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 «Zielt also richtig, aber vor allem: haltet durch!»

Eingereicht on 7. Dezember 2018 – 18:25

Lundi matin. Auch wenn sie sich bald als fragil erweisen mag, bleibt einer der Hauptvorzüge der gegenwärtigen Mobilisierung vorerst, dem Musée Grévin  die Rhetorik und das praktische Repertoire der linken Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts zurückzugeben und gleichzeitig mehr Gerechtigkeit und Gleichheit zu fordern, ohne dabei jedoch die anti-fiskalische Orientierung der rechten und extremen Rechten der Nachkriegszeit neu zu beleben. Nach dem Zusammenbruch der französischen Sozialdemokratie in Frankreich mit der Wahl von Macron erleben wir nun das Scheitern der Kommunisten, von La France insoumise, der Linken, Anarchisten, Mitglieder der «ultra-linken» und anderer Profis des Klassenkampfes oder dann der schicken radikalen Sprecherinnen und Sprecher: und eine Mehrheit von ihnen, nachdem sie ihren Standpunkt dargelegt oder ihre Nase gerümpft haben, läuft nun, besiegt, auf allen Vieren mit ihren kleinen Gruppen, Gewerkschaften, Parteien, Presseinterventionen und Blogposts der Bewegung hinterher. Willkommen dann bei der Nachhut!

Die Verzögerung ist offensichtlich, die Parade ist ein Trauerzug. Alle können spüren, dass die bei der Präfektur angekündigten Aufrufe, die Foren, Anträge, Petitionen, die Routen über die Bastille, die Place de la République, ihre Sicherheitsdienste und ihr  Zug an der Spitze, die Konsultations- und Verhandlungstermine zwischen Vertretern und Regierenden, das kleine Theater der Repräsentativität zwischen den Führern oder Delegierten und «der Basis», der Presse oder der Generalversammlung – kurz gesagt, dass die letzten Ruinen des Wohlfahrtsstaates bzw. seine Formen des Protestes in Rauch aufgegangen sind: dass sie nicht nur nutzlos, sondern vor allem veraltet und lächerlich sind, Worte einer toten und mausetoten Sprache sind, die wahrscheinlich noch lange Zeit von den Geistern geraunt wird, die sie heimsuchen werden. Wir können immer auf Bürokraten, Lehrlinge oder Fachleute zählen, und auf die Armee, die von organischen Intellektuellen des Nichts zur Verfügung gestellt wird, auf die Bauchredner, auf das große Spiel der Partei, auf die Avantgarde einer Bewegung, von der sie in Wirklichkeit die traurigen Strassenkehrfahrzeuge sind.

Hier sind sie also, ihre Losungen, die bald Verfassung sein werden, erlassen Regeln des guten kollektiven Verhaltens, doktrinieren die Umkehrung der Machtverhältnisse, beschönigen doktrinär den mehr oder weniger vorrevolutionären Charakter der Situation, infiltrieren Demonstrationen und Versammlungen, fordern die Konvergenz der Kämpfe und sogar einen Generalstreik…. Diese Praktiken und Reden stellten sich bereits im vergangenen Jahr während der Bewegungen von Eisenbahnarbeitern und Studenten als hohl und beschwörend heraus. Heute sind sie mehr denn je so. Denn die Neuheit, Hartnäckigkeit und die frühen Erfolge der «gelben Jacken» werfen in aller Grausamkeit Licht auf die Reihe der fast systematischen Niederlagen der letzten Jahre in Frankreich und auf den allgemeinen Zerfall aller linken Strömungen, obwohl diese doch so stolz auf ihr Erbe und ihre Einzigartigkeit sind und im Verlaufe der vergangenen fünfzig Jahre immer mehr dahinsiechten. Weit davon entfernt, ein Hindernis zu sein, hat gerade die vielfach diskreditierte ideologische Unreinheit der Mobilisierung bisher ihre Ausweitung begünstigt und alle vereinheitlichenden Wünsche von spezialisierten Organisationen oder Aktivisten überholt hat. Für Fachleute der linken Ordnung und der aufständischen Unordnung stellt die Bewegung der «Gelben Westen» daher eine Einladung zur endlich freien Teilnahme dar, losgelöst von institutionellen Kollektiven, wie von anderen materiellen und ideologischen Lasten der Vergangenheit.

