Frankreich: Protestbewegung im Landeanflug – oder vor einer Remobilisierung?
Bernard Schmid. „Gelbwesten“-Protest befindet sich im Rückgang, ein angekündigtes Sit-in scheiterte auf manifeste Weise – Der kommende Samstag, 16. März wird entscheidet: neues Aufbäumen oder Auslaufen der Proteste (in dieser Form)? Die öffentliche Meinung scheint mittlerweile gekippt – Polizeigewalt bleibt ein zentrales Thema: Neue Regierungszahlen belegen 13.000 Einsätze von Hartgummigeschossen. Diese werden von einem Bürgermeister in Lothringen bis hin zu den UN kritisiert, und prominente Augenärzte fordern ihren Stopp – Auch Totalverstrahlte in oder am Rande der Bewegung machen weiter, und attackieren nunmehr „Freimaurer“ (aufgrund ihrer herbeihalluzinierten Macht) in Südwestfrankreich – Eine Anweisung der Staatsanwaltschaft in Paris sorgt für Aufregung und belegt den Einsatz des Demonstrationsrechts zur Krisenverwaltung – Was tun die Gewerkschaften vor dem und rund um den 19. März 19?
War es das nun, oder geht es noch weiter? Diese Frage stellt sich nach dem „Akt XVII“ (dem siebzehnten Protest-Samstag der französischen „Gelben Westen“ oder gilets jaunes in Folge) vom vorigen Sonnabend, den 09. März, an dem sich ein klarer Abschwung der Mobilisierung zeigte. Dabei handelte es sich nicht nur um den zweiten Rückgang an Teilnehmer/innen/zahlen in Folge, sondern u.a. auch um einen totalen und manifesten Misserfolg bei der im Vorfeld angekündigten Dauer-Sitzkundgebung auf dem Champs de Mars (Marsfeld, in der Nähe des Eiffelturms); siehe unten.
Und die Frage stellt sich besonders vor dem „Akt XVIII“ am kommenden Samstag, den 16. März, für welchen die Protestbewegung der „Gelbwesten“ einen zentralen Mobilisierungstermin für Teilnehmer/innen aus ganz Frankreich innerhalb von Paris ankündigt, also eine montée nationale (sinngemäß: „frankreichweites Heraufsteigen in die Hauptstadt“;..um den Regierenden auf’s Dach zu steigen).
Dreifacher Protesttermin zu unterschiedlichen Themen – Zersplitterung oder wechselseitige Verstärkung?
Dort findet am kommenden Samstag jedoch nicht nur eine Protestmobilisierung statt. Vielmehr sind, zeitlich parallel, drei seit längerem angekündigte Protesttermine angesetzt: jener der „Gelbwesten“, eine – im jährlichen Rhythmus, immer am dritten Märzwochenende stattfindende – Demonstration „gegen Rassismus und Polizeigewalt“ (Letztere betrifft natürlich auch, und massiv, die Gilets jaunes, vgl. unten), sowie eine Demo für Klimaschutz.
Auch in Frankreich entwickelt sich zum letztgenannten Thema eine Jugend- und vor allem Schüler/innen/bewegung; Emmanuels Macrons ansonsten eher autoritärer Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hat diesbezüglich inzwischen (gegenüber den einsetzenden Mobilisierungen von Schüler/inne/n) ein Stück weit nachgegeben und angeordnet, dass in allen Oberschulen am kommenden Freitag, den 15.03.19 Debatten zum Klima anzusetzen seien. (Vgl. francetvinfo.fr…) Allerdings kritisierte der Vorsitzende der Oberschüler/innen/gewerkschaft – in Frankreich sind Oberschüler/innen sowie Studierende nach gewerkschaftlichem Muster organisiert, d.h. in als Gewerkschaften (syndicats lycéens, syndicats étudiants) bezeichneten eigenen Verbänden – UNL, Louis Boyard, diese Ankündigung des Bildungsminister als „Manöver“, das vor allem dazu bestimmt sei, einem nächsten, durch die Oberschüler/innen organisierten Streik das Wasser abzugraben (Vgl. francetvinfo.fr…) Tatsächlich bemüht sich die Exekutive unter Emmanuel Macron und seinem Premierminister Emmanuel Macron derzeit nach Kräften, die an dem Engagement der jungen Generation für tatsächlichen Klimaschutz Beteiligten zu umgarnen und einzubinden. (Vgl. europe1.fr…; und zur Zurückweisung eines ministeriellen Einschleimungsversuchs: liberation.fr…)
Noch zum UNL-Vorsitzenden: Derselbe Louis Boyard war im Übrigen anlässlich seiner Teilnahme an einem Protestzug der „Gelbwesten“ am 16. Februar 19 in Paris am Fuß verletzt worden, mutmaßlich durch ein Hartgummigeschoss. (Vgl. huffingtonpost.fr… oder marieclaire.fr…) Womit wir wieder beim derzeitigen thematischen Dauerbrenner, der polizeilichen Gewalt, wären.
