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Die Gratwanderung der Gelben Westen

Eingereicht on 26. März 2019 – 18:09

Temps Critiques. Eine Gratwanderung, die alle Aufstände begleitet, denn per Definition wissen wir nicht, wann und wie der Umschlag erfolgen wird. Was uns diese Phase zeigt, ist, dass frühere Stärken der Bewegung der Gelben Westen heute zu Fallstricken geworden sind.

Wenn sie sich nicht definieren lässt, so definiert sie sich nicht selbst

Wenn sich die Bewegung der Gelben Westen nicht durch das definiert, was sie nicht ist (antisemitisch, anti-migrantisch, sexistisch, homophob), was bedeuten würde, dass sie auf Angriffe ihrer Feinde oder der Medien eine Gegenreaktion entwickelt, wird sie auch nicht durch das definiert, was sie ist. Wie in jeder Bewegung mit einer eigenen realen Dynamik, existieren die vom Staat, Soziologen und Medien als unvermeidliche Realität dargestellten Spaltungen für sie selbst nicht. Für die «Beherrschten», die sich gegen die Ordnung der Herrschenden stellen, wird die Spaltung zwischen «sensiblen Quartieren» und Gemeinden am Stadtrand relativiert, wenn die Gymnasiasten von Mantes-la-Jolie zeigen, dass selbst nur das Überleben schon in den Vororten untolerierbar geworden ist; Ununterscheidbarkeit der Lage von den Sozialhilfeabhängiggen und den Arbeitslosen, an die Macrons  zynischer Satz «man braucht nur die Straße zu überqueren, um einen Arbeitsplatz zu finden» gerichtet ist, da viele Arbeitslose, die in den Kreisverkehren anwesend sind, Solidarität und Geselligkeit entwickeln; Abschaffung der Fraktionierung zwischen armen Lohnabhängigen (Beschäftigung ist keine Garantie für ein menschenwürdiges Leben mehr) und kleinen Handwerkern oder kleinen Selbständigen.

Durch ihre eigene Dynamik, durch ihr direktes Eingreifen hat die Bewegung die ideologische Kritik, die von den herrschenden politisch-medialen Kreisen abstrakt an sie gerichtet wird, praktisch widerlegt.

In einem Teil der Bevölkerung, der kaum je der aktivste in sozialen Bewegungen war, weil er die Individualisierungsprozesse sowohl wollte als auch erlitt, entsteht die gute alte Idee, die in jedem größeren Kampf wiederentdeckt wird, dass durch die Spaltung die Herrschaft erleichtert wird. Eingestandener Weise sind diese politischen Fortschritte jedoch nach drei Monaten des Kampfes unzureichend. Zwar hat sie auch eine gewisse Reifung in der Entwicklung ihrer Ziele durchgemacht (z.B. vom anti-fiskalischen Kampf zum Kampf um soziale Gerechtigkeit), aber die Bewegung schafft es immer noch nicht wirklich, sich zu definieren. Dies behindert nicht nur ihre Ausweitung hin zu den zaghaften Anhängern, sondern macht auch die ausserhalb oft missverstandene Idee des «Wir sind alle Gelbe Westen» abstrakt; denn ohne eine genauere Definition ihrer selbst, welche dieser zögerlichen Rändern sollten in ihr anerkannt werden und bei welchen könnte gesagt werden: «Nein, du gehörst nicht zu uns»? Weder der Aufruf der Versammlung der Versammlungen in Commercy noch den Kommuniqués der Gruppe Gilets Jaunes Lyon-Zentrum ist es gelungen, diese Unklarheit zu beseitigen, beispielsweise in Bezug auf die Präsenz der extremen Rechten innerhalb der Bewegung.

Der Grund dafür ist, dass die Kampfgemeinschaft als ihren obersten politische Wert die Solidarität in Meinungsverschiedenheiten hochhält, d.h. das Gegenteil vom traditionellen Verständnis von Politik, gerade auch der extremen Linken, die im Gegenteil die Meinungsunterschiede als obersten Grundsatz der Abgrenzung festhält. Diese erste Bestimmung zugunsten der Kampfgemeinschaft und der daraus resultierenden Solidarität führt dazu, dass sie sich nicht mit «den Themen, die wütend machen» beschäftigt oder diese verdrängt. Sprecht nicht zu viel darüber, damit ihr weiterhin miteinander sprechen könnt. Während die Gelben Westen viel über Abstimmungen sprechen und sie für Entscheidungen nutzen, während viele Leute für eine Referendumsdemokratie (RIC) einstehen, wird die Frage des Wahlrechts peinlichst vermieden: dies würde die Solidarität der Gelben Westen unverzüglich zerstören, da geklärt werden müsste, wer denn ein französischer Bürger, eine französische Bürgerin sei, auf die Gefahr von Meinungsverschiedenheiten hin.

