Die USA dominieren weiterhin die Weltwirtschaft
Martin Hart-Landsberg. Die kapitalistische Globalisierung verstärkt nicht nur die soziale und regionale Ungleichheit, sie liefert vom tatsächliche Geschehen auch ein verzerrtes Bild. Früher gab die volkswirtschaftliche Statistik eines Landes Aufschluss über ihre reale Wirtschaftskraft und ihre Postion auf dem Weltmarkt. Heute ist das nicht mehr so. Das liegt daran, dass in vielen Wirtschaftszweigen die Produktion transnational arbeitsteilig ist, während die Statistiken weiterhin national geführt werden; sie bilden die neue Produktionsweise nicht ab.
In der Vorglobalisierungsära war die Produktion eines Landes natürlich national verwurzelt. Als etwa Japan nach dem Zweiten Weltkrieg zum bedeutendsten Produzenten und Exporteur von Autos und Unterhaltungselektronik aufstieg, bedeutete dies, dass Japan tatsächlich diese Produkte nahezu vollständig herstellte und exportierte. Heute ist das nicht mehr so. Dank der Ausweitung transnationaler, unternehmensübergreifender Produktionsnetze ist die Produktion vieler Güter und Dienstleistungen in mehrere Segmente unterteilt, wobei womöglich jedes Segment in einem anderen Land produziert wird.
Die Fehler der Statistik
Solche Produktionsnetzwerke sind in Ostasien am weitesten entwickelt. China ist heute der führende Produzent und Exporteur von Schlüsselprodukten wie Mobiltelefone und Laptops, die weitgehend in die USA geliefert werden. Im Unterschied zum Fall Japan sind es heute jedoch nichtchinesischen Firmen, die den größten Teil der Wertschöpfung bei der Herstellung dieser High-Tech-Waren beisteuern. Die Wirtschaftsstatistiken ergeben somit ein verzerrtes Bild: Sie überbewerten die chinesische Wirtschaftskraft und überzeichnen die Verluste der US-Wirtschaftsmacht.
Nehmen wir das Beispiel der Textilindustrie. Es gibt in diesem Bereich keine einzige chinesische Firma, die groß genug ist, um es in die «Forbes Global 2000», die jährlich vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlichte Liste der 2000 größten börsennotierten Unternehmen der Welt zu schaffen – obwohl China für 39 Prozent der weltweiten Exporte bei Textilien verantwortlich zeichnet. Aus den USA führt die Bekleidungsindustrie hingegen nur mickrige 1,3 Prozent aus. Dennoch fließen 46 Prozent der in diesem Sektor erzielten Gewinne in die Taschen amerikanischer Firmen – die beiden Topfirmen der Welt, Inditex (Inhaber von Zara) und H&M, sind europäisch (spanisch bzw. schwedisch).
Der Grund dafür ist einfach: Die in China ansässige Produktion findet in grenzüberschreitenden Produktionsnetzen statt, die weitgehend von US-Unternehmen dominiert werden. US-Firmen sind es, die sich durch ihre Kontrolle über die relevanten Technologien, Produktbranding und Marketing die Gewinne aneignen, die durch den Verkauf dieser Produkte erzielt werden?…
Die anhaltende Dominanz der US-Wirtschaft
Oberflächlich sieht es so aus, als sei die US-Wirtschaftskraft rückläufig. Der US-Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich langsam, aber stetig verringert. Mitte der 60er Jahre trugen die USA noch 37 Prozent zum Welt-BIP bei, Mitte der 80er Jahre 33 Prozent, Mitte der 2000er Jahre 27 Prozent und zuletzt etwa 22 Prozent. Auch der Anteil der USA an den weltweiten Warenexporten ist zurückgegangen. Er betrug in den 80er und 90er Jahren etwa 12 Prozent und fiel dann schnell auf 8,5 Prozent im Jahr 2010. Aber in einer Welt, in der US-Konzerne einen Großteil ihrer Produktion im Ausland erledigen, sagen diese Zahlen über die reale Position der US-Wirtschaft nicht mehr viel aus.