Dauerthema Polizeigewalt
Auch die „Gelbwesten“ sind vom Thema Polizeigewalt betroffen. Seit Jahren wird dieses Thema in der Öffentlichkeit allerdings besonders durch Einwohner/inne/n von Trabantenstädten mit „sozialen Brennpunkten“ sowie Migrantenfamilien in der französischen Öffentlichkeit aufgegriffen, wie der Familie des (im Juli 2016 im Pariser Vorort Persan-Beaumont zu Tode gekommenen) damals 24jährigen Adama Traoré. Das „Komitee Gerechtigkeit für Adama“ vollzog übrigens schon Ende 2018 relativ früh den Schulterschluss mit Teilen der „Gelbwesten“ und rief zur Teilnahme an ihren Demonstrationen auf, während sie gemeinsam mit linksradikalen Gewerkschaftsflügeln aus den Reihen des Front social (unter ihnen Post- und Bahnbeschäftigte) an mehreren aufeinander folgenden Samstagen je zu einer eigenen Auftaktdemonstration vom Pariser Saint Lazare-Bahnhof aus mobilisierten. Diese versuchte dann regelmäßig, zu den auf den Champs Elysées versammelten „Gelben Westen“ zu laufen, steckte jedoch ebenso regelmäßig im Polizeikessel fest.
Die „Gelben Westen“ selbst sind seit drei Monaten selbst mit massiver Polizeigewalt konfrontiert. Ausschlaggebend dafür sind sicherlich drei Faktoren: Erstens sind alle sozialen Bewegungen seit dem Herbst 2015/Frühjahr 2016 in Frankreich damit konfrontiert, dass der infolge der mörderischen djihadistischen Attentate vom 13. November 2015 verhängte (und in der damaligen Form noch bis November 2017 geltende) Ausnahmezustand die Polizeipraktiken und polizeilichen Mentalitäten verändert hat. Die „Ordnungskräfte“ fühlen sich seitdem mit einer nie dagewesenen Legitimität „im Namen der Nation“ und ihres Schutzbedürfnisses ausgestattet, während zugleich auch Stress und Druck auf viele Polizeibedienstete selbst zugenommen haben – die ersten Monate nach dem 13. November 15 waren bei der Polizei durch massenhafte Urlaubssperren geprägt. „Als Ausgleich“ (sozusagen) hat die Regierungspolitik den Polizeikräfte weitgehend carte blanche gewährt, was Übergriffe und Exzesse im Dienst betrifft. Dadurch wurden etwa die Klimapolitik-Demonstrationen Ende November 2015 und die ersten Proteste gegen die damals angekündigte, inzwischen in Kraft getretene Arbeitsrecht-Novelle (la Loi Travail) mit einem sehr offensiven Vorgehen der Polizei konfrontiert. Deren Apparat begann damals, Proteste mit repressiven Mitteln als „ordnungspolitisches Problem“ zu händeln, während zuvor bei Demonstrationen mit Unterstützung etwa durch etablierte Gewerkschaften starke Zurückhaltung geübt wurde.