In den Vollversammlungen ist es daher oft notwendig, bereits zu intervenieren, um den dort häufig verwendeten Begriff «Bürgerversammlung» zu korrigieren, um die Aktionen und die Reflexionen zwischen den peri-urbanen Gemeinden zu koordinieren. Bei den Aktionen der Gelben Westen sind die Konturen der Staatsbürgerschaft recht unklar, gerade wenn sie sich an die Rathäuser, kommunale Mandatsträger oder sogar Abgeordnete wenden, was es zuweilen schwierig macht, diese Debatten von der «Großen Debatte» zu unterscheiden.

Es mag nur eine zweitbeste Lösung sein, aber aus heutiger Sicht bleibt der Begriff der «Volksversammlung», der in den Commercy-Versammlungen und den urbaneren, die sich ihnen angeschlossen haben, vage. Trotz allem ist dieser Name der Volksversammlung weniger verwirrend, aber sehr paradox. Tatsächlich sind «Bürgerversammlungen» von weitaus breiterer sozialer Zusammensetzung als «Volksversammlungen», die eher nach dem Sinne der Französischen Revolution ausgelegt sind. Allerdings wurde die Frage zunächst nicht abstrakt, sondern praktisch gestellt, weil es schwierig schien, mit einem «Ausländer», der gegen Steuerungerechtigkeit neben Ihnen kämpft, auf einer Straßensperre oder einem Kreisverkehr zu sein und ihm zu sagen, dass das RIC nicht für ihn ist…. weil er keine französische Staatsbürgerschaft hat und dass er nicht wählen kann! Hier ist der Hinweis auf die Französische Revolution dienlich: Ein «Bürger» ist einer, der an der «Revolution» teilnimmt, unabhängig von seiner Nationalität.

Wenn für viele Gelben Westen der Bezug auf die Französische Revolution real und weitgehend ist, dann muss die Bewegung sich an der Sans-Colutterie orientieren, und nicht ständig in die Rolle des braven Bürgers schlüpfen, des Untertans der Staatsmacht, der  die Pflichten erfüllt, die die Rechte begründen. Zudem würde dies praktisch dieser von einigen Gelben Westen geteilten albernen Idee ein Ende bereiten, ein Abstimmungsergebnis als obligatorisch anzusehen und somit eher eine Pflicht als ein Recht darstellt. Aber es wäre optimistisch zu denken, dass die Bewegung in zwei Monaten ein Bewusstsein für die (menschliche) Gemeinschaft entwickeln könnte, das alle Grenzen auslöscht. Die Kampfgemeinschaft zieht, bewusst oder unbewusst, im Kampf ihre Grenzen. Ein markantes Beispiel ist die Unterscheidung, die in Diskussionen zwischen «einfachen» Gelben Westen zum Thema Migranten auftritt[1]. Während Einwanderer von den Gelben Westen gut anerkannt und akzeptiert werden – zumal eine beträchtliche Anzahl von ihnen dazugehört –, so geschieht dies im Rahmen der ehemaligen Figur des Gastarbeiters. Nachkommen von Gastarbeitern unter den Gelben Westen sind der Ansicht, dass sie und ihre Eltern Franzosen wurden oder sind, weil sie zum Aufbau und zum Wohlstand des Landes beigetragen haben, während die heutigen Migranten in ihren Augen nicht versuchen, sich niederzulassen (vgl. Calais und alle, die unbedingt nach England ziehen wollen) und unter ein internationales Krisenmanagement fallen würden, das sich nicht der Kampfgemeinschaft anschliesst[2]. Es ist dies eine kurzsichtige Sichtweise, denn wenn die Arbeitskräfte heute im Prozess der Kapitalakkumulation weltweit überzählig sind, so sind die Überzähligen nicht immer dort, wo man sie glaubt sind, wie die aktuellen Bemühungen von Unternehmen wie MacDonald, Starbucks und anderen großen Unternehmen der Hotel-, Gaststätten- und Bauwirtschaft zeigen, die sogar neu eingetroffenen Migranten Crash-Kurse in Französisch anbieten[3], weil sie «billige Hände» zu so prekären arbeitsrechtlichen Bedingungen suchen, dass niemand sie akzeptieren würde.

