AfD und die rechte Gewerkschaft Zentrum Automobil
Rafael Binkowski und Sven Ullenbruch. Der Einzug der AfD in den Bundestag soll keine Eintagsfliege bleiben. Daher bemüht sich ein Netzwerk aus nationalistischen Aktivisten, den Erfolg in der Gesellschaft zu verankern – durch eine rechte Gewerkschaft.
Stuttgart/Leipzig – Es ist eine Art rechtes Familientreffen in Leipzig: In einem festlich dekorierten Saal mit Steinsäulen auf dem alten Messegelände hat sich die Elite der rechten Szene versammelt. Der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke ist dabei, PegidaGründer Lutz Bachmann und Martin Sellner, der Chef der „Identitären Bewegung“. Hier hat sich versammelt, was von Politologen die „Neue Rechte“ genannt wird, um den Schulterschluss zu üben.
Zwei Aktivisten aus Baden-Württemberg spielen dabei eine Schlüsselrolle. Einer ist Jürgen Elsässer (60). Er stammt aus Pforzheim, früher war er kommunistischer Aktivist in Stuttgart und linker Journalist, heute ist Elsässer Chef des rechten Magazins „Compact“. Ein rhetorisch begabter Redner, der eine publizistische Gegenbewegung zu dem „linksversifften Medienkartell“ gegründet hat, wie er es nennt. Er ist stolz, dass er die führenden Köpfe der „patriotischen Szene“ in Leipzig vereint hat, die sonst eher gegeneinander als miteinander agieren. Der Mann mit dem weißen Haarschopf hat große Ziele, seine Rede ist auf Youtube-Videos zu sehen: „Eines Tages soll sich hier das deutsche Volk zu einer Nationalversammlung treffen, um eine echte Verfassung zu verabschieden“, ruft er in den Saal, Beifall brandet auf.
Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim
Der andere Schwabe ist Oliver Hilburger. Er ist anders als Elsässer kein mitreißender Redner. Der 48-Jährige steht mit schwarzem Shirt und weißen Turnschuhen in Leipzig am Rednerpult. „Wir müssen der internationalistischen Linken die Stirn bieten“, sagt er. Für solch gestanzte Sätze erntet Hilburger nur höflichen Applaus. Er verhaspelt sich oft, knibbelt beim Sprechen mit den Fingern. Früher war Hilburger Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“, bis er 2008 kurz vor deren Auflösung ausstieg. Seit 2010 ist er Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim mit seiner ein Jahr zuvor gegründeten Liste „Zentrum Automobil“.
Trotz seines wenig mitreißenden Auftritts ist Hilburger bei diesem Treffen der rechten Szene in Leipzig einer der wichtigsten Männer. Die übergeordnete Erzählung dieser Veranstaltung ist es, der „Bewegung“ ein neues Aktionsziel zu verpassen. Die AfD ist der parlamentarische Arm, das „Zentrum Automobil“ soll derjenige in den Betrieben sein. Jürgen Elsässer formuliert es so: „Wir eröffnen eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes. Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will.“ Blau ist die Farbe der AfD.
Es ist das erste Treffen der rechten Szene nach der Bundestagswahl. Nach dem Einzug der AfD ins Parlament setzt man sich neue Ziele. Das sollen die Betriebsratswahlen 2018 sein. Oliver Hilburger, dessen Zentrums-Liste im Daimler-Werk Untertürkheim mit zehn Prozent der Stimmen vier Betriebsräte stellt, will bundesweit expandieren. Dazu schmiedet er neue Allianzen. Seit einigen Monaten arbeite man „hinter den Kulissen“ gemeinsam an einer Kampagne, schreibt die rechtsextreme Initiative „Ein Prozent“ in ihrem Newsletter – deren Gründer Philip Stein ebenfalls in Leipzig anwesend ist. „Wir wollen Arbeitsplätze von Patrioten schützen und die Spielregeln grundlegend verändern“, erklärt die Vernetzungs-Plattform, die ihren Sitz im sächsischen Kurort Oybin hält.