Zum Zweiten wuchs parallel dazu eine Strömung innerhalb der (radikalen) Linken erheblich an, die Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften zunehmend als Hauptsache bei Demonstrationen betrachtet – und in deren Reihen die Auffassung verbreitet ist, ein Protestzug ohne größeren Glasbruch sei gar keine ordentliche Demo. Zum Dritten bietet der politisch uneinheitliche, ohne Organisationsstruktur und gewerkschaftlichen Ordnerdienst ausgestattete, heterogene Charakter der „Gelbwesten“-Bewegung einerseits solchen Kräften relativ freien Raum, und fördert andererseits eine sich herkömmlichen „Sicherheits“konzepten bei Demonstrationen (oft zwischen Behörden und Ordnerdiensten abgesprochen) entziehende Dynamik.
Das Zusammenkommen dieser drei Faktoren ermöglicht eine eskalationsträchtige Eigendynamik. Diese erklärt sich nicht aus persönlicher Bosheit der Einsatzleiter oder eingesetzten Polizisten, doch ist zweifellos in deren Reihen – vor dem beschriebenen Hintergrund – eine gewisse Verrohung oder Gewaltgewöhnung zu verzeichnen. Deren Ausmaß variiert zwischen den Einheiten und Polizeistrukturen und ist sicherlich bei den mobilen Brigades anti-criminalité (BAC) – Letztere werden sonst u.a. in den „sozialen Brennpunkten“ der Banlieues eingesetzt, und treten i.d.R. in Zivil mit orangeroten Armbinden (zur Kennzeichnung als Polizisten) -am stärksten ausgeprägt.
Nach neuesten vorliegenden Zahlen wurden seit Beginn der „Gelbwesten“-Proteste am 17. November 18 und bis vor kurzem über 13.000 Hartgummigeschosse abgefeuert, wie sie durch das Gerät LBD (für Lanceur de balles de défense, ungefähr: „Werfer für Verteidigungskugeln / Defensivmunition“) abgeschossen werden. (Vgl. orange.fr…) Dies bedeutet, dass im Durchschnitt pro Protest-Samstag rund 900 mal aus dieser „Defensivwaffe“ geschossen wurde, denn außerhalb der Samstagstermine ist die Mobilisierung im Namen dieser Protestbewegung zu Demonstrationen kaum nennenswert. (Im November und Dezember 2018 blieben an Werktagen vielerorts noch die Blockaden auf Verkehrskreiseln, Autobahnzufahrten oder Zubringerstraßen aufrecht erhalten, doch gingen diese mittlerweile – bzw. seit Ende des Jahres 2018 – sehr erheblich zurück.)
Zwischenzeitlich haben das Europaparlament – in einer Resolution vom 14. Februar d.J. (vgl. lefigaro.fr…), angenommen mit 438 Ja- und 78 Nein-Stimmen bei 87 Enthaltungen – sowie ein Expertengremium für Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen (UN) am 13. Februar 19 den Einsatz dieser „Defensivwaffe“ durch die französische Polizei als „unverhältnismäßig“ kritisiert. Den Antrag dazu im Europäischen Parlament hatten die Vertreter/innen von Linksparteien und Grünen gestellt. Aber auch der rechtsextreme französische Hansw… Abgeordnete Florian Philippot hatte seinen Auftritt, indem er sich mit gelber Weste sowie Augenbinde präsentierte (denn, ja, auch rechte Kräfte sympathisieren mit Teilen dieser heterogenen Protestbewegung). (Vgl. orange.fr…) Auf der Ebene der Vereinten Nationen/UN forderte am 06. März d.J. die Hochkommissarin für Menschenrechte, die chilenische Sozialistin und frühere Präsidentin Michelle Bachelet, von Frankreich eine „eingehende Untersuchung“ zum Thema. (Vgl. lefigaro.fr…)
Innerhalb Frankreichs forderten 35 prominente Augenärztinnen und Augenärzte in einem Schreiben an Staatspräsident Emmanuel Macron ein Verbot der Hartgummigeschosse, die in zwanzig Fällen Menschen das Augenlicht auf mindestens einem Auge kosteten. (Vgl. lejdd.fr…) Auch der Défenseur des droits (DdD, ungefähr „Grundrechtsverteidiger“) – eine unabhängige Behörde, deren Leiter, eine Art republikweiter Ombudsmann, jedoch durch den Premierminister ernannt wird – übt mittlerweile heftige Kritik an den Hartgummigeschossen sowie den berüchtigten Polizeigranaten vom Typ GLI-F4. In seinem Jahresbericht, den französische Medien nach Einsichtnahme am 12. März 19 – dem heutigen Dienstag – auszugsweise zitieren konnten, fordert der DdD ein Verbot des Gummigeschosswerfers LBD. (Vgl francetvinfo.fr…) Bemerkenswert daran ist u.a., dass aktueller Ombudsmann – also Leiter der Behörde DdD – seit 2014 der frühere konservative Justizminister unter Jacques Chirac, also Jacques Toubon, ist. In seiner Amtszeit als Justizminister galt er als ebenso korrupt wie Vertreter einer zynischen Staatsräson, etwa in der damaligen Korruptionsaffäre rund um den seinerzeitigen Pariser Bürgermeister Jean Tiberi (Höhepunkt 1996). Seit seiner Übernahme des Vorsitzes beim DdD scheint er jedoch eine Art Wandlung vom Saulus zum Paulus durchlaufen zu haben. Jedenfalls nimmt er seinen Job als Verteidiger von Grundrechten zumindest ernst, und vertritt dabei mitunter verdienstvoll deutliche Positionen.
