Alle nach rechts. Was nun?
Willi Eberle. Die globale politische Ordnung, welche die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat, gerät seit mehreren Jahrzehnten in eine immer tiefere Krise. Wie äussert sich diese Krise? Was sind die Gründe dieser Entwicklung? Was muss die radikale Linke tun?
Aktuell sind beinahe überall auf der Welt rechte politische Kräfte an der Macht oder auf dem Weg dorthin. Sie verfechten einen Rassismus, Nationalismus und Militarismus; die meisten greifen selbst die gemässigten Organisationen der Arbeiter*innenbewegung an, obgleich diese bisher zu beinahe jeder Form von Zugeständnissen bereit waren. Teilweise handelt es sich um neue politische Parteien am rechten Rand. Häufig sind es aber die alten Volksparteien, darunter die Sozialdemokratie, die sich immer weiter nach rechts entwickelt haben.
Mit dieser Rechtsverschiebung erfolgte auch eine Erstarkung neo-faschistischer Kräfte, die direkt oder indirekt an entsprechende Traditionen aus den 1920er bis den 1940er Jahren anknüpfen. Diese sind international gut vernetzt und treten zunehmend öffentlich in Erscheinung. Dieser Aufschwung neo-faschistischer Kräfte ist unter anderem in den USA, in vielen Ländern Lateinamerikas und in vielen europäischen Ländern deutlich erkennbar. Zwischen diesen neo-faschistischen Sektoren und der «regierungsfähigen» Neuen Rechten besteht zum Teil eine personelle und mit Sicherheit eine thematische Kontinuität. Dies betrifft v.a. den Rassismus, der zunehmend eine radikal völkische Ausprägung annimmt und mit einem übersteigerten Nationalismus einhergeht, eine verschärfte Repression und einen geifernden Anti-Marxismus. Diese Themen waren in den Volksparteien zwar schon immer vorhanden, selten aber in dieser Schärfe wie heute.
Die politischen Organisationen des traditionellen Reformismus, insbesondere die Sozialdemokratie, verlieren – zusammen mit den rechten Volksparteien – zunehmend den Rückhalt in ihrer hergebrachten Wählerbasis. Sie werden allesamt den «Eliten» zugerechnet. Denn diese haben einem grossen Teil der Lohnabhängigen über die vergangenen Jahrzehnte eine wachsende Unsicherheit und gar den sozialen Abstieg aufgehalst. Besonders dramatisch ist dies in den Ländern der ehemaligen UdSSR, in Osteuropa und auf dem Balkan sichtbar. Hier kam es zu einem besonders raschen und nachhaltigen Anwachsen neo-faschistischer und rechtsextremer Gruppierungen. Diese Entwicklung wurde seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regimes oft durch die handgreifliche Einmischung des westlichen Imperialismus gefördert.
Das «goldende Zeitalter des Kapitalismus»
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren vor allem die europäische und die japanische Bourgeoisie diskreditiert. Dies aufgrund ihrer mehr oder weniger offenen Unterstützung des Faschismus oder ihrem Liebäugeln mit «milderen» autoritären Herrschaftsformen. Die Sowjetunion hatte von den Siegermächten die Hauptlast des Krieges getragen. Sie genoss deswegen in der breiten Bevölkerung weltweit ein hohes Ansehen. Der US-Imperialismus hatte sich im Krieg gegenüber den europäischen Grossmächten endgültig durchgesetzt. Trotzdem hatten die USA selbstverständlich ein Interesse daran, dass die europäische und die japanische Bourgeoisie sich trotz dieses grossen Misstrauens vonseiten der Arbeiter*innenklasse an der Macht halten konnten. Dabei leisteten ihr die Sozialdemokratie, die kommunistischen Parteien und die Gewerkschaftsführungen nützliche Dienste. Sie taten dies im Austausch gegen substanzielle Reformen und wurden von der Bourgeoisie als Verhandlungspartner akzeptiert; letzteres ist ja gerade der eigentliche Inhalt der politischen Strategie des Reformismus. Den kommunistischen Parteien allerdings wurde ihr nützlicher Dienst nicht belohnt. Sie wurden im Rahmen des unmittelbar nach Kriegsende einsetzenden Kalten Krieges von den kurzzeitig offenen Pfründen der politischen Macht verdrängt.
