Bolsonaro: Entlarvende Enthüllungen und Drohungen gegen Greenwald
Ralf Streck. Brasilien unter dem Rechtsaußen-Präsidenten: Dokumente legen nahe, dass Justizminister Moro als Richter auf die Verurteilung des Bolsonaro-Gegners Lula hingearbeitet hat.
Der Skandal und die Enthüllungen der Enthüllungsplattform The Intercept sorgen für immer mehr Wirbel in Brasilien. Über die ersten Enthüllungen hatte Telepolis schon im Juni berichtet, als die ersten Reportagen mit brisanten Inhalten veröffentlicht worden waren.
Drehten die sich vor allem um die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, mit der dessen erneute Wahl ausgehebelt wurde, haben es auch die seither veröffentlichten Dokumente in sich.
Die lassen deshalb nun ganz offensichtlich auch Jair Bolsonaro ziemlich nervös werden, der statt Lula zum Staatsoberhaupt und Regierungschef gewählt wurde. Veröffentlichte Chats, Emails und Sprachdokumente, die aus gehackten Handys stammen, deuten nämlich darauf hin, dass Bolsonaro vermutlich nur Präsident werden konnte, weil aus der Justiz heraus von einem ihm geneigten Zirkel gezielt an der Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe des beliebten Ex-Regierungschefs gearbeitet wurde.
Damit wurde Lula im Wahlkampf kaltgestellt und aus dem Rennen ausgeschlossen. In diesem Vorgang spielte der ehemalige Richter Sérgio Moro eine bedeutende Rolle, der Lula ins Gefängnis brachte. Nach dem Wahlsieg des rechtsradikalen und homophoben Politikers wurde Moro von Bolsonaro schließlich zum Justizminister ernannt.
„Knast“-Drohungen gegen den Journalisten
Die Enthüllungen von The Intercept in englischer Sprache sind inzwischen im 8. Kapitel angelangt. Zuletzt wurde ausgeführt, dass gerade die „aggressive Reaktion von Bolsonaro zeigt, wie bedeutsam diese Veröffentlichungen sind“. Dass seit zwei Monaten immer neue skandalöse Vorgänge und Details ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden, hatte gerade dazu geführt, dass Präsident Bolsonaro dem Intercept-Mitbegründer und preisgekrönten Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald mit der Inhaftierung drohte.
Allein damit zeigt der Hardliner-Präsident, was er von einer unabhängigen Justiz hält. Er will sie offensichtlich nun im Fall Greenwald einsetzen, um den Kritiker mundtot zu machen. So drohteBolsonaro nun Greenwald mit „cana“ (Knast). Diese Drohung liegt genau auf der Ebene, die auch in den Enthüllungen angesprochen werden. Denn auch die stellen die Unabhängigkeit von Teilen der brasilianischen Justiz massiv in Zweifel.
Jedenfalls drückt Bolsonaro aus, dass Greenwald hinter Gittern gut aufgehoben sein könnte. Er bezichtigt ihn, sich mit der Veröffentlichung der Dokumente strafbar gemacht zu haben, und meint, der Journalist hätte Hacker bezahlt, um die Spitzen an der Regierung und in der Justiz auszuspionieren.
Inzwischen geht man davon aus, dass auch das Handy von Bolsonaro sowie die der Präsidenten der beiden Parlamentskammern, von höchsten Richtern und von Staatsanwälten gehackt worden sind. Verständlich, dass Bolsonaro so nervös ist und derlei Drohungen ausspricht. Er weiß am besten, was er in internen Chats so alles von sich gegeben hat.
Operación Spoofing
Dass sensible Daten an den Enthüllungsjournalisten gingen, hat Walter Delgatti inzwischen zugegeben. Delgatti wurde mit drei weiteren Personen Ende Juli in der „Operación Spoofing“ festgenommen. Er räumte derweil ein, Greenwald tatsächlich Material zugespielt zu haben, wies aber zurück, dafür bezahlt worden zu sein. Er kenne den Journalisten nicht persönlich, sondern habe „einen Dropbox-Account eröffnet, das Material hochgeladen und Greenwald das Passwort gegeben“. Das sei anonym und gratis geschehen.
Man versteht also, warum Bolsonaro den US-Journalisten gerne festsetzen würde, den er anfänglich einfach abschieben wollte. Nach Beginn der Veröffentlichungen wurde die Kampagne #DeportGlennGreenwald von Bolsonaro-Anhängern losgetreten. Inzwischen weiß aber auch Bolsonaro, dass man den Journalisten nicht einfach rauswerfen kann, und das bringt den Schwulenfeind erst so richtig auf die Palme.