Am Dreh- und Angelpunkt

Die anhaltende Mobilisierung muss nicht durch bestehende oder parallele Bewegungen aufgeblasen – oder vielmehr konkurriert werden; solche Absichten könnte man durch aus zwischen den Zeilen der Erklärungen der abgesetzten kleinen Führer lesen. In Verkehrskreiseln und auf der Straße, durch Blockaden oder Unruhen, bringt sie ja bereits heterogene, politisch vielfältige und sogar gegensätzliche Kräfte zusammen (die sich jedoch oft soziologisch nahe sind). Mehr als um bereits vorhandene Ideale oder um ein gemeinsames Klassenbewusstsein, und noch mehr als um Videos oder Botschaften, die in sozialen Netzwerken ausgetauscht werden, geht es der Bewegung in erster Linie um lokale, alte oder alltägliche Geselligkeiten, um Bekanntschaaften außerhalb des Arbeitsplatzes, in Cafés, Vereinen, Sportvereinen, Gebäuden, Stadtvierteln. Da ihnen die Religiosität der Fortschrittsideologie (mit ihren abgetragenen Mythen, ihren ausgehöhlten Ritualen) auf eine gewalttätige Art fremd ist, schienen die «Gelben Westen» in den ersten zwei Wochen der Bewegung keine Gewissheit mit sich herumzutragen, keine vorgefertigte Interpretation ihres gemeinsamen Unglücks. Alle halten sie – in Flexibilität und Anpassung, auf die Gefahr der Auflösung und des Auseinanderbrechens Auflösung hin – den Asphalt oder marschieren weiter zu Kreuzungen und Mautstellen, ohne feste Vorurteile, ohne auferlegte Gewissheit, befreit von dem pathologischen Intellektualismus und Idealismus der Linken und ihrer Phantasie über das Proletariat, das historische Subjekt und die universelle Klasse.

In dieser Hinsicht steht die Bewegung am Scheideweg zweier Perioden des Kapitalismus und seiner Regierungsformen. In seinem Inhalt trägt er mehr als in seiner Form Spuren der Vergangenheit, lässt uns aber auch eine mögliche Zukunft von Kämpfen oder Aufständen sehen. Die Kritik an der Steuer, die Forderung nach Umverteilung, nach Korrektur von Ungleichheiten, wird dann an einen Regulierungsstaat gerichtet, wenn er weitgehend verschwunden ist. Die Bewegung will sowohl weniger Steuern als auch mehr Regierung. Sie greift letztere nur insoweit an, als er sich aus städtischen und semi-ländlichen Gebieten zurückgezogen hat. Und wenn es um die Kaufkraft ging, so wurden die Löhne ignoriert, die weit mehr als nur die Steuern die Kaufkraft bestimmen. Bemerkenswertes Merkmal der aktuellen Periode: Niemand in der Regierung hat auch nur daran gedacht, den Unternehmern ihre Lohnpolitik vorzuwerfen. Diese doch taktisch unverständliche Einschränkung, drückt besser als jede Rede die Interessen aus, denen die politischen Führer des derzeitigen Regimes bis zu dessen Niedergang dienen werden.

