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Lehren der deutschen Revolution 1918/19

Eingereicht on 11. November 2018 – 10:16

GIS. Der 9. November ist ein besonderes Datum im deutschen Geschichtskalender. Vor 70 Jahren brannten im Zuge der sog. „Reichskristallnacht“ die Synagogen und jüdische Geschäfte, der Auftakt zum Massenmord der Nazis. Vor nunmehr fast 30 Jahren fiel die Berliner Mauer, während der 9. November 1918 vor 100 Jahren als Auftakt der Novemberrevolution gilt. Fast genau ein Jahr nach der russischen Oktoberrevolution war nun auch Deutschland vom revolutionären Fieber ergriffen worden. Angesichts der harten Bedingungen der Isolation und den quälenden Debatten über die Unterzeichnung des Vertrages von Brest Litowsk, war die deutsche Revolution für die russischen Bolschewiki ein lang ersehnter Lichtblick. Die Isolation des revolutionären Russland schien gebrochen und die Weltrevolution auf dem Vormarsch.

Der schwierige Bruch mit der Sozialdemokratie

Die Wirklichkeit sah anders aus. Die Konterevolution war bereits Wochen vor der Revolte der Arbeiter und Matrosen auf die Ereignisse vorbereitet. Im September musste der Chef des Generalstabes, Ludendorff, den Kaiser davon unterrichten, dass die deutsche Offensive, die nach der Unterzeichnung des Vertrages von Brest Litowsk gestartet wurde, zum Stehen gekommen war. Für die herrschende Klasse stellte sich nun die Frage wie sie mit möglichst geringem Schaden aus dem verlorenen Krieg herauskommen könnte. Sie setzten zunächst auf eine Verständigung mit den alliierten Mächten, mussten jedoch bald einsehen, dass auf dem diplomatischen Wege nur sehr wenig zu erreichen war. Der deutsche Generalstab begann nun Verhandlungen mit der SPD aufzunehmen, was an und für sich kein neuer Schritt war. Bereits vor dem Kriege hatte es Verhandlungen mit der Sozialdemokratie gegeben, um sicherzustellen, dass diese die Kriegsbemühungen Deutschlands nicht sabotiere. Diese Verhandlungen waren letztendlich von Erfolg gekrönt. Zum großen Erstaunen der Weltöffentlichkeit, trotz aller Verlautbarungen und internationalen Antikriegsproklamationen ließ die SPD in der „Stunde der Gefahr“ ihr „Vaterland nicht im Stich“ und stellte sich auf die Seite der Kriegstreiber. Der Burgfriede mit dem Kaiser war geschlossen, die Arbeiterklasse quasi über Nacht politisch entwaffnet worden.