Klopft man die wichtigsten Wirtschaftszweige darauf ab, welche Konzerne hier jeweils führend sind, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Dann stellt man fest, dass im Jahr 2014 die USA das einzige Land waren, dessen Konzerne in allen 16 Sektoren zumindest eine der drei Spitzenpositionen einnahmen. In 10 der 16 wichtigsten Sektoren, einschließlich der entscheidenden High-Tech-Sektoren, verzeichneten US-Konzerne die höchsten Gewinnanteile. Das sind:
– Luft- und Raumfahrt und Verteidigung,
– Chemikalien,
– Computerhardware und Software,
– Mischkonzerne,
– Elektronik,
– Finanzdienstleistungen,
– schwere Maschinerie,
– Öl und Gas,
– Arzneimittel und Körperpflege,
– Einzelhandel.
In acht Sektoren hatten US-Konzerne die Marktkontrolle (definiert entweder als Anteil von 40 Prozent an den weltweiten Gewinnen oder als Gewinnanteil, der mehr als das Doppelte des Zweitplatzierten beträgt):
– Luft- und Raumfahrt und Verteidigung,
– Chemikalien,
– Computerhardware und Software,
– Mischkonzerne,
– Finanzdienstleistungen,
– schwere Maschinerie,
– Arzneimittel und Körperpflege,
– Einzelhandel.
In sechs Sektoren war ein anderes Land führend:
– Auto, Trucks und Teile: Japan war Erster, die USA waren Dritte,
– Banking: China war Erster, die USA waren Zweite.
– Bauwirtschaft: China war Erster, die USA waren Zweite.
– Forstwirtschaft, Metalle und Bergbau: Australien war Erster, die USA waren Dritte,
– Immobilien: Hongkong war Erster, die USA waren Dritte,
– Telekommunikation: Großbritannien war Erster, die USA waren Zweite.
China ist außer den USA das einzige Land, das in mehr als einem Sektor auf Platz 1 steht. Bei fast allen chinesischen Spitzenunternehmen handelt es sich um staatseigene Unternehmen, die in stark geschützten inländischen Märkten operieren und nur wenige Aktivitäten im Ausland ausüben (mit Ausnahme jener Firmen, die im Rohstoffsektor tätig sind). Keiner dieser gigantischen Staatsbetriebe mischt in einem Kopf-an-Kopf-Rennen um den Spitzenplatz im globalen Wettbewerb mit. Keiner nimmt technologisch eine Spitzenposition in der Welt ein. Dennoch zeichnen diese Firmen für den Großteil der von nichtausländischen Firmen erzielten Gewinne aus Produktion und Investition in China verantwortlich.
Kurz gesagt, US-amerikanische Unternehmen sind hoch profitabel und dominieren den Weltmarkt. Und die US-Dominanz ist noch größer, als es diese Ergebnisse nahelegen. Das liegt daran, dass das US-Kapital überproportional nicht nur im Gebiet der USA, sondern in der ganzen Welt wirtschaftlich aktiv ist. Das schlägt sich in den Vermögensverhältnissen nieder: Während die USA nur 22 Prozent zum globalen BIP beisteuern, beläuft sich der Anteil von US-Bürgern am globalen Vermögen auf 41 Prozent.
Make working people great again
Die Lohnabhängigen in den USA haben jedoch nichts von der Macht und dem Reichtum der US-Konzerne. Deren Dominanz ist auch kein Garant für einen guten Zustand oder auch nur für die Stabilität der Weltwirtschaft. Wichtige Volkswirtschaften verharren weiterhin in einem Zustand der Stagnation und eine Änderung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass die US-Expansion sich ihrem Ende nähert und somit das chinesische Wachstum weiter abschwächen wird.
Trump zielt mit seinem Aufruf «Make America great again» darauf ab, unter der US-Arbeiterklasse Nationalismus zu schüren und sich bei ihr Unterstützung für seine Förderung der US-Unternehmensinteressen zu sichern. Gegen diese zerstörerische Verwendung einer nationalistischen Rhetorik gilt es, einen Widerstand voranzutreiben, die auf einer fundierten Klassenanalyse gründet, und daraus eine populäre, am Bewusstsein der Menschen ansetzende und deren Interessen aufgreifende Politik zu entwickeln.
Erschienen am 21.4.2017 auf Hart-Landsbergs Blog «Reports from the Economic Front» (Übersetzung: Paul Michel).
Quelle: Soz Nr. 07/2017… vom 9. August 2017
Tags: China, Imperialismus, Neoliberalismus, USA
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