Ein Diskurs, der im Protest steckenbleibt

Wenn der Ausdruck von gerechter Wut die Stärke der Bewegung in ihren Anfängen ausmachte, sucht sie jetzt nach einem zweiten Impetus, der sie in einen globaleren sozialen Kampf gegen ein vom Staat und vom Kapital strukturiertes Ganzes verwandeln würde. Sie fasst dies tendenziell als die Bekämpfung des «Systems» zusammen, ohne jedoch zu versuchen, diese Bekämpfung und dieses System weiter zu definieren. Gelingt das nicht, neigt dieser Zorn dazu, sich in Hass gegen die Oligarchie zu verwandeln (das «Ich hasse euch, verstanden», das gelegentlich auf Gelbe Westen geschrieben wird, bezeichnet eine bestimmte politische Kultur und gute Laune), die ihrerseits auf einige wenige große Unternehmen oder Banken und einige Einzelpersonen (Politiker, einflussreiche Journalisten) reduziert wird, «die wir kriegen werden», wie die Demonstranten sagen. Es ist, als müssten diese einzeln zur Zahlung ihrer kollektiven Busse herangezogen werden, während die Gelben Westen allmählich erkennen, dass sie es mit einem «System» zu tun haben. Macron ist in dieser Hinsicht ein Opfer seines eigenen „Dégagismus“. Er wollte aufs Äusserste gehen, um die alte politische Welt loszuwerden, und es ist die alte populäre Welt, die ihm in den Rücken fällt; eine Welt, die viel schwieriger loszuwerden ist.

Dieser systemfeindliche Zorn der Gelben Westen wird durch eine oligarchische Vision von Macht verstärkt, die der Volksvergeltung nur die reichsten 1% anbietet, die die anderen 99% unterdrücken würden, während alle sozialen Beziehungen von Hierarchien und Ungleichheiten durchzogen werden, die teilen und fragmentieren; der Prozess der Herrschaft läuft durch die gesamten sozialen Beziehungen. Dies anzuerkennen oder zumindest zu berücksichtigen, würde bedeuten, anzuerkennen, dass der Begriff des Menschen an sich nicht existiert, dass er in Konflikt und Spannung zwischen denen, die in welcher Eigenschaft auch immer (wirtschaftlich, politisch, kulturell) führen, und denen, die keinen Anspruch darauf haben, aufgebaut ist. Aber es gibt auch keinen Grund, die Gelben Westen das Gewicht der vermeintlichen politischen Unerfahrenheit tragen zu lassen, wenn es sich dabei doch um eine breit geteilte Auffassung handelt, sowohl bei der amerikanischen Occupy Wall Street Bewegung als auch von einer politischen Partei wie La France insoumise !

Daraus folgt, dass die Bewegung oft von der Suche nach dem Sündenbock oder von Verschwörungstheorien geprägt wird, zumal soziale Netzwerke oft unter sich bleiben, beispielsweise Facebook, ihr am häufigsten genutzte Medium. Dies war mehrmals der Fall, als die Bewegung in einigen Städten Aktionen gegen die Bank Rothschild plante, ein privilegiertes Ziel, weil es ein Symbol des globalisierten Kapitalismus sei und auch, weil Macron geschäftsführender Gesellschafter war. Es ist eine Sache, dass diese Art von Aktionen von einer spontanen Gruppe ergriffen wird, da ihre Revolte unmittelbar stattfindet. Aber dass wir in der Vollversammlung, wo Vertreter aus verschiedenen Gruppen der Gelben Westen anwesend sind, erklären müssen, dass wir mit Symbolen aufhören und eher die Realität des Bankensystems im globalen Funktionieren des Kapitalismus betrachten müssen, ist das Zeichen einer gewissen theoretischen Schwäche. In diesem Punkt, wie auch bei der Rolle der Aktionäre bei der Vermögensbildung, wird die Kritik am «System» vom Popanz einer Finanzierung geprägt, die das absolute Übel darstellen würde.

Im Allgemeinen kann man nicht behaupten, dass Gelbe Westen mit einer politischen Reife von drei Monaten die gleichen Vereinfachungen vorgenommen haben wie die von eingesessenen politischen Organisationen oder Zeitungen wie Le Monde diplomatique. Die Schwierigkeit besteht darin, die Situation zu korrigieren, ohne die Experten zu spielen…. und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Analyse der Gelben Westen von Anfang an dadurch eingeschränkt ist, dass sie den Kreislaufprozess vom Produktionsprozess isoliert, während das Kapital gerade versucht, ihn durch liberale Reformen zu vereinen.