Dieser sog. „Burgfriede“ begann im April 1916 erste Risse zu bekommen, als sich die SPD spaltete und die USPD die politische Bühne betrat. Allerdings hatten auch die sog. Unabhängigen keine konsistente und prinzipielle Kritik am imperialistischen Krieg und beschränkten sich vornehmlich auf vage pazifistische Parolen und Forderungen, anstatt die Arbeiterklasse offen zum Widerstand gegen den Krieg aufzurufen. Diese Aufgabe blieb kleineren Gruppen überlassen, die den Bruch mit der Sozialdemokratie und der Kriegspolitik schon sehr viel früher vollzogen hatten. Die klarste von ihnen waren die sog. Bremer Linksradikalen um Paul Fröhlich und Johann Knief. Sie bezogen sich in ihren Positionen viel auf die holländischen „Tribunisten“ (benannt nach ihrer Zeitschrift „Tribüne“) um Anton Pannekoek und Herman Gorter, die schon 1909 mit der Sozialdemokratischen Partei gebrochen und sich eigenständig organisiert hatten. Die Bremer Linksradikalen wie auch die sog. „Lichtstrahlen“-Gruppe um Julian Borchhard waren die Vorläufer der kommunistischen Linken. Sie hatten bereits auf der Zimmerwalder Konferenz Lenins Politik unterstützt, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Nach der Zimmerwalder Konferenz fusionierten diese beiden Gruppen, um die „Internationalen Sozialisten Deutschlands“ (ISD) ins Leben zu rufen. Zwar leisteten die ISD (ab 1918 umbenannt in „Internationale Kommunisten Deutschlands“-IKD), eine wichtige Umgruppierungsarbeit unter den revolutionären Gruppen und Einzelpersonen, gleichwohl blieb ihr Einfluss in der Arbeiterklasse begrenzt. Weitaus bekannter war die Gruppe Internationale, die auch unter dem Namen ihrer Flugschrift als Spartakusgruppe oder Spartakisten firmierte. Ihr Bekanntheitsgrad ging wesentlich auf die Aktivitäten und die Popularität ihres Führungsmitglieds Karl Liebknecht zurück. Liebknecht war einer der ersten, der sich der parlamentarischen Disziplin der Sozialdemokratie widersetzt und im Dezember 1914 gegen die Kriegskredite gestimmt hatte. Dieser mutige Alleingang brachte ihm hohes Ansehen und Prestige in der Arbeiterklasse ein, insbesondere als der erste Kriegstaumel sich zu legen begann. 1916 wurde Liebknecht aufgrund seiner antimilitaristischen Aktivitäten inhaftiert, was zu einem eindrucksvollen Proteststreik der Arbeiterklasse führte. Trotz ihrer bemerkenswerten Antikriegsaktivitäten blieb die Spartakusgruppe immer noch dem politischen Bezugsrahmen der alten Sozialdemokratie befangen. Obwohl sie sich des halbherzigen Charakters der USPD durchaus bewusst war, trat sie ihr als Strömung bei. Dies war ein schwerwiegender Fehler, da die USPD, weit davon entfernt „unabhängig“ zu sein, ein regelrechtes Sammelbecken für einschlägige Revisionisten wie z.B. Bernstein oder Kautsky darstellte. Rosa Luxemburg, die andere prominente Führungsfigur der Spartakusgruppe, hatte die letzten 20 Jahre versucht, in der Sozialdemokratie für eine revolutionäre Perspektive zu kämpfen. Aber auch sie war nicht in der Lage, gänzlich mit der Sozialdemokratie zu brechen. Selbst zu Beginn des Krieges stand sie noch auf dem Standpunkt, dass eine schlechte Arbeiterpartei immer noch besser als gar keine sei. Grandioser hätte man nicht falsch liegen können. Die Programmatik der Spartakusgruppe basierte im Wesentlichen auf Rosa Luxemburgs Junius-Broschüre. Trotz einiger weitsichtiger Kritiken an der Politik der Kriegssozialisten, blieb die Junius-Broschüre jedoch noch der Orientierung verhaftet, das Wesen der Sozialdemokratie ändern zu können. Rosa Luxemburg hatte noch nicht vollständig verstanden, dass die Unterstützung des Krieges kein einfacher Fehltritt gewesen war, sondern lediglich die wahre Natur der Sozialdemokratie offenbart hatte – die Klassenkollaboration mit dem Kapitalisten, um das System als Ganzes zu verteidigen.

Es ist kein Zufall, dass alle sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer sich der Mehrheit um Ebert und Noske anschlossen, die ebenso wie sie aus dem Gewerkschaftsapparat kamen. Ihr ganzer politischer Lebensinhalt bestand darin, mit dem Kapital Verhandlungen zu führen. Die Spartakusgruppe rechtfertigte ihren Verbleib in der USPD mit dem Argument, die Basis im revolutionären Sinne zu beeinflussen. Faktisch war das Gegenteil der Fall. Als Teil der USPD bezogen die Spartakisten nicht die gleiche konsequente Antikriegsposition wie sie bspw. von Lenin und den „Internationalen Sozialisten Deutschlands“ auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kiental verfochten wurde. Ihr Unvermögen, sich politisch und organisatorisch von der USPD abzusetzen hatte zur Folge, dass viele Impulse der Antikriegsaktivitäten Liebknechts und Luxemburgs wirkungslos verpufften. In Russland hatten die Bolschewiki schon sehr viel früher mit dem zentristischen Parteiflügel gebrochen, und damit begonnen, eigenständige Organisationsstrukturen auszubauen und Propaganda zu betreiben. Dies ermöglichte es ihnen, nach der Februarrevolution 1917 als internationalistischer Bezugspunkt für die Arbeiterklasse zu fungieren.

