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Commercy: ein Schritt voran für die Bewegung der Gelben Westen.

Eingereicht on 30. Januar 2019 – 9:10

Pablo Morao und Eliane Le Floch. Am vergangenen Samstag und Sonntag versammelten sich in Commercy mehr als 350 Personen, die an der ersten «Versammlung der Versammlungen» teilnahmen und an der 75 Delegationen aus ganz Frankreich teilnahmen. Ein großer Erfolg nach der Einberufung der Commercy-Versammlung vom Dezember letzten Jahres. Eine Berichterstattung vor Ort.

Am vergangenen Samstag, 12:30 Uhr, trotzten drei Gelbe Westen in ihrer Hütte in Commercy dem Regen und wachten über den Brenner und weisen die vielen Autos ein, die zum ersten Mal durch diese kleine Stadt mit 6000 Einwohnern fuhren, um an der «Versammlung der Versammlungen» teilzunehmen. «Du musst die Richtung Euville nehmen, dann nach Sorcy, gleich am Eingang des Dorfes».

Vor Ort sind die Initiantinnen und Initianten des Aufrufs von Commercy in der Küche und am Eingang zum Raum beschäftigt. Da letzterer nur 300 Personen aufnehmen kann, wurde draussen ein großes Zelt installiert um die Diskussionen live zu übertragen. Jede Delegation erhält ein Etikett und eine Stimmkarte. Insgesamt sind fast 75 paritätische Delegationen aus ganz Frankreich anwesend, dazu kommen viele Beobachterinnen und Journalisten.

Gegen 13:30 Uhr eröffnete Claude, Gelbe Weste aus Commercy mit einem feministischen Logo, den Tag mit einem donnernden Applaus. «Es hätten 1000 von uns sein können», sagt er, bevor er das Tagesprogramm in zwei Teilen beschreibt, zuerst eine Vorstellungsrunde aller vertretenen Gruppen, dann eine Diskussion, basierend auf einer Synthese der Antworten der Gruppen auf den von den Organisatoren versendeten Fragebogen.

Eine Bewegung, auf der Suche nach Erneuerung

Die Tour de France entlang der Verkehrskreisel und der Versammlungen beginnt. Von Poitiers bis Le Vigan (Gard) über Dijon, Ivry, Nancy, Fougères, Die, Saint-Nazaire oder Strasbourg schildern die Gilets jaunes ihre lokale Situation und ihre Entwicklungen seit dem 17. November. Generalversammlungen, die etwa hundert Personen versammeln, Arbeitsausschüsse, Aktionen aller Art, polizeiliche Repressionen, Bau von Hütten, historische Demonstrationen, Koordinierungsversuche zwischen Kreiseln: Die Probleme und Erfahrungen sind oft ähnlich.

In allen Interventionen wird die Entschlossenheit sichtbar. Die Gelben Westen von Poitiers berichten von ihrer Blockade der Sortierzentren der Post, die von Dijon von den historischen Demonstrationen, die jeden Samstag 3 bis 4000 Menschen zusammenbringen. In Saint-Nazaire haben die Gelben Westen ein Maison du Peuple gegründet und wollen die Arbeit im Hafen verlangsamen. In der Drôme nahmen die Gelben Westen Beziehungen zur Confédération Paysanne auf und blieben trotz der wiederholten Zerstörung ihrer Hütte durch die Polizei unbeirrbar zusammen. Die Delegierten von Ariège bestehen darauf, dass sie aus dem Los gezogen wurden und verteidigen ihre «horizontale» Auffassung von Demokratie.

Jede Delegation stellt geduldig die Liste der durchgeführten Aktionen vor. Ihre Vielfalt ist bemerkenswert: wirtschaftliche Blockaden, Unterstützung von Lohnabahängigen im Kampf, Demonstrationen gegen Repressionen, Demonstrationen von Frauen. Alle äußern gemeinsame Sorgen: Wie kann man die lokale Strukturierung verbessern, dem Druck und der Repression der Polizei widerstehen, die Mobilisierung zum Sieg erweitern?

