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Zum Streik bei Halberg Guss – Interview mit Michael Knopp, IG Metall

Eingereicht on 26. September 2018 – 10:21

Bei Neue Halberg Guss wurde in Leipzig und Saarbrücken im Sommer mehr als 40 Tage lang gestreikt. Im September wurde die Arbeit erneut niedergelegt. Im Interview spricht der Organizer und Gewerkschaftssekretär Michael Knopp (IG Metall Saarbrücken) über Organisierung, Streiken, Solidarität und den Kampf gegen rechts. Besonders interessiert hat uns auch die grundsätzliche Frage, warum Arbeitskämpfe so wichtig sind, um die Verbreitung rassistischer und nationalistischer Ideen zu stoppen.

Ihr habt bei Halberg Guss im Sommer wochenlang gestreikt, seit heute Morgen (19.9.2018) habt Ihr die Arbeit erneut niedergelegt. Worum geht’s in dem Konflikt?

Neue Halberg Guss wurde im Januar von der Prevent-Gruppe gekauft, hinter der die Familie Hastor steht. Ihr Geschäftsmodell sieht in etwa so aus: Prevent übernimmt Firmen und erhöht die Preise um ein Vielfaches. Die Kunden, in unserem Fall große Automobilkonzerne wie VW, finden nicht von einem Tag auf den anderen einen neuen Zulieferer und können deswegen einige Monate lang erpresst werden. Wenn die Kunden einen neuen Zulieferer haben, ist die Firma kaputt. Das Prevent-Modell ist also darauf angelegt, kurzfristig hohe Profite zu erzielen und den Betrieb dann zu schließen.

Wie kam es zum Streik? Ging das von der Belegschaft aus?

Nein, das kam ganz klar von der IG Metall. Wir haben erfahren, dass Erpressungsversuche von Prevent gegen Kunden laufen. Es gab massive Preiserhöhungen und einen Lieferstopp an den Hauptkunden VW. Und es war klar, dass die Automobilhersteller sich bereits nach neuen Zulieferern umsehen. Die Belegschaft musste also schnell reagieren. Nur solange die Automobilhersteller vom Zulieferer Halberg Guss abhängig waren, konnten wir mit einem Streik Druck aufbauen. Wenn wir länger mit dem Arbeitskampf gewartet hätten, wären die Kunden bereits weg gewesen.

Also ein Top-downStreik – die Gewerkschaft hat eine Belegschaftsversammlung einberufen und zum Arbeitskampf aufgefordert?

Ja, das kann man so sagen. Wir haben vermittelt, dass etwas getan werden muss, wenn man Halberg Guss retten will. Denn die Gegenseite, die Prevent-Gruppe, hat kein Interesse an der Zukunft des Betriebs. Man muss in dem Zusammenhang wissen, dass Halberg Guss in Saarbrücken bereits eine Insolvenz hinter sich und die Menschen schon viele Entbehrungen erlebt haben. Und weil sich bei den Leuten schon einige Wut angestaut hatte, war es auch relativ leicht, sie zu mobilisieren.

Als Organizer kümmerst Du Dich normalerweise darum, Leute neu zu organisieren. Jetzt war das eher die klassische Arbeit eines Gewerkschaftssekretärs.

Ja, beim Organizinig geht es darum, Leute für eine Sache zu sammeln und zu begeistern. Da führen wir Eins-zu-Eins-Gespräche und suchen das „heiße Thema“ in einem Betrieb, an dem sich arbeiten lässt und an dem wir, ganz wichtig, auch Erfolge erzielen können. Das Thema stand bei Halberg Guss ja bereits fest: Prevent will die Bude auf kurz oder lang zerschlagen. Und deswegen ging es nur darum, möglichst schnell möglichst viel Bewegung hinzukriegen. In einem Arbeitskampf müssen rund um die Uhr Streikposten vor den Werkstoren stehen. Und dafür waren die Organizing-Elemente in der Ansprache der Leute dann schon hilfreich.