In Deutschland stellte sich die Lage vollkommen anders dar. Die Spartakisten zögerten nicht nur sich von der USPD abzugrenzen, sie fügten sich dazu auch noch bereitwillig in deren föderalistischen und dezentralen Organisationsstrukturen ein, was die Entwicklung einer eigenständigen und wahrnehmbaren Politik gänzlich verzögerte, Erst in den letzten Dezembertagen des Jahres 1918 konstituierte sich eine eigenständige kommunistische Partei. Luxemburg hatte in ihren „Leitsätzen über die Aufgaben der Sozialdemokratie“ hervorgehoben, dass „… sich die Hauptaufgabe des Sozialismus heute darauf (richtet), das Proletariat aller Länder zu einer lebendigen revolutionären Macht zusammenzufassen, es durch eine starke internationale Organisation mit einheitlicher Taktik und politischer Aktionsfähigkeit im Frieden wie im Kriege zu dem entscheidenden Faktor des politischen Lebens zu machen, wozu es durch die Geschichte berufen ist.“ [1] Dies war eine weitschweifige und äußerst vage Perspektive, aber keine konkrete Orientierung, um mit der USPD zu brechen und einen Umgruppierungsprozess mit den anderen linken Gruppen (maßgeblich ISD/IKD) einzuleiten. Mit letzteren gab es sicher eine Reihe politischer Differenzen in der Frage des Parlamentarismus oder der Gewerkschaften, diese waren jedoch weitgehend taktischer Natur. Das eigentliche Drama bestand darin, dass alle deutschen Revolutionäre, die im Dezember 1918 die KPD aus der Taufe hoben, noch vollständig in föderalistischen und lokalistischen Arbeitsweisen verhaftet waren. Dies zu einem Zeitpunkt als nicht nur eine kommunistische Partei in Deutschland, sondern auch eine neue Internationale dringend gebraucht wurde. Die föderalistischen Strukturen des Spartakusbundes wurden einfach auf die neue kommunistische Partei übertragen, so dass diese nicht einmal in der Lage war, ein wirklich funktionierendes Zentralkomitee zu entwickeln.

Präventive Konterrevolution

Die Gegenseite war von so einem Dilettantismus weit entfernt. Die herrschende Klasse stand der drohenden Gefahr durchaus gewappnet gegenüber. Die Sozialdemokratie war dem deutschen Imperialismus einmal zur Hilfe geeilt und hatte folgerichtig auch kein Problem dies wieder zu tun. 1917 brachen unter der ausgehungerten Bevölkerung spontane Streiks und Demonstrationen aus, die sich unter dem Eindruck der Oktoberrevolution rasch ausweiteten. Im Januar traten in Wien hunderttausende Arbeiter in den Streik und wählten Räte nach russischem Vorbild. Eine Woche später verteilten die Spartakisten Flugblätter, in denen zur Solidarität mit den Wiener Arbeitern aufgerufen wurde. Eine halbe Million Arbeiter reagierten positiv auf diesen Streikaufruf. Auf Massenversammlungen wurden Delegierte und Streikkomitees gewählt, die Keimform von Arbeiterräten. Es wurde ein Aktionskomitee gebildet, dem 11 Delegierte angehörten. Ludendorffs Regime blieb jedoch nicht untätig: Streikversammlungen wurden gewaltsam aufgelöst und der Belagerungszustand ausgerufen.

Weitaus schwerwiegender als diese Repressalien wirkte jedoch der Umstand, dass dem besagten Aktionskomitee drei Mitglieder der Mehrheitssozialdemokratie angehörten. Einer davon war Friedrich Ebert, der seine Beweggründe für den Eintritt in das Komitee später folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Ich bin mit der bestimmten Absicht in die Streikleitung eingetreten, den Streik zum schnellsten Abschluss zu bringen, und eine Schädigung des Landes zu verhüten.“ Die Sozialdemokraten arbeiteten nun fleißig daran die Bewegungsansätze zu sabotieren. Ebert gab sich sogar dafür her, auf einer verbotenen Versammlung zu sprechen, um eine Ausweitung der Bewegung zu verhindern. Er orientierte mit einigen Erfolg auf Verhandlungen mit der Regierung über die ökonomischen Forderungen der Streikenden. Da die völlig unvorbereiteten Revolutionäre, dem nichts entgegenzusetzen hatten, endete die Streikbewegung in Konfusion und Demoralisation. Die Regierung ging nun zu weiteren Repressalien über, und schickte die aktivsten Streikaktivsten an die Front. Die Reihen der Arbeiteraktivisten wurden so weiter ausgedünnt.

