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Frankreich: Soziale Streikformen wie gezielte Stromab- und -umschaltungen

Eingereicht on 8. Februar 2023 – 17:11

Dossier. Französische Gewerkschaft schaltet Strom ab, um Macron in Sachen Renten unter Druck zu setzen: Gezielte Stromabschaltungen bei Politikern und Wohlhabenden ziehen Warnungen vor rechtlichen Sanktionen nach sich. Um die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron zu bekämpfen, verfolgt Frankreichs kämpferischste Gewerkschaft eine radikale Strategie: Sie will seinen politischen Anhängern und den Wohlhabenden den Strom abschneiden, während sie der Allgemeinheit Strom und Gas zu ermäßigten Preisen zur Verfügung stellt…“ so beginnt der engl. Artikel von Matthew Dalton und Noemie Bisserbe am 27.1.2023 im Wall Street Journal – ab da im Abo, aber wir haben weitere Informationen zur Maßnahme der CGT im aktuellen Kampf um die Rente und ihren schon älteren „Verwandten“:

  • „Les Robins de Bois“ der CGT Energie waren auch am 7. Februar aktiv: 4 Gesundheitseinrichtungen in „freier Energie“, 20 Radargeräte abgeschaltet – und kostenloser Mautbetrieb in Lyon

(Fédération Nationale des Mines et de l’Énergie)

  • Streikende Elektriker zogen 10 % des französischen Verbrauchs aus dem Netz (7000 MWh). Eine Aktion ohne Folgen für die Benutzer, aber mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe € für Märkte und Handelsbörsen #greve7fevrier #manif7fevrier #reformedesretraites“ fr. Tweet von Anonyme Citoyen vom 7.2.
  • Kostenloser Mautbetrieb heute Morgen in Lyon zur Unterstützung des Streikenden und für einen verlängerbaren Generalstreik! Allen einen fröhlichen Streik!  #greve7fevrier #MacronDEGAGE #Retraites #CGT“ fr. Tweet von René char vom 7.2. mit Video
  • Rentenreform: vier Gesundheitseinrichtungen in „freier Energie“ in Béarn und Bigorre, behauptet die CGT
    Es wird kostenlose Energie für vier öffentliche Gesundheitseinrichtungen in den Regionen Béarn (64) und Bigorre (65) sein. Die CGT der Elektriker und Gasversorger kündigte am Dienstag, den 7. Februar, an, dass vier Einrichtungen, darunter ein öffentliches Altenheim, auf kostenlose Energie umgestellt werden sollen. Sie befinden sich in den Regionen Béarn und Bigorre. Die Aktion wird von den „Robins des bois de l’énergie“, einem 2004 gegründeten Kollektiv, gefordert. Sie findet im Rahmen der Mobilisierung gegen die Rentenreform statt. Das wurde in der Generalversammlung beschlossen“, erklärt Claude Etchélamendy von der CGT der Elektriker und Gasarbeiter in den Regionen 64 und 65. Wir möchten die Namen der Betriebe nicht genau preisgeben. Sonst wird die Zählung schnell wieder in Gang gesetzt. Wir schätzen, dass es fünf bis sechs Tage dauern kann, bis die Unternehmen, die Energie liefern, den Ort lokalisiert und die Zählung wieder eingeschaltet haben.“ Diese sogenannten „Gratis-Energie“-Aktionen gehören zu der Art von Aktionen, die die Gewerkschaften durchführen. Am 31. Januar hatte die CGT im Rathaus von Pau den Strom abgestellt, um gegen die Rentenreform zu demonstrieren, die vom Bürgermeister François Bayrou unterstützt wird...“ fr. Artikel von Thibault Seurin vom 07.02.2023 in sudouest.fr (maschinenübersetzt)
  • Die CGT Mines-Energie 44 schaltet die Stromversorgung der Radargeräte in Loire-Atlantique ab.
