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Libysche Milizen konkurrieren im Geschäft der Migranten-Abwehr

Eingereicht on 3. Dezember 2017 – 12:14

Bernard Schmid. Wer solche Retter hat, braucht keine Feinde mehr: Am Montag dieser Woche (06.11.17) gab die in Deutschland ansässige Nichtregierungsorganisation Sea-Watch, die Seenotrettung im Mittelmeer betreibt, schockierende Bilder bekannt. Die NGO sprach davon, die brutalen Methoden libyscher Küstenwächter hätten unmittelbar dazu beigetragen, dass fünf Menschen beim Aufnehmen der Insassen eines auf dem Mittelmeer treibenden Schlauchboots getötet wurden.

Das Boot der NGO unter dem Namen „Sea-Watch 3“ traf demnach fast gleichzeitig mit einem Schiff der libyschen Küstenwache an dem Ort in dreißig Kilometern Entfernung von der Küste ein, wo das Schlauchboot abtrieb. Das Schiff der Küstenwächter behielt dabei eine erhebliche Geschwindigkeit bei, während die Migranten aus dem Schlauchboot über eine Leiter an Bord geholt wurden. Mehrere Menschen fielen dabei ins Wasser. Auf Bildern, die durch die Nichtregierungsorganisationen verbreitet wurden, sieht man auch einen Helikopter der italienischen Marine, der die Küstenwächter zum Abbremsen auffordert, sowie den Transport einer Kinderleiche. Sea-Watch rettete ihrerseits 58 Menschen aus dem Boot. Ihr Einsatzleiter Johannes Bayer sprach in einer Stellungnahme am Montagabend (06. November d.J.) von einer Mitschuld der EU, weil diese ein Aufbau- und Trainingsprogramm für die libysche Küstenwache unterhält, betreibt und finanziert.

In diesem Falle trug die italienische Marine dazu bei, Menschenleben in der konkreten Situation zu retten, indem sie mildernd auf die rauen Methoden der libyschen Küstenwächter einwirkte. Aber strukturell arbeiten beide eng zusammen. Im Oktober dieses Jahres kritisierte der Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Nils Muižniek, die italienische Marinemission vor den Küsten Libyens mit den Worten, wer im Mittelmeer aufgegriffene Migranten an libysche Stellen übergebe – diese Praxis der Rückschiebung ist gang und gäbe -, verstoße „gegen die Pflicht, deren Menschenrecht zu schützen“.

Ein Abkommen unterhielt Italien laut übereinstimmenden Medienberichten – unter ihnen jener des Tunesienkorrespondenten der französischen Abendzeitung Le Monde, Frédéric Bobin – auch mit einem Warlord in der westlibyschen Stadt Sabratha. Ahmed Dabbashi, unter dem Spitznamen Al-Ammu („Der Onkel“) bekannt, gründete zu Anfang des Jahres offiziell eine Miliz unter dem Namen „Bataillon 48“, um bei der Verhinderung von Migrationsbewegungen über das Mittelmeer mitzuwirken. Dabbashi bekämpfte dabei andere Milizen, die mit dem Transport von Migranten ihre mafiösen Geschäfte betreiben und ihr Geld verdienen. Finanzmittel bezog Dabbashi, der aus einer einflussreichen lokalen Familie stammt, vor diesem Hintergrund aus Rom.

Doch dies wiederum gefiel anderen bewaffneten Milizen nicht, die sich durch diese Kooperation ausgebootet fühlten und denen diese finanzielle Unterstützung entging. Unter ihnen befinden sich die so genannten Madkhalisten. Bei diesen handelt es sich um eine salafistische Strömung, die durch Saudi-Arabien unterstützt wird. In Übereinstimmung mit dem reaktionären Golfstaat verfolgt sie die Strategie, die Militärmachthaber in Ägypten und den in Ostlibyen zunehmend an Einfluss gewinnenden „starken Mann“ – den General Khalifa Haftar, welcher sich als „Marschall“ titulieren lässt – zu unterstützen und nicht etwa die Muslimbrüder, die im Konflikt mit diesen Militärherrschern liegen.