Weil sie sich den Parteien widersetzt, sich außerhalb der Gewerkschaften – und sogar zu Beginn gegen sie – ausdrückt, greift die Bewegung auch das gesamte System der Interessenvertretung an, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg und dann in der Fünften Republik herausgebildet hat – eine Reihe von Delegationsmechanismen, die mit dem keynesianischen Management des Kapitalismus verbunden sind. Indem sie die Linken zurück in die Folklore oder gar in Formaldehyd schicken, vervollständigen die «Gelben Westen» für einige die seit Mai 68 erhobenen Forderungen nach Autonomie. Aber sie stehen auch im Einklang mit dem Programm zur Zerstörung von Gewerkschaftsorganisationen und der demokratischen Institutionen, das seit den 1970er Jahren im Rahmen des fortgeschrittenen Kapitalismus durchgezogen wird. Oder besser gesagt: Sie sind der irreduzible Überrest davon, von denen einige die Entstehung prophezeit haben. Abwechselnd oder gleichzeitig keynesianisch, liberal und neoliberal: Die Bewegung trägt sie in ihrem Verhältnis zum Staat, zur Wirtschaft, zur Geschichte, die Stigmata dieser todbringenden politischen Ideen und der Doppeldeutigkeiten der Epoche mit sich.

Dennoch bringt sie, wenn auch in noch widersprüchlicher Form, die erste Massenpolitisierung der ökologischen Frage in diesem Land auf. Deshalb wäre es falsch, die Mobilisierung nur auf die Bedingungen von Klasse und Lohnabhängigkeit zu beziehen und einfach die Probleme des Monatsendes und der Frage des Endes der Welt gegenüberzustellen. Dieser alte Reflex erinnert auch an das alte Regime der Regulierung und des Widerstandes. In der Bewegung der «Gelben Westen» ist die Arbeit nicht das Epizentrum, vielleicht nicht mehr als die Kaufkraft. Was es zeigt, sind neben ökologischen Ungerechtigkeiten (die Reichen zerstören den Planeten viel mehr als die Armen, selbst wenn sie Bio-Lebensmittel essen und ihre Abfälle sortieren, aber auf letzterem basiert der «ökologische Wandel») vor allem die enormen, bisher wenig oder nicht politisierten Unterschiede im Verhältnis zum Verkehr. Anstatt sich im Namen einer sozialen Position auszudrücken, macht sie die Mobilität (und ihre verschiedenen Regime, aufgezwungen oder gewählt, fragmentiert oder konzentriert) sowohl zum Hauptgrund für Mobilisierungen als auch, indem sie sie blockiert, zum wichtigsten Konfliktinstrument.

Die drei Westen

Im Hinblick auf die konkrete Mobilisierung bestand die erste Qualität der Bewegung darin, eine neue Taktik und eine neue Dramaturgie des sozialen Kampfes zu erfinden. Schlechte Ressourcen, perfekt eingesetzt, werden ausreichen, um eine politische Krise herbeizuführen, die in Frankreich in den letzten Jahrzehnten kaum je erreicht wurde. Die Logik der Zahl und Konvergenz, die mit den Formen der Mobilisierung der keynesianischen Zeit konsistent ist, ist nicht mehr das entscheidende Thema: Wir brauchen uns nicht mehr auf Gymnasiasten, Studenten, Nichterwerbstätige, Rentner, ihre Verfügbarkeit und ihre Zeit zu verlassen, noch zu hoffen, dass ein zentraler, mediengestützter, Pariser Resonanzboden der Bewegung ihre Macht und Legitimität verleiht. Die einzigartige Kombination aus einer Vielzahl von kleinen Gruppen, auch an Orten, die seit fast einem halben Jahrhundert ohne spontanes politisches Leben sind, Blockadenpraktiken und dem offensichtlichen, natürlichen, angestammten Rückgriff auf Unruhen, die in das Herz der städtischen Zentren der Departemente, Regionen und Länder getragen werden, ersetzt seit geraumer Zeit zumindest das Streikrepertoire mit ihren verhängten und bereits etablierten Persönlichkeiten.