Diese Reformen brachten für die Arbeiter*innenklasse Fortschritte in der Altersvorsorge, den Sozialversicherungen, substanzielle generelle Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen über mindestens zweieinhalb Jahrzehnte, Verstaatlichungen wichtiger Industrien und Dienstleistungen, und anderes mehr. Solche Reformen konnten während einer kapitalistischen Phase ausserordentlich starken wirtschaftlichen Wachstums umso leichter umgesetzt werden. Zudem zeigte die Arbeiter*innenklasse weiterhin eine erhöhte Kampfbereitschaft, die z.B. in Italien, Frankreich und Griechenland entscheidend zum Sieg über den Faschismus beigetragen hat.
Dieser Zyklus kam gegen Ende der 1960er Jahre, Anfang der 1970er Jahre an ein Ende. Während dieser Periode, die oft als «Goldenes Zeitalter des Kapitalismus» bezeichnet wird, sind die japanische und die europäischen Ökonomien bedeutend schneller gewachsen als die US-Wirtschaft. Zudem haben der US-Imperialismus und die europäischen Imperialismen in der sogenannten Dritten Welt schmerzliche Niederlagen einstecken müssen: Allerorten kam es zu siegreichen links-nationalistischen Revolutionen. Die militärische Niederlage Frankreichs und anschliessend der USA in Indochina 1973/75 war ein Fanal in dieser Entwicklung. Gleichzeitig wurde die Herrschaft der Bourgeoisie in den imperialistischen Zentren durch wuchtige Arbeiter*innenaufstände und starke zivilgesellschaftliche Bewegungen erschüttert.
Vom Fordismus zur neoliberalen Offensive
Die Bourgeoisie sammelte sich – trotz all ihrer inneren Konflikte aufgrund der verstärkten kapitalistischen Konkurrenz – für die Gegenwehr und suchte Mittel, um der tiefgehenden Krise zu begegnen. Ihr oberstes Ziel bestand darin, die Krisenlasten auf die Schultern der Arbeiter*innenklasse abzuwälzen und die Profitrate zu erhöhen. Dazu mussten die kämpfenden Segmente der Arbeiter*innenklasse zurückgeschlagen werden. Ferner musste der Zusammenhalt des imperialistischen Systems unter der Vorherrschaft der USA aufrechterhalten werden. Das waren die politischen Voraussetzungen, um das globale Akkumulationsregime nachhaltig umzugestalten und die Ausbeutung der Arbeitenden weiter durchzusetzen. Dieses radikale gesellschaftspolitische Programm ist unter dem Begriff des Neoliberalismus bekannt geworden. Die führenden Regierungen dafür waren ab dem Ende der 1970er Jahre Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Grossbritannien. Das erste Sturmzeichen der neoliberalen Offensive zeigte sich aber bereits mit dem blutigen Pinochet-Putsch vom 11. September 1973 in Chile. Dort setze die Militärdiktatur mit brutalen Methoden jene Gegenreformen durch, von denen die neoliberalen Ökonomen seit Jahren träumten.
Damit die reformistischen politischen Parteien weiter ihren Platz in diesem neuen Regime finden konnten, wurden sie umgestaltet. Dies geschah beispielhaft für die Labour Partei in Grossbritannien und, etwas später, mit der Sozialdemokratie in Deutschland. Ein weiteres Beispiel ist die PT (Arbeiterpartei) in Brasilien, die seit den späten 1990er Jahren umgestaltet wurde, um endlich an die Regierung zu gelangen. Auch die Orientierung der europäischen kommunistischen Parteien auf den sogenannten «Eurokommunismus» ist in diesem Zusammenhang zu sehen; der Eurokommunismus beinhaltete im Wesentlichen eine Loslösung von der strikten Unterordnung unter die stalinistische Bürokratie der Sowjetunion und ein Bestreben einer Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Regimes in Europa. In Italien bekam diese Neuorientierung der kommunistischen Partei den Namen «Historischer Kompromiss» und zielte damit auf eine offene Zusammenarbeit mit der katholischen Volkspartei und den Christdemokraten. Diese Strategie hatte zerstörerische Folgen für die politischen Handlungsmöglichkeiten der italienischen Arbeiter*innenklasse, die sich ab dem Ende der 1960er bis hinein in die 1970er Jahre zur kämpfenden Vorhut der internationalen Arbeiter*innenbewegung entwickelt hatte. Von nun an war klar: Der Platz am Verhandlungstisch und in der Verwaltung des Systems konnte nur durch die Bereitschaft gesichert werden, die neoliberalen Angriffe auf die Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse mitzutragen. Dies geschah unter einer Logik des «kleineren Übels». Das heisst, durch eine weitere Wende nach rechts.
