Paris: Neues von der Repression
Bernard Schmid. Innenminister muss wegen Behauptung vom „Angriff“ auf ein Pariser Krankenhaus zurückrudern – Sein Untergebener, der Polizeipräfekt von Paris, will in einer wahnwitzigen Entscheidung eine spanische Staatsbürgerin wegen Demonstrationsbeteiligung abschieben und mit Aufenthaltsverbot in Frankreich belegen lassen.
Nun will er das Alles nicht so gemeint haben. Nachdem er in sehr offensivem Tonfall einen behaupteten „Angriff“(une attaque) gegen das Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpétrière am Rande der diesjährigen 1. Mai-Demonstration suggeriert hatte, ruderte Innenminister Christophe Castaner inzwischen in der Öffentlichkeit zurück. Es hat tatsächlich keinen „Angriff“ gegeben, weder auf das Krankenhaus als solche noch auf Patienten auf einer Wiederbelebungsstation, sondern einige Dutzend Protestierende mit und ohne gelbe Westen hatten am Nachmittag des 1. Mai auf dessen Gelände vor Polizeiangriffen und Reizgaswolken Zuflucht gesucht. (Vgl. dazu auch eine Darstellung in der Presse aus Protestierenden-Sicht, und insbesondere aus Sicht derer, die deswegen rund 24 Stunden im Polizeigewahrsam zubrachten: lemonde.fr…)
Castaner selbst behauptet inzwischen auch nicht länger, dass es sich um einen „Angriff“ gehandelt habe, sondern spricht nun nur noch von einem „Eindringen“ (une intrusion). Er selbst gibt an, er „bedauere“ seine vorherige Wortwahl, die ja eine Angriffshandlung suggerierte (vgl. bspw. francetvinfo.fr…).
Auf der Linken wie auf der Rechten und extremen Rechten fordern unterdessen ziemlich unterschiedliche Oppositionsparteien aufgrund dieser Affäre, und Castaners versuchter Manipulation der öffentlichen Meinung, dessen Rücktritt. Wobei die extreme Rechte ihrerseits einerseits gegen Castaner wettert, andererseits jedoch auch mindestens ebenso heftig gegen angebliche „linksradikale Milizen“ hetzt, welche die „Gelbwesten“ zu ihren Zwecken instrumentalisierten, obwohl sie selbst sich gerne zur Unterstützerin der Protestbewegung (aber eben unter Abzug der Linken und anderer Kräfte) aufschwingt. (Vgl. zusammenfassend (AFP-Meldung): lefigaro.fr…)
Eine irrwitzige Meldung machte unterdessen am Sonntag, den 05.05.19 zunächst über diverse e-Mailing-Listen im Bewegungs-, Protest- sowie NGO-Spektrum die Runde. Eine spanische Staatsangehörige, „Camelia“, welche seit 2002 in Paris lebt, in einem unbefristeten Arbeitsvertrag arbeitet und von einem Franzosen schwanger ist, wurde in Abschiebehaft genommen und vom amtierenden Pariser Polizeipräfekten (= dem Vorgesetzten der Polizei- und Ausländerbehörden auf städtischem Boden) mit einer Abschiebeverfügung sowie zusätzlich zweijährigem Aufenthaltsverbot auf französischem Boden belegt. (Kamel gegen Camelia? Nein, nicht doch…)
Ihr Vergehen? Die sich selbst als Radikalpazifistin und Öko-Aktivistin bezeichnende junge Frau trug, um ihren Bauch aufgrund ihrer Schwangerschaft zu schützen, einen Schild vor sich, auf den sie ihre pazifistischen Absichten nochmals explizit aufgeschrieben und überdeutlich zu erkennen gegeben hatte. Dies wurde ihr nun als Passivbewaffnung ausgelegt.
Normalerweise kann eine französische Behörde (oder die eines anderen EU-Staates) gar keine Ausreiseverfügung gegen EU-Angehörige verhängen, außer bei bestehender „Gefahr (im Verzug) für die öffentliche Ordnung“, also etwa bei Mehrfachstraftätern, Terrorverdächtigen… (Allerdings im Mai 1968 auch gegen einen gewissen Daniel Cohn-Bendit, welcher trotz damals noch bestehender Grenzkontrollen zwischen Westdeutschland und Frankreich allerdings wenige Tage später wieder in Paris auftauchte.)
