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Schweizer Notrecht: Zugunsten der Banken – Lohnabhängige schuften länger

Eingereicht on 30. März 2020 – 15:28

„… Der Bundesrat hat neben anderen Unterstützungsmassnahmen im Zusammenhang mit der Coronapandemie auch ein Zwanzig-Milliarden-Hilfspaket für Unternehmen beschlossen, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Das Geld soll über die Schweizer Banken in Form von Krediten verteilt werden. Der Bund übernimmt dafür entweder die volle Haftung (bis 500 000 Franken) oder bürgt mit 85 Prozent (bis 20 Millionen). Die Banken bestimmen, wer wie viel Kredit bekommt – und der Staat trägt das Risiko. Die Idee zu dieser Public-Private-Partnership hatte Gottstein vor ungefähr zwei Wochen, wie die «Handelszeitung» berichtete. Er setzte sich daraufhin mit KollegInnen von UBS, Raiffeisen sowie den Zürcher und Waadtländer Kantonalbanken zusammen, um das Vorhaben zu konkretisieren. An Bord geholt wurde auch Jörg Gasser. Der Direktor der Bankiervereinigung verfügt als ehemaliger Staatssekretär im Finanzdepartement über beste Kontakte zu Finanzminister Ueli Maurer. Die Banker stiessen bei Maurer auf ein offenes Ohr. Vergangenes Wochenende arbeitete das Finanzdepartement in Zusammenarbeit mit der Bankiervereinigung, der Finanzmarktaufsicht und der Nationalbank eine bundesrätliche Verordnung dazu aus. Am Montag nickte die sechsköpfige Finanzdelegation (FinDel) des Schweizer Parlaments sie ab – ohne die definitive Version zu kennen, die der Bundesrat dann am Mittwoch verabschiedete. Innerhalb weniger Tage also wurde ein Rettungspaket der Regierung von noch nie da gewesener Grösse geschnürt. Der Bundesrat regiert per Notrecht, ohne parlamentarische Prozeduren. Statt dass PolitikerInnen aller Fraktionen in Kommissionen streiten, Änderungen vornehmen und Kompromisse schliessen, waren es diesmal BeamtInnen, die zusammen mit der Bankiervereinigung die Ausgestaltung vornahmen. Die FinDel konnte «Präzisierungen und Hinweise mit auf den Weg geben», wie es ihr Präsident Peter Hegglin ausdrückt. Für die Banken ist es eine Win-win-Situation…“ – aus dem Beitrag „Der Zwanzig-Milliarden-Schwindel“ von Daniel Stern am 26. März 2020 in der WoZ (Ausgabe 13/2020). Zur Krisenpolitik der Schweizer Regierung, ihren Auswirkungen und dem Widerstand dagegen einige weitere aktuelle Beiträge:

„Coronavirus: Verbreitung eindämmen – Arbeitnehmende schützen – nicht essentielle Arbeit einstellen“ im März 2020 bei der Gewerkschaft Unia ist ein Forderungskatalog, der einleitende so begründet wird: „… Die Schutzmassnahmen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) werden von vielen Betrieben nicht eingehalten. Zudem haben die Behörden die Kontrollen am Arbeitsplatz weitgehend eingestellt. Da ist nicht akzeptabel. Die Behörden müssen die Konsequenzen ziehen und die Arbeiten in nicht-essentiellen Bereichen einstellen. Ausser Unternehmen weisen nach, dass sie die behördlichen Schutzvorgaben rigoros einhalten. Die BAG-Bestimmungen zur Pandemiebekämpfung gelten auch für Unternehmen, die gesellschaftlich unverzichtbare Leistungen erbringen. Diese können ihre Aktivitäten nicht vollumfänglich einstellen. Im Gegenzug müssen die Schutzmassnahmen sofort umgesetzt und von den Behörden umgehend kontrolliert werden. Andernfalls müssen die Tätigkeiten auch dort eingeschränkt werden. Die Behörden sind auch sozial- und wirtschaftspolitisch gefordert. Damit aus dem Gesundheitsnotstand kein Sozialnotstand wird, braucht es ausserordentliche Massnahmen…“

