung Dobropillya durchbrochen und könnten so die Stadt demnächst einschließen und in einem Gebiet ohne organisierte Verteidigungslinien die zu Festungen ausgebauten Städte Kramatorsk und Slowjansk von der Seite her angreifen und einnehmen. Damit wäre die Region Donezk in der Hand der Russen, Lugansk, wo es weniger befestigte Städte gab, ist bereits praktisch schon eingenommen.

Russland hätte, wenn der weitere Vormarsch gelingt, der schnell in die Besetzung der gesamten Region Donezk münden könnte, bei Verhandlungen einen weiteren Vorteil erzielt. Der offenbar zwischen dem Kreml und der US-Regierung angedachte und für die Ukraine sowieso unvorteilhafte Gebietstausch würde nicht mehr die noch nicht besetzten Gebiete in Donezk und Lugansk, aus denen die ukrainischen Truppen abziehen sollten, gegen die deutlich kleineren Gebiete in Sumy und Charkiw betreffen, sondern womöglich die noch nicht von Russland eingenommenen Gebiete von Cherson und Saporischschja. Der von Selenskij und den Europäern geforderte Waffenstillstand an der Frontlinie würde dann auch schon Donezk und Lugansk zum faktischen russischen Territorium machen. Einen Gebietsaustauch von Donetzk und Lugansk gegen Cherson und Saporischschja hat der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexey Fadeev, verneint: „Die territoriale Struktur der Russischen Föderation ist in der Verfassung unseres Landes verankert.“

Der ukrainische Generalstab spricht allerdings weiter davon, dass die russischen Truppen der „groß angelegten Offensive“ zurückgeschlagen worden seien: „Unsere Soldaten fügen den Besatzungstruppen erhebliche Verluste an Personal und Ausrüstung zu und untergraben aktiv das Angriffspotenzial des Feindes im Rücken.“

Heute ist Selenskij nach Berlin geflogen, um mit Bundeskanzler Merz an einer Videokonferenz mit europäischen Staats- und Regierungschefs der „koalition der Willigen“, dem Nato-Generalsekretär Rutte und US-Präsident Donald Trump teilzunehmen. Es ist wohl unwahrscheinlich, dass sie Trump auf ihre Linie bringen werden.

Inzwischen hat Washington die Erwartungen an das Treffen Trump-Putin gedämpft. Es gehe nicht um Verhandlungen, sondern darum herauszufinden, was möglich sei, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums Tammy Bruce am Dienstag, um das Gemetzel zu beenden. Trumps Sprecherin Leavitt bezeichnete das Treffen für Trup als „eine Übung im Zuhören“. Tatsächlich lässt sich nicht vorhersehen, wie Trump auf Treffen reagieren wird, zumal die russischen Truppen demonstriert haben, weiterhin für Durchbrüche an der Front imstande zu sein. Trump meint sowieso, dass die Ukraine auf die Länge nicht standhalten kann.

Für den auch in der Ukraine wegen der Korruption angeschlagenen Präsidenten Selenskij geht es in den nächsten Tag wohl um das politische Überleben. Er wird sich zwischen Trump und den Europäern entscheiden müssen – und sich nur auf die Europäer finanziell und militärisch zu verlassen, dürfte ein hohes Risiko beinhalten. Noch versuchen Selenskij und die Europäer Trump zu überzeugen, dass ein Friedensschluss ohne Beteiligung von Kiew und Europa nicht möglich sei. Das scheint Trump allerdings bislang nicht beeindruckt zu haben, schließlich trifft er sich alleine mit Putin – und will als Friedenspräsident in die Geschichte eingehen. Das Weiße Haus hat gerade eine Liste von Regierungschefs veröffentlicht, die Trump für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Das Weiße Haus titelte: „President Donald J. Trump is the President of PEACE.”

Selenskij hat am Dienstag zwei überraschende Ankündigungen gemacht, die zeigen, in welchen Nöten er steckt. So will er nun junge Männer bis zum Alter von 22 Jahren ausreisen lassen und die Zulassungsbedingungen für ein Studium erleichtern, was auch bedeutet, nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Selenskijs Vorschlag könnte man so lesen, dass bald das Alter für den Kriegsdienst von jetzt 25 Jahren auf 23 Jahre abgesenkt werden könnte, so dass als Kompensation zur Beruhigung eines Teils der Bevölkerung die Jüngeren verschont bleiben würden.

Selenskij hat sich immer dagegen gesträubt, das wehrpflichtige Alter, wie vor allem vom Westen gefordert, auf 18 Jahre zu senken, um das schwindende und nach langen Kriegsjahren ermüdende Personal zu ersetzen und zu verstärken. Viele der jungen Männer werden von ihren Eltern vor Erreichen des 18. Lebensjahrs ins Ausland geschickt, damit sie nicht in den Krieg ziehen müssen. Vermutet wird auch, dass Selenskij von einem baldigen Ende des Kriegs ausgehen könnte und er sich auf Wahlen vorbereitet. Da er unter den jüngeren Ukrainern populärer ist, könnte dies ein Schachzug sein.

Selenskij hat bereits die irrealen Forderungen nach einem Rückzug der russischen Truppen auf ein Einfrieren des aktuellen Frontverlaufs heruntergeschraubt, berichtete wenigsten der britische Telegraph. Man kann vermuten, dass Russland angesichts des Durchbruchs erst einmal auf Zeit spielen wird oder den Druck auf Abzug der ukrainischen Truppen aus Donezk erhöht. Wenn sich Trump dahinterstellen würde, riskiert Selenskij, wenn er dem nachkäme, Proteste oder auch einen Aufstand vor allem von den nationalistischen Freiwilligenverbänden in der Ukraine, wenn er sich weigern sollte, könnte er die endgültig die Unterstützung von Washington verlieren.

Wie die Stimmung in der Gesellschaft ist, lässt sich schwer beurteilen. Nach Meinungsumfragen ist die Bereitschaft gestiegen, Gebiete gegen Frieden zu tauschen, die Kriegsmüdigkeit ist hoch, die Ablehnung der Rekrutierung unter Zwang groß. Aber Selenskij steht wegen der Korruptionsskandale und den Versuchen, jede Opposition auszuschalten, aber auch wegen der militärischen Führung unter Kritik.

So schreibt beispielsweise Maksym Zhorin von der 3. Angriffsbrigade von Asow über die Situation bei Pokrwosk: „Man kann nicht sagen, dass das eine große Überraschung war. In dieser Gegend gibt es all die alten Probleme, über die schon lange geredet wird: Kommunikation zwischen Einheiten, ineffektiver Truppeneinsatz, Lügen auf allen Ebenen, Mangel an adäquaten Lösungen usw. Jetzt ist es extrem wichtig, den Vormarsch des Feindes zu stoppen. Sie sind keine kompletten Idioten, und wenn sie sehen, dass es Erfolge gibt, werden sie Truppen dorthin verlegen, um diese Erfolge auszubauen. Und die möglichen Folgen sind nicht nur die Schließung von Pokrowsk, sondern auch die Kontrolle über den Rest der Region Donezk. Das ist völliger Mist.“

#Titelbild: Der ukrainische Präsident Selenskij vor schwierigen Entscheidungen. Bild: president.gov.ua

Quelle: overton-magazin.de… vom 15. August 2025

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