    Die Nationale Föderation der Bergwerke und der Energie (CGT), die sich gegen die Rentenreform stellt, hat rund 20 Radargeräte im Departement auf „Energiesparmodus“ geschaltet, mit anderen Worten: Die Stromversorgung wurde unterbrochen. Die CGT Energie behauptet, der Rückgang der Stromerzeugung, der 10% des Verbrauchs entspricht, „eine Auswirkung von mehreren zehn Millionen Euro“…“ fr. Meldung vom 07.02.2023 in sudouest.fr (maschinenübersetzt)
  • EDF-Mitarbeiter geben Kindertagesstätten kostenlosen Strom
    Video des Beitrags in der Fernsehsendung „C Politics“ vom 5. Februar 2023 bei youtube
  • Auch am 31. Januar verfolgten die „#RobinsDesBois der Energie“ das Projekt „Energie-Diät“ als „Beteiligung an geforderten Anstrengungen zur Energieeinsparung“
    • Die #RobinsDesBois der Energie in Lot-et-Garonne Betrieb ENERGIE Diät: 4 Radarfallen ausgeschaltet, 170 Hubs, also mehrere tausend Meter #Linky [online-Stromzähler], ohne Kommunikation. Im Streik und auf der Straße für #retrait Borne-Macron-Reform..“ fr. Tweet von @FNMECGT vom 31.1.23 – siehe dazu:
    • Rentenreform: CGT zieht Radarfallen und Linky-Zähler in Lot-et-Garonne ab
      Die CGT énergies 47 lehnt die von der Regierung vorgeschlagene Rentenreform vehement ab. Aus Protest schalteten sie in Lot-et-Garonne den Strom für mehrere Radarfallen ab und hinderten die Linky-Zähler an der Kommunikation. Ihre Aktion fand in der Nacht von Montag, dem 30. Januar, auf Dienstag, den 31. Januar 2023, statt, kurz vor der großen Demonstration. Mit einer Prise Humor erklärte die Gewerkschaft, dass sie sich an den geforderten Anstrengungen zur Energieeinsparung beteilige…“
      fr. Artikel von Lucie Vigué vom 1.2.23 in Le Républicain (maschinenübersetzt)
    • Rentenreform: „Robin Hood“-Aktionen in mehreren Departements durchgeführt. Radarfallen und Linky-Zähler ins Visier genommen.
      Am Dienstag, den 31. Januar 2023, forderten Gewerkschaften verschiedene „Robin-Hood“-Aktionen im Zusammenhang mit der Mobilisierung gegen die Rentenreform. Im Departement Lot-et-Garonne gab die CGT bekannt, dass sie in der Nacht von Montag auf Dienstag vier Radargeräte „ausgeschaltet“ und „die SIM-Karten von 170 Konzentratoren“ ersetzt habe, wodurch „mehrere Tausend Linky-Zähler“ nicht mehr kommunizieren konnten. Die SIM-Karten seien „per Post“ an Premierministerin Elisabeth Borne geschickt worden, so die Gewerkschaft. Im Departement Vienne forderten mehrere Energiegewerkschaften, die sich unter dem Namen „Robins des bois de l’énergie de la Vienne“ zusammengeschlossen hatten, am Montag die „Wiederherstellung der Versorgung zahlreicher Haushalte, die aufgrund unbezahlter Rechnungen oder von skrupellosen Energieversorgern gekündigter Verträge ohne Strom oder Gas waren“, wie La Nouvelle République berichtete. Mehr als fünfzig Haushalte sollen betroffen sein.
      Die Gruppe plante ab Dienstag weitere Aktionen wie gezielte Stromabschaltungen.
      Aktionen seit mehreren Tagen und überall in Frankreich
      Bereits am 19. Januar war es in Massy (Essonne) und Chaumont (Haute-Marne) zu mindestens zwei absichtlichen Stromausfällen gekommen. Die CGT hatte vor gezielten Stromausfällen in Gemeinden von Abgeordneten, die die Reform befürworten, gewarnt. Die Renaissance-Abgeordnete Huguette Tiegna aus Lot hatte ebenfalls einen mehrstündigen Stromausfall in ihrer Parteizentrale gemeldet.