Dies dürfte ohne jeglichen Zweifel nicht gegeben sein, zumal die Staatsanwaltschaft – welche zunächst ein Ermittlungsverfahren wg. Passivbewaffnung oder Verstößen gegen das Ordnungsrecht/Demonstrationsrecht eingeleitet hatte – inzwischen selbst ihren Vorstoß zurückgenommen und das Verfahren eingestellt hat, es also keinen Strafantrag geben wird. Dennoch beharrte der Pariser Polizeipräfekt seinerseits (er zählt anders als die Staatsanwaltschaft als Justizorgan nicht zur Judikative, sondern gehört der Exekutive an) auf seiner Entscheidung; die er deswegen auch nicht mit Straffälligkeit begründete. Sondern mit einer Bestimmung des EU-Rechts, die einem Mitgliedsstaat der Union das Loswerden eines EU-Ausländers oder einer EU-Ausländerin erlaubt, sofern diese/r eine „unverhältnismäßige Belastung“ für ihn darstelle. Sonst geht es im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Regel fast immer um den Zugang zu Sozialsystemen, zumeist darum, dass etwa rumänischen oder bulgarischen Staatsangehörigkeit mit Zugehörigkeit zum Volk der Roma auch innerhalb der Periode der Reisefreiheit / „Freizügigkeit“ – die drei Monate währt, danach beginnt die „Niederlassungsfreiheit“, für deren Wahrnehmung ein Rechtsgrund vorliegen muss – der Aufenthalt verweigert oder verkürzt wird, sofern sie über keine nachweisbaren Einkünfte oder Ersparnisse verfügen. Nun findet dieselbe Regel also gegen eine Demonstrantin Anwendung.
Diese unterliegt nun wiederum ihrerseits verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Wie am gestrigen Sonntag bekannt wurde, wird das Pariser Verwaltungsgericht innerhalb von drei Monaten dazu entscheiden. Aus der Abschiebehaft ist die junge Frau unterdessen, wie ebenfalls am Sonntag bekannt wurde, frei gekommen, was jedoch die Ausreiseverfügung und das Aufenthaltsverbot juristisch nicht aufhebt. (Vgl. auch einen dazu mittlerweile erschienenen Artikel: liberation.fr…)
An der Stelle zeigt sich übrigens, wie falsch die strategisch dämliche Siegesbesoffenheit war, welche manche sich für radikal haltenden Demonstrationsteilnehmer verbreiteten, nachdem infolge der Zusammenstöße vom 16. März 19 der Pariser Polizeipräfekt geschasst und ausgetauscht wurde. (Vgl. ausführlich labournet.de… und labournet.de…)
Den Amtsvorgänger Michel Delpuech, 2017 unter dem Sozialdemokraten François Hollande an die Spitze der Pariser Polizei ernannt, kostete es damals (Mitte März d.J.) politisch den Kopf, dass er kurz vor dem „Akt 18“ der „Gelbwesten“-Prozesse am 16. März 2019 angeordnet hatte, die relativ großkalibrigen Gummigeschosswaffen vom Typ LBD-40 – zu deren Verfechtern er nicht zählte – durch kleinere Wummen zu ersetzen. Nachdem es beim „Akt 18“ qualmte, wurde er dafür politisch zur Verantwortung gezogen. Sein Nachfolger, Didier Lallement, vormaliger Präfekt in Bordeaux – einer Stadt mit starken Auseinandersetzungen während der „Gelbwesten“-Proteste (vgl. zu ihm u.a.: sudouest.fr…) -, gilt auch in Teilen der Polizei als skrupelloser Psychopath; frühere Untergebene von ihm berichteten, unter ihm zu arbeiten, habe einem permanenten Mobbing geglichen, und er sei in der Lage, über Jahre hinaus Personen nicht zu grüßen, die ihn selbst aus dienstlichen Gründen grüßen müssen.
Nun werden es wohl auch die im Hauptstadtgebiet lebenden Ausländer/innen mit auszubaden haben, da ein Präfekt (in Paris trägt er die spezifische Funktionsbezeichnung: Polizeipräfekt) just die Leitung der Polizei im jeweiligen Verwaltungsbezirk einerseits und die Leitung der dortigen Ausländerbehörden andererseits zu zweien seiner Hauptaufgabengebiete zählt.
Deswegen auch verbietet sich der Triumphalismus und Siegestaumel, mit dem manche sich superradikal gebende Demonstranten infolge der Absetzung (und Ersetzung) des Polizeipräfekten Michel Delpuech verkündeten, man sei so wahnsinnig siegreich, da man ja nun einen Präfekten verjagt habe. (Vgl. dazu auch in der bürgerlichen Presse: lemonde.fr… sowie lefigaro.fr…) So sieht strategische Dumm- und Blindheit aus.
Quelle: labournet.de… vom 6. Mai 2019
Tags: Arbeiterbewegung, Frankreich, Frauenbewegung, Neue Rechte, Repression, Widerstand
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