Das Wunder von San Giovanni
Martina Zaninelli. In Italien hat Amazon erstmals eine Vereinbarung über Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften unterzeichnet. Bei Amazon herrscht starker Leistungsdruck. Dagegen kann man sich aber auch erfolgreich wehren – so wie die Arbeiter in Castel San Giovanni.
Zum ersten Mal hat der US-Onlineversandhändler Amazon eine Vereinbarung über Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften unterzeichnet. Dieser erste Durchbruch für die Arbeiterorganisationen bei dem stets gewerkschaftsfeindlich auftretenden Konzern gelang in Italien. Die drei dort beteiligten Gewerkschaftsverbände, Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL) und Unione Italiana del Lavoro (UIL), sprechen deshalb von einem historischen Moment. Das entsprechende Abkommen wurde am 22. Mai für das Hauptversandzentrum des Konzerns in Italien, in Castel San Giovanni, unterschrieben. An dem Standort nahe Piacenza mit mehr als tausend Beschäftigten hatte im vergangenen November zum Rabattaktionstag »Black Friday« ein großer Streik stattgefunden.
Nach dem Ausstand, an dem sich mehr als die Hälfte der Arbeiter beteiligte, kam es erstmals zu Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und dem Onlineriesen. Durch den Arbeitskampf und das dadurch erzeugte große mediale Interesse in Italien und darüber hinaus geriet der Konzern unter Handlungsdruck. Trotzdem waren sich die Beschäftigtenvertreter bis vor ein paar Wochen nicht sicher, ob es überhaupt zu einer Einigung kommen würde. Fiorenzo Molinari, der die Verhandlungen für CGIL koordinierte, sprach von einer »heiklen Phase«, während der nichts als sicher galt (siehe junge Welt vom 12. Mai).
Konfliktpunkte zwischen den Arbeitern und dem Management von Amazon Italia sind hauptsächlich die Schichteinteilungen, die generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die geforderte Reduzierung der Nacht- und Wochenendarbeit. Zwar sind die Beschäftigten in die Tarifverträge für Logistik und Dienstleistung eingeordnet, doch die berücksichtigen die speziellen Arbeitsbedingungen, mit denen die Mitarbeiter des Internetkonzerns konfrontiert sind, nicht ausreichend. Das nun unterzeichnete Abkommen, das genau auf diese Probleme eingeht, wurde den Arbeitern von den Gewerkschaften zur Abstimmung vorgelegt. Etwa 500 Beschäftigte und somit circa ein Drittel der Belegschaft beteiligten sich an der Wahl. Eine große Mehrheit von 68 Prozent stimmte für die Vereinbarung.
»Die Einigung basiert auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit« erklärt Massimo Mensi von CGIL. »Es handelt sich erst mal um einen Testlauf. Das Abkommen, das ein Jahr lang gültig ist, tritt ab dem 17. Juni in Kraft. Nach vier Monaten wird eine Überprüfung stattfinden.« Die entsprechende Pressemitteilung der CISL verrät Details der Abmachung: »Das Konzept der festen Nachmittags- und Nachtschichten wird mit diesem Abkommen überholt. Es erfolgt eine Neuaufteilung des Arbeitstages in drei Schichten mit einer maximalen Anzahl von 40 Arbeitsstunden pro Woche. Alle Arbeiter werden wöchentlich zwischen der Frühschicht (7 bis 15 Uhr) und der Nachmittagsschicht (15.30 bis 23.30 Uhr) wechseln. Die Nachtschichten (20 bis 4 Uhr von Januar bis August und 23.30 bis 7.30 Uhr von September bis Dezember) werden ab sofort nur auf freiwilliger Basis zugeteilt, und der entsprechende Zuschlag, der aktuell bei 15 Prozent liegt, wird auf 25 Prozent erhöht. Sollten nicht ausreichend Arbeiter für die Nachtschichten zur Verfügung stehen, wird der wöchentliche Wechsel zwischen den drei Schichtarten ausgeweitet.« CGIL-Gewerkschafter Mensi erläutert die Neuorganisation der Wochenendschichten: »Alle acht Wochen wird es vier aufeinander folgende freie Wochenenden und anschließend einen kontinuierlichen Wechsel geben: ein Wochenende mit Samstag und Sonntag als Arbeitstage, zwei Wochenenden mit Schichten am Samstag und schließlich eines, an dem sonntags gearbeitet wird«.
Fiorenzo Molinari, der für die CGIL an den Verhandlungen direkt beteiligt war, bewertet das Ganze positiv: »Es ist ein erstes Ergebnis nach einem langen und anstrengenden Kampf für die Arbeiter. Nicht zu unterschätzen ist, dass wir als Gewerkschaften es tatsächlich geschafft haben, ein Abkommen mit diesem Riesenunternehmen zu unterschreiben, das eine Politik des direkten Dialoges mit den Mitarbeitern bevorzugt und versucht, jegliche Organisierungs der Arbeiter zu verhindern. Es ist keine einfache Aufgabe, mit einem globalen Player zu verhandeln, der die Welt als sein Kampffeld betrachtet, wenn man letztendlich nur ein kleines Versandzentrum vertritt und nur ein Teil dieses riesengroßen Puzzles ist.«
Auch wenn das unterzeichnete Abkommen erst einmal nur für das Versandlager in Castel San Giovanni in Kraft tritt, hoffen die italienischen Gewerkschaften auf eine Signalwirkung. »Es ist ein wichtiger Moment, wir hoffen, dass dies eine neue Verhandlungsbasis für alle Städte und Länder schaffen wird, in denen Amazon vertreten ist«, so CGIL-Gewerkschafter Mensi.
Quelle: jungewelt.de… vom 6. Juni 2018
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfe, Arbeitswelt, Gewerkschaften, Italien, Neoliberalismus, Widerstand
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