      Am 26. Januar hatte die CGT Aktionen im Großraum Paris, „in Lille, Nantes, Lyon, Nizza, Marseille, Saint-Nazaire“ und anderswo gefordert. Krankenhäuser, Schulen und Sozialwohnungen seien „mit kostenlosem Strom oder Gas versorgt“ worden. Fabrice Coudour, Bundessekretär der CGT-Föderation für Bergbau und Energie, rief zu einer stärkeren Mobilisierung auf, um „einen großen 31. Januar aufzubauen
      „.“ franz. Artikel vom 31.01.2023 in Ouest-France (maschinenübersetzt)
    • Renten: Im Energiesektor will die CGT die Wirtschaft blockieren, die nächste Woche wird „entscheidend“ sein
      Im Energiesektor bereitet die CGT bereits den nächsten Schlag vor und ruft für den 6., 7. und 8. Februar zum Streik auf, um die Regierung bei der Rentenreform zum Einlenken zu bewegen. Neben Produktionsdrosselungen, gezielten Stromabschaltungen und „Robin Hood“-Aktionen am Dienstag warnen die Gewerkschaften vor den Spätfolgen, die diese Mobilisierung für das Stromnetz haben wird. Während Hunderttausende Menschen am Dienstag, den 31. Januar, auf die Straße gingen, um gegen die geplante Rentenreform zu demonstrieren, hatten die Energiegewerkschaften bereits vor Beginn der Demonstration „die nächsten Schritte festgelegt“, erklärte Fabrice Coudour, Bundessekretär der Fédération nationale des mines et de l’énergie-CGT (FNME-CGT), am Dienstagmorgen.  Der Verband ruft damit zum Streik am 6., 7. und 8. Februar auf, „um mit den Verbänden der Häfen und Docks, der Chemie- und Erdölindustrie und der Eisenbahner in einem Atemzug zu nennen“, erklärte der Gewerkschafter…“ fr. Artikel von Juliette Raynal vom 31 Jan 2023 in La Tribune (maschinenübersetzt)
    • Am Streiktag kein Strom für Millionäre
      Druck gegen die Rentenreform: Frankreichs Energiegewerkschaft will Armen Strom zuteilen und ihn Reichen abstellen. Arbeitervertreter warnen bereits vor Radikalisierungen.
      Zu normalen Zeiten patrouillieren auf der Halbinsel von Antibes Polizisten, um die teuersten Villen Frankreichs vor Einbrechern zu schützen. Heute aber, an diesem zweiten Aktionstag gegen die Rentenreform, observieren die Gendarmen schon frühmorgens elektrische Verteiler am Straßenrand: Die beigefarbenen Kästen sind zum Symbol für diesen Arbeitskampf geworden, ein Machtmittel der französischen Gewerkschaft der Energie CGT des mines et de l’énergie. Sie hatte schon vor Tagen angekündigt, Milliardären und Millionären den Strom abstellen zu wollen.  (…) Die CGT beschränkt ihre „Robin-Hood-Aktionen“ gegen eine spätere Rente mit 64 Jahren allerdings nicht nur auf Wohlhabende: Menschen, denen aufgrund säumiger Rechnungen kein Strom mehr zugestellt wird, wolle sie den Strom wieder anstellen. Für Familien in Sozialwohnungen, Schulen, Sporthallen und Krankenhäuser wollen die streikenden Elektriker hingegen wieder günstigere Tarife herstellen. Wo genau und in welchem Umfang hält die Gewerkschaft geheim – schließlich ist die Manipulation des Stromnetzes „illegal, aber moralisch richtig“, so sagt sie. (…) Patrick Santo ist ihr Generalsekretär in Südfrankreich, in seinem Büro im Zentrum von Nizza wird besprochen, welche Aktionen zu gefährlich sein, welche klappen könnten. Schon Anfang der Zweitausender, vor der Liberalisierung des Strommarktes, hätten sie an Stromkästen „gespielt“, erzählt er, 2020 aus Protest gegen die frühere Rentenreform den Strom von Banken abgestellt und arme Haushalte wieder ans Netz angeschlossen. „Wir nutzen unser Arbeitswerkzeug für unseren Arbeitskampf“, sagt er. Natürlich sei dies illegal, einige seiner „Kumpel“ seien vor wenigen Jahren aufgeflogen und hätten nach ihren Aktionen ihren Job verloren. „Aber moralisch ist es richtig. Wir sind dafür da, allen Menschen Strom zu liefern.“ Seit Kurzem wird sein Telefon überwacht, ist der gelernte Elektriker überzeugt