Du betonst oft, dass Gewerkschaftsarbeit, wie Du sie verstehst, die Betroffenen ermächtigen muss. Die Menschen sollen gemeinsame Ziele entwickeln. Worin unterscheidet sich ein Streik, der die Leute ermächtigt, von einem Streik, der top down organisiert ist?

Wie gesagt: Wenn Du Organizing machst, versuchst Du mit Betroffenen ihr Thema herauszufinden und zu verfolgen. Bei Halberg Guss war bereits klar, worum es ging, und für große Beteiligung war auch gar keine Zeit. Damit hatte ich am Anfang durchaus Probleme. Bei beteiligungsorientiertem Organizing geht es um Basisdemokratie und möglichst flache Hierarchie. Solche Prozesse dauern länger, brauchen viel Geduld und bewegen auf Dauer aber mehr. In einem Arbeitskampf kann man sich lange Diskussionen aber oft gar nicht erlauben. Wenn Du auf Streikposten bist, musst Du schnell reagieren. Für mich war das eine andere Rolle als sonst: Ich musste viel mehr vorgeben, viel mehr „führen“, als ich eigentlich wollte.

Wie lang war die Vorlaufzeit des Streiks?

Sehr kurz. Von der Aufstellung der Forderungen über die Wahl der Tarifkommission und die beiden Verhandlungsrunden bis zum Beginn des unbefristeten Streiks sind nur 10 Tage vergangen. Das ist eigentlich Harakiri.

Untypisch für die IG Metall.

Sehr untypisch. Ein Ritt auf der Rasierklinge. Aber wir mussten das vor den Sommerferien durchziehen, bevor die großen Autokonzerne ihre Produktion runterfahren. Dann hätten wir nämlich keinen Druck mehr aufbauen können, und nach dem Sommer hätten sich die Kunden schon Zweitlieferanten zugelegt gehabt.

Unter Bewegungslinken wird ja immer wieder gern diskutiert, ob die Arbeiterklasse überhaupt noch einen Bezugspunkt darstellt. Am Fall von Halberg Guss kann man das vielleicht mal anders rum debattieren: Warum ist ein Streik so interessant – auch im Vergleich zu dem, was man in sozialen Bewegungen an Aktionsformen entwickeln kann?

Das Interessante an einem Arbeitskampf ist, dass man eindeutig weiß, wer die Gegenseite ist. So eine Gegnerschaft ist, glaube ich, sehr wichtig, um eine eigene Stärke entwickeln zu können. Sobald Du die Arbeit niederlegst, bist Du in der Konfrontation. Und das setzt viel in Bewegung.

Wie die meisten Betriebe heute hat auch Halberg Guss eine sehr plurinationale Zusammensetzung der Belegschaft – die Migrantenquote in großen Betrieben liegt ja fast immer über dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Gleichzeitig habt ihr unter den KollegInnen aber auch AfD-WählerInnen. Wie war das während des Streiks?

Die Unterscheidung in Nationalitäten hat gar keine Rolle mehr gespielt, denn in dem Konflikt mit dem Unternehmen hatten alle Beschäftigten die gleichen Interessen. Bei Halberg Guss kommen 40 Prozent der Beschäftigten aus Frankreich, die Leute haben einen deutschen, türkischen, osteuropäischen, afrikanischen Hintergrund. Aber die Gegnerschaft zum Unternehmen hat dazu geführt, dass die Belegschaft zusammen wuchs. Was da stark geholfen hat – das klingt jetzt ein bisschen simpel –, waren die Parolen und Lieder. Die Leute haben immer wieder ihre Sprüche gerufen, und es gab ein Lied, das zu unserer Hymne geworden ist. Das hat die Leuten verbunden.

Die Musik war aber nicht so deins, oder? … Du hattest früher ja ein Independent-Label gearbeitet und einen klaren Musikgeschmack.

(Lacht) Sollen wir jetzt über meinen Musikgeschmack reden? … Man braucht für so einen Kampf ein Logo, einen Slogan und etwas, wo die Menschen gemeinsam aus sich raus können. Das zusammen Singen war total wichtig. Am Anfang war das allen ein bisschen unangenehm: ‚Ich sing doch jetzt nicht‘. Aber es hat dann ein starkes Gemeinschaftsgefühlt hergestellt, und da spielte auch keine Rolle mehr, ob einem die Musik gefiel. Es war unser Geschrei und unser Lied.