Greenwald ist in Brasilien mit einem Mann verheiratet und hat zudem Kinder adoptiert. Bolsonaro meint, der „Malandro“ (Betrüger/Gauner) habe einen „fiesen Trick“ angewendet, einen „anderen Malandro geheiratet und Kinder adoptiert“, um der Abschiebung zu entgehen.
Nun droht man also dem Journalisten, der längst auch ernstzunehmende Morddrohungen erhält, aus dem höchsten Regierungsamt heraus mit Inhaftierung. Die Frage ist, ob man ihn damit nur einschüchtern will, um weitere Veröffentlichungen zu stoppen. Durch seine Abschiebung könnten weitere Enthüllungen aber nicht gestoppt werden.
Man darf auch davon ausgehen, dass solches auch durch seine Inhaftierung nicht verhindert, sondern bestenfalls verzögert würde. Greenwald hat wahrscheinlich längst notwendige Maßnahmen getroffen, um das Material und weitere Enthüllungen zu sichern.
Der Enthüllungsjournalist kennt sich mit massivem Druck aus und lässt sich auch nicht so leicht einschüchtern. Er hatte sich 2013 einen Namen gemacht, als er noch für den britischen Guardian arbeitete und gemeinsam mit anderen Journalisten die Berichte des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, über die Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA veröffentlichte.
„Wir haben noch viel Material“
Greenwald will sich deshalb auch durch die Drohung von Bolsonaro nicht vertreiben lassen: „Ich werde nicht aus diesem Land fliehen“, sagte er auf einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag, wie die Zeitung Folha de S.Paulo berichtet. „Diese Zeitung ist erledigt“, hatte Bolsonaro sie schon nach seiner Wahl wissen lassen. Damit hatte der neue Präsident gleich demonstriert, was er von Pressefreiheit hält. Er drohte umgehend dem kritischen Blatt, das nun mit The Intercept bei der Enthüllung der diversen Skandale kooperiert.
Tatsächlich hält Greenwald selbst das „Risiko für groß“, in Brasilien inhaftiert zu werden. Er und seine Familie leben angesichts der Morddrohungen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und trauen sich nur noch mit bewaffneten Bodyguards aus dem Haus. Trotz allem wollen er und seine Kollegen weitermachen.
„Wir haben noch viel Material“, sagte er und kündigte auch an, dass die Enthüllungen noch „eine ganze Weile andauern“ und damit für Aufruhr im Land sorgen werden. Schon zuvor hatte er erklärt, „das wichtigste und explosivste Material“ sei noch gar nicht veröffentlicht. Betrifft das den Präsidenten Bolsonaro, dessen Sohn schon ins Schussfeld gerückt ist?
Greenwald erhält jedenfalls Unterstützung aus der gesamten Welt. So hat sich der Internationale Journalistenverband hinter ihn gestellt und „aufs Schärfste“ jeden Versuch verurteilt, den Journalisten einzuschüchtern. Der nationale brasilianische Journalistenverband FENAJ hat sich genauso gegen die Beschränkungen der Pressefreiheit ausgesprochen wie Reporter ohne Grenzen oder auch spanische Journalistenverbände.
Die Polit-Mafia …
Im Hintergrund der gesamten Vorgänge steht die Operation „Lava Jato“ (Autowäsche) und ein milliardenschwerer Korruptionsskandal. In den Ermittlungen um den Petrobras-Korruptionsskandal hatten sich sowohl der Staatsanwalt Deltan Dallagnol wie auch der heutige Justizminister Moro einst einen Namen gemacht. Die Handys der beiden wurden ebenfalls gehackt. Und es war Moro, der den in Brasilien beliebten ehemaligen Regierungschef Lula in einem von Unregelmäßigkeiten geplagten Verfahren ins Gefängnis brachte.