      …“ Aus dem umfangreichen Artikel von Annika Joeres, Antibes/Nizza, vom 31. Januar 2023 in der Zeit online auch zum Streik gegen die Rentenreform allgemein
    • Frankreich: Massenproteste gegen höheres Pensionsalter
      Der französische Präsident Emmanuel Macron will das Pensionsalter um zwei Jahre erhöhen. Doch 72 Prozent der Französ:innen sind gegen die Rentenreform – Tendenz steigend. Seit Mitte Jänner gehen deshalb hunderttausende Menschen auf die Straße und Arbeitnehmer:innen streiken im ganzen Land. Hinzu kommt eine neue Form des Protests: Die Gewerkschaft aus dem Energiesektor versorgte einen Tag lang Schulen, Krankenhäuser und arme Familien mit kostenlosem Strom. Damit wollen die streikenden Arbeitnehmer ihre Macht demonstrieren und die Anhebung des Rentenalters verhindern. Sie nennen es „Robin Hood Aktion“: Am 26. Januar 2023 verkündet Gewerkschafter Sébastien Menesplier, dass an diesem Tag gratis Strom und Gas für Schulen, Krankenhäuser, Sozialbauten und arme Familien fließe. Bei den Massenstreiks in Frankreich haben etliche Angestellte aus dem Energiesektor demnach nicht nur die Arbeit niedergelegt – sondern die Hebel, an denen sie sitzen, genutzt, um ein Stück soziale Gerechtigkeit zu schaffen. „Wir haben das in einer Generalversammlung kollektiv entschieden“, so Sébastien Menesplier im Fernsehkanal BFMTV. Er ist Vorsitzender der Nationalen Föderation Minen und Energie (FNME) der Gewerkschaft CGT. „Kleinen Händlern wie Bäckern oder Handwerkern haben wir einen günstigen Tarif gegeben“, verkündete er. Menschen, denen wegen unbezahlter Rechnungen der Strom oder das Gas abgestellt worden ist – „von skrupellosen Anbietern und trotz der Winterzeit“, so Menesplier – erhielten nun wieder Gas und Strom.
      „Das ist nur der Anfang“, sagte seinerseits Fabrice Coudour, Generalsekretär der Gewerkschaft CGT-Energie. „Wir können Robin Hood Aktionen zu jedem Moment durchführen.“ Das französische Energieunternehmen EDF ließ eine Presseanfrage von Kontrast unbeantwortet – hat die Schilderungen also weder bestätigt noch verneint
      …“ Artikel von Lea Fauth vom 31. Januar 2023 in kontrast.at
  • „Robin Hood“-Streiks in Frankreich: Kostenlose Energie für Krankenhäuser, Schulen und Bibliotheken
    Die Gewerkschaft CGT im Energiesektor kündigte inmitten eines Streiktages an, dass sie kostenlosen Strom und Gas für Krankenhäuser und Schulen sowie reduzierte Tarife für kleine Geschäfte wie Bäckereien bereitstellen wird. Die Streikversammlungen der in der Gewerkschaft CGT organisierten Arbeiter:innen im Energiesektor in Lille, Paris, Marseille und anderen französischen Städten haben einstimmig beschlossen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Dienste während der Streiktage kostenlos mit Energie zu versorgen. Dies wurde am Donnerstag, den 26. Januar, von einem Gewerkschaftsführer im Fernsehen bekannt gegeben. Für kleine Unternehmen, die ebenfalls unter den Strompreiserhöhungen leiden, wird es einen ermäßigten Tarif geben. Wie machen