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Italien: Arbeiterklasse gegen Krieg und autoritäre Herrschaft

Submitted by on 7. Oktober 2025 – 10:56

Marc Wells & Johannes Stern. Eines der Zentren der weltweiten Proteste gegen Israels Überfall auf die Sumud-Flottille ist Italien. Am Samstag, dem 4. Oktober, fand in Rom eine pro-palästinensische Demonstration mit einer Million Teilnehmern statt – unmittelbar nach dem landesweiten Generalstreik am Freitag, der bereits große Teile des Landes lahmgelegt hatte. Diese aufeinanderfolgenden

Eruptionen markieren die bedeutendste Streik- und Protestwelle in Italien seit Jahrzehnten – ein unübersehbares Signal für den wachsenden Widerstand gegen den imperialistischen Krieg, den Völkermord in Gaza und die faschistischen Maßnahmen der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Der unmittelbare Auslöser der Streikbewegung war die gewaltsame Kaperung der Global Sumud Flotilla durch die israelische Marine – eines Konvois mit humanitärer Hilfe und internationalen Aktivisten, die die Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollten. Unter den Festgenommenen befanden sich vier italienische Oppositionspolitiker – von der Grünen- und Linken-Allianz (AVS) und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) –, deren anhaltende Inhaftierung Empörung im ganzen Land ausgelöst hat. Israels nationaler Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir prahlte, die Mitglieder der Flottille würden „wie Terroristen behandelt“ – eine Aussage, die die Barbarei des Netanjahu-Regimes und seiner imperialistischen Unterstützer auf den Punkt bringt.

Als Reaktion darauf griffen Hafenarbeiter in Genua, Livorno, Ancona und anderen Städten direkt ein und weigerten sich, Schiffe mit Waffenlieferungen für Israel zu be- oder entladen. Ihr mutiges Handeln entfachte eine Welle der Solidarität und zwang die größten Gewerkschaftsverbände Italiens, CGIL und USB, den Generalstreik am 3. Oktober auszurufen – obwohl sie selbst alles daran gesetzt hatten, eine Konfrontation zu vermeiden. Er wurde von unten erzwungen und offenbarte die mächtige antiimperialistische Stimmung in der Arbeiterklasse.

Der Streik am Freitag legte weite Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens lahm. Nach Gewerkschaftsangaben beteiligten sich über zwei Millionen Arbeiter und Jugendliche in mehr als 100 Städten. Der öffentliche Nahverkehr in Mailand, Rom und Neapel kam nahezu vollständig zum Erliegen. Flüge in Bari wurden gestrichen, Schulen und Universitäten blieben im ganzen Land geschlossen, und Krankenhäuser arbeiteten nur mit Notbesetzung.

In Rom marschierten 300.000 Menschen von der Piazza Vittorio bis zur Porta Maggiore, mit Transparenten wie „Freiheit für Gaza“ und „Stoppt Italiens Komplizenschaft am Völkermord“. In Bologna blockierten 100.000 Demonstranten sowohl die Autobahn A14 als auch den Stadtring, bevor die Polizei mit Tränengas angriff und zwei Personen festnahm. In Genua schlossen sich 40.000 an und erinnerten an die kämpferischen Hafenstreiks der 1960er und 1970er Jahre. Turin, Palermo und Städte in Kalabrien sahen Zehntausende weitere Demonstranten.

Selbst die Gefangenen des Dozza-Gefängnisses in Bologna beteiligten sich symbolisch am Streik, indem sie für den Tag auf Lohn und Privilegien verzichteten – ein eindrucksvoller Ausdruck der gesellschaftlichen Breite der Bewegung.

Die gewaltige Demonstration am Samstag in Rom – über eine Million Menschen strömten erneut ins historische Zentrum – bestätigte, dass sich die Bewegung ausweitet und vertieft.

Der Ausbruch sozialer und politischer Opposition hat die Meloni-Regierung erschüttert. Hinter der Fassade der „Stabilität“ und einer Wählerbasis von 30 Prozent verbirgt sich massenhafte Unzufriedenheit. Der Generalstreik und die anhaltenden Demonstrationen haben gezeigt, dass Melonis Herrschaft – wie die Trumps in den USA und anderer imperialistischer Regierungen – äußerst unpopulär ist und auf einer schmalen sozialen Basis ruht.

Verkehrsminister Matteo Salvini reagierte mit Repressionsdrohungen und warnte, „wenn die Gewalt überhandnimmt, wird der Staat reagieren“, und kündigte an, dass die Organisatoren „persönlich zahlen“ würden. Meloni selbst höhnte, der Streik sei „ein langes Wochenende, das sich als Revolution verkleidet“ – was sowohl ihre Verachtung für demokratische Rechte als auch die Nervosität der Regierung angesichts der Massenopposition offenlegt.

