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Wie objektiv sind Interessen?

Eingereicht on 27. Dezember 2018 – 12:23

Hartwig Schuck. Der Begriff der ‚Interessen‘ taucht in kritischen wissenschaftlichen Analysen sozialer Verhältnisse annähernd so häufig auf wie der Begriff ‚Macht‘. Sei es in der feministischen Geschlechterforschung, in den Werken von Karl Marx und Michel Foucault, in der postkolonialen Theorie, der angloamerikanischen Power Debate oder den sozialontologischen Debatten um das Verhältnis von Struktur und Handeln – regelmäßig fungieren ‚Interessen‘ als Analysekategorie, wenngleich auf recht unterschiedliche Weise und unterschiedlich prominent. Selbst diejenigen Autorinnen, die bestimmte Konzeptionen von Interessen scharf kritisieren, scheinen mehrheitlich eher auf eine Revision als auf eine Verabschiedung des Interessenbegriffs als solchen hinauszuwollen.

Heftig umstritten ist insbesondere die Rede von ‚objektiven‘, ‚wahren‘, ‚eigentlichen‘ oder ‚wirklichen‘ Interessen. Sie wird häufig mit orthodoxen Formen des Marxismus in Verbindung gebracht und als ‚empirisch bedenklich‘ und ‚anmaßend‘ sowie als teleologisch, reduktionistisch, essentialistisch und deterministisch kritisiert. Auch wird auf ihre möglichen „autoritären und repressiven Implikationen“ hingewiesen. Wenngleich viele Kritikerinnen der Konzeption ‚objektiver Interessen‘ diese eher pauschalisierend und vage ‚dem Marxismus‘ zuschreiben und nur selten spezifische marxistische Strömungen bzw. Autorinnen nennen, welche die von ihnen angegriffene Position vertreten, thematisieren sie doch gewichtige Probleme einer einseitig objektivistischen Konzeption von Interessen. In der Folge wird mitunter versucht, den Interessenbegriff seiner objektiven Dimension gänzlich zu entkleiden. Dies geschieht im Anschluss an die Pionierarbeit von Barry Hindess typischerweise in zwei Schritten: Erstens wird betont, dass Interessen im Zuge komplexer Organisierungsprozesse, Aushandlungen und Kämpfe von sozialen Akteurinnen diskursiv hervorgebracht werden. Zweitens wird die Existenz eines kausalen Einflusses materieller Verhältnisse auf die Bestrebungen und Handlungspräferenzen sozialer Akteurinnen bestritten oder seine Bedeutung stark relativiert. Dieser zweite Schritt bedeutet allerdings, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Mittels ihres Versuchs, sich der ‚Objektivität‘ von Interessen in Gänze zu entledigen, geben solche Ansätze dem Interessenbegriff eine subjektivistische Gestalt und berauben ihn wichtiger Potentiale, was das Verständnis der Beziehungen zwischen Struktur und Handlung sowie die Kritik von Herrschaftsverhältnissen anbelangt.

Glücklicherweise gibt es eine Reihe kritischer Sozialwissenschaftlerinnen und Philosophinnen, die in ihrem Verständnis von Interessen weder einem einseitigen Objektivismus anhängen noch der von Hindess initiierten Bewegung zur Subjektivierung des Interessenbegriffs unkritisch folgen, sondern auf die eine oder andere Weise versuchen, objektive wie auch subjektive Aspekte von Interessen in ihre Analysen einzubeziehen. Das differenzierteste Verständnis von Interessen findet sich meines Erachtens bei Vertreterinnen des Critical Realism; namentlich Jeffrey Isaac, Douglas Porpora und Margaret Archer. Unter besonderer Berücksichtigung dieser Autorinnen werde ich im vorliegenden Artikel eine mehrdimensionale Interessenskonzeption entwickeln, welche die verschiedenen Funktionen reflektiert, die der Interessenbegriff in kritischen Analysen sozialer Verhältnisse erfüllt. Eine solche mehrdimensionale Konzeption – so hoffe ich zeigen zu können – erlaubt im Vergleich zu den oben erwähnten objektivistischen oder subjektivistischen Ansätzen ein besseres Verständnis sowohl der Reproduktion sozialer Verhältnisse als auch ihrer (möglichen) Veränderung. Zunächst jedoch ist zu klären, was mit ‚Objektivität‘ und ‚Subjektivität‘ überhaupt gemeint sein soll und welche Rolle beide im Alltagsgebrauch des Interessenbegriffs spielen.

Ganzen Aufsatz lesen: Hartwig Schuck. Wie objektiv sind Interessen

Quelle: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie… vom 27. Dezember 2018

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