Doch ihr eigentliches patriotisches Gesellenstück leisteten Ebert, Scheidemann erst im November 1918 ab. Der deutsche Generalstab stand nach dem verlorenen Krieg vor der Herausforderung, die Klassenprivilegien der Bourgeoisie zu sichern. Es gelang ihm in den Waffenstillstandsverhandlungen die Alliierten davon zu überzeugen, eine beträchtliche Menge Waffen und Maschinengewehre nach Deutschland zu schaffen, um den „Erhalt der sozialen Ordnung“ sicherzustellen. Gleichzeitig wurden sog. „unzuverlässige Elemente“ in den verschiedenen Truppenteilen vor ihrer Rückkehr nach Deutschland penibel überwacht. Das Kernelement im strategischen Plan des Generalstabes bestand jedoch in der Übertragung der Regierungsgeschäfte an den einstigen „Klassengegner“, die Sozialdemokratie. So wurde eine neue demokratische Fassade geschaffen um der drohenden revolutionären Gefahr zu begegnen. Als Ende Oktober die Nachricht vom Kieler Matrosenaufstand Berlin erreichte, wurde der Mehrheitssozialdemokrat Noske nach Kiel entsandt. Noske musste schnell einsehen, dass es unmöglich war, die Matrosen dazu zu überreden, die Waffen abzugeben und wieder auf ihre Schiffe zurückzukehren. Stattdessen bemühte er viel „sozialistische“ Rhetorik und stellte sich an die Spitze der Bewegung, ohne auf viel Widerspruch zu stoßen. Die USPD unterstütze Noske im Namen der „proletarischen Einheit“.

Währenddessen breitete sich die Revolution über ganz Deutschland aus. In Hamburg, Bremen, Hannover, Braunschweig, Köln, München, Leipzig, Dresden, Chemnitz, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und über hundert weiteren Städten entstanden Arbeiter- und Soldatenräte. Am 9. November musste der Kaiser schließlich abdanken. Reichkanzler Prinz Max von Baden übertrug die Regierungsgeschäfte an Friedrich Ebert. Die SPD übernahm nun die Initiative. In den Verlagsräumen ihrer Zeitschrift Vorwärts gründete sie einen Arbeiter -und Soldatenrat der für den nächsten Tag zu einer Massenversammlung aufrief. Die USPD- Führung traute angesichts dieses geschäftigen Treibens der einstigen „Kaiser-Sozialisten“ ihren Augen nicht, unterstützen aber deren Vorgehen. Die sich ausbreitende Rätebewegung stellte nun eingefleischte sozialdemokratische Parlamentarier vor die Aufgabe, schnellsten die Führung zu übernehmen, um die Bewegung wieder in „geordnete Bahnen“ zu lenken.

Die deutschen Räte unterschieden sich jedoch gewaltig von den russischen Sowjets. Sie standen meistens unter der Kontrolle der Mehrheitssozialdemokraten. Oftmals gaben Offiziere als sog „Soldatendeputierte“ wieder den Ton an. Während die russischen Räte an der Basis der Fabrikkämpfe entstanden waren, entwickelten sich die Räte in Deutschlands oftmals aus der lokalen Initiative politischer Parteien und Gewerkschaften, die durch die Massenbewegung unter Handlungsdruck gekommen waren. Sicher wiesen die Räte an einigen Orten große Gemeinsamkeiten mit den russischen Sowjets auf. In Ihrer großen Mehrheit glichen sie jedoch eher spontan entstandenen lokalen Verwaltungseinrichtungen als den Organen einer aufständischen Bewegung gegen die politische Ordnung. Der erste nationale Arbeiter -und Soldatenkongress, der vom 16. bis zum 20 Dezember in Berlin tagte, spiegelte diesen heterogenen Klassencharakter wider. Anton Pannekoek hatte die Zeichen der Zeit klar erkannt, als er in einem Artikel in der britischen linkskommunistischen Zeitschrift „Workers` Dreadnought“ schrieb: „Es gibt keine Zweifel, dass für den 16. Dezember einberufene Kongress der Arbeiter – und Soldatenräte in seiner Mehrheit die bürgerliche Ebert-Haase-Regierung unterstützen wird. Diese Räte sind in keiner Weise wirkliche proletarische Organe. In den Soldatenräten bestimmen die Offiziere, während in den Arbeiterräten die Gewerkschafts – und Parteiführer den Ton angeben. Diese Leute werden nicht zulassen, dass die Revolution weiter voranschreitet, wenn sie es verhindern können.“