sie das? Ganz einfach: Die Arbeiter:innen selbst können die Strom- und Gaszähler kontrollieren und verändern. Während der Streiks führen sie diese „Robin Hood“-Maßnahmen durch, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für ihre Kämpfe zu gewinnen. In den sozialen Medien hat diese Maßnahme enorme Unterstützung erfahren. Ein Fernbusfahrer antwortete: „Wir sollten das Gleiche in unseren Bussen machen, kostenlos für alle. In Anbetracht des katastrophalen Zustands des Netzes wäre das eine angemessene Gegenleistung.” Mit dieser Art von Aktionen werben die Arbeiter:innen in strategischen Sektoren wie Energie oder Verkehr um die breitestmögliche Unterstützung der Arbeiter:innen und der Bevölkerung für ihre Kämpfe. Gleichzeitig zeigen sie, wer an den Hebeln der wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen sitzt und wer die Möglichkeit hat, sie in den Dienst der großen Mehrheit zu stellen: die Arbeiter:innenklasse. In einer Zeit, in der die Strom- und Gaspreise infolge der Energiekrise und der Spekulationen der großen Energiekonzerne ins Unermessliche steigen, stößt diese Aktion der Arbeiter:innen auf große Sympathie bei der Bevölkerung in den Arbeiter:innennvierteln…“ Artikel  aus IzquierdaDiario.es. in der Übersetzung durch Stefan Schneider am 27. Jan 2023 bei Klasse gegen Klasse , siehe dazu auch:

    • „… Die Energieproduktion in Frankreich sank an dem Tag laut Angaben des Stromunternehmens EDF und Regierungszahlen um 5.000 Megawatt, laut Zahlen der (zur zeitweiligen Senkung der Energieproduktion im Zusammenhang mit dem Streik aufrufenden) CGT um 7.000 Megawett. Im Vorfeld hatte es Diskussionen darüber gegeben, dass die CGT auch androhte, etwa Wahlkreisbüros von Macron und die „Reform“ unterstützenden Abgeordneten gezielt den Strom abzudrehen – was in den Medien zu Polemiken führte und dort zum Teil als angebliches Faustrecht und „Druck auf frei gewählte Abgeordnete“ dargestellt wurde. Der Linksparlamentarier François Ruffin (u.a. Mitbegründer der Platzbesetzerbewegung Nuit debout im Frühjahr 2016) hatte versucht, dem Druck zu entgehen, indem er in einem TV-Interview zu erkennen gab, es sei vielleicht besser, „positive“ Maßnahmen – etwa das Umstellen von Haushalten auf den günstigeren Nachtarif – durchzuführen, ohne sich jedoch ausdrücklich zu distanzieren. Das Energieunternehmen Enedis hatte seinerseits mit Strafanzeigen im Falle von Abschaltungen gedroht. Letztendlich kam es jedoch kaum zu gezielten Abstellungen des Stroms, allem Anschein nach nur in zwei Fällen, in einem Industriegebiet in Massy südlich von Paris (von 06.30 Uhr bis 08 Uhr früh, also eher als symbolischer Nadelstich) sowie im ostfranzösischen Chaumont, wo Behörden wie der Präfektur, d.h. der juristischen Vertretung des Zentralstaats, und dem Rathaus bis elf Uhr am Vormittag der Strom abgestellt blieb. Ansonsten handelte es sich durchweg um eine allgemeine Absenkung der Energieproduktion etwa durch Verringerung des Wasserdurchsatzes an Stauseen…“ aus dem Artikel von Bernard Schmid vom 20.1.2023 „Frankreich: Die Mobilisierung zum Sozialprotest übertraf die Erwartungen – weitere Aktionen und Streiks über den 23.1. bis zum nächsten Aktionstag am 31.1.“ mit einigen Links zum Thema aus der französischen Presse
  • Die Straßenbeleuchtung einer ganzen Stadt wird kostenlos: Wir waren bei einer Aktion von Enedis-Mitarbeitern in der Nähe von Paris dabei.
