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Die Fallstricke des Anti-Trumpismus (und des Anti-Berlusconismus)

Eingereicht on 3. Februar 2017 – 15:26

Cinzia Arruzza*. Während der US-Präsidentschaftswahlkampagne wimmelte es von Vergleichen zwischen Donald Trump und dem früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Sie sind in der Tat nicht unbegründet.

Trump und Berlusconi stammen eher aus der Geschäftswelt als aus der Politik und beide haben ihre mangelnde Erfahrung im politischen Establishment als Zeichen ihrer Reinheit verkauft. Beiden gilt ihr Geschäftserfolg als bester Beweis für ihre Eignung, das Land zu regieren. Wie Platons Tyrann stellen sie beide ein Ethos zur Schau, das sich auf den Traum des ununterbrochenen und grenzenlosen Genusses sowie auf einen aggressiven und selbstverliebten Eros gründet – obwohl Berlusconi sich lieber als unwiderstehlicher Verführer denn als Vergewaltiger sieht. Beide suhlen sich in vulgären, frauenfeindlichen und rassistischen Witzen und haben Beleidigungen und politische Inkorrektheit zu akzeptablen Formen der politischen Kommunikation erhoben. Beide schwelgen in kitschiger Ästhetik und in künstlicher orangefarbener Bräune. Und beide haben sich mit der extremen Rechten verbündet, um eine politische Variante des autoritären Neoliberalismus und des zügellosen Kapitalismus voranzutreiben.

Aber hier enden die Gemeinsamkeiten. Während Trump die Republikanische Partei kidnappte und sich gegen den Widerstand eines großen Teils des republikanischen Establishments und der Medien durchsetzen musste, setzte Berlusconi sein Medienimperium ein, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und eine neue politische Partei zu schaffen, die das politische Spektrum verändern sollte. Er war gezwungen, sich mit anderen rechten Parteien zu verbünden, die untereinander im Streit lagen, nämlich der Alleanza Nazionale und der Lega Nord – erstere eine Weiterentwicklung der neofaschistischen MSI, letztere eine regionale, fremdenfeindliche Rechtspartei. Berlusconi trat auch nicht für Isolationismus und Protektionismus ein, griff die internationalen Wirtschaftsabkommen nicht an und stellte Italiens Mitgliedschaft in der EU und in der Eurozone nicht in Frage – zumindest nicht bis 2011.

Diese Unterschiede sind so bedeutend, dass man sich davor hüten sollte, aus den italienischen Wechselfällen leichtfertig Vorhersagen über den Kurs von Trumps Präsidentschaft abzuleiten. Das soll allerdings nicht heißen, dass aus der italienischen Erfahrung nichts zu lernen wäre. Im Gegenteil, wir können daraus wichtige Lehren ziehen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf die Ähnlichkeiten zwischen Berlusconi und Trump richten, sondern auf die Gemeinsamkeiten zwischen dem Anti-Berlusconismus und der Form, die der Anti-Trumpismus anzunehmen droht.

Rezept für ein Desaster

In einem Kommentar der New York ­Times wurde unlängst behauptet, der Widerstand gegen die Maßnahmen Berlusconis und seiner Regierung, die Massenmobilisierungen und die weitgehende Konzentration auf seinen Charakter hätten der Opposition geschadet und im Ergebnis Berlusconis Macht nur gestärkt. Demnach wären die einzigen echten Niederlagen, die Berlusconi beigebracht wurden, die Wahlkampagnen von Romano Prodi und Matteo Renzi gewesen, die sich auf positive Vorschläge konzentrierten, anstatt auf seinen Charakter einzuschlagen. Davon ausgehend wurde in demselben Beitrag vorgeschlagen, Trumps Gegner sollten die derzeitigen Straßendemonstrationen beenden und bei all den Themen Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen, in denen es zwischen dem Präsidenten und den Demokraten im Kongress Übereinstimmung gibt – wie z.B. bei den Infrastrukturinvestitionen.

Das ist das Rezept für ein Desaster. Zunächst einmal seien die historischen Abläufe zurechtgerückt. Berlusconis erste Regierung von 1994 dauerte ganze sieben unrühmliche Monate. Sie wurde durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren beendet, vorrangig durch zwei davon: Das war zum einen die Unzuverlässigkeit der Lega Nord, auf deren Stimmen Berlusconi angewiesen war, um in Norditalien zu gewinnen, der er dafür aber nichts bieten konnte. Berlusconis Versuch einer Rentenreform und seine Unfähigkeit, eine föderalistische Verfassungsänderung durchzusetzen, stand den Wahlinteressen der Lega Nord entgegen, die befürchten musste, einen großen Teil ihrer Unterstützung aus der Arbeiterschaft einzubüßen. Als die Lega Nord beschloss, die Regierung nicht länger mitzutragen, war Berlusconi zum Rücktritt gezwungen.