Diese Vorhersage wurde von Eugen Leviné, der als Delegierter des Spartakusbundes am Reichsrätekongress teilnahm, vollauf bestätigt: „Wir haben von vornherein gewusst, dass die Spartakus-Linke, in verschwindender Minderheit dort sein würden , haben auch gewusst, dass unser Nachbar von rechts, die Unabhängigen, ebenfalls nicht die Mehrheit haben würde. Trotzdem haben wir uns nicht denken können, dass die Zusammensetzung des Rätekongresses so erfolgen würde, dass, wie ein Genosse sich ausdrückt hat, listenreiche Parteisekretäre und pflichteifrige Gewerkschaftsbeamte in der Mehrheit sein würden, denen die Interessen der Arbeiter gleichgültig sind (…) Wenn wir das Schicksal diese Kongresses betrachten wollen, (müssen) wir gleichzeitig feststellen, wie dass Verhältnis der Spartakusgruppe zu den Unabhängigen war. Denn sie werden sich gefragt haben, wenn Sie die Kongressberichte gelesen haben: wo bleibt die Spartakusgruppe? (…) Wo ist die grundsätzliche Stellungnahme, die die Spartakusgruppe gegen die Unabhängigen in Gegensatz bringt? Wie ein kleines Sandkörnchen die ganze Lawine mit sich reißt, so war es hier ein organisatorischer Fehlgriff, der von vornherein die Situation der Spartakusgruppe in eine hoffnungslose Lage gebracht hatte. (…) Anstatt vorn auf der Tribüne zu wirken, waren wir gebunden an die Fraktion der Unabhängigen, die wie eine Bleikugel an unseren Beinen hing, und eine sehr heimtückische Kugel, die es bewirkte, dass manchmal in der Rednerliste kleine Erdrutsche vorkamen, und die in jeder Beziehung unsere Tätigkeit lahm gelegt hatte.[2]

Im Wesentlichen unterstrich Leviné hier die absolute Unfähigkeit der Spartakusgruppe, unabhängig vom „Nachbar von rechts“, bzw. der USPD, zu agieren und sich eigenständig Gehör zu verschaffen. Der Vorschlag des Spartakusbundes, statt einer Nationalversammlung die Macht den Räten zu übertragen, hatte keine Chance. Die USPD sabotierte die Debatte darüber, und machte es damit der SPD einfach, die Selbstentmachtung des Rätekongresses zugunsten einer Nationalversammlung durchzuboxen. Leviné zog daraus folgende Schlussfolgerung:

„In den früheren Revolutionen war der Kampf einfach, mit offenem Visier. Die Gegenrevolution trat offen auf den Plan, sie bekannte sich als königstreu, sie versteckte sich nicht. Heute wird der Kampf so erschwert, weil der Kapitalismus und der Imperialismus sich verstecken hinter der Maske der Abhängigen (Anm. d. Red. gemeint ist die SPD) und wir haben noch bis zur Übergabe der ganzen Macht an die Koalition des Kapitalismus und Imperialismus den Gegner mit der Scheinmaske. Unter diesen Umständen gehen wir jetzt in den Kampf.[3]

Die Gründung der KPD

Für diesen Kampf waren die Revolutionäre alles andere als vorbereitet. Rosa Luxemburgs Ansicht, dass eine schlechte Arbeiterpartei immer noch besser als gar keine sei, spiegelte in einem hohen Masse den Bewusstseinstand vieler Arbeiter wieder, die nicht verstehen konnten, dass die SPD nicht einfach nur falsch lag, sondern durchgehend opportunistisch war. Als sie im August 1914 die Klassengrenze überschritten und in das Lager der Bourgeoisie übergegangen war, gab es jedoch keine Arbeiterpartei als solche mehr. Gleichzeitig pflanzten die Spartakisten niemals ein Banner auf, hinter dem sich die revolutionären Teile der Arbeiterklasse hätten sammeln können. Sie entwickelten keine grundlegende Kritik an der Sozialdemokratie und selbst als diese sich spaltete, entschieden sie sich für eine Arbeit im Schosse der USPD, die eine verschwommene pazifistische Position zum Krieg vertrat. Faktisch wäre es nie zur Gründung der KPD gekommen, wenn es Karl Radek nicht gelungen wäre, die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) zu überreden, mit dem Spartakusbund Vereinigungsverhandlungen aufzunehmen. Freilich unter der Maßgabe, dass dieser mit der USPD zu brechen habe. Erst als die USPD Rosa Luxemburgs Forderung nach Einberufung eines Parteikongresses ablehnte, hatte diese keine andere Wahl mehr, als sich an der Gründung der KPD zu beteiligen. Gleichwohl gab es in den Reihen des Spartakusbundes die weit verbreitete Auffassung, dass eine revolutionäre Partei eine Massenpartei nach sozialdemokratischem Vorbild sein müsse. Dass dies ein schwerwiegender Denkfehler ist, wurde durch die Ereignisse in Deutschland bestätigt. Es liegt in der Natur der Sache, dass Massenparteien in den Strukturen des Systems arbeiten müssen, um als solche zu überleben. Wenn sie ihre Mitgliedschaft nicht verlieren wollen, müssen sie auf alles und jeden eine schnelle (d.h. reformistische) Antwort parat haben.[4] Die deutsche Sozialdemokratie hatte dies mit der Koexistenz eines Minimal – und eines Maximalprogramms hervorragend vorgemacht. Als jedoch der imperialistische Krieg auf der Tagesordnung stand, war die Spaltung entlang der Klassenlinie unausweichlich.