Urgestein der rechten Szene
Die schwäbischen Zentrum-Betriebsräte gelten für Stein als erfahrene Vorzeige-Aktivisten: „Sie kennen die Spielchen der linken Gewerkschaften und stehen uns tapfer zur Seite.“ Zu erwarten ist eine zwischen „Ein Prozent“, dem Zentrum Automobil und Compact abgestimmte Kampagne. Dabei greift man die Verunsicherung durch die Dieselkrise oder die Schließungspläne für das Siemens-Werk in Görlitz auf. „Die linken Gewerkschaften haben uns schon lange verraten“, sagt Hilburger in einem Video der Kampagne. Das Fernziel ist, rechte Arbeitnehmer bundesweit in die Betriebsräte zu hieven. Bisher tut sich das Zentrum damit jenseits der Stuttgarter Daimler-Tore noch schwer. Einen Ableger gibt es unter dem unscheinbaren Namen „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“ im Leipziger BMW-Werk. Im September vermeldete das Zentrum die Gründung einer Betriebsgruppe bei Mercedes Benz in Rastatt. Bei Opel in Rüsselsheim und in einem VW-Werk kandidieren ebenfalls Zentrums-Vertreter. Motor der alternativen Gewerkschaft bleibt die Stuttgarter Gruppe um Hilburger.
Er ist so etwas wie ein Urgestein der rechten Szene. Hilburger ist in Backnang geboren und wohnt seit vielen Jahren in Althütte Sechselberg im Rems-Murr-Kreis. Fast 20 Jahre lang war Hilburger Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“. Weil die Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit zwei Liedern der Rechtsrocker eine Vorgänger-Version ihres Bekennervideos unterlegten, musste der Maschinenschlosser Anfang November als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss im Landtag aussagen. „Für mich war primär die Musik im Vordergrund“, erklärte der 48-Jährige.
Die „Noien Werte“ und Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß
Mit „deftigen und derben Texten“ habe er provozieren wollen. Das sah das Landesarbeitsgericht vor neun Jahren allerdings anders. Damals wurde Hilburger als ehrenamtlicher Arbeitsrichter seines Amtes enthoben. Die Juristen verwiesen auf Lieder, in denen die „Noien Werte“ den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß als „großen Held“ bezeichneten und „Deutschland den Deutschen“ forderten. Als Gesamtwerk ließen sich solche Texte nur als „gewaltverherrlichend und verfassungsfeindlich interpretieren“, so die Richter. Auch die Abgeordneten im NSU-Ausschuss befragten Hilburger kritisch über seine Zeit in der rechtsextremen Musikszene. Beharrlich bestritt der Betriebsrat jeden Kontakt zu den NSU-Terroristen. „Aus der Presse“ habe er von den Taten des Trios erfahren, sagte Hilburger. Er wollte sich bei einem Detail allerdings nicht festlegen: Ob er vor Jahren eine Besuchserlaubnis für den heute als NSU-Waffenbeschaffer beschuldigten Sachsen Jan Werner in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg beantragt hat.
„Ich habe das nicht in Erinnerung“, sagte Hilburger. Die Besuchserlaubnis des Generalbundesanwalts vom 27. Dezember 2001 für einen Besuch von Hilburger bei Jan Werner liegt unserer Zeitung vor. Weitere Dokumente zeigen, dass sich auch Hilburgers Bandkollegen entsprechende Besuche bei dem Neonazi genehmigen ließen. Trotz dieser weitreichenden Vernetzungen bleibt aber letztlich offen, ob sich die NSU-Mörder zufällig bei der Musik der „Noien Werte“ bedienten.