Ein solches Regime konnte sich unter anderem auf eine Schicht der Lohnabhängigen stützen, die von der neuen globalisierten Akkumulation mehr oder weniger profitierte, die Neuen Mittelschichten. Sie nehmen eine spezielle Rolle im Akkumulationsprozess ein, sei es durch ihre Abhängigkeit von einer wachstumsstarken Kapitalfraktion, ihre geografische Lage oder ihren privilegierten Zugang zu erforderlichem Wissen über Technologie, Verwaltungsmethoden und soziale Techniken. Diese neue Ausprägung der Arbeiteraristokratie, das heisst der privilegierten Teile der Lohnabhängigen, profitierte fallweise von den Restrukturierungsgewinnen. Dies jedoch häufig auf Kosten von Teilen des traditionellen Industrieproletariats in den imperialistischen Zentren.
Es bildete sich eine neue globale Arbeitsteilung heraus. Deren zentrale Eigenschaft besteht im Aufbau von globalisierten Wertschöpfungsketten. Damit kann das Kapital seine Investitionen dort platzieren, wo die Lohnstückkosten tiefer als in den imperialistischen Zentren liegen und die politischen Rahmenbedingungen aufgrund einer schwächeren Arbeiter*innenbewegung günstiger sind. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit der Marktöffnung Chinas um 1990 taten sich ganz neue Perspektiven für diese neoliberale Offensive auf – gerade rechtzeitig, um der nächsten grossen Akkumulationskrise zu Beginn der 1990er Jahre durch weitere Marktliberalisierungen in Europa und den USA begegnen zu können. Die 1990er Jahre waren eine Periode, in der die Sozialdemokratie in den meisten europäischen Ländern Regierungsverantwortung hatte und diese Angriffe politisch mittrug. Sie stützte sich für diese Politik in wachsendem Masse auf die Neuen Mittelschichten.
All dies beseitigte jedoch die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht. Es kam vielmehr zu immer tieferen Einbrüchen in den 1990er Jahren. Schliesslich brach 2008/2009 die schwerste globale Krise seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 aus. Die Regierungseliten versuchten durch Notfallregimes die ins Wanken geratene Finanzbranche und Schlüsselindustrien zu stabilisieren – auf Kosten der Arbeiter*innenklasse. Doch die Krisen und die dagegen ergriffenen Massnahmen verschärfen die inneren Widersprüche des globalen Kapitalismus und seiner politischen imperialistischen «Ordnung». Ab 2009 vertieften sich die Konflikte zwischen den Grossmächten, der «Wachstumsmotor» China geriet an seine Grenzen, die Kämpfe der Arbeiter*innenklasse verstärkten sich weltweit und die sozialen Bewegungen nahmen immer radikalere Formen an. Allerdings konnten sich die sozialen Kämpfe nur selten durchsetzen: Sie wurden von der Bourgeoisie teilweise brutal zurückgeschlagen, wie in Nordafrika, Syrien oder Griechenland. Hinzu kommen eine mittlerweile offen sichtbare ökologische Krise und rasant ausgreifende kriegerische Konflikte, die meistens direkt oder indirekt durch den US-Imperialismus angezettelt wurden.