Der zweite ausschlaggebende Faktor war die Massenmobilisierung, insbesondere der Generalstreik, den die drei größten Gewerkschaften im Oktober 1994 gegen die Rentenreform ausriefen und der laut Gewerkschaftsangaben 3 Millionen Menschen in 90 Städten auf die Straße brachte, sowie ein zweiter im November mit einer Million Menschen in Rom – eine der bislang größten Gewerkschaftsdemonstrationen überhaupt.

Was jedoch nach dem Sturz der ersten Regierung Berlusconi geschah, hält überaus wichtige Lehren für die Anti-Trump-Opposition bereit, denn die neoliberale Kürzungspolitik der Mitte-Links-Regierungen in den folgenden sechs Jahren bereiteten Berlusconis Wiederaufstieg den Boden.

Da war zunächst die Technokratenregierung unter Lamberto Dini, die 1995 und 1996 die bis dato verheerendste Rentenreform durchsetzte, indem sie zum ersten Mal im Beitragswesen eine Kapitalfinanzierung einführte, die schrittweise die Umlagefinanzierung ersetzen sollte. Die Reform ging mit den Stimmen der Mitte-Links-Parteien und der Unterstützung der Gewerkschaften durch – um eine Rückkehr Berlusconis an die Regierung um jeden Preis zu verhindern. Bei den Wahlen von 1996 konnte die Mitte-Links-Koalition ihre parlamentarische Mehrheit nur halten, weil sie von der Partei Rifondazione Comunista toleriert wurde und weil die Lega Nord sich weigerte, mit Berlusconi erneut eine Regierung zu bilden.

In den folgenden fünf Jahren verabschiedeten Mitte-Links-Regierungen erste Verschlechterungen im Arbeitsrecht, inbesondere eine massive Prekarisierung und weitere bedeutende Erosionen von Arbeiterrechten. Sie versuchten, erhebliche Verschlechterungen im Bereich der öffentlichen Bildung durchzusetzen, und schafften es, den Schulen eine Autonomie zu geben, die den Weg öffnete zu einer betriebswirtschaftlichen Verwaltung der öffentlichen Schulen; zudem führten sie neoliberale Reformen im Bereich der Hochschulbildung ein. Sie setzten die umfangreichste Privatisierung der öffentlichen Unternehmen und Vermögen durch, die es bisher in Europa gegeben hatte, beteiligten sich an der Bombardierung Serbiens und verabschiedeten ein Einwanderungsgesetz, das die ersten Sammellager für Migranten ohne Papiere vorsah.

Schließlich gründete Ministerpräsident D’Alema die berüchtigte «Bicamerale», einen Zweiparteienausschuss, der zu einem Einvernehmen mit Berlusconi über eine halbpräsidiale Verfassungsänderung führen sollte, die der Exekutive weitgehende Vollmachten auf Kosten der gewählten parlamentarischen Instanzen einräumen würde.

All diese Maßnahmen von Mitte-Links-Regierungen trafen lediglich auf die organisierte Opposition der radikalen Linken, weil Gewerkschaften und Mitte-Links-Wähler bereit waren, alles zu schlucken, um eine Rückkehr von Berlusconi zu verhindern.

Selektive Amnesie

Das Ergebnis dieser Politik war, dass die Ära Berlusconi mit seinem Wahlsieg von 2001, der ihm sowohl im Senat wie auch im Abgeordnetenhaus eine überwältigende Mehrheit sicherte, jetzt erst richtig einsetzte. Während Mitte-Links-Wähler gegen Berlusconi auf die Straße gingen, um die Demokratie zu verteidigen und die Korruption anzuprangern, setzten Mitte-Links-Abgeordnete ihre Kollaboration mit Berlusconi wo immer möglich fort und schützten ihn vor juristischer Verfolgung – so wie sie sich unter den Regierungen Prodi und D’Alema einem Gesetz verweigert hatten, das gegen Berlusconis Medienmonopol vorgehen wollte.

Das Tüpfelchen auf dem i war ein Deal zwischen Renzi und Berlusconi 2014 hinsichtlich einer Änderung der Verfassung und des Wahlrechts – mit dem Segen des Staatspräsidenten und früheren Kommunisten Giorgio Napolitano. Außerdem sei daran erinnert, dass Berlusconi die Wahlen von 2006 verlor und nur deshalb wieder an die Regierung kam, weil die Regierung Prodi nach dem Ausscheiden der kleinen Zentrumspartei UDEUR ihre knappe Parlamentsmehrheit nicht mehr halten konnte.