Die bisher von The Intercept und Folha de S.Paulo veröffentlichten Dokumente zeigen auf, dass es eine illegale und gezielte Zusammenarbeit und Absprachen des früheren Richters und heutigen Justizministers mit der Staatsanwaltschaft gab, um Vorgehen und Beweise im Verfahren gegen Lula entsprechend anzupassen. So titelte sogar die Wochenzeitung Veja, die zuvor stets die Handlungen des Richters im Fall der Operation Autowäsche gelobt hatte, mit Blick auf die Enthüllungen: „Neue Dialoge decken auf, dass Moro illegal Autowäsche-Aktionen ausgerichtet hat.“
Mit dem Vorgehen gelang es in dem Verfahren, Lula international als „Pate“ einer „Polit-Mafia“ darzustellen, „deren Mitglieder den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und andere Staatsunternehmen von 2003 an um Milliarden bestohlen haben, um mit dem ergaunerten Geld die Macht der PT zu zementieren und sich persönlich zu bereichern“, wie die FAZ zu dem Prozess schrieb.
… und unkritische Berichterstattung
Warum diesen unkritischen Artikel ausgerechnet der „Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom“ verfasste, ist das Geheimnis der FAZ. Derweil titelte auch die konservative Zeitung, geschrieben von einem Journalisten mit Sitz in Brasilien, von einer „schmutzigen Operation“. Und auch sie fügt im Untertitel an: „Der größte Korruptionsskandal in Brasiliens Geschichte nimmt eine neue Wendung – war die Anklage gegen Lula da Silva ein abgekartetes Spiel?“
Interessant ist auch, wie Moro sich bisher aus der Affäre zu ziehen versucht, der an Rücktritt natürlich nicht denken will, den die Opposition logischerweise fordert. Er stellt sich als Opfer eines Hacker-Angriffs da, zweifelt aber gleichzeitig die Echtheit der Chat-Nachrichten an. „Ich weiß nicht, ob sie manipuliert wurden, denn ich hebe die Originale nicht auf“, erklärte er im Senat.
Jeder, der mit Telegram arbeitet, weiß aber, dass alle Nachrichten rückverfolgbar sind, wenn sie nicht gelöscht wurden. Und das war zumindest lange nicht der Fall, sonst wären die Hacker nicht an das Material gekommen. So stellt sich die Frage, ob Moro sie dann gelöscht hat, nachdem ihm klar war, dass sein Handy gehackt wurde.
„Sehr gut bezahltes Risiko, lol“
The Intercept hat zwischenzeitlich aber auch einen Tonmitschnitt veröffentlicht und man darf gespannt sein, ob weitere folgen. Darin spricht Staatsanwalt Dallagnol jedenfalls von „guten Nachrichten“, wonach Richter Luiz Fux am Obersten Bundesgericht ein Interview mit dem inhaftierten Lula gestoppt hatte, genau 12 Tage vor den Wahlen.
Der Staatsanwalt wies zudem seine Kollegen an, die Angelegenheit so lange wie möglich geheim zu halten, „denn je früher sich diese Nachricht verbreitet, desto eher wird es Einspruch von der Gegenseite geben und desto eher geht die Sache an das Plenum“, womit die Versammlung der obersten Bundesrichter gemeint ist. Schon zuvor veröffentlichte Daten hatten gezeigt, dass auch Richter Fux zu dem Kreis derer gehörte, die sich illegal mit Moro und Dallagnol abgestimmt haben.
Doch sind die Enthüllungen nicht allein auf Lula und die Operation „Autowäsche“ beschränkt. So hat man sich aus der brasilianischen Justiz offensichtlich gezielt auch in den Konflikt im Nachbarland Venezuela eingemischt und wollte bewusst die Proteste der Opposition dort befeuern.
Da wurde an einer Strategie gearbeitet, wie man unter Geheimhaltung stehende Aussagen angeklagter Ex-Vorstände des Baukonzerns Odebrecht an die Kollegen im Nachbarland weiterleiten könne. Das Problem war, dass man sich gegenüber Ermittlern in der Schweiz und in den USA zur Geheimhaltung verpflichtet hatte.
Der Chef der Firma Marcelo Odebrecht hatte sich als Kronzeuge zur Verfügung gestellt und einen Deal mit Brasilien, der Schweiz und den USA im Rahmen eines Schmiergeldprozesses ausgehandelt, in dem ihm Geheimhaltung versichert wurde. Er kam mit einer geringen Haftstrafe von zweieinhalb Jahren und einer Geldstrafe von gut 17 Millionen Euro davon.
Offensichtlich wollte, so wird aus den veröffentlichten Dokumenten deutlich, der damalige Richter Moro die Geheimhaltung durchbrechen. Der heutige Justizminister wollte die Regierung unter Nicolas Maduro schädigen, da auch in Venezuela Schmiergelder geflossen seien.