Die Schweiz als neoliberales «Erfolgsmodell»
Die Schweiz ist wegen ihrer besonderen Stellung im globalen Machtgefüge in einer spezifischen Situation. Sie kann seit Mitte der 1990er Jahre als neoliberales «Erfolgsmodell» bezeichnet werden. Dies aufgrund der Tatsache, dass von dort eine überdurchschnittliche Zahl von Konzernzentralen ihre räuberischen Geschäfte im globalen Massstab tätigen kann. Zudem entwickelte sich über zwei Jahrhunderte ein politisches System des Interessensausgleiches zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen. Seit einem Jahrhundert sind auch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ein tragender Faktor dieser Konsensmechanik: Sie leisten seit dem Burgfrieden im Ersten Weltkrieg und spätestens seit der Kapitulation im Generalstreik vom November 1918 bis zur aktuellen Abbaupolitik in der Altersvorsorge unverzichtbare Dienste für die massgebenden Sektoren der helvetischen Bourgeoisie. Sollte in einem nächsten tiefen Wirtschaftseinbruch beispielsweise die Finanzbranche oder andere zentrale Sektoren des helvetischen Imperialismus vor existenziellen Problemen stehen, wird die Schweizer Arbeiter*innenklasse kaum über wirksame Strukturen zur Verteidigung ihrer Interessen verfügen. Diesbezüglich spiegelt die Lage der Arbeiter*innenklasse in der Schweiz jedoch weitgehend die globale Tendenz wider, obgleich sie noch relativ privilegiert ist.
Die Neue Rechte
Die immer schärferen Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen durch die rechten Volksparteien und die Sozialdemokratie entfremden breite Segmente der Lohnabhängigen zunehmend vom offiziellen Politikbetrieb. Das neoliberale Regime schiebt immer schärfere Widersprüche vor sich her. Um im Krisenfall ein schnelles und entschlossenes Handeln zu ermöglichen, muss die Bourgeoisie zu Massnahmen greifen, die ausserhalb bürgerlich-demokratischen Verfahrensregeln stehen. Die reformistischen Parteien und die Gewerkschaftsführungen mögen zwar weiterhin Hand bieten für noch härtere Restrukturierungs- und Abbaumassnahmen, aber dies hat dort seine Grenzen, wo es um ihre eigene Existenz geht. Bei künftigen grossen Kriseneinbrüchen werden auch grosse Teile der Neuen Mittelschichten stärker bluten müssen und sich je nach Situation zumindest teilweise nach rechts bewegen. Sie werden schnelle, radikale Antworten brauchen, wie das neoliberale Regime, an das sie bislang ihre Lebensperspektive gebunden haben. Die Sozialdemokratie und deren linksreformistischen Nachfolgeorganisationen wie etwa Die Linke in Deutschland, die AL in der Schweiz, Podemos in Spanien nebst vielen anderen und die ihnen verwandten Gewerkschaftsapparate werden nicht in der Lage sein, die notwendigen radikalen politischen Antworten zu entwickeln. Sie werden vielmehr zu treuen Vollstreckern der Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen werden, wie dies mit SYRIZA in Griechenland bereits geschehen ist.
Die neuen rechtsextremen Parteien werden häufig von Personen geleitet, die vorher als Kader in der Finanzindustrie, den multinationalen Konzernen, im Staatsapparat oder im akademischen Bereich arbeiteten oder dies weiterhin tun. Häufig stammt die aktive Basis dieser Neuen Rechten auch aus kleingewerblichen Bereichen, die von der Krise in die Tiefe gerissen werden könnten, aus den liegengelassenen Sektoren der traditionellen Arbeiter*innenklasse, aus dem staatlichen Repressionsapparat und aus fundamentalistisch-religiösen Zusammenhängen.
Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Aufstieg des Faschismus in den 1920er und 1930er Jahren. Mit solchen Vergleichen ist aber Vorsicht geboten. Denn, wie in der antikap-Ausgabe Nr. 9 vom Frühjahr 2019 durch David Ales hervorgehoben wurde, fehlen heute (noch) die Voraussetzungen für ein faschistisches Regime. Dies gilt vor allem hinsichtlich einer gewalttätigen terroristischen Massenbewegung, die gegen alle Einrichtungen der Arbeiter*innenklasse gerichtet ist und die die Macht im Staat erobern kann. Trotzki schreibt dazu: Der Faschismus «bringt die Klassen auf die Beine, die sich unmittelbar über das Proletariat erheben und fürchten, in dessen Reihen gestürzt zu werden. Er organisiert und militarisiert sie mit den Mitteln des Finanzkapitals, unter Deckung des offiziellen Staates und lenkt sie auf die Zertrümmerung der proletarischen Organisationen, von den revolutionären bis zu den gemässigten. Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repression, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatensystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft.»[1]
Zwar haben die neuen rechtsextremen Parteien fast immer eine organische Verbindung zu neo-faschistischen Schlägerverbänden. Dies ist letztendlich der wichtigste Unterschied zu den traditionellen rechten Volksparteien. Denn auch die Volksparteien inklusive der Sozialdemokratie greifen immer häufiger zu anti-demokratischen Notmassnahmen, wenn die «Not» dies gebietet. Dies gilt z.B. für die Repressionsmassnahmen gegen die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich, den Ausbau der Überwachungsmassnahmen weltweit, etwa dem Homeland Security Erlass in den USA, dem neuen Polizeigesetz in Deutschland oder dann die Bankenrettungen von 2008/2009. Man denke an die Rettung der UBS, der grössten Schweizer Bank, als im Herbst 2008 buchstäblich über Nacht 15 % des BIP aufgewendet wurden, um die Finanzbourgeoisie für ihre wilden Geldmarkt-Spekulationen schadlos zu halten! Bei diesem «Deal» waren Exponenten der Sozialdemokratischen Partei an vorderster Front beteiligt.
Das rechtsextreme Gedankengut stösst bei den führenden Sektoren der Bourgeoisie auf ein wachsendes Interesse. So öffnete die Neue Zürcher Zeitung schon mehrfach ihre Seiten für Vertreter bzw. Vertreterinnen der AfD in Deutschland. So z.B. für Alexander Gauland, Parteichef der AfD, der das NSDAP-Regime in Deutschland und seine Verbrechen als «Vogelschiss der Geschichte» bezeichnet hatte oder für Alice Weidel, Fraktionspräsidentin der AfD. Oder auch immer wieder für Jörg Baberowski, dem rechtsextremen Historiker, der ebenfalls die Verbrechen des Nazi-Regimes relativiert. Schliesslich ist auch der rechte Philosoph Peter Sloterdijk zu lesen, der wichtigste Mentor von Marc Jongen, der wiederum zu den Hausphilosophen der AfD gehört. Die NZZ selbst hat ihre Redaktion noch weiter nach rechts umgebaut. Sie wollte damit den Gefahren einer feindlichen Übernahme durch die SVP-Führung um Christoph Blocher, dem politisch profiliertesten Vertreter der Schweizer Finanzbourgeoisie, begegnen.
Strategie
Walter Benjamin, ein deutsch-jüdischer marxistischer Philosoph, schrieb 1940 auf der Flucht vor den Nazis in Frankreich: «Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst.»[2] Im weiteren Zusammenhang wird klar, dass er damit die kämpfende Arbeiter*innenklasse meinte. Das reformistische Korsett der Sozialdemokratie steht dem Aufbau von kämpferischen Perspektiven entgegen, die für einen Widerstand gegen den Aufstieg des Faschismus unerlässlich sind. Das gilt umso mehr für die heutige Periode angesichts des Erstarkens der Neuen Rechten mit ihrer teuflischen Nachhut der neo-faschistischen Gruppierungen.
Im Gegensatz zu reformistischen Strategien, die immer wieder auf Kompromisse mit der Bourgeoisie und auf Mitverwaltung ihrer Herrschaft setzen, setzt eine revolutionäre politische Strategie gerade auf die Stärkung der Kampfkraft der Arbeiter*innenklasse. Ihr Ziel ist es, die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen. Die aufflammenden emanzipatorischen Massenbewegungen und die Arbeiter*innenkämpfe sind der Ort, wo sich die radikale Linke bewähren muss. Nicht aber, wenn sie diesen einfach mit einer «Nachtrabpolitik» hinterherrennt. Vielmehr muss sie versuchen, in ihrem Engagement in den Bewegungen deren kämpferische Orientierungen zu stärken und organisatorisch und programmatisch vorwärtszubringen und zusammenzuführen. Es geht in den emanzipatorischen Bewegungen darum, eine antikapitalistische, kommunistische Ausrichtung praktisch zu stärken.