Über dieses gemeinsame Merkmal hinaus scheinen drei praktische und taktische Trends die Bewegung derzeit zu teilen und ihre Zukunft zu bestimmen. Der erste ist der Wähler in ihrem Herzen, der «Bürger» am Rande. Er fordert bereits die Bildung einer neuen politischen Bewegung, die Schaffung von Listen für die nächsten Europawahlen und träumt zweifellos von einem Schicksal, das mit dem der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, von Podemos in Spanien oder der Tea Party in den Vereinigten Staaten vergleichbar ist. Ziel ist es, auf das bestehende politische Spiel mit Vertretern mit sozialen Merkmalen so nah wie möglich an denen der Vertretenen einzuwirken. Die radikalsten Menschen in diesem Lager sind mit den derzeitigen politischen Institutionen nicht zufrieden und fordern vor allem, dass sie tiefgreifend verändert werden: Sie wollen ihr Referendum oder ihre «nuit debout»-Bewegung, aber in großen Fußballstadien, wo dann eine neue deliberative Demokratie praktiziert und erfunden würde.

Eine zweite Polarität der Bewegung ist offen auf Verhandlungen aus. Sie hat sich am vergangenen Sonntag in der Presse geäussert, zu Gesprächen mit der Regierung aufgerufen und ihre Einladungen angenommen, bevor sie sie dann zurückzog. Eine mehr oder weniger rebellische Fraktion von Parlamentariern und Mehrheitspolitikern reagierte mit Vertretern der Opposition, Gewerkschaftern, Parteiführern oder stellvertretenden Parteiführern, indem sie zu Richtungsänderungen oder sogar zu tiefgreifenden Veränderungen und Generalständen aufrief, Änderungen bei den Steuern, der Ökologie, Ungleichheit und auf anderen brennenden Themen forderte. Dieses Zentrum dominiert die Debatten in dieser dritten Woche, aber es bleibt innerhalb der Bewegung umstritten, die nicht sieht, wie ein neues Grenelle-Abkommen, vor allem ohne Gewerkschaften oder legitime Vertreter und das wahrscheinlich mit der Zeit verwässert werden würde, auf die Wut reagieren könnte. Nach einem Fehlstart ist die Zeit nun zum wichtigsten Kapital dieser Regierung geworden, die hofft, dass der Aufstand in den Feierlichkeiten zum Jahresende ertränkt wird und sie die Diskussionen über mehrere Monate durchstehen könnte. Wir wissen auch, dass unter anderen Umständen die Generalstände  nicht ausreichten, um die Blessuren zu heilen.

Der dritte Kern der Bewegung zielt geradewegs auf den Sturz des Regimes und an seinen Rändern aufständisch oder gar revolutionär. Er wird am Wochenende in Paris und in den Präfekturen auftreten und Macrons Rücktritt fordern, allerdings ohne ein anderes Programm. In den letzten Jahrzehnten hat er in Frankreich beispiellose Erfolge erzielt, indem er die westlichen und wohlhabenden Quartiere der Hauptstadt erreicht und sich mit beispielloser Begeisterung gegen die Polizei gestellt hat, trotz polizeilicher Repression, der vielen Opfer von Gewalt, der abgerissenen Hände, der geschwollenen Gesichter. Einige Zahlen geben einen Eindruck von der gegenwärtigen Gewalt: An einem Pariser Tag, am 1. Dezember, feuerte die Polizei so viele Granaten ab wie im Jahr 2017 (Libération, 3. Dezember 2018). Die sehr zugespitzte Natur der Auseinandersetzungen dient auch dazu, die aufrührerischen Sektoren der Bewegung zu disqualifizieren. Diese Strategie ist letzte Woche gescheitert. Sie ist diese Woche erneut Gegenstand von Massenpropaganda. Die besten Aussichten für diesen Teil der Bewegung sind jedenfalls nicht anders als bei den arabischen Revolten von 2011, als eine sehr heterogene politische Mobilisierung, die von sozialen Netzwerken ausgeht und weitgehend von den traditionellen politischen Gremien abgekoppelt ist, mehrere autoritäre Regime zu Fall brachte, ohne es jedoch zu schaffen, über sie hinauszugehen und eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln.