    Aus Protest gegen die Rentenreform und während in ganz Frankreich am Donnerstag Aktionen von Elektrikern und Gasarbeitern stattfinden, zu denen die Gewerkschaft CGT aufgerufen hat, konnte „Libération“ einer dieser Aktionen in einem Pariser Vorort beiwohnen. Die Regierung geißelt die „illegalen“ Handlungen.
    Der blaue Lastwagen von Enedis parkt in einer Wohnstraße in einem Pariser Vorort. Drei Beamte nehmen einige Werkzeuge und einen Helm mit. Wir werden aufgefordert, unseren eigenen aufzusetzen, inklusive Visier. „Das ist auch für dich die Regel“, lacht Julien (1), der einen dunkelblauen Mantel trägt. Ein Gitter muss geöffnet werden, dann eine Tür, an der ein Schild mit der Aufschrift „ACHTUNG GEFAHR“ (in Großbuchstaben) droht. Zwei entspannte Beamte schrauben eine beigefarbene Platte ab, schauen sich das Innere an, das sie auswendig kennen, und „überbrücken“ einen der Stromkreise. Ein letzter Blick: Der Zähler zählt nichts mehr. Innerhalb von zwei Minuten nach dem Aussteigen aus dem Lastwagen haben die drei Beamten es geschafft: Die Straßenbeleuchtung in dieser Stadt mit mehreren zehntausend Einwohnern wurde auf unbestimmte Zeit auf kostenlos umgestellt.
    Wir verbrachten den Vormittag mit einem Dutzend Beschäftigten des Stromversorgers, die gegen die Rentenreform kämpften. Keine Namen, keine Vornamen, kein Ort. Sie wissen, dass sie sich in der Illegalität befinden. „Einer der Jungs hat eine Aktion an einem der geplanten Orte abgesagt, weil er eine Kamera am Eingang des Transformators entdeckt hat“, erklärt Julien. Die 20 bis 25 Aktionen, die seit Mittwochabend in einem Dutzend Gemeinden ihres Sektors durchgeführt wurden, gehören zu den Aktionen, die sie als „positiv“ bezeichnen, weil die mobilisierten Beamten öffentliche oder soziale Dienste kostenlos zur Verfügung stellen: Krankenhäuser, Wohltätigkeitsorganisationen, weiterführende Schulen, Eislaufbahnen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Kulturzentren usw. Und am Donnerstagmorgen kamen die Beamten einzeln, um die Adressen dieser großen Strukturen mit hohem Stromverbrauch, die nicht vom regulierten Tarif profitieren können, abzuholen, die ein CGT-Abgeordneter ausfindig gemacht hatte. „Wir führen diese Aktionen an diesem Donnerstag gegen die Rentenreform der Regierung durch, aber wir verteidigen auch einen öffentlichen Energiedienst, der die Preise hätte halten können“, präzisiert Julien.
    „Wir sagen es seit Beginn der Mobilisierung: Die Energie wird ein Werkzeug im Kampf gegen die Rentenreform sein“, erinnert Fabrice Coudour, Bundessekretär der Fédération nationale des mines et de l’énergie CGT (FNME-CGT). Wir wollen zeigen, dass die Elektriker und Gasarbeiter ihr Arbeitswerkzeug von Anfang bis Ende beherrschen, von gezielten Abschaltungen bis zur Wiederherstellung der Energieversorgung für die Prekärsten.“ Diese Handlungen werden vor allem die Stromversorger kosten, die seit der Explosion der Energiepreise mit dem Finger gezeigt werden. Die Beamten versichern, dass es zunächst schwierig sein wird, einen bestimmten Ort ausfindig zu machen, an dem der Strom kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Wenn dies der Fall ist, kann nur eine Schätzung des Stromverbrauchs erstellt werden. Diese wird von einem Beamten durchgeführt, der nicht unbedingt eine ruhige Hand hat. Um es noch deutlicher zu sagen: Die Orte, die kostenlos sind, werden auf jeden Fall profitieren
    …“ franz. Reportage von Damien Dole vom 26.1.2023 in Libération (maschinenübersetzt)
  • DIE ROBIN HOODS DER ENERGIEWIRTSCHAFT IM DIENSTE DES GEMEINWOHLS. POSITIVE ERGEBNISSE IM GANZEN LAND, UM UNS ZUM SIEG ZU FÜHREN.