Im Kontext der Rivalität um die Geldflüsse aus Italien brachen ab dem 17. September 17 mehrwöchige Kämpfe in Sabratha aus. Bis zum Monatsende wurden dabei mutmaßlich vierzig Menschen getötet, rund die Hälfte der Bevölkerung floh an den Stadtrand. Aufgrund der Bedrohung für die in der Nähe von Sabratha liegende römische Ruinenstätte schaltete sich auch die UNESCO ein, um ein Ende der Kampfhandlungen zu fordern.

Infolge der Auseinandersetzungen entkamen jedoch auch Tausende von Migrantinnen und Migranten – überwiegend aus dem subsaharischen Afrika – der Gewalt der Milizen, die sie bis dahin festhielten. Denn das aus offizieller italienischer Sicht mehr oder minder segensreiche Wirken von Warlords wie Dabbashi bestand hauptsächlich darin, die Hauptbetroffenen festzusetzen und zu internieren.

Wie sich infolge der Kämpfe vor Ort herausstellte, waren rund 20.500 Migranten in und um Sabratha gefangen gehalten worden, zum Teil unter unbeschreiblichen Umständen, ohne Zugang zu Toiletten oder Waschmöglichkeiten und ohne über einen Ventilator zu verfügen. Viele von ihnen wurden, mit absolut unzureichender Ernährung und Wasserversorgung, tagelang zu Zwangsarbeit angehalten. Festgehaltene Frauen wurden mitunter als sexuelle Sklavinnen benutzt.

Am 17. Oktober 17 erklärte das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) in einer Pressemitteilung, 14.500 Migranten aus ihrer bisherigen Gefangenschaft gerettet zu haben. Weitere 6.000 Menschen würden jedoch zu dem Zeitpunkt noch immer durch die Milizen festgehalten, auf Bauernhöfen im Umland von Sabratha, in Häusern oder Fabrikgebäuden. Unter den Freigekommenen befänden sich auch Kleinkinder. Einige der Betroffenen trügen Schussverletzungen oder andere Anzeichen von Misshandlungen. Das UNHCR transportierte auf fünfzehn LKWs Hilfslieferungen und Hygieneartikel herbei und forderte die internationale Staatenwelt dazu auf, mittels Resettlement Geflüchtete aus Sabratha aufzunehmen. Bislang blieb dieser Aufruf noch ohne größere Folgen.

Libyen war vor dem Bürgerkrieg von Februar bis August 2011, welcher zum Sturz des Gaddafi-Regimes führte, Zielland für viele Einwanderer aus dem subsaharischen Afrika. Damals spielte Libyen eher eine Rolle als Arbeitsort denn als Transitland auf dem Weg nach Europa. Rund zwei Millionen Arbeitsmigranten verrichteten einen Großteil der gesellschaftlich gering geschätzten körperlichen Arbeiten in dem nordafrikanischen Erdölstaat. Das alte Regime verfolgte eine doppelbödige Politik. Einerseits verband es die Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte mit einem panafrikanisch klingenden Diskurs, der auch stark damit zusammenhing, dass Muammar Al-Qadhafi (eingedeutscht Gaddafi) internationale Machtambitionen auf dem afrikanischen Kontinent unterhielt. Auf der anderen Seite dienten Hassausbrüche und Pogrome gegen subsaharische Afrikaner in den 2000er Jahren mitunter auch als Ventil für den Unmut der libyschen Bevölkerung über ihre Lebensumstände, das Regime ließ gewähren. Nach dem Sturz des Qadhafi- (eingedeutscht Gaddafi-)Regimes kam es jedoch 2011 zu einer Welle von rassistischer Gewalt gegen Schwarze, die pauschal verdächtigt wurden, Gaddafi-Söldner gewesen zu sein.

Quelle: trend.online… vom 3. Dezember 2017

 

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