Das Bild wäre nicht vollständig, ohne uns daran zu erinnern, dass die neofaschistische Möglichkeit alle drei Lager der Bewegung durchquert. Die äusserste Rechte ist in jedem von ihnen präsent. Die identitäre und autoritäre Verkrampfung bleibt ein mögliches Szenario für alle drei Lager: durch ein Bündnis (wie in Italien) oder durch eine elektoralistische Absorption; durch Abscheu oder im Gegenteil, wenn sich die Verhandlungsführer durchsetzen; durch Rückschlag und Konterrevolution, wenn es die linken Putschisten oder Aufständischen sind, die siegen. Die extreme Rechte im Hinterhalt! Den guten Seelen bleibt der Atem aus. Reicht das aus, um die Bewegung zu beschmutzen? Die neofaschistische Möglichkeit ist seit der Wahl von Macron in die Wirklichkeit Frankreichs eingeschrieben: sie ist das notwendige Doppelte und die wahrscheinlichste Folge. Sie wird heute überall als logische Folgemaßnahme zur Aufrechterhaltung der neoliberalen Wirtschaftsordnung und Politik in Zeiten der sozialen Krise angesehen, wie die autoritäre Verschiebung in einer erheblichen Anzahl von Ländern seit 2008 zeigt. Das Bestehen einer solchen Gefahr ist nicht ermutigend, aber es ist ein klarer Beweis dafür, dass wir in Frankreich, in Europa und darüber hinaus an einem Scheideweg stehen. In kritischen Zeiten ist die Geschichte immer ungewiss, wie Magma und Puristen und Hygieniker des Geistes und der Politik geraten unter Druck. Wenn sie noch nicht illiberal sind, sind die «Gelben Westen» bereits antiliberal. Aber wer kann schon sagen, dass sie nicht auf neue Freiheiten hoffen?

Schwache Verbindungen

Daran gemessen ist der aufständische Aufruhr immer noch nichts, auch wenn diejenigen, die am 24. November und 1. Dezember in Paris und in einigen Provinzstädten stattfanden, eine historische Dimension hatten. Manchmal wird vergessen, dass sich die Franzosen fast vier Jahrhunderte lang gewaltsam, meist gegen Steuern und Machtkonzentration, erhoben haben. Es ist die Toleranz gegenüber Zerstörung und Straßengewalt, die sich in den letzten hundert Jahren erheblich abgeschwächt hat. Seit 2016 und dem neuen, fragilen Einverständnis zwischen Strassenmobilisierungen und Versammlungen ist die Dämonisierung von Aufruhr jedoch zurückgegangen. Dieses Band wurde in den letzten Tagen, als Normalbürger mit der erhöhten Polizeibrutalität konfrontiert wurden, nur noch verstärkt. Eine taktische Vorgehensweise könnte darin bestehen, diesen Vorteil zu nutzen, vielleicht auch nur vorübergehend, um die Bewegung innerlich zu stärken die Genauigkeit der anvisierten Ziele zu erhöhen.

Die Eroberung der Staatspaläste wird nicht stattfinden. Vorläufig liegen nicht im Horizont der verfügbaren Zünder: die Entlassung der Regierung, der Ausnahmezustand, die Armee usw. Lasst uns sogar bis zum Ende unserer Trauer um die gesamten Linke gehen: Die Revolution selbst, verstanden als Ereignis, ist keine Notwendigkeit mehr, ja nicht einmal ein absoluter Horizont. Der Kampf kann jetzt nur noch so lange andauern, als man den schwächsten Teilen des strategischen Machtapparates, nämlich den Medien und der Polizei, Priorität einräumt.