„Heil Euch“ heißt es in internen Nachrichten
Auch anderen Protagonisten von Zentrum Automobil ist die rechtsextreme Szene vertraut. Thomas Scharfy aus Winnenden betreute in den 90er Jahren die Mailbox „Empire BBS“ des „Thule-Netzes“, über das sich vor dem Internetzeitalter Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet austauschten. Unter dem Motto „Mailboxen unterstützen die Vernetzung des Nationalen Widerstandes“, bewarb das braune Blatt „NS-Kampfruf“ im Herbst 1995 auch die Mailbox aus dem Rems-Murr-Kreis. Heute ist der 41-jährige Scharfy Vorstandsmitglied und Webmaster von Zentrum Automobil. Sascha Woll, der als Beisitzer im ZentrumVorstand fungiert, ist mit einer ehemaligen NPD-Funktionärin verheiratet. Die berichtete vor dem NSU-Ausschuss im Juni von Treffen mit anderen „nationalen Familien“, wie sie es ausdrückte. „Heil Euch“ heißt es in internen Nachrichten, die im November 2011 unter den Familien ausgetauscht wurden. Empfänger waren mehrere Mitglieder von Zentrum Automobil, darunter auch Oliver Hilburger.
Dieser fasst in Leipzig seine Vergangenheit so zusammen: „Ich war in meinem Leben immer dort, wo es weh tut.“ Jetzt gibt er sich betont moderat. In der Kampagne zur Betriebsratswahl wird das Feindbild linker Gewerkschaften gepflegt. „Jeder kennt einen Kollegen, der entlassen wurde, weil er auf einer Pegida-Demonstration war oder AfD wählt“, heißt es in dem Video. Elsässer denkt einen Schritt weiter. Er träumt von einer nationalen Bewegung, die von studentisch geprägten Initiativen wie der „Identitäre Bewegung“ über die Betriebsräte bis zum rechten AfD-Flügel reicht. Bei einer Zentrums-Veranstaltung im September im Gasthof „Löwen“ in Mainhardt gab es noch Berührungsängste – der Stuttgarter AfD-Politiker Dirk Spaniel zog seine Teilnahme in letzter Minute zurück.
Konzentration auf Betriebsratswahlen
In Leipzig treten Björn Höcke und ein sächsischer AfD-Abgeordneter ganz offen auf, Höcke wettert gegen die Denkmalaktion der Aktivisten des „Zentrums für politische Schönheit“ gegenüber seinem Haus – und spricht von einer „patriotischen Bewegung“. Eine Szene hat Symbolwert: Während Hilburgers Rede betritt Björn Höcke den Saal. Sofort ruft das Publikum lautstark seinen Namen. Hilburger hält inne und applaudiert demonstrativ im Rhythmus der „Höcke, Höcke“-Akklamationen.
Klar ist: Die Ressourcen des rechten Netzwerkes werden auf die Betriebsratswahlen konzentriert. Die Homepage wurde neu aufgelegt, das Video der Leipziger Veranstaltung auf Youtube veröffentlicht. Philip Stein, der Chef von „Ein Prozent“, drückt es so aus: „Nach der Aktionsphase folgt nun eine Strukturphase.“ Der Erfolg der AfD soll dauerhaft in der Gesellschaft verwurzelt werden. Der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer will die Streitigkeiten der verschiedenen rechten Gruppierungen überwinden. „Schluss mit der Spalterei, Partei und Bewegung dürfen sich nicht auseinanderbringen lassen“, sagt er in Leipzig.
Wie wichtig dem rechten Strippenzieher der Gewerkschaftsflügel um Hilburger ist, wurde schon bei der Veranstaltung in Mainhardt deutlich: Dort rief Elsässer die „Geburtsstunde einer neuen Bewegung“ aus. Die Kampagne zur Betriebsratswahl mag gemäßigt klingen. Doch bei der Veranstaltung im Gasthof Löwen ließ Elsässer die Maske fallen: „Die Einwanderer der letzten Jahre sind Lumpenpack, das nur schmarotzen und unsere Frauen anmachen will.“
Quelle: stuttgarter-nachrichten.de… vom 25. Januar 2018
Tags: Arbeitswelt, Deutschland, Faschismus, Gewerkschaften, Neoliberalismus, Neue Rechte, Rassismus
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