    In Fortsetzung ihres Schlachtplans haben die FNME-CGT und ihre Gewerkschaften beschlossen, zu demonstrieren, dass die Arbeitnehmer ihr Arbeitswerkzeug voll und ganz beherrschen. Nach kollektiven Entscheidungen in den örtlichen Generalversammlungen und um die Kräfte zu verstärken in diesem Kampf für die Rücknahme der Macron/Borne-Reform, haben die Streikenden verschiedene Formen positiver Aktionen in der Pariser Region, in Lille, Nantes, Lyon, Nizza, Marseille, Saint-Nazaire und im ganzen Land. Die Bilanz am 26. Februar lautet zum Beispiel:

    • Mehrere Krankenhäuser oder Kliniken, städtische Eislaufbahnen und Schwimmbäder, öffentliche Sportzentren, gemeinnützige Vereine, Bibliotheken, Sekundarschulen, Gymnasien, Kindertagesstätten, Sammelheizungen von Universitäten oder Sozialwohnungen, öffentliche Beleuchtungen von kleinen und mittleren Gemeinden, Sozialwohnungen, die mit kostenlosem Strom oder Gas versorgt werden.
    • Kleine Geschäfte und Handwerker (Bäcker oder andere) oder kleine Unternehmen, die auf reduzierte Tarife gesetzt wurden.
    • Die Wiederherstellung der Strom- oder Gasversorgung von Nutzern, denen trotz der Waffenruhe der Strom oder das Gas abgestellt wurde von skrupellosen Anbietern, die die Abschaltungen mit gefälschten Rechnungen verschleiern betrügerische Vertragskündigungen.
      Diese zahlreichen Aktionen der “ RobinsDesBois de l’Énergie“ haben gerade erst begonnen. Sie werden in den nächsten Tagen fortgesetzt. Mit diesen Initiativen demonstrieren die FNME-CGT und ihre Gewerkschaften zwei Dinge:
    • Von gezielten Abschaltungen und Produktionsdrosselungen über die Wiederherstellung bis hin zu der kostenlosen Nutzung – die Streikenden beherrschen ihr gesamtes Arbeitsinstrument. Sie werden alles wissen, alles in Bewegung setzen, um sich der Rentenreform und den zwei Jahren für alle zu widersetzen.
    • Durch populäre und positive Aktionen ist es das allgemeine Interesse, das wir verteidigen und unser Ziel ist es auch zu zeigen, dass wir uns zusammenschließen müssen, um die Kräfteverhältnis zu stärken. Mit Streiks in unseren Betrieben, mit Aktionen an unseren Arbeitsmitteln ab morgen UND auf der Straße am 31. Januar, lassen Sie uns offensiv sein und zeigen, dass wir den sozialen Rückschritt nicht zulassen. Zu den besten und härtesten Taten fähig, wird die Energie eines der Werkzeuge des Kampfes sein! Handeln wir alle gemeinsam und gewinnen wir die Rücknahme der Macron/Borne-Reform!“ franz. Pressemitteilung der CGT des Mines et de I’Énergie vom 26.1.2023

(maschinenübersetzt)

Siehe frühere Beispiele:

  • Die Robin Hoods der Energie
    Kurze Dokumentation über französische Beamte, die Leuten, die ihre Elektrizitätsrechnung nicht bezahlen können, den Strom wieder anstellen. „Den Strom wieder anzustellen ist für uns total konsistent mit dem Prinzip des Öffentlichen Dienstes (…) Leuten den Strom abzustellen, weil sie nicht bezahlen können, ist für uns im 21. Jahrhundert ganz inakzeptabel. Die letzte Disziplinarkommission hat von 9h bis 19h30 gedauert, und es scheint, dass diese Robin Hood Aktion das Thema ist, das für sie am problematischstem ist, weil sie wissen, dass das, was sie gemacht haben in der Öffentlichkeit nicht so schön aussieht. Dafür haben sie uns bestraft.“ (aus dem Film) Das Video bei labournet.tv (Französisch | 9:30 min | 2010 | untertitel: dt)