Der Streik ist zur Zeit unterbrochen. Hast Du den Eindruck, dass sich bleibend etwas geändert hat, oder sind die Leute mit ihrer Angst wieder allein?

Mein Eindruck ist, dass die Stimmung im Moment anders ist als vorher. Die Leute lassen sich nicht mehr so leicht herumkommandieren.

Gleichzeitig gibt es natürlich Unruhe, denn die Schlichtung dauert jetzt schon 4 Wochen. Und während der Verhandlungen werden sehr viele Hintergrundgespräche geführt. Da können die Verhandlungsführer der Gewerkschaft nicht alles kommunizieren, was sie wissen. Das ist ein schwieriges Feld – weil man einen Vertrauensvorschuss für die Verhandelnden einfordern muss. Man kann nicht alles erzählen, was bei einer Schlichtung auf den Tisch kommt.

Was ist das Ziel des Streiks? Eigentlich müsste Halberg Guss ja weg von Prevent.

Ja, aber in Deutschland sind politische Streiks verboten. D.h., wir können nicht als Ziel formulieren, Prevent als Eigentümer zu verdrängen. Wir können nur Tarifziele formulieren. In diesem Sinne fordern wir hohe Abfindungen, die auf ein Treuhandkonto eingezahlt werden sollen. Diese Gelder werden bei Entlassungen ausgezahlt oder können, wenn Prevent die Arbeitsplätze doch erhalten will, für Investitionen verwendet werden. Wenn die Abfindungen teuer genug sind, werden die Gesellschafter den Betrieb möglicherweise abzustoßen versuchen.

In den Organizing-Abteilungen und in den Gewerkschaften allgemein arbeiten ja heute viele Leute, die das Arbeitsleben derer, die sie organisieren wollen, nie kennen gelernt haben. Siehst Du das als Problem? Du bist ja als normaler Schichtarbeiter zur Gewerkschaft gekommen.

In erster Linie musst Du authentisch sein. Das Wichtigste beim Organizing ist, dass Du eine Beziehungsebene herstellst. Und darin musst Du vermitteln: Ich kann und weiß nicht alles, aber kann euch vielleicht Wege und Methoden aufzeigen, etwas durchzusetzen. Da ist es dann egal, ob jemand studiert hat oder im Schichtbetrieb war. Du kannst die Leute ja auch zu ihren Erfahrungen mit dem Fließband oder der Schichtarbeit befragen. Das ist im Übrigen sowieso eine gute Grundregel: nicht mehr als 30% selber reden, 70% zuhören. Und: durch Fragen „führen“. Du kannst bestimmte Sachen vertiefen und Perspektiven wechseln. Dadurch lassen sich Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Es heißt ja oft, soziale Unsicherheit führe zu Rassismus. Das ist nicht richtig – auch gut Abgesicherte sind Rassisten –, aber auch nicht falsch: Verschärfte Konkurrenz produziert Spaltungslinien. Was würdest Du sagen: Welche Rolle spielt die Verteidigung von sozialen Rechten im Kampf gegen den Rechtsruck?

So wie ich das erlebe, ist Neid für viele der Aufhänger. „Warum hat der Algerier ein Handy?“ Sie vergleichen ständig: Was habe ich, was haben andere? Verglichen wird aber nur zwischen unterschiedlichen Gruppen von abhängig Beschäftigten. Und davon müssen wir wegkommen. Wir müssen den Blick nach oben richten und fragen, was auf anderer Ebene passieren muss. Wie Reichtum gesellschaftlich verteilt, wie unser Leben besser werden kann. Das war ja auch etwas sehr Schönes bei Halberg Guss. Menschen, die keine enge Beziehung zu Gewerkschaften hatten, haben ein Bewusstsein gegen die da oben entwickelt. Nach dem Motto: Wir lassen uns nicht mehr verarschen. Wenn wir uns zusammentun, können wir von denen da oben was zurückholen.

Quelle: raulzelik.net… vom 26. September 2018

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