Die Eigentums- und Machtfrage ist für die emanzipatorischen Bewegungen letztendlich unausweichlich, wollen sie mit ihren Forderungen weiterkommen. Dies mag bei der Klima- und Ökologiebewegung offensichtlich sein, wo es ja um die Herrschaft über den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess geht. Dies gilt auch für die Frauenbewegung. Mindestens für deren radikalere Strömungen, die auf eine grundsätzliche Neugestaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und auf die Beseitigung der Ausbeutung der lebendigen Arbeit zielen und um befreite Lebensformen kämpfen. Ein wichtiger, da unmittelbarer Ort des Kampfes gegen die Unterwerfung der Menschen unter die kapitalistische Ausbeutung sind Streiks und vor allem Betriebsbesetzungen. Dabei findet der Aufbau entsprechender Aktionsformen und Solidaritätsstrukturen statt sowie die Entwicklung neuer Formen gesellschaftlicher Produktion und Verteilung.
Es geht um eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und vorerst um die Abwendung grosser Katastrophen. Dazu gehört nicht nur die Klimakatastrophe, sondern auch Kriege sowie die drohende Ausbreitung und Radikalisierung autoritärer Regimes. Der Kampf dagegen muss eine demokratische Kontrolle über die Reichtümer der Gesellschaft anstreben. Wie die Brutalität der Niederschlagung der Aufstände über das vergangene Jahrzehnt zeigt, schreckt die Bourgeoisie vor keinem Mittel zurück. Wenn nötig, würde sie dafür faschistische oder autoritäre Regimes unterstützen. Wie in Nordafrika, Syrien oder 1973 in Chile. Dies ist der Gehalt der revolutionären Tradition der Arbeiter*innenbewegung, wie sie zumindest in einigen Strömungen des Trotzkismus am ehesten überlebt hat. Der Reformismus beweist zum wiederholten Mal in der Geschichte, dass er eine Strategie ist, die den Aufstieg der reaktionären Rechten in Krisenzeiten eher begünstigt als verhindert.
Referenzen:
Da dies eine eher polemische und keine akademische Intervention ist, wird auf Fussnoten verzichtet und auch weitgehend auf Referenzen. Dies umso mehr, als eine unübersehbare Literatur zu den Themen um bürgerliche Herrschaftsformen, insbesondere über den Faschismus existiert. Wir möchten gleichwohl auf den Sammelband von Leo Trotzki: Porträt des Nationalsozialismus, 1999, Arbeiterpresse, hinweisen und auf die Arbeit von Ernest Mandel: Theorien über den Faschismus, 1969, unter https://www.ernestmandel.org/de/textes/txt/theorien_uber_den_faschismus.htm. Zu den zeitgenössischen Entwicklungen: Mark L. Thomas: Fascism in Europa today. In: International Socialism 162, April 2018, auch unter: http://isj.org.uk/fascism-in-europe-today/. Zum Aufstieg der Neuen Rechten: Tobi Hansen: Der aufhaltsame Aufstieg des Rechtspopulismus. Revolutionärer Marxismus 50, November 2018, auch unter: http://arbeiterinnenmacht.de/2018/12/04/der-aufhaltsame-aufstieg-des-rechtspopulismus/.
Dieser Aufsatz erschien in der antikap Nr. 11, Herbst 2019, Zeitschrift der Bewegung für den Sozialismus
[1] Leon Trotzki: Was nun?. Siehe: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun/index.htm.
[2] Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. Siehe: https://www.textlog.de/benjamin-begriff-geschichte.html
Tags: Antifaschismus, Arbeiterbewegung, Faschismus, Neue Rechte, Politische Ökonomie, Strategie
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