Die mehr als 50 Interventionen zeichnen somit den Zustand einer Bewegung, die nach Wegen zu ihrer permanenten Erneuerung sucht. Angesichts der stark zunehmenden Repressionen in den Kreisverkehren – viele Gelbe Westen berichten von einer Zunahme der Vertreibungen – haben sich daher verschiedene Gruppen dafür entschieden, Land zu benutzen, das von Bauern oder der Gemeinde zur Verfügung gestellt wird. Trotz sieben Hüttenzerstörungen geben die Gelben Westen der Ardèche nie auf. In diesem Zusammenhang wird das Datum des 5. Februar von mehreren Delegierten als wichtige Perspektive für die Einleitung eines «unbefristeten Generalstreiks» genannt.

Nach den Präsentationen und einer wohlverdienten Pause setzte die Diskussion über zwei Hauptthemen ein: den Forderungen der Bewegung und den strategischen Perspektiven.

Forderungen und strategische Perspektiven

Nachdem Claude die Diskussion eingeleitet hatte, indem er die Forderungen verschiedener lokaler Gruppen zusammengefasst hatte, konzentrierte sich die Diskussion schnell auf das Ergebnis der Debatte. Besitzt die Versammlung der Versammlungen die Legitimität, Forderungen zu veröffentlichen?

«Wir werden zwei Jahre, drei Jahre, zehn Jahre für die Revolution brauchen und wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen“, sagt Chantal du Mas d’Azil. Wie sie weigern sich viele Gelbe Westen ebenfalls, Entscheidungen übers Knie zu brechen; sie wollen sich «Zeit nehmen», aber auch jegliche «illegitime» Herangehensweise vermeiden. «Ich habe kein Mandat, über einen Aufruf abzustimmen», erklärte ein Delegierter. Andererseits ergriff ein anderer Delegierter das Wort, sichtlich irritiert von der wahrnehmbaren Schüchternheit: «Die Leute würden es nicht verstehen, wenn wir diese Versammlung verlassen würden, ohne einen Aufruf zu lancieren.» Die Idee eines Aufrufes wird schließlich mit einer Mehrheit angenommen.

Die Debatte über die Legitimität der Versammlung von Versammlungen taucht in den Diskussionen häufig wieder auf, wobei die Gelben Westen die Souveränität ihrer lokalen Versammlungen verteidigen, mit der offensichtlichen Angst, dass die «Versammlung der Versammlungen» in ein bürokratisches Organ umgewandelt wird. Folglich herrscht eine sehr «horizontalistische» und «lokalistische» Vision vor; von daher kann sie – vorläufig – kein Entscheidungsträger sein. Für die meisten der anwesenden Gelben Westen scheint es, dass diese erste Koordinierung vor allem Diskussionen, Networking, Ideen- und Kontaktaustausch und nichts anderes ermöglichen sollte.

Der Generalstreik vom 5. Februar im Rampenlicht

Diese Angst vor einer «bürokratischen» Degeneration hindert die Gelben Westen nicht daran, bei ihren Interventionen bestimmte Orientierungen zu verteidigen. So wird das allgemeine Streikdatum vom 5. Februar von vielen als Fixpunkt für den Rest der Bewegung angesehen. Ein Delegierter aus Strasbourg erklärte, dass dieser Tag «der Beginn eines unbefristeten Generalstreiks sein muss» und dass die Notwendigkeit, ihn zu aufbauen, in die Abschlusserklärung aufgenommen werden muss. Auch die Gelben Westen von Crest unterstützen diese Kampagne, während in Saint-Dizier man die Frist nutzen wolle, um «die Verkehrskreisel stärken wolle».

Diese Position einer Unterstützung des 5. Februar ist in der Mehrheit. Ludovic aus Saint-Dizier erklärt, wie seine Gruppe eine pragmatische Position zum Generalstreik eingenommen hat: «Wir blieben zu Beginn verharrten wir in der anti-politischen und anti-gewerkschaftlichen Position, aber wir stehen nun hinter dem Appell für den 5. Februar, alle Lohnabhängigen in Frankreich hinauszuholen…. wenn wir nicht die Unterstützung der Gewerkschaft haben, wird sich kein Lohnabhängiger für einen unbefristeten Streik gewinnen lassen.» Insgesamt scheinen sich alle anwesenden Gelben Westen über die notwendige Unterscheidung zwischen Basisgewerkschaftern, an die wir uns wenden müssen, um die Bewegung zu erweitern, und Gewerkschaftsführern, die entschieden angeprangert werden, zu einigen.