Um konkret zu bleiben, beziehen sich gelbe Westen manchmal auf Zahlen, die für sich selbst sprechen sollen, die aber zu einer Überinterpretation nahe der Fehlinterpretation verleiten. Zum Beispiel in einer Broschüre mit dem Titel Gilets jaunes sur la finance [die Gelben Westen über die Finanz], von denen ein Teil den Aktionären und der Dividende gewidmet ist. Die für Frankreich vorgelegte Präsentation unterstützt tendenziell die Vorstellung, dass die Dividenden in Frankreich die höchste prozentuale Vergütung der Aktionäre erreichen, was absolut skandalös wäre und Frankreich zu einem Modell des Raubkapitalismus machen würde. Doch gerade weil Frankreich dem angelsächsischen Modell des Kapitalismus und seinen Anforderungen bisher besser widerstanden hat, muss Frankreich mehr Kapital anziehen. So hat sich Frankreich beispielsweise geweigert, auf kapitalgedeckte Renten umzusteigen, was es verunmöglicht einen eigenen Rentenfonds aufzubauen und Investitionen deshalb teurer werden. Das Problem ist nicht so sehr, dass dieser Ansatz falsch ist, sondern dass er uns daran hindert, das allgemeine Funktionieren des Kapitalismus auf theoretischer und praktischer Ebene zu verstehen, was oft Diskussionen blockiert. Die Tendenz der Bewegung, eher auf Basis von einer «Moral» als auf politischen Argumenten zu arbeiten, führt zu einer Moralisierung von Dingen und sozialen Beziehungen. Dieser Entwicklung kann nur durch Maßnahmen begegnet werden, die richtig beginnen und sich als Unterstützung sozialer Konflikte entwickeln, in vernachlässigten Sektoren, wo die Gewerkschaften nicht sehr präsent sind, wie z.B. Subunternehmer im Masseneinzelhandel. Sie ergänzen die primären Aktionen zur Verkehrssperre vor den Einkaufszentren, indem sie die Ausbeutung anklagen und positiv auf das Machtgleichgewicht wirken können.

Ein widersprüchlicher Universalismus mit der Gefahr der Isolierung

Nachdem die Bewegung ihre ursprünglichen Forderungen erweitert und sich weiterhin weigert zu verhandeln, was ein wesentlicher Punkt für die Aufrechterhaltung eines antagonistischen Kräftegleichgewichts ist, stößt sie auf Schwierigkeiten, auf dieser ersten Grundlage zu expandieren. Schwierigkeiten, die an der Schnittstelle vom 5. Februar und mit dem Scheitern der Verbindung mit der Gymnasial-Bewegung im Dezember aufgetreten sind, was die Bewegung dazu veranlasste, sich auf sich selbst zu konzentrieren, mit ihren vielleicht ureigenen Forderungen, die aber heute nur mehr ihre eigenen sind. Die Bewegung der Gelben Westen hat sicherlich Recht, wenn sie sowohl ihren Vorrang im Kampf als auch ihre Unabhängigkeit gegenüber anderen Kräften behaupten will. Auf diese Weise stellte sie sich als eine Art Massenvorhut («Alle sind Gelben Westen») in dem Sinne dar, dass das Anziehen der gelben Weste plötzlich zu einem Akt des Widerstandes an sich wurde, ein Zeichen der Anerkennung danach und schließlich der erste Schritt zu etwas Anderem. Folglich hatte sie nichts zu erwarten von der traditionellen und meist «verfehlten» Forderung nach einer «Konvergenz der Kämpfe», einem Kuchen in der Sahne der 2000er Jahre, der das «Alle gemeinsam» der 1990er Jahre ablöste. Das Fiasko der gemeinsamen Demonstration am 16. März zwischen der Klimabewegung und den Gelben Westen zeigt, dass es noch ein langer Weg ist, bis aus allen «Gelben Westen» die «Menschheit» wird. Aber es ist nicht gesagt, dass es für einige von ihnen nicht einfacher ist, sich für Maßnahmen zur Blockade der Wirtschaft (Energie) oder zur Unterstützung von Lohnabhängigen im Kampf zu entscheiden; es gibt viele Möglichkeiten, um von der allgemeinen Destabilisierung der herrschenden Kräfte profitieren zu können. Das Problem ist dann, zu wissen, welche Rolle man dabei spielen soll. Ohne eine endgültige Entscheidung treffen zu wollen, zeigt uns unsere gegenwärtige Erfahrung, dass es schade wäre, wenn wir dabei die gleiche Strategie wie die Maos in den 1970er Jahren wiederholen würden. Die Gelben Westen dürfen unter dem Vorwand, dass sie mobilisiert und entschlossen sind, keine Art bewaffneter Arm (auch ohne Waffen) der Lohnabhängigen oder eines anderen Kampfes sein.