Im Chat mit Staatsanwalt Dallagnol sicherte der ihm zu, dass man einen Weg finden werde. Und er regte an – da man die Dokumente nicht einfach öffentlich machen könne -, dass man doch ein paar spontane Ermittlungserkenntnisse nach Venezuela schicken könnte: „Das macht es wahrscheinlich, dass irgendwo auf dem Weg jemand die Infos veröffentlicht.“
Der Sonderermittler Paulo Roberto Galvão äußerte zwischenzeitlich Bedenken in dem Gruppen-Chat, dass man damit „einen Bürgerkrieg“ befördern könne. „Jede unserer Aktionen kann zu mehr sozialen Unruhen und mehr Toten führen.“ Für Dallagnol ist das aber eine Sache der Bürger in Venezuela: „Sie haben das Recht, sich zu erheben“, sagte der Mann, der offensichtlich mit dem Richter Moro auch in dieser Frage einer politischen Agenda folgte.
Was die Ermittlungen wegen Korruption betrifft, gehen er und sein Kumpel Moro mit zweierlei Maß vor. So unterrichte der Staatsanwalt seine Kollegen zum Beispiel über Korruptionsermittlungen, die sich gegen Bolsonaros Sohn richten, der in das Mafia-Milieu in Rio de Janeiro verstrickt sein soll. Statt aber Ermittlungen aufzunehmen, macht sich Dallagnol nur Gedanken, wie er in Interviews den „Fragen ausweicht“. Er wolle nur Allgemeinplätze von sich geben, obwohl Brasiliens höchster Korruptionsermittler „keinen Zweifel“ daran hegt, dass Flavio Bolsonaro in Korruption verwickelt ist.
Dass der Sohn Bolsonaros „auf jeden Fall“ darin verwickelt ist, davon ist Dallagnol überzeugt. „Das Problem ist: Wird der Vater das zulassen? Oder schlimmer, was wenn der Vater selbst involviert ist?“, fragt er im Chat. Fakt ist, dass der damalige Richter und heutige Justizminister Moro nichts im Fall von Bolsonaro Sohns unternommen hat, um die Ermittlungen wegen dubioser Immobiliengeschäfte und Verbindungen zur Mafia voranzutreiben, schreibt The Intercept. Im Juli hat nun ein weiterer Bolsonaro naher Richter die Ermittlungen sogar unterbunden.
Und zuletzt hat The Intercept berichtet, dass der Staatsanwalt selbst auch in einen Korruptionsskandal verwickelt sein dürfte. Denn Dallagnol habe sich für einen Vortrag beim Technologie-Unternehmen Neoway bezahlen lassen, während gegen die Firma schon Korruptionsermittlungen im Rahmen der Operation „Autowäsche“ liefen. Dass Dallagnol davon nicht gewusst hat, ist unmöglich, schließlich war er der Chefermittler.
Sehr gut bezahlen ließ er sich offenbar auch für ein Treffen mit Spitzenbankern. Eingeladen wurde er von XP Investimentos, unter den Teilnehmern befanden sich auch Vertreter von JP Morgan, Barclays, Goldman Sachs, Deutsche Bank und Santander. Dallagnol sprach dabei im Chat eindeutig von einem „Risiko“, aber von einem „sehr gut bezahlten Risiko, lol“.
Lula zeigt sich „sehr zufrieden“
Ein Risiko war es unter anderem deshalb, weil sich darunter auch Banken befanden, gegen die er in der Operation „Autowäsche“ ermittelte. Dass solche Leute angesichts der erdrückenden Hinweise noch im Amt sind, während die verfolgt werden, die diese Vorgänge ans Licht ziehen, sagt sehr viel über das Bolsonaro-Brasilien aus.
Man darf jedenfalls auf weitere Enthüllungen von The Intercept und Folha de S.Paulo gespannt sein. Die Frage ist, wann angesichts der Enthüllungen das Urteil (12 Jahre Haft) gegen Lula angesichts der illegalen Vorgänge kassiert wird. Als der brasilianische Politologe Emir Sader kürzlich Lula im Gefängnis besuchte, zeigte der sich sehr zufrieden.
„Hat man jemals einen so zufriedenen Gefangenen gesehen?“, fragte er Sader, der vom argentinischen Ex-Präsidenten Eduardo Duhalde begleitet wurde. „Das ist so, weil wir alle diese Schurken gerade entlarven“, fügte er mit Blick auf die Enthüllungen an.
Quelle: heise.de… vom 5. August 2019
Tags: Brasilien, Lateinamerika, Neue Rechte, Repression
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