Am vergangenen Samstag, den 09. März 19 rief ein Bürgermeister im ostfranzösischen Lothringen – Dany Kocher in dem Städtchen Phalsbourg – dadurch Aufmerksamkeit hervor, dass er den Einsatz des Hartgummigeschosswerfers auf dem Gebiet seiner Kommune per Rathausverordnung verbat. (Vgl. estrepublicain.fr… und orange.fr…) Dies hat zwar auf rechtlicher Ebene eher nur symbolische Bedeutung, da der Präfekt im Département – und nicht die Kommune – den Oberbefehl über Einheiten der police nationale innehat. Doch diese Episode hatte den Verdienst, frankreichweit für Schlagzeilen zu sorgen.
Totalpleite bei der angekündigten dreitägigen Sitzkundgebung
Die Debatte um Polizeigewalt nimmt in breiten Kreisen eine für die „Gelbwesten“ eher günstige Wendung, da die Kritik am Vorgehen der „Sicherheits“kräfte durchaus wächst, trotz hermetischen Dichtmachens der Regierung gegen kritische Debatten. Auch das Öffentlichmachen einer Anordnung der Staatsanwaltschaft Paris, die die ihr zuarbeitenden Polizisten dazu aufforderte, im Falle der Verhängung von Polizeigewahrsam (gegen Angehörige der Protestbewegung) diesen möglichst immer bis Sonntagmorgen dauern zu lassen – die Betreffenden also bis nach dem Ende der Demonstrationen aus dem Verkehr zu ziehen – sorgte für eine gewisse Empörung. (Vgl. orange.fr…) Auch eine linke Richter/innen/gewerkschaft, das SM (Syndicat de la magistrature), übte heftige Kritik an dieser offenkundigen Instrumentalisierung juristischer Instrumente zu ordnungspolitischen Zwecken.
Dennoch stellt sich nunmehr die – bislang offene – Frage, ob die Mobilisierung am kommenden Samstag (16. März 19) zum Erfolg werden kann. Denn die Mobilisierung an drei unterschiedlichen „Fronten“ könnte einerseits dafür sorgen, dass sich die unterschiedlichen Protestanliegen gegenseitig verstärken, vor allem sofern ein intensiver Austausch zwischen den jeweiligen „Protestlagern“ erfolgt. Andererseits kann es aber eine Schwächung darstellen respektive die Öffentlichkeit verwirren, wenn mehrere Demonstrationen zu unterschiedlichen Anliegen unabhängig voneinander, doch zeitgleich nebeneinander ablaufen.
Bislang ist kein „Zusammenfließen“ der drei geplanten Demonstrationen vorgesehen, sondern ein Auswechseln von „Delegationen“. Unter anderem wird – in diesem Falle seitens der Organisator/inn/en der (jährlichen) Demonstration gegen Rassismus und Polizeigewalt angeführt, bei ihr liefen absehbar in größerer Zahl auch Sans papiers – also Einwanderer ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus – mit. Diese gelte es zu schützen, während es insbesondere bei den „Gelbwesten“-Demonstrationen am ehesten zu Ausschreitungen sowie polizeilichen Übergriffen kommt.
