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Frankreich: Der Generalstreik am (oder ab?) 05. Dezember 2019

Eingereicht on 2. Dezember 2019 – 18:30

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weswegen es keine Überraschung wäre, wenn dieser Generalstreik gegen Macrons Rentenraub am – oder eben: ab – dem 05. Dezember 2019 eine besonders große Mobilisierung gegen die Regierung erfahren könnte: Seien es die inzwischen monatelangen Streikbewegungen in Krankenhäusern, bei der Feuerwehr und Eisenbahn, die zu einem beachtlichen Teil selbstorganisierte Aktionen waren und sind, bei denen sich Koordinierungen gebildet haben, die sich oftmals außerhalb gängiger Strukturen entwickeln. Streiks, die bei der Bevölkerung positive Resonanz finden und selbst leitende Kader, etwa im Gesundheitswesen, zur Beteiligung brachten. Oder aber die andauernden sozialen Proteste der Gelbwesten, die trotz massiver polizeilicher Repression seit über einem Jahr allwöchentlich die soziale Frage auf die Straße bringen, was ebenfalls mit wachsender Sympathie beantwortet wird. Oder die Protestbewegung gegen Prekarität an Universitäten (und einigen Schulen), die sich in den letzten Wochen entwickelt hat. Das ganze „abgerundet“ durch besonders viele Aufrufe zur Teilnahme und Fortsetzung über den einen Tag hinaus, in deren Rahmen sich auch eine Art Versammlungsbewegung der Mitgliedschaft diverser Gewerkschaften heraus gebildet hat, die nicht mehr auf „höhere Wesen“ und Ähnliches angewiesen sein wollen. Und schließlich mobilisiert durch eine Regierung, die zu allen diesen Menschen die Konfrontation sucht, indem sie die potenziell Streikenden als „privilegiert“ zu diffamieren sucht – wobei nicht bekannt ist, dass es die nicht eben klugen Mitglieder von Macrons Team sind (allein der sogenannte Innenminister wurde bereits mehrfach bei plumpen Lügen ertappt), die in Frankreich den Mindestlohn beziehen. Siehe zum Generalstreik dagegen unsere aktuelle Materialsammlung „Adieu, Macron?“ vom 02. Dezember 2019: Adieu, Macron?

„Solidarität abschaffen“ von Hansgeorg Hermann am 16. November 2019 in der jungen welt fasste den Inhalt der sogenannten Reform so zusammen: „… Spätestens im Juni des kommenden Jahres – aber nach den Kommunalwahlen im März – will er mit seiner absoluten Mehrheit ein neues, »reformiertes« Rentengesetz durch die Nationalversammlung drücken. Das Eintrittsalter soll von bisher 60 auf 64 Jahre angehoben werden, die von ihm sogenannte Universalrente soll leistungsbezogen sein – wer einen Euro einzahlt, bekommt einen Punkt gutgeschrieben. Die Gewerkschaften laufen – bis auf die Macron nahestehende christliche CFDT – Sturm, sie haben für den 5. Dezember zum landesweiten Generalstreik aufgerufen. (…) Die Formel, die den älteren Lohnabhängigen die Kürzung ihrer Altersbezüge schmackhaft machen und sie gegen die jungen Arbeiter in Stellung bringen soll, heißt »Großvaterklausel« – »Clause du grand-pêre« in der Landessprache. Den Beschäftigten – vor allem den allzeit streik- und streitbereiten der Eisenbahngesellschaft SNCF –, die sich bereits dem Rentenalter nähern, soll demnach nichts weggenommen werden. »Jedenfalls nicht viel«, wie Macrons Leute zunächst versicherten. Die neuen Regeln, vor allem die längere Lebensarbeitszeit, sollten erst mal nur den Jungen aufgedrückt werden. Dem Aufschrei der Gewerkschaften folgte die allgemeine Missbilligung der Franzosen: Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist inzwischen gegen das Gesetzesvorhaben…“