Diese Reaktionen verdeutlichen eine tiefe Legitimationskrise. Die herrschende Elite fürchtet, dass sich die Wut über Gaza und steigende Lebenshaltungskosten zu einer umfassenderen Bewegung gegen die kapitalistische Ordnung verbinden könnte. Das Ausmaß der Polizeigewalt – in Bologna, Mailand und Salerno, wo Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt wurden – zeigt, wie bereit der Staat ist, auf Gewalt zurückzugreifen.

Melonis sogenanntes „Gandhi-Gesetz“, das Anfang des Jahres unter dem Vorwand der „Gewaltfreiheit“ verabschiedet wurde, beschneidet das Demonstrationsrecht drastisch, indem es spontane Kundgebungen kriminalisiert und der Polizei weitreichende Befugnisse zur Auflösung von Versammlungen einräumt. Zusammen mit der Kommission für das Streikrecht, die Arbeitskämpfe willkürlich für „unrechtmäßig“ erklärt, haben diese Maßnahmen den Arbeitern grundlegende demokratische Rechte entzogen.

Während der Generalstreik den Kampfgeist der Arbeiter ausdrückte, wurde seine Organisation und Wirkung bewusst von der Gewerkschaftsbürokratie und ihren stalinistischen sowie pseudolinken Unterstützern eingeschränkt. Während die Regierung Kriegsvorbereitungen trifft und Streiks sowie Proteste für illegal erklärt, mobilisieren die Gewerkschaften die Arbeiterklasse nicht, um Meloni zu stürzen, sondern bitten lediglich um das „Recht“ auf symbolischen Protest. CGIL-Chef Maurizio Landini berief sich auf das italienische Gesetz 146 von 1990 und erklärte, die Aktion sei als „außergewöhnliche Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit“ gerechtfertigt gewesen.

Pseudolinke Parteien und Oppositionspolitiker – Elly Schlein von der Demokratischen Partei (PD), Nicola Fratoianni von der Grünen- und Linken-Allianz (AVS) und Giuseppe Conte von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) – versuchten, sich als Verteidiger von Demokratie und Frieden zu präsentieren. Doch gerade diese Kräfte tragen politische Verantwortung für Italiens Teilnahme an NATO-Kriegen sowie für den Abbau sozialer und demokratischer Rechte. Das Arbeitsgesetz (Jobs Act) der PD zerstörte grundlegende Schutzrechte für Beschäftigte, während die M5S in Regierungsverantwortung Anti-Migrationsdekrete und Sparhaushalte unterstützte.

Der italienische Streik ist Teil einer weltweiten Wiederbelebung des Klassenkampfs. In den Tagen nach dem Angriff auf die Flottille kam es zu Protesten in London, Paris, Madrid, Athen, Amsterdam, New York sowie im gesamten Nahen Osten und in Asien. Millionen Menschen weltweit forderten ein Ende der Belagerung Gazas und die Freilassung der festgehaltenen Aktivisten. International verbindet sich der Widerstand gegen Ungleichheit, Militarismus und Völkermord mit der Wut über den sozialen Niedergang und autoritäre Herrschaft.

Die Streiks und Proteste vom 3. und 4. Oktober zeigen, dass die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftliche Kraft gegen Krieg und Reaktion hervortritt. Ungeachtet der Manöver der Gewerkschaften stellt ein Generalstreik von Millionen gegen den Völkermord in Gaza einen historischen Wendepunkt dar. Er bestätigt die Analyse des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), dass der Kampf gegen den imperialistischen Krieg durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms geführt werden muss.

Die zentrale Aufgabe besteht darin, dieser Bewegung ein bewusstes Ziel zu geben. Die italienische und europäische Arbeiterklasse muss die Lehren aus dem Verrat der Gewerkschaften und pseudolinken Parteien ziehen und den Kampf in die eigenen Hände nehmen. Dafür ist der Aufbau von Aktionskomitees an jedem Arbeitsplatz, in jedem Hafen, jeder Schule und jedem Stadtviertel erforderlich – um Aktionen zu koordinieren, international zu vernetzen und eine gemeinsame politische Offensive gegen Krieg, Austerität und Diktatur sowie für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu entwickeln.

Dasselbe kapitalistische System, das Israels Völkermord und die Kriege der NATO finanziert, bringt auch im eigenen Land Armut und Unterdrückung hervor. Um den Krieg zu beenden, muss die Arbeiterklasse die Macht übernehmen, Banken und Konzerne enteignen und die Gesellschaft auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse statt privater Profite neu organisieren.

#Titelbild: Pro-palästinensische Demonstranten versammeln sich am Samstag, dem 4. Oktober 2025, auf der Piazza San Giovanni in Rom am Ende eines Marsches, bei dem ein Ende des Krieges im Gazastreifen gefordert wurde [AP Photo/Alessandra Tarantino]

Quelle: wsws.org… vom 7. Oktober 2025

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