„”Es braucht einen generellen Baustopp”am 27. März 2020 bei Radio Dreyeckland ist ein Interview mit Chris Kelley von der Schweizer Gewerkschaft Unia, das folgendermaßen angekündigt wird: „Während in der Corona-Epidemie, viele von zu Hause aus arbeiten, müssen Arbeiter_innen im Gesundheits- und Versorgungssektor sich weiterhin einem gesundheitlichen Risiko aussetzen. Dass eine gewisse Infrastruktur aufrecht erhalten werden muss, leuchtet ein – aber gehören dazu auch Bausstellen? Die Schweizer Gewerkschaft Unia fordert einen generellen Baustopp für die Schweiz. Zwar seien durch das Bundesamt für Gesundheit Hygiene-Maßnahmen für Baustellen erlassen worden, diese seien aber in  der Regel nicht umsetzbar. Dazu komme, dass mangelnde Einhaltung der Vorschriften nicht überprüft werden…“

„Arbeitsgesetz: Bundesrat stösst Spitalpersonal vor den Kopf“ von Elvira Wiegers am 26. März 2020 bei der Gewerkschaft VPOD zur Beseitigung der „Höchstarbeitsgrenze“ durch die Schweizer Regierung: „… Der Entscheid des Bundesrates vom vergangenen Freitag, die wichtigsten Bestimmungen des Arbeitsgesetzes in den mit COVID-PatientInnen überlasteten Spitälern mit sofortiger Wirkung auszusetzen, hat das Spitalpersonal und die Bevölkerung mobilisiert. Der VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste) hat Anfang Woche eine Online-Petition lanciert, welche den Bundesrat auffordert, seine Entscheidung rückgängig zu machen. In knapp zwei Tagen unterzeichneten schweizweit über 40’ 000 Menschen diesen Appell und setzten damit ein deutliches Zeichen für den Schutz des Spitalpersonals. Sie alle haben verstanden, dass der Schutz des Personals eine wichtige Voraussetzung ist für den Schutz von uns allen. Bei der heutigen Pressekonferenz gab Bundesrat Parmelin sogar auf konkrete Nachfragen nur ausweichende Antworten zu diesem Thema. Der Appell von 40’000 Personen zum Schutz des Spitalpersonals stiess auf taube Ohren. Der Bundesrat weigert sich, den gesetzlichen Rahmen des Arbeitsgesetzes zum Schutz des Spitalpersonals beizubehalten. Diese Entscheidung hat zur Folge, dass das Spitalpersonal mehr als 60 Stunden pro Woche dem Virus ausgesetzt sein kann: Die Risiken, schwer zu erkranken, sind enorm. Gleichzeitig ist die Situation in Bezug auf die Schutzausrüstung bei weitem nicht für alle Gesundheitsteams zufriedenstellend, sei es in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen oder in der häuslichen Pflege. Der VPOD kämpft weiter für den Schutz des Gesundheitspersonals…“

„Pflegefachleute: Arbeiten ohne Murren, trotz Gefährdung“ von Monique Ryser am 08. März 2020 ebenfalls beim Infosperber zu den aktuellen Arbeitsbedingungen: „… Die Krise wirft ein Schlaglicht auf einen Berufsstand, der auch in normalen Lagen oft an den Anschlag kommt: Seit Jahren weisen die Verantwortlichen darauf hin, dass in der Schweiz zu wenig Pflegende ausgebildet werden. Ohne Personal aus dem Ausland würde das Schweizer Gesundheitssystem nicht funktionieren: Vor allem an diplomierten Pflegefachfrauen und -männern herrscht Mangel. Über 30 Prozent der Angestellten in Pflegeberufen haben einen ausländischen Pass. Davon sind laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) rund 10 Prozent Grenzgänger und Grenzgängerinnen. Die Bedeutung dieser Zahl wird aber erst klar, wenn die Personalstruktur in Grenzkantonen wie Tessin, Basel, Wallis oder dem Genferseegebiet angeschaut wird: In einzelnen Abteilungen von Spitälern beträgt dort der Ausländeranteil bis zu 80 Prozent, wie Roswitha Koch vom SBK erklärt. In einzelnen Spitälern beträgt der Anteil gesamthaft über 60 Prozent. Zudem: Der Stellenmarkt ist völlig ausgetrocknet, zurzeit wird für rund 6000 Stellen das nötige Personal gesucht. Und das ist keine Ausnahme, sondern courant normal. Das Jahr 2020 ist – schon fast Ironie des Schicksals – von der WHO zum Year of the Nurse ausgerufen worden. Anlass dafür ist der 200. Geburtstag von Florence Nightingale, nach deren Name noch heute ein Spital in London benannt ist. Sie war die Begründerin der Professionalisierung der Krankenpflege und positionierte die Pflege als eigenständigen Berufsstand neben den ärztlichen Berufen. Das war ein Paradigmenwechsel, der auch heute noch nachwirkt: Es geht darum, ob die Pflegeberufe nur für «care» (Betreuung, Fürsorge) zuständig sind oder eben auch für «cure», also das medizinische Behandeln am Bett des Patienten. Im Gegensatz zum Stand der Ärzte und Ärztinnen ist aber das Berufsverständnis der Pflegenden viel mehr noch vom «Dienen» beeinflusst, weshalb sie weniger laut und weniger kämpferisch auftreten. Und deshalb oft nicht gehört werden…“