Das Unvermögen des Spartakusbundes, hieraus die politischen und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen, führte zur verspäteten Gründung der KPD, zu einem Zeitpunkt, als die Konterevolution bereits auf dem Vormarsch war. Dennoch war noch nicht alles verloren. Die Veröffentlichung von Luxemburgs Entwurf eines Programmentwurfs war ein erster wichtiger Schritt zum Aufbau einer revolutionären Partei. In dieser, unter dem Titel „ Was will der Spartakusbund“ publizierten Schrift, hob sie hervor, dass „die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung die gewaltigste Aufgabe (ist), die je einer Klasse und einer Revolution in der Weltgeschichte zugefallen ist. (…) In allen bisherigen Revolutionen war es eine kleine Minderheit des Volkes, die den revolutionären Kampf leitete, die ihm Ziel und Richtung gab und die Massen nur benutzte, um ihre Interessen, die Interessen der Minderheit, zum Siege zu führen. Die sozialistische Revolution ist die erste, die im Interesse der großen Mehrheit und durch die große Mehrheit der Arbeitenden allein zum Siege gelangen kann.(…) Das Wesen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin, dass die große arbeitende Masse aufhört, eine regierte Masse zu sein, vielmehr das ganze politische und wirtschaftliche Leben selbst lebt und in bewusster Selbstbestimmung lenkt. (…) Die Proletariermassen müssen lernen, aus toten Maschinen, die der Kapitalist an den Produktionsprozess stellt, zu denkenden, freien, selbsttätigen Lenkern dieses Prozesses zu werden. (…) Sozialisierung der Gesellschaft kann nur durch zähen unermüdlichen Kampf der Arbeitermasse in ihrer ganzen Breite verwirklicht werden, auf allen Punkten, wo Arbeit mit Kapital, wo Volk mit bürgerlicher Klassenherrschaft aneinander ins Weiße des Auges blicken. Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“ [5]