Den Erfolg dieser faktischen Mischung, aber auch der „frankreichweiten Mobilisierung“ selbst, gilt es derzeit noch abzuwarten.
An den vorausgegangenen Samstagen (02. und 09. März) war ein Rückgang der Mobilisierung zu verzeichnen. Die Angaben aus dem Innenministerium belaufen sich für das erstgenannte Datum auf „39.300“ in Frankreich, für das zweitgenannte Datum auf „28.600“. (Vgl. lefigaro.fr…) Dies ist, anders als auch bislang in unseren Reihen suggeriert wird (vgl. labournet.de…), nicht nur eine Illusion der regierungsfreundlichen bürgerlichen Presse; vielmehr war real vor Ort zu beobachten, dass die Teilnehmerschaft gegenüber vorherigen Mobilisierungsterminen tatsächlich ausgedünnt erschien.
Auf den Pariser Champs-Elysées ging ein Frauenblock – im Kontext des internationalen Frauen(kampf)tags am Freitag, den 08. März hatten die Frauen innerhalb der „Gelbwesten“bewegung Ende vergangener Woche stark überdurchschnittlich mobilisiert – dem, locker strukturierten, Protestzug voraus. Gemeinsam mit linksgewerkschaftlichen oder als Bürgerinitiativen strukturierten Gruppen gingen sie zwischen 12 und 13 Uhr los, doch ein Teil der zu dem Zeitpunkt vielleicht 3.000 auf den Champs-Elysées versammelten Menschen blieb dort zurück. Wohl in der Erwartung, dass Reibereien mit den Sicherheitskräften eher auf der Avenue bzw. in ihren Seitenstraßen zu erwarten seien. Bei manchen WhatsAppgruppen tobten daraufhin wüste Vorwürfe gegen (ich zitiere aus einzelnen Beiträgen) „dieses gewerkschaftliche, feministische und linke Pack“, das der Vereinnahmung bezichtigt wurde. Am Spätnachmittag kam es dann auf den Champs-Elysées zu den obligatorischen Zusammenstößen mit der Polizei auf der Höhe des Triumphbogens. Die Polizeikräfte versuchten, die Anwesenden von dort zu vertreiben. Der untere Teil der „Prachtstraße“ vor dem Champs Elysée-Kreisel – also bevor man in die räumliche Nähe des Elysée-Palasts gelangen konnte – war hermetisch mit Absperrgittern aus Metall abgeriegelt, was zu einem Abbiegen von den Champs Elysées in Richtung „Alexander III.-Brücke“ und Vorplatz des Invalidendoms erzwang.
Zu einem manifesten Misserfolg wurde vor allem am Vorabend (Freitag, den 08. März) das zuvor groß angekündigte „dreitägige Sit-in“ auf dem Champs de mars/Marsfeld, also die Sitzblockade, mit welcher – laut Ankündigungen – vom Freitag bis Sonntag der dort liegende Eiffelturm belagert werden sollte. Das Wahrzeichen der französische Hauptstadt blieb nicht nur unversehrt, sondern bekam nur wenige Protestierende zu Gesicht, auch wenn einzelne Teilnehmer/innen von außerhalb des Pariser Raums mit der Erwartung angereist kamen, das Wochenende über dort zu zelten. Im Laufe des Freitag Abend räumten Polizeikräfte ohne Mühe die dort anwesenden rund dreißig Protestteilnehmer/innen. Im Anschluss schrien sich einige Leute eine Weile hindurch in einer Kneipe an, was jedoch am Totalscheitern dieser Aktion nichts ändern konnte.