Die Gegnerschaft des politischen Mainstreams zu Berlusconi hat stets an einer ernsten selektiven Amnesie gelitten. Nie werden die Auswirkungen von sechs Jahren harter Kürzungspolitik und das Fehlen einer bedeutenden gesellschaftlichen Opposition als entscheidende Faktoren herangezogen, um zu erklären, wie Berlusconi seine Macht konsolidieren konnte. Auch war die Mehrheit der Opposition gegen Berlusconi nicht bereit einzuräumen, dass die Kürzungspolitik der zweiten Regierung Berlusconi mit der der Mitte-Links-Regierungen wesensgleich war. Berlusconis Angriff auf das Arbeitsrecht beispielsweise war nur eine Ausweitung der bereits von der Mitte-Links-Regierung  eingeführten Prekarisierung der Arbeit, die Renzi Jahre später mit dem Jobs Act qualitativ verschärfte. Berlusconis Privatisierungen im öffentlichen Dienst waren von Mitte-Links durch die Übernahme der Parole «Privat ist besser» vorbereitet worden.

Das Einwanderungsgesetz von Mitte-Rechts, das illegale Einwanderung kriminalisiert, war nichts anderes als ein Zusatz zu einem vorhergehenden Gesetz von Mitte-Links. Italiens Beteiligung an den Kriegen in Afghanistan und im Irak war politisch durch den erstmaligen Bruch von Artikel 11 der Verfassung möglich geworden – der die Beteiligung an Angriffskriegen verbietet; D’Alema hatte diesen Bruch veranlasst, damit die italienischen Streitkräfte Serbien bombardieren konnten.

Die Hauptströmung im Anti-Berlusconismus hat es immer vorgezogen, mit Einbildung statt mit harten Fakten zu operieren. In dieser Vorstellungswelt dauerte die Herrschaft Berlusconis eher zwanzig Jahre als neun; war Berlusconi ein Faschist; war die italienische Demokratie bedroht; war es die radikale Linke, die half, Berlusconis Macht zu festigen, weil sie sektiererisch und unwillig war, mit Mitte-Links zu kooperieren; waren die Wähler Berlusconis allesamt Rassisten und frauenfeindliche, ungebildete Verlierer; war das Land strukturell rechts, weshalb selbst bescheidene keynesianische Maßnahmen unmöglich waren. Deshalb musste sich die Linke mit neoliberalen Technokraten aller Art verbünden, um eine Rückehr von Berlusconi an die Macht um jeden Preis zu verhindern. Kommt uns das nicht alles bekannt vor?

Die gleichen Fehler vermeiden

Diese Sorte Anti-Berlusconismus mündete in der Stärkung und Festigung von Berlusconis Macht, statt sie zu untergraben. Obendrein hat sie dazu beigetragen, die italienische Linke zu zersetzen, und den weiteren Verfall der Demokratischen Partei ermöglicht.

Der Anti-Trumpismus läuft die gleiche Gefahr. Unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen wurde die weiße Arbeiterklasse von den Meinungsmachern der Demokratischen Partei für Trumps Sieg verantwortlich gemacht und für unbelehrbar rassistisch und ungebildet erklärt. Wählern anderer Kandidaten wurde die Mitschuld an Clintons Niederlage gegeben. Versuche, das Wahlverhalten der Arbeiterklasse mit den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung und der Desillusionierung über Obamas Präsidentschaft zu erklären, wurden als ökonomistischer Reduktionismus bespöttelt. Mehrfach wurde das Ende der amerikanischen Demokratie und der Beginn des Faschismus beschworen.

Der Wahlunterstützung von Trump lagen sehr unterschiedliche Beweggründe und Erwartungen zugrunde. Ein Teil seiner weißen Wählerschaft teilt sicher seinen abstoßenden Rassismus, seine Homophobie und Frauenfeindlichkeit. Ein großer Teil der Stimmen für Trump ist jedoch ohne die Desillusionierung über die Präsidentschaft Obamas, ohne die dramatischen sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die Kürzungspolitik und Clintons Verflechtungen mit der Wall Street und dem alten Establishment nicht erklärbar. In diesen unterschiedlichen Erwartungen liegt ein starkes Element von Instabilität für Trumps kommende Präsidentschaft.

Eine wirksame Opposition gegen Trump sollte die neue, auf uns zu rollende Welle von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie bekämpfen, andererseits aber auch die legitimen Hoffnungen auf einen radikalen Politikwechsel aufgreifen. Dazu braucht es breite gesellschaftliche Bündnisse und Bewegungen, aber auch ein für allemal die Abkehr von der Vorstellung vom kleineren Übel, die schon so großen Schaden angerichtet hat. Der einzige Weg zu einer wirksamen Opposition gegen den autoritären, rassistischen und sexistischen Neoliberalismus besteht darin, eine radikale und glaubwürdige Alternative anzubieten.

* Cinzia Arruzza ist Assistenzprofessorin für Philosophie and der New School for Social Research in New York. Sie ist Autorin von u.a. Pensare con Marx. Ripensare Marx (2008) und Le relazioni pericolose. Matrimoni e divorzi tra Marxismo e femminismo (2010).

Quelle: Soz Nr. 01/2017… vom 3. Februar 2017

 

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