Die Medien sind in der Tat angesichts der Bewegung gespalten. Einige unterstützen die Antisteuer-Orientierung der «Gelben Westen», um die Klasseninteressen ihrer Besitzer zu stärken, während sie die Gewalt der Bevölkerung fürchten. Andere, ideologisch näher an der Regierung, in sozialer Nähe zu der von Macron verkörperten Figur, haben dennoch bei ihrer Öffentlichkeit Rückhalt, die die «Gelben Westen» unterstützt, solange sie nicht Teil von ihnen sind. In einer fließenden Umgebung sind Repräsentationen eine der entscheidenden Kriegswaffen. Soziale Netzwerke und verschiedene Protestplätze korrigieren jedoch nur teilweise die monopolistische Tendenz der traditionellen audiovisuellen Medien, wenn sie nicht selbst von krassen Unwahrheiten übernommen werden. Wir stellen uns gerne vor, dass einige der «Gelben Westen» schnell einen oder mehrere Radio- und Fernsehsender, wenn möglich national, infiltrieren werden, indem sie sich mit abtrünnigen Journalisten zusammenschließen, und es damit einfacher machen würden, die laufenden historischen Entwicklungen zu sehen. Es sei denn, wir müssen zuerst die Instrumente der Gegeninformation auf die Höhe ringen, über die wir bereits verfügen.

Paradoxerweise ist das Polizeisystem das andere schwache Glied in der bestehenden Machtkette. Es handelt sich um eine ausgediente, übernutzte Maschine mit oft rostigen Teilen und Waffen, deren menschlichen Komponenten unter sozioökonomische Bedingungen leben, die denen der «Gelben Westen» sehr ähnlich sind. Diese Nähe könnte es ermöglichen, die Reihen der ersteren zu spalten, , vorausgesetzt, es kommt zu einer Solidarisierung dort, wo sich das Leiden angesammelt hat. Die Aufgabe erscheint hart, schwierig, vielleicht unmöglich, aber ohne eine zumindest teilweise Gewinnung des Repressionsapparates kann es keinen Aufstand geben. Der Zeitrahmen ist eng. Wir sind nicht immun gegen die Tatsache, dass der vom Innenministerium beschlossene Mechanismus an diesem Samstag heimtückischer sein wird, indem frontale Konflikte zugunsten gezielter Verhaftungen – sozusagen nach deutschem Vorbild – vermieden werden, um die Spannung einzudämmen, bis ihr die Luft ausgeht. Aber reicht das aus, wenn in den letzten zwei Wochen eine Massenradikalisierung gegen die üblichen Praktiken der Polizei stattgefunden hat? Eine kleine Gewerkschaft (Vigi) fordert bereits ab Samstag einen unbefristeten Streik. Andere Gewerkschaften der Beamten (in den Bereichen Bildung, Feuerwehr und Rettungsdienste, alle öffentlichen Dienste) haben ähnliche Forderungen für die kommenden Tage und Wochen gestellt. Der Staatsapparat zeigt seine ersten Risse.

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Also richtig zielen, aber vor allem auch nachhaltig. Paris ist ein Aufstand, aber Paris ist auch ein Köder. Ein spektakuläres Schaufenster. Der Maßstab der Bewegung ist lokal. Wir hoffen, dass es so bleibt und seine Existenzpunkte sowie die dort abgehaltenen Treffen sich vervielfachen. Die Verallgemeinerung der Aussicht auf lokale «Volks»-Versammlungen, wie in Saint-Nazaire oder Commercy, die andere Gruppen als die mobilisierten «Gelben Westen» zusammenbringen könnten, würde in diese Richtung gehen. Sie erfordert Ressourcen, Energie, Kraft, gegenseitige Hilfe. Es können Blockierzahlstellen, sowohl physische als auch digitale, eingerichtet werden. Politisch muss die Rolle befreundeter Verbände und sogar lokaler Mandatsträger zugunsten der Bewegung ebenso wie die des Übergangs zum neuen Jahr festgelegt werden.

All diese ohnehin schon exorbitanten Perspektiven erbblassen jedoch angesichts der Zukunftsthemen, mit denen sich die Bewegung auseinandersetzen muss, wie die der Unternehmen und der Ökologie; diese sind im Wesentlichen am Rande der gegenwärtigen Aufwallung geblieben, während sie im Mittelpunkt aller Forderungen stehen. Wir müssen darauf zurückkommen. Der Tag des 8. Dezember ist erst der vierte Akt der Mobilisierung. Alle guten Tragödien haben fünf.

Quelle : lundi.am… vom 7. Dezember 2018; Übersetzung durch Redaktion maulquerfe.ch

 

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