„Arbeiten bis zur Verzweiflung“ von Romy Straßenburg in der Ausgabe 46/2019 des Freitag online ist eine Art allgemeine Bestandsaufnahme der Arbeitswelt und ihrer Entwicklung unter der Regierung Macron, die einen Rahmen setzt für den Streik ab dem 05. Dezember: „… Steigende Arbeitsbelastung bis zur Verzweiflung: Geschichten wie die Renons hört man in Frankreich seit Jahren. Wenn Angestellte des öffentlichen Dienstes sich das Leben nehmen, ob Lehrer, Pfleger in Krankenhäusern oder – allein in diesem Jahr 54 – Polizisten, dann geht ein kurzer Aufschrei durch das Land. Ein Land, das unter Dauerstress steht: verängstigt durch Terroranschläge, mit einer sich stark verändernden politischen Landschaft und einer Regierung, die glaubt, der Staat müsse sich zurückziehen, um private Unternehmen und Wettbewerb zu stärken. „Zwar bestand schon vor Macron ein großer Notstand, aber seit er am Ruder ist, hat sich der Druck noch verschlimmert“, sagt Sabrina Ali Benali. Auf den Caféstuhl im 20. Pariser Arrondissement hievt die zierliche 33-Jährige mit den dunklen Locken einen wuchtigen Rucksack mit kompletter technischer Ausstattung für ihre Nachtschicht. In einer Stunde ist die Mutter, politische Aktivistin und Buchautorin wieder für neun Stunden mobile Notärztin in der Hauptstadt. „Erst gestern war mir zum Heulen zumute“, beginnt sie ohne große Vorrede. „Eine alte Frau mit einem schlimmen Abszess am Bauch, mit Nierenversagen, Diabetes und hohem Blutdruck wollte ich direkt ins Krankenhaus schicken, aber sie ließ sich nicht überreden. Sie habe das mehrmals durch: Stundenlanges Warten, und dann wird man einfach nach Hause geschickt.“ (…) Doch darüber hinaus sei es Macrons arrogante, verhöhnende Art, die Benali wütend mache. Als gäbe es Probleme nur, weil man sich nicht genug anstrengt in der Start-up-Nation, die sich der Präsident erträumt. „Jetzt hat er Scheindebatten losgetreten, über das Kopftuch, über Einwanderung. Nur um davon abzulenken, dass er seit den Gelbwesten nichts für mehr soziale Gerechtigkeit getan hat.“ Für ihre dreijährige Tochter wünscht sie sich eine solidarischere Gesellschaft. Aus diesem Grund habe sie noch nicht das Handtuch geworfen. Ein Blick auf ihr Handy: „Hier stehen jetzt schon 67 Einsätze in der App und wir sind elf Ärzte. Das wird sportlich heute!“ Dann schultert sie den schweren Rucksack, startet ihr Auto und braust in die Pariser Nacht…“

„Imposons un autre avenir“ (Erzwingen wir eine andere Zukunft) ist die Sonderseite des alternativen Gewerkschaftsbundes SUD Solidaires für den Streik ab dem 05. Dezember 2019 gegen die Rentenreform, worin neben Aufrufen auch Analysen, Mobilisierungsberichte und alles, was „dazu gehört“ zu finden sind: SUD ruft ausdrücklich zum unbegrenzten Streik auf.

„Réforme des retraites: les syndicats appellent à la grève interprofessionnelle“ am 29. November 2019 beim Gewerkschaftsbund CGT ist der (letzte) Aufruf der Föderation zum Streiktag 05. Dezember – wobei hier die Fortsetzungsmöglichkeit offengelassen wird.

„Déclaration de la Commission exécutive du 28 novembre 2019“ am 28. November 2019 bei der Force Ouvrière ist der Streikaufruf der FO, in dem die Möglichkeit der Fortsetzung des Streiks ausdrücklich unterstrichen wird.