Der Januaraufstand

Dies waren richtige und sehr weitsichtige Positionen. Dennoch verfielen Teile der KPD nur wenige Wochen nach ihrer Gründung in ein abenteuerliches Stellvertretertum. Nach ihrem verspäteten Bruch mit der Sozialdemokratie verfügten die Mitglieder der KPD im Unterschied zu den Bolschewiki nicht über gemeinsame politische Erfahrungen. Föderalistische und lokalistische Traditionen und Sichtweisen waren weit verbreitet. Zwar gab es eine sog. Zentrale, die aber praktisch kaum Einfluss hatte. Die KPD lehnte das parlamentarische System einhellig ab, dennoch gab es Differenzen darüber ob man sich aus taktischen Gründen and den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen sollte. Letztendlich setzen sich in dieser Frage die Befürworter eines Wahlboykotts um Otto Rühle gegen Rosa Luxemburg durch. Am 5. Januar riefen die Revolutionären Obleute zu einer Demonstration gegen die Absetzung des Berliner USPD -Polizeipräsidenten Emil Eichhorn durch die Ebertregierung auf, an der auch die KPD teilnahm. Am Abend nach dieser erfolgreichen Massendemonstration trafen sich Vertreter der Revolutionären Obleute, der linken Unabhängigen und Karl Liebknecht als Vertreter der KPD und hoben einen sog. „Revolutionsausschuss“ aus der Taufe. Nun offenbarte sich eine große Schwäche Liebknechts. Er war ein mutiger und couragierter Einzelkämpfer, der es aber nicht gewohnt war, unter der Disziplin einer wirklich revolutionären Organisation zu arbeiten. Ohne irgendwelche Rücksprache mit der KPD- Führung setzte er seinen Namen unter die Proklamation des Komitees, die die Ebertregierung kurzerhand für abgesetzt erklärte. Dies war wortgewaltige Prahlerei, da von einem ausgearbeiteten und koordinierten Aufstandsplan nicht die Rede sein konnte. Dennoch traten junge KPD-Mitglieder und revolutionäre Arbeiter in Aktion, und lieferten sich Schießereien mit der Polizei. Luxemburg und andere Leitungsmitglieder der KPD waren von Liebknechts Vorgehen entsetzt, aber gleichzeitig auch von der nun eingetretenen Situation überfordert. Der in Berlin weilende Karl Radek forderte die KPD-Leitung eindringlich auf, die Bewegung zurückzufahren und warnte vor einer Wiederholung der Julitage 1917 in Russland.[6] Im Unterscheid zur KPD verfügten die Bolschewiki jedoch über eine feste Verankerung in der Arbeiterklasse und konnten sich somit von den Schlägen der Reaktion schnell erholen. Die KPD hingegen stand gerade erst vor der Aufgabe, diese Verwurzelung in Angriff zu nehmen. Sie hatte in dieser entscheidenden Situation nicht einmal Einfluss auf ihre eigene Basis. Aufgrund ihrer verspäteten Gründung, des Fehlens einer klaren Organisationsstruktur, Disziplinlosigkeit und dem Mangel an kollektiven politischen Erfahrungen konnte sie den gewieften Taktikern der SPD wenig entgegensetzen. Die deutsche Arbeiterklasse musste dafür einen hohen Preis zahlen. Dieser bestand nicht nur in den kaltblütigen Morden an hunderten Arbeitern und Kommunisten (darunter auch Luxemburg und Liebknecht) sondern auch in der weiteren Niederlagen des revolutionären deutschen Proletariats. Die Spaltung der KPD die zur Gründung der KAPD führte, das Scheitern der Märzaktion 1921 sowie des sog. “deutschen Oktobers“ 1923 hatten allesamt ihren Ursprung im Unvermögen der deutschen Revolutionäre nach 1914, eine funktionierende proletarische Organisation aufzubauen. Das Ausmaß der Tragödie wird auch durch den Umstand unterstrichen, dass die Krise des deutschen Kapitalismus nach 1919 nicht einfach vorbei war. Wie die Ereignisse der nächsten vier Jahre zeigten, war die Bourgeoisie geschwächt und in vielen Fragen gespalten, was einer schlagkräftigen revolutionären Partei mehrmals die Möglichkeit eröffnet hätte, dem Klassengegner den entscheidenden tödlichen Stoß zu versetzen. Die KPD schwankte jedoch zwischen Opportunismus und Abenteurertum und entwickelte sich mehr und mehr zu einem bloßen Anhängsel der degenerierenden Dritten Internationale, während die KAPD von lokalistischen, syndikalistischen und rätistischen Tendenzen zerrissen wurde, und schließlich mit dem Abflauen der revolutionären Welle von der Bildfläche verschwand. Die Geschichte der deutschen Revolution ist somit die Geschichte trauriger Niederlagen, aus denen man heute wahrscheinlich weitaus mehr lernen kann, als aus dem Sieg der Bolschewiki 1917.

Quelle: gis.blogsport.de… vom 11. November 2018

[1] Rosa Luxemburg Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie, zit. nach Rosa Luxemburg – Politische Schriften, Frankfurt 1975, Seite 155.

[2] Zit. nach Rosa Meyer – Levine: Levine` – Leben und Tod eines Revolutionärs, Darmstadt 1972, Seite 277.

[3] Ebenda Seite 281.

[4] Dieser Illusion erlagen auch die Trotzkisten aller Schattierungen. Trotzki selbst hat diese Illusionen im Zuge seiner „Französischen Wende“ befördert, als er seine Anhänger aufforderte, verdeckt in der Sozialdemokratie zu arbeiten, um diese zu radikalisieren.

[5] Zit. nach Politische Schriften, Seite 163.

[6] Die Julitage waren ein Zeitraum äußerster Repression gegen die Bolschewiki.

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