„Bundesrat lässt Mieter in Not einfach im Stich“ von Niklaus Ramseyer am 28. März 2020 beim Infosperber zur eindeutigen Parteinahme der Regierug in der Mietenproblematik unter anderem: „… Doch der Bundesrat schlägt sich auf die Seite der Vermieter: «Hilfe wird kommen», hatte der zuständige Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) am Mittwoch, 25. März, insbesondere den Geschäftsmietern in Not noch versprochen. Konkret bot er am Freitag, 27. März, dann aber so gut wie nichts: Die Frist für Mieter, die nicht zahlen können, werde von 30 auf 90 Tage verlängert, gab er nur bekannt. Dann sagte er noch etwas von «möblierten Einzelzimmern», was niemanden der in Not geratenen Kleingeschäftsleute interessiert. Und wie von allen Machthabern, die sich nichts zu tun getrauen, kamen dann auch von ihm noch die übliche «Taskforce» und der «runde Tisch». Die Mieter werden so hingehalten, ihr Problem dilatorisch behandelt – auf die lange Bank geschoben. Mieter und Vermieter sollten «den Dialog pflegen» und «Einzelfall-Lösungen suchen», redete SVP-Mann Parmelin noch ein wenig weiter. Machte dann aber knallhart klar: Vom «normalen Rechtsweg» werde der Bundesrat «nicht abweichen» (also kein Notrecht für in Not geratene MieterInnen). Oder höchstens «in einer absoluten Notlage». Als ob die nicht schon da wäre. Parmelins halbherzige Ansage klang verdächtig ähnlich wie das, was verzweifelte MieterInnen schon tags zuvor am Dienstagabend im Kassensturz von TV SRF gehört hatten. Von einem SVP-Parteikollegen Parmelins notabene, dem Präsidenten des Hauseigentümerverbandes (HEV Schweiz), Hans Egloff. Auch er redete von Dialog und Lösungen-Suchen. Aber auch er betonte den «Rechtsstandpunkt» seines Verbandes zu den nun verordneten Geschäftsschliessungen: «Diese Schliessungen sind ein klassisches Betriebsrisiko!» Sprich: Den betroffenen Betrieben während der Zwangsschliessung die Miete zu erlassen, gehe leider nicht. Egloff drohte auch gleich mit dem Bundesgericht. Und das könnte dann Jahre dauern...“