„J-3 de la Grève Générale pour chasser Macron et son monde“ am 01. Dezember 2019 im Blog von Jean Marc B. bei mediapart ist der bisher letzte der täglichen Updates über die Streikvorbereitungen im ganzen Land. Der Blogger unterstreicht dabei zwei Dinge: Dass er, wie viele andere, für einen unbegrenzten Streik eintrete und dass – um keine „unliebsamen Überraschungen“ erleben zu müssen, wie es schon öfter geschehen sei, überall wo möglich Belegschaft-Komitees geschaffen werden müssten, die die Streikführung anleiten. In diesem Sinne dokumentiert er seit mehreren Wochen täglich Streikbeschlüsse aller denkbaren gewerkschaftlichen Gliederungen – mit Schwerpunkten auf jenen, die eben zum unbegrenzten Streik aufrufen und auch auf Aufrufen von Einzelgewerkschaften der CFDT (die wieder einmal sabotiert) – von denen es inzwischen eine ganze Reihe gibt, die den leitenden Herren dieses Vereins gar nicht gefallen dürften…

„Assemblées générales et délégués élus pour la grève jusqu’au retrait !“ am 29. November 2019 bei Arguments pour la lutte sociale ist ein Beitrag, in dem nicht nur dazu aufgerufen wird, General-Vollversammlungen einzuberufen und so den Streik „bis zum Rückzug des Gesetzesprojekts“ zu organisieren, sondern in dem auch ein grober Überblick darüber gegeben wird, wo dies bereits geschehen ist oder gerade geschieht…

„Grève du 5 décembre: les pompiers veulent occuper la place de la République toute la semaine“ am 28. November 2019 bei actu Paris meldet das Ergebnis der Streik-Vollversammlung der Pariser Feuerwehr: Der Platz der Republik soll eine Woche lang besetzt werden, beginnend am heutigen Montag bis einschließlich des Wochenendes – und, eventuell, darüber hinaus…

„Overview of mobilization amongst teachers“ am 30. November 2019 bei Luttes Invisibles (Facebook) ist eine prall gefüllte Landkarte Frankreichs, die zeigt, wo Bildungsgewerkschaften zum Streik aufrufen – in einem Ausmaß, auch Föderationsübergreifend, wie es noch nie dagewesen sei…

„Parce que nous savons lire“ am 21. November 2019 beim Collectif Inter Urgences ist ein Aufruf der Koordination der Streikenden im Gesundheitswesen (Notaufnahmen) zu Erklärungen der Regierung, es gebe keinen wirklichen Grund für einen Streik, worin ein Schreiben dokumentiert wird, das diese Behauptung widerlegt: „Weil wir lesen können“, wird darin die Analyse des Rentenentwurfs zusammen gefasst…

„Falling behind: French students denounce growing pauperisation“ von Francois Picard am 26. November 2019 bei France24 ist der Begleittext zu einer Sendung, in der verschiedene Studierenden-VertreterInnen die soziale Entwicklung an den Universitäten darstellen – und gleichzeitig begründen, warum sie ab 05. Dezember am Streik teilnehmen werden.

„La police municipale verbalise un camion du Secours Populaire pendant une distribution de repas“ am 28. November 2019 bei La Dêpeche ist eine Meldung, die hier als Beispiel dafür steht, wie ein Klima der Einschüchterung erzeugt werden soll: Beispielsweise indem, wie hier in Toulouse (einem der Zentren der Gelbwesten) eine seit Jahrzehnte bestehende Essensverteilung plötzlich polizeilich kontrolliert wird – erstmalig in der Geschichte der Stadt. In diesem Sinne gibt es auch Berichte von „Hausbesuchen“ bei Gewerkschaftern und – sehr viele – von persönlichen Anschreiben an Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, sie müssten ihrer „Einberufung zum Notdienst“ nachkommen, sonst…

Siehe zum 5. Dezember 2019 auch:

Quelle: labournet.de… vom 2. Dezember 2019

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