Wenn wir gemeinsam gegen die kapitalistische Gesellschaft vorgehen, konvergieren wir und nicht, indem wir zuerst getrennt handeln und dann schließlich konvergieren (vgl. zu diesem Thema das Gegenbeispiel der «roten Stifte[4]»).

Sofern die Gelben Westen heute ein weiteres «Alle gemeinsam» hervorbringen würden, wäre das nicht von gleicher Natur. Die erste war ein Aufruf an alle Fraktionen der Arbeiterklasse, aber mit der Vorstellung, dass die Arbeiterklasse und bestimmte Kategorien wie Eisenbahner die Vorhut waren; mit der zweiten, die der Gelben Westen, wird das «Alle gemeinsam» als Überwindung der Spaltung gestellt. Da wir potenziell alle sind, sehen wir nicht, wer uns vereinen könnte, aber die Konsequenz ist, dass es die Gelben Westen sind, die schlussendlich als diese Vorhut wahrgenommen werden; dies gefällt offensichtlich nicht allen, was teilweise die zögerliche Haltung der CGT und ihre verschiedenen Konflikte im Verhältnis zur Bewegung erklärt, was am 19. März noch deutlicher zutage trat als am 5. Februar.

Dieses «Alle gemeinsam» ist also mehr Potenzial als Wirklichkeit und ergänzt die mühsame Wiederholung von Samstagsdemonstrationen mit den damit verbundenen Verletzungen, Verurteilungen und präventiven Verhaftungen; die Bewegung verlegte sich mittlerweile mehr auf institutionelle Aktionen. Aktionen, die zum einen die Notwendigkeit des RIC bekräftigen, und nicht, wie ursprünglich unter anderem behauptet wurde als Wundermittel für die Krise der politischen Repräsentation, als ein Modell der direkten Demokratie; und zum anderen versuchen diese Aktionen, auf die «Große Debatte» der Regierung mit der vermeintlichen Alternative einer «Echten Debatte» zu reagieren, diesmal unter der Führung der Gelben Westen. Für uns eine falsche Alternative, denn am Ende bleibt sie in einer Art Gegenabhängigkeit zur Großen Debatte, denn konkret und auch wenn die Formen freier sind, wird die ursprüngliche Idee der Klagehefter der politischen Macht tatsächlich zu derem eigenen Nutzen zurückgegeben. Wo ist die Autonomie der Bewegung geblieben?

Es ist in der Tat der Rückzug aus dem direkten Handeln auf der breitesten und verständlichsten Grundlage für den gesamten Slogan «dank ab, Macron», den wir hier erleben. Dies ist ein Schritt zurück von der Herausforderung des Staates, die sich aus Kreiselblockaden und nicht erklärten Demonstrationen ergibt. Insofern scheint das RIC nun die Hoffnung auf einen in weiter Ferne liegenden Rücktritt darzustellen, die den Glauben an einen sofortigen Rücktritt ersetzt.

Eine vom RIC unterstützte Referenz, die in keinem anderen Teil der Bevölkerung zu finden ist und die zudem in den verschiedenen Gruppen Gelber Westen nicht wirklich diskutiert wird. So gibt es beispielsweise keine wirkliche Übereinstimmung darüber, ob das RIC eine Forderung ist und wenn ja, wo es in den breiten Katalog der Forderungen oder Vorschläge passt, die oft in jedem der 42 ursprünglichen Vorschläge zu finden sind, oder ob es nur ein Mittel ist, um die Forderungen oder Vorschläge zu erfüllen. Das RIC soll jedoch alle Probleme lösen, sobald es nach Offenlegung seiner Prinzipien von allen verstanden wird. Was hier auftaucht, ist der Widerspruch zwischen der kollektiven Aktion der Gelben Westen und einem RIC, das auf dem individuellen Akt der Abstimmung in der Wahlkabine oder sogar mit einem einfachen Computerklick von zuhause aus basiert.