  • Streiken, aber richtig. Die Gewerkschaften müssen ihre Kämpfe zu gesellschaftlichen machen
    Wer die Gewerkschaftsbewegung bereits tot glaubte, wird momentan eines Besseren belehrt – flächendeckend wird gestreikt und protestiert! Bei aller Freude an selbst geringsten Regungen von Widerstand ist es dennoch notwendig, über Streik- und Kampfformen nachzudenken. Die aktuell größte Streikbewegung organisiert ver.di im Rahmen der Tarifverhandlungen für die rund 160 000 Beschäftigten bei der Deutschen Post AG. Dem Aufruf zu zeitlich befristeten Arbeitsniederlegungen sind seit vergangenem Samstag über 1 500 Kolleginnen und Kollegen gefolgt, und ver.di ist stolz darauf, daß rund fünf Millionen Sendungen liegenblieben. Das ist schon beeindruckend, sind doch Postangestellte nicht gerade für ihre Streikbereitschaft berühmt. Auch »fünf Millionen Sendungen« klingt gewaltig, solange Liebesbriefe und Rechnungen gleichgestellt werden. Insbesondere in Kenntnis französischer Kampfmaßnahmen, bei denen Geschäftspost liegenblieb, während Erwerbslosenschecks ausgetragen wurden, stellt sich jedoch die Frage, ob andere Streikformen nicht eher geeignet gewesen wären, bei dem allen, die unter dem ausgedünnten Postfilialnetz leiden, Verständnis für die gebeutelten Angestellten zu erzeugen.
    Die Frage, »wem will ich mit den Streikmaßnahmen schaden und wem nicht«, stellt sich auch bei den Herweg Bus Betrieben (HBB) in Leverkusen. Die dortigen Beschäftigten befinden sich seit Wochen im Streik gegen Niedriglöhne, denn neue Fahrer werden nur noch bei der Tochtergesellschaft Wupper-Sieg AG zu deutlich niedrigeren Löhnen eingestellt. Es ist zu vermuten, daß dieser berechtigte Streik mehr Unterstützung erfahren würde, wenn die Kampfmaßnahme nicht in der Verweigerung der Beförderung, sondern in der Verweigerung des Kassierens der Beförderungskosten bestünde. Allein die Androhung einer solchen Maßnahme des Nulltarifs hat im vorletzten Jahr den niederländischen Bahnschaffnern zu einer sechsprozentigen Lohnerhöhung verholfen.
    Es gibt zahlreiche internationale Beispiele für Kampfformen, die die Bevölkerung einbeziehen, anstatt sie zu behindern. Das aktuellste kommt einmal mehr aus Frankreich, wo der Streik im Energiesektor gegen Privatisierung für die bedürftigen Kunden zu verbilligten Stromrechnungen führt. Solche Kampfformen setzten aber voraus, daß sich die Gewerkschaften und ihre Mitglieder auch um die gesellschaftlichen Folgen der Arbeit kümmern und so ihre Kämpfe zu gesellschaftlichen Kämpfen machen
    …“ Artikel von Mag Wompel in der jungen Welt vom 29.05.2004 (im Abo)

Siehe zum Thema auch im LabourNet Germany:  

(2,7 MB). Herausgeber dieser Broschüre war eine Gruppe aus Hamburg, die sich Plenum Thadenstr. nannte  – das Deckblatt ziert unseren Beitrag

Quelle: labournet.de… vom 8. Februar 2023

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