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Syrien: hybride Machtspiele staatlicher Akteure

Eingereicht on 28. Dezember 2018 – 10:17

Sascha Lange und Lutz Unterseher. Es begann als Bürgerkrieg, welcher der Hauptannahme der Propheten der „neuen“ Kriege zu entsprechen schien. Nämlich: innergesellschaftliche Dynamik als wesentliche Triebfeder.

Doch dann kam alles anders. Wegen der Schwäche des syrischen Regimes begannen Staaten sich einzumischen, die mit einer Stützung der damaszener Herrschaft machtpolitische Perspektiven verbanden: zuerst der Iran und dann Russland.

Um Schaden vom eigenen Land abzuwenden oder um Möglichkeiten des Einflusses auf das Geschehen vor Ort zu haben, kamen weitere Interventen hinzu: Israel, die Türkei und eine von den Vereinigten Staaten geführte GroKo (Große Koalition).

Bis auf Israel, das sich bei seinen Interventionen fast ausschließlich auf Luftstreitkräfte stützt (deren Hilfe für innerhalb Syriens kämpfende Gruppierungen eher marginal ist), haben alle staatlichen Akteure in nennenswertem Umfang eigenes Personal entsandt, das für die Entwicklung der zu Lande geführten Kämpfe relevant ist.

Dieses Personal – Kampftruppen, Berater oder Ausbilder – ging mit in der Region operierenden bewaffneten Interessengruppen Verbindungen ein, um diese als Multiplikatoren des eigenen Potentials zu verwenden. Dabei wechselten die so entstandenen vielfältigen Liaisons über die Zeit hinweg. Ein Bild von Überkomplexität entstand.

Die Kämpfe waren vielfach von schier unvorstellbarer Grausamkeit: nicht etwa nur, weil radikale Islamisten mit im Spiel waren, sondern auch weil staatliche Akteure mit der Ausübung von Terror machtpolitische Ziele verfolgten und die Chance sahen, ihre Menschenrechtsverletzungen nichtstaatlichen Akteuren in die Schuhe schieben zu können. Im Zeitalter der Fake News schien dies nur allzu leicht möglich.

Im Übrigen ist das Bild dieses Krieges durch ein sehr breites Spektrum der eingesetzten Technologien und angewandten Kampfpraktiken gekennzeichnet: ebenfalls eine Folge der „Verheiratung“ beziehungsweise Koexistenz unterschiedlichster Partner mit kontrastierenden Niveaus von Bewaffnung und militärischer Professionalität.

Doch lässt sich vor der Folie des hybriden Durcheinanders (Arabisch: balagan) auch so etwas wie ein ordnendes Prinzip erkennen: Die im syrischen Raum interagierenden Staaten haben bislang sorgsam darauf geachtet, risikoträchtige Konfrontationen zu vermeiden (oder solche im Nachhinein zu entschärfen): Russland versus USA, Türkei versus Russland, Russland versus Israel.

Eine gewisse Ausnahme bildet die Konstellation „Israel – Iran“: Israel hat sich einerseits immer wieder die Freiheit genommen, iranische Installationen, oder solche der schiitischen Proxies, auf syrischem Gebiet anzugreifen. Andererseits ließ es aber das Territorium seines Angstgegners unversehrt, obwohl doch behauptet wurde, es hätte – vereinzelte – „iranisch inspirierte“ Raketenangriffe auf israelisches Gebiet gegeben.

Es sei uns ein – spekulativer – Blick in die Zukunft gestattet: Dieser richtet sich zunächst auf das Assad-Regime. Zum Preis des Verlustes seiner Unabhängigkeit scheint es weitgehend die Kontrolle über das syrische Staatsgebiet wiedergewonnen zu haben. Die Reetablierung geltungsmächtiger Zentralgewalt dürfte aber kaum in allgemeiner Ruhe resultieren.

Es ist nämlich wenig wahrscheinlich, dass Damaskus den Repräsentanten der Bevölkerungsmehrheit echte Partizipation anbietet – und nicht nur Scheinkonzessionen. Die Schutzmächte Russland und der Iran dürfen kaum als gute Lehrmeister in Demokratie gelten und bleiben an latenter Instabilität Syriens interessiert. So sind zumindest sporadische Ausbrüche von Protest und schlimmster Gewalt zu erwarten.

Moskau dürfte sich zu vertretbarem Aufwand des Gewinns an internationaler Geltung erfreuen: der zukunftsträchtigen substanziellen militärischen Präsenz am Ostrand des Mittelmeers – einer geostrategischen Position an der weichen Flanke der NATO (und der Türkei), von machtpolitischer Relevanz für die OPEC-Staaten.

Der Iran wird wohl entlang seiner Hauptachsen zum Libanon und zur Nordgrenze Israels in Syrien präsent bleiben – mit eigenen oder wahlverwandten, jedenfalls mit weitreichenden Raketen bewaffneten Kräften, in erster Linie der Hisbollah. Diese dürften weiterhin von der israelischen Luftwaffe bombardiert werden. Fragt sich, wann das Risikokalkül in Teheran für einen Angriff spräche (dem freilich die nuklearen Abschreckungsmittel des Judenstaates entgegenstünden).

Die Türkei wird, in Absprache mit Russland, größere Territorien im Kurdengebiet Nordsyriens halten: um syrische Flüchtlinge zurückführen zu können und um die Bildung eines geschlossenen kurdischen Staatsgebietes zu verhindern. Konflikte mit den Kurden der Region sind programmiert.

Die Kurden, als die „Fußtruppen“ der US-geführten Koalition, die dieser – gleichsam synergetisch – zu Durchsetzungskraft, etwa gegenüber dem IS, verholfen haben, laufen Gefahr, allein gelassen zu werden.

Jedenfalls scheint es in der Koalition, vor allem in der US-Führung, kein konsistentes Konzept dahingehend zu geben, ob und wie das befreundete Potential als eine Art politischer Hebel genutzt werden könnte, um für den Raum „Syrien“ eine ganzheitliche und humanitär befriedigende Lösung herbeizuführen.

Aus Sascha Lange / Lutz Unterseher: Kriege unserer Zeit. Eine Typologie und der Brennpunkt Syrien, LIT VERLAG, Berlin 2018, 148 Seiten, 29,90 Euro.

Quelle: das-blaettchen.de… vom 28. Dezember 2018

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