Mit dem RIC an der Spitze des Gesetzes würden wir einen Bruch zwischen politischer Revolution und sozialer Revolution erleben, ein Bruch, der bereits zur Zeit der Französischen Revolution vorhanden war[5].

Die Macht selbst wird nicht in Frage gestellt, ebenso wenig wie die Natur des Staates. Es ist, als ob das ganze Problem, das die RIC ermöglicht hat, die Gelben Westen die Natur des Staates vergessen ließe, den sie während ihrer Bewegung entdeckt oder wiederentdeckt haben. Dies birgt die Gefahr, dass die politische Funktion überpersonalisiert wird und der widersprüchliche Zusammenhang zwischen individueller Persönlichkeit und öffentlichem Dienst ignoriert wird. Für die Mehrheit der Gelben Westen sind politisches Personal und Oligarchie «System» und daher nicht trennbar. Es scheint daher inkonsequent, nur politisches Personal (Macron, Castaner) und ihre Untergebenen (Benalla usw.) anzugreifen, als ob sie als Individuen bestraft werden sollten, anstatt gegen die Tatsache zu kämpfen, dass es ein professionelles politisches Personal gibt, dessen Funktion getrennt ist, diese Trennung der Aktivitäten, eine von vielen anderen ist ein Merkmal des «kapitalistischen» Systems…… Dasselbe gilt, wenn das RIC seine Arbeit der sauberen Händen durchführen will, indem es fordert, dass das Strafregister der Volksvertreter sauber gehalten wird. Ohne Radikalisierung ihrer Position dürfte dieser Vorschlag zu der heutigen italienischen Situation führen, die zum Teil dank der «Saubere Hände»-Kampagne (mani pulite) entstanden ist, auch wenn sich die Bewegung stark von den Fünf Sternen unterscheidet.

Sicherlich fordern die Gelben Westen Amnestie für die verurteilten Gelben Westen, aber sie denken nicht, dass dies auf frühere Taten ausgedehnt werden sollte, die während der Demonstrationen gegen das Arbeitsgesetz begangen wurden, als diese noch ungefähr in der gleichen Größenordnung lagen, mit präventiven Verhaftungen, Demonstrationsverboten und unverhältnismäßigen Strafen. Auch wenn viele Gelbe Westen sagen, dass sie ihre damalige Passivität bedauern, scheinen sie die Ereignisse nicht verbinden zu wollen und sind wohl Opfer ihres Beschränkung auf die unmittelbare Gegenwart..

In ihrer gegen Personen gerichtete Wut, auch wenn diese nun andere sind, treten die Gelben Westen immer in die Fußstapfen der französischen Revolution. In der Tat, wenn auf die Eroberung der Bastille eine Öffnung des Gefängnisses folgte, wurde es sehr schnell wieder gefüllt und sogar von denen überfüllt, die nicht guillotiniert waren. Darüber hinaus gab es an den Kreisverkehren der Gelben Westen zeitweise Tafeln mit den Guillotinen, und die Demonstranten wurden sogar vor Gericht gestellt, weil sie die öffentliche Hinrichtung von Macron durch Zwischenfiguren nachgeahmt hatten. Das Problem ist, dass das «System» heute etwas weiter von seinen «Trägern» entfernt ist als damals. Dies gilt sowohl aus der Sicht einer immer abstrakteren kapitalistischen Funktionsweise als auch aus der Sicht eines Staates, der sich von der Nationenform hin zur Netzwerkform bewegt. Aber vielleicht ist es auch das, was die Bresche schafft, durch die man einfallen kann. Im Vergleich zur Zeit der Französischen Revolution, als die soliden Institutionen noch nicht vorhanden waren, verwiesen die Dritte und Vierte Republik die Politiker in Positionen, die ihrer Funktion und den Institutionen des Nationalstaates untergeordnet waren. Die Fünfte Republik und insbesondere die allgemeinen Wahlen haben den Trend jedoch umgekehrt. Die anschließende Personalisierung der Macht wurde seither indirekt durch die relative Resorption von Institutionen innerhalb des Staates in seiner Netzwerkform verstärkt.

Es gibt einen Sturm im Kopf der Gelben Westen, denn wie kann man den Widerspruch zwischen einerseits der universalistischen Tendenz zur Republik der Menschheit[6], die als strategische Perspektive der Bewegung erscheint, und andererseits einem populären Souveränismus, der der Nation Farbe und Lack zurückzugeben scheint, lösen?