Die Frage der rechtsextremen Gewalt, ein Konfliktpunkt

Torya, Delegierte der Gelben Westen des Rungis-Kollektivs, aufgebracht nach dem Angriff auf einen Demoblock der NPA durch eine rechtsextreme Gruppe: «Wir können dieses Wochenende nicht abschliessen, ohne die Gewalt der extremen Rechten zu verurteilen». Ein Beobachter ruft ihr aufgebracht zu: «Wir müssen sie unterstützen», antwortet sie sofort: «Die extreme Rechte ist keine Partei! ». Schließlich, und obwohl rechtsextreme Gruppen Gelben Westen in Paris oder Lyon direkt angegriffen haben, werden in der Abschlusserklärung nur «gewalttätige Gruppen» ohne weitere Präzision verurteilt.

Großer Erfolg für diese erste Versammlung der Versammlungen

Wenn wir über die Organisation einer zukünftigen Versammlung der Versammlungen diskutieren, stellt sich die Frage nach der Legitimität dieses Rahmens erneut. «Wir riskieren, als eine Art Regierung wahrgenommen zu werden», erklärt ein Delegierter und verlangt, die Versammlung der Versammlungen nicht zu oft einzuberufen. Schließlich schlug Saint-Nazaire seine Kandidatur unter dem Beifall des Publikums für ein nächstes Treffen innerhalb von 2 Monaten vor. Der Widerspruch zwischen dem Wunsch, sich Zeit zu nehmen, und der Dringlichkeit der Situation macht sich erneut bemerkbar und trotz einiger Bedenken kommen die Delegierten überein, schnell einen Ort zu finden, um eine neue Zusammenkunft zu organisieren.

Am nächsten Tag wurde der am Morgen geänderte Abschlussaufruf von dessen Autoren vorgelesen. Er verwies auf die Forderungen der Bewegung, verurteilte die Haltung der Regierung und die polizeiliche Repression und schloss mit einem Aufruf zu einer breiteren Mobilisierung: «Wir fordern die Fortsetzung der Mobilisierungen (Akt XII gegen polizeiliche Gewalt vor Polizeidienststellen, Akt XIII, XIV….), die Fortsetzung der Besetzung von Verkehrskreiseln und die Blockade der Wirtschaft, den Aufbau eines massiven und unbefristeten Streiks ab dem 5. Februar. Wir fordern die Bildung von Ausschüssen an Arbeitsplätzen, an den Studienplätzen und überall sonst, damit dieser Streik an der Basis von den Streikenden selbst aufgebaut werden kann. Lasst uns unsere Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen! Bleibt nicht isoliert, schließt euch uns an! »

Wenn die Schwierigkeiten groß waren, während die Bewegung von Repressionen, den Diskreditierungskampagnen der großen Medien oder sogar internen Konflikten heimgesucht wurde, so war diese erste Versammlung der Versammlungen von Commercy ein echter Erfolg. Es ist ein wichtiger erster Schritt zu einer besseren Strukturierung und mündete in einen gemeinsamen Aufruf von sehr hoher Qualität.

Trotz dem immer noch vorhandenen Zögern und der Beschränkungen, insbesondere der Tatsache, dass sich nur ein Teil der Gelben Westen, insbesondere von sehr linken Sektoren, mit wenigen Ausnahmen, beteiligten, soll dieser erste Schritt konsolidiert und die Koordinierung ausgeweitet werden. Bemerkenswert ist beispielsweise das Fehlen der Generalversammlung von Toulouse, der Hauptstadt der Bewegung der Gelben Westen wurde.

Angesichts einer Regierung, die mit ihrer großen Debatte versucht, die Welle der Gelben Westen von ihrem Inhalt zu befreien, ist die Notwendigkeit, die Erfahrungen der demokratischen Strukturierung an der Basis zu vertiefen, wichtiger denn je. Dazu gehört die Entwicklung von Generalversammlungen, die für andere Bereiche unserer Klasse, für die Arbeitswelt und die Jugend, aber auch für die Koordinierung auf nationaler Ebene offen sind. Die Versammlung der Versammlungen von ist heute diesbezüglich die fortschrittlichste Erfahrung.

Quelle: revolutionpermanente.fr… vom 29. Januar 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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