Auch die öffentliche Meinung scheint mittlerweile gekippt zu sein. War die Protestbewegung im November und Dezember 2018 dort noch mit einem satten Polster ausgestattet – über siebzig Prozent der Befragten antworteten damals noch, eine Fortsetzung der Aktionen zu wünschen (was bei den meisten wohl nicht den massiven Glasbruch bei einzelnen Anlässen einschloss) – und waren es im Januar 2019 noch immer sechzig Prozent, so haben sich diese Proportionen nun ins Gegenteil verkehrt. Seit Mitte/Ende Februar 19 wünschen in demoskopischen Erhebungen rund 55 Prozent der Besagten, der Protest in der bisherigen Form (seit dem 17.11.18) solle nun lieber aufhören, und gegenläufige Ergebnisse von Befragungen sind nicht bekannt. (Vgl. bspw. letribunaldunet.fr…und lanouvellerepublique.fr…)
Es bleibt zu beobachten, ob die Bewegung noch einmal Vorhersagen, die ein Abflauen erwarten, wie es derzeit den Anschein erweckt, noch einmal Lügen strafen – wie zwischen Ende Dezember 18 und Anfang Januar 19, Beginn eines erneuten Aufflammens -, oder ob nun die Luft wirklich draußen ist. Dabei ist es für eine entschiedene Aussage derzeit noch zu früh. Doch viel dürfte davon abhängen, ob die angekündigte Zentralmobilisierung an diesem Samstag, den 16. März 19 eine Remobilisierung mit sich bringt oder aber das Wegbrechen der Dynamik bestätigt.
Politisch Irre am Werk
Ein leider nötiges Schlusswort: Nach wie vor mangelt es auch nicht an Quartalsirren, Vollverstrahlten und politisch Verrückten, welche in dieser Bewegung mitschwimmen. So hielten einige Leute es am Rande einer in der Nacht stattfindenden Demonstration von „Gelbwesten“ im südwestfranzösischen Tarbes in der Nacht vom 09. zum 10. März d.J. für angezeigt, einen „Tempel“ – eine Kultstätte – von Freimaurern zu attackieren und dort Sachbeschädigungen anzurichten. (Vgl. orange.fr…)
Um Freimaurer, französisch franc-maçons, ranken sich in Frankreich einige der historisch ältesten Verschwörungstheorien. Ihre Namensbezeichnung geht zurück auf jene Maurer, die im Spätmittelalter die gothischen Kathedralen errichteten – die franc-maçons bildeten damals eine Art früher Facharbeitergewerkschafter der Maurer und Bauspezialisten, die sich als Geheimbund organisierten. Aufgrund der Angewiesenheit der katholischen Kirche auf ihre Spezialkenntnisse und -fähigkeiten konnten ihre Mitglieder es sich anders als ihre Zeitgenossen erlauben, in ihren Zirkeln Gott und König zu kritisieren, ohne auf dem Scheiterhaufen zu enden. Im 18. Jahrhundert organisierte sich daraufhin auch das revolutionäre Bürgertum als Träger der Aufklärung in solchen Zirkeln und Geheimbünden. Die ewige Konterrevolution erblickte, und sieht darin noch immer, die vermeintliche Ursache für die angebliche Katastrophe von 1789 ff.: revolutionäre, antireligiöse Wühlarbeit im Untergrund… Später organisierte sich dann die an die Macht gekommene Bourgeoisie zum Teil noch immer in solchen Gesellschaften, dieses Mal eher zu instrumentellen Zwecken, um das Licht der Öffentlichkeit zu vermeiden. Heute sind etwa einige Präsidenten der postkolonialen Einflusszone Frankreichs in Afrika (wie etwa Denis Sassou Nguesso) Mitglied in bestimmten Freimaurerlogen, doch nicht aufgrund der dort an den Tag gelegten humanistischen und „an der Vernunft orientierten“ Überzeugungssätze, sondern eher, um in solchen Zirkeln Kontakt zur französischen Staatsmafia zu pflegen. Dabei handelt es sich um eine Instrumentalisierung des ursprünglichen Phänomens. Es nährt auch weiterhin virulente Verschwörungstheorien über die angebliche geheime Macht der Freimaurer. Auch in Teilen, oder an den Rändern der, „Gelbwesten“-Bewegung erfreuen sich solche – auf den Müllhaufen der Theoriegeschichte gehörenden – Thesen jedoch manifester Beliebtheit.
Alle Probleme rühren also nicht von der französischen Polizei her…
Quelle: labournet.de… vom 13. März 2019
Tags: Arbeiterbewegung, Frankreich, Frauenbewegung, Gewerkschaften, Postmodernismus, Service Public
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