Die Schwierigkeit, eine Organisationsform zu finden.

Die Verallgemeinerung der Besetzung der Kreisverkehre, die wir in unserer Broschüre «Une tenue jaune qui fait communauté[7]» gefordert haben, wird nun durch die Unterdrückung seitens des Staates untergraben, der eine Verlagerung seines integrierten kapitalistischen Raums (eine Gefahr für seine Kontrolle über den Fluss von Menschen und Gütern) und die Voraussetzungen für eine weitere Reproduktion sozialer Beziehungen erfährt, die zwar keinen wichtigen und organisierten Befestigungspunkt wie Notre-Dame-des-Landes erreichte, aber dennoch eine Tendenz zur Verbreitung von Hütten darstellte, die als so viele Schlacken in einer Landschaft betrachtet wurden, die geglättet werden sollten. Heute geht es eher darum, sich auf seine eigenen Angelegenheiten zurückzuziehen oder sich an den Mautstationen mit direkter Aktion handgreiflich bemerkbar zu machen; dies v.a. am Rande von Großstädten, im Vergleich zur Situation in Dörfern und um Kleinstädte, wo alle zwischengeschalteten Formen des Kampfes zu koexistieren scheinen und so gut sie können fortbestehen.

Andererseits haben sich die Versammlungen in zahlreichen Städten entwickelt, aber auf traditionelleren Grundlagen und Organisationsmethoden, die dem entsprechen, was sie zur Zeit von Nuit debout waren, d.h. mit einer Fixierung auf den demokratischen Formalismus, der der Idee der freien Meinungsäußerung oft widerspricht. Auch mit Tendenzen, die Organisation «organisieren» zu wollen oder die Leute dazu zu bringen, darüber abzustimmen, ob sie abstimmen werden und andere prozedurale Freuden), um manchmal eine Verkehrung der Dinge herbeizuführen, in denen die Vollversammlung glaubt, dass sie die Bewegung ausmacht, während es bestenfalls die Bewegung ist, die die Vollversammlung macht. Während es im Kreisverkehr ohne Probleme möglich war, von der Diskussion zur Aktion und umgekehrt überzugehen, wobei die Organisation möglicherweise auf der Ebene einer Koordination von Kreisverkehren liegt, war die Form der Versammlung angesichts der Kluft zwischen dem Fortschritt ihrer Organisationsform und dem geringen Realitätsgehalt ihrer Entscheidungsform äusserst machtlos, zum Beispiel auf der Ebene der Organisation von Manifestationen, auf deren Durchführung sie tatsächlich weiterhin kaum Einfluss hat.

Nicht alles steht auf dem Spiel

Kollektive Aktionen, ob auf den Kreiseln oder auf der Straße, stärken ständig den politischen und sozialen Körper der Gelben Westen, denn bei diesen Gelegenheiten wird er mit der Macht des Staates konfrontiert, auch physisch, wo ein Alles oder Nichts gespielt wird, weit über die «Echten Debatten» und andere RICs hinaus. Darüber hinaus sind die Themen, die von den Gelben Westen in sozialen Netzwerken veröffentlicht und in einer Umfrage der Zeitung Le Monde behandelt wurden, ein Beweis dafür, denn sie zeigen, dass es die Mobilisierung ist, die am häufigsten erwähnt wird, gefolgt von der Repression, dann die Kritik an den Eliten, die halb so oft verwendet wird wie die erste und schließlich die der Forderungen, die viermal weniger erwähnt wird als die erste.[8]

In dieser kollektiven Aktion macht die Bewegung die praktische Erfahrung einer Welt, die sie plötzlich nicht mehr zu ertragen scheint, weil sie begonnen hat, bestimmte Bedingungen zu verändern (Sozialität, Brüderlichkeit und Solidarität, gegenseitige Hilfe), während sie es jedem erlaubt, sich durch diese Aktion selbst zu entdecken und sich in derselben Bewegung zu verwandeln.

Direkte Aktionen machen diese Bewegung aus, und Demonstrationen, wie die vom Samstag, den 16. März zeigen, dass sie notwendig sind. Neben der subjektiven Befriedigung des angestrebten Glasbruchs übernahmen die Gelben Westen erstmals die Rolle von «Chaoten» oder Sympathisanten von Chaoten und posierten schamlos inmitten des Schadens. Aber ich bin mir nicht sicher, ob dies die Dinge voranbringen wird, sobald die Basis der Bewegung schrumpft und immer mehr Wut hochkommt…. aber gegen die Gelben Westen und – im äussersten Fall –  dass die Regierung das nächste Mal in der Lage sein wird, die Demonstranten mit unauslöschlichen Mitteln zu «markieren» und, warum nicht, sie über den Haufen schießen zu lassen[9].

Es gibt keine schnell Lösung, da die Bewegung einen Teil ihrer ursprünglichen Dynamik ausgeschöpft hat. Es ist klar, dass die Bewegung im Moment ihrer größten Gewalt erkennen muss, dass sie mittellos ist …. und der Gnade der Entscheidungen der Behörden ausgesetzt ist. Die Ernsthaftigkeit der Revolutionslust der Gelben Westen, die zu Beginn der Bewegung unvorstellbar war, treibt sie vorerst zu einem Wechselspiel von Versuchen der Institutionalisierung und Politik um Alles oder Nichts, bis hin zu aufrührerischen Praktiken (Paris, Bordeaux, Toulouse in geringerem Maße). Das «Ultimatum» vom 16. März ist ein starker Akt, aber es besteht auch die Gefahr eines Sprungs in die Leere, wenn die Bewegung nicht sofort reagiert und ihre Wirkungsweisen diversifiziert; indem sie beispielsweise vorübergehend vor einer erneuten Kraftprobe absteht oder diese anderswo provoziert, aber auf unerwartete Weise[10]. Es geht darum, eine Verbindung zwischen all diesen Taktiken herzustellen, ohne diese gegeneinander auszuspielen. Die seit Anfang der Woche ergriffenen Maßnahmen zeigen, dass die Regierung Angst hat. Im Gegensatz zu dem, was sie zu glauben versucht, sind nicht alle Versammlungen verboten und vor allem nicht, wenn es um die Gelben Westen, die neue soziale Pest geht. Die Regierung kann daher nicht überall eingreifen, solange sie überall belästigt wird. Vorwärts! Vorwärts! Vorwärts!

Quelle: lundi.matin… vom 25. März 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch


[1] Wir sprechen hier nicht über die Versammlungen von Gelben Westen der Art von Commercy oder Maison du Peuple von Saint-Nazaire, von in der Tat politisierten Menschen, die durch eine Tailnahme an Nuit debout politisiert wurden, oder Aktivisten, die mehr oder weniger in Phase mit LFI oder der NPA stehen, die die Freizügigkeit von Personen, die Aufnahme von Migranten, die Praxis des integrativen Schreibens und die Herangehensweise von «Menschen von unten», von denen sie nicht wirklich Teil sind, bejahen; ihr Beitritt zur Bewegung wird häufiger durch politischen Proselytismus motiviert.

[2] Dies ist zweifellos der Grund, warum Losungen gegen den Marrakesch-Pakt gelegentlich und schließlich heimlich in den Prozessionen der Gelben Westen via rechtsextreme Demonstranten aufgetaucht sind.

[3] Siehe Artikel: «Les réfugiés sont les bienvenus sur les métiers en tension». Le Monde, 21 mars 2019, p. 20.

[4] Es ist, als hätten die Gelben Westen intuitiv die Lehren aus dem 13. Mai 1968 gezogen, als die Studenten die Zukunft der Bewegung an die CGT übergaben, während im gegenwärtigen Kontext die gleiche CGT angesichts des Kapital-Arbeits-Kräfteverhältnisses und ihres abnehmenden Einflusses diese Forderung ohnehin nicht erfüllen könnte.

[5] Siehe unsere Broschüre: «Dans les rets du RIC : remarques sur les faiblesses politiques d’une revendication», Februar 2019: http://tempscritiques.free.fr/spip.php?article397

 

[6] http://blog.tempscritiques.net/archives/2614

[7] http://tempscritiques.free.fr/spip.php?article392

[8] Natürlich sind es nur Umfragen und Statistiken, aber es ist zu fragen, wer den RIC in die Frucht eingebracht hat?

[9] Siehe Merkblatt der Polizeigewerkschaft Synergie-Officiers (https://twitter.com/PoliceSynergie/status/1107662000291753985/photo/1 ).

[10] Diese Situation, die der Älteste von uns am 25. Mai 1968 am frühen Morgen kannte… ohne die Möglichkeit zu haben, ein günstiges Ergebnis zu erzielen. Aber die Geschichte wiederholt sich nie……

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