„Die Schweiz in Zeiten von Corona“ von Marianne Arens am 25. März 2020 bei wsws: „… Das Land, das neben den größten Banken auch die mächtigsten Pharmakonzerne aufweist, setzt bis heute die elementarsten Anweisungen der Experten nicht um. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO, die auch in der Schweiz (in Genf) residiert, ist das A und O der Eindämmung die „entschlossene Ausweitung der Tests, der Isolation und der Kontaktverfolgung“. Ohne dies, so WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, bekämpfe man eine Feuersbrunst mit verbundenen Augen. Aber die Schweizer Regierung hat die Bereitstellung von Coronavirus-Testkits der Pharmaindustrie überlassen. Für ein frühzeitiges und umfassendes Testen der Bevölkerung reichen die Testkits bei weitem nicht aus. Nicht einmal alle Personen, die aus China, dem Iran oder Italien kommen, werden getestet. „Breites Testen ist einfach nicht möglich“, behauptet Severin Schwan im Namen des Pharma-Dachverband IFPMA. Diese Aussage eines hochbezahlten Managers der Privatindustrie (Schwan kassierte als CEO des Schweizer Roche-Konzerns letztes Jahr mehr als 11,5 Millionen Schweizer Franken) kommt einem vernichtenden Urteil über die chaotische kapitalistische Misswirtschaft gleich. Die Roche-Gruppe mit Sitz in Basel verfügt über praktisch unbegrenzte Kapazitäten. Sie ist in über 100 Ländern mit rund 94.000 Mitarbeitern tätig. Im Jahr 2018 investierte sie 11 Milliarden in die Forschung und erzielte einen Umsatz von 56,8 Milliarden Franken. Dennoch war es laut Schwan „einfach nicht möglich“, eine Krise vorauszusehen, die von den Virologen seit Jahren präzise vorausgesagt worden war, und dafür Vorsorge zu treffen. In den Apotheken und Läden der reichen Schweiz sind seit Wochen Artikel wie Desinfektionsmittel, Thermometer, Handschuhe, Schutzbekleidung oder Schmerzmittel nicht erhältlich oder streng limitiert. Die Krankenhäuser sind fieberhaft damit beschäftigt, die Zahl der Intensivbetten aufzustocken, und es fehlt an Beatmungsgeräten. Andreas Wieland, Chef des weltweit führenden Beatmungsgeräteherstellers Hamilton mit Sitz in Bonaduz, Graubünden, bezeichnet die bisher vorhandenen rund 1200 lebensrettenden Maschinen als unzureichend: „Ich gehe davon aus, dass dies niemals ausreichen wird, wenn die Pandemie so heftig kommt wie in Italien“, sagte Wieland Swissinfo. Am Universitätsspital Zürich ist die erste Intensivstation schon voll, während die Zahl der Patienten täglich steigt. Das Hauptproblem ist der Mangel an Pflegefachleuten, wie der Berufsverband der Pflegefachfrauen und –männer seit langem warnt. Krankenschwestern sollen sogar zum Weiterarbeiten aufgefordert worden sein, obwohl sie positiv getestet waren. Jetzt rächt sich der neoliberale Kurs, der seit dreißig Jahren Krankenhäuser und das ganze Gesundheitswesen den Sparmaßnahmen und der Kommerzialisierung unterwirft. Auch die Rentenkassen, die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe wurden durch Kürzungen und Sparmaßnahmen unterhöhlt. Gleichzeitig wurden die Unternehmenssteuern in der Schweiz, die im internationalen Vergleich schon sehr niedrig sind, noch weiter abgesenkt. Statt Steuerschlupflöcher zu beseitigen, bemühen sich die Politiker seit Jahrzehnten, aus der Schweiz ein Steuerparadies für Superreiche zu machen...“

Aber auch:

„Über Kurzarbeit und Solidarität“ am 24. März 2020 im Untergrund-Blättle über selbstorganisierte Aktivitäten im Veranstaltungs- und Kulturbereich: „… Die Branche ist sehr unreglementiert und es gibt keine spezifischen Absicherungen für uns. Für die Altersvorsorge müssen viele selber vorsorgen, wollen sie später nicht in der Altersarmut landen. Es gibt zwar Nischengewerkschaften, etwa für die Arbeiter*innen des Opernhauses, doch sind solche Fälle die Ausnahme. Grundsätzlich sind die Arbeiter*Innen von der Auftragslage abhängig und diese ändert sich monatlich, saisonal, jährlich. Die Löhne sind vor allem in den untersten Segmenten, bei den einfachen Helfer*innen, den Stagehands, sehr knapp. Um gut über die Runden zu kommen, ist man oft auf einen Mix aus verschiedenen Firmen mit verschiedenen Schwerpunkten angewiesen. Dass diese Branche derart unreglementiert ist, ist vielen aber auch willkommen. So werden viele Jobs unter Freund*innen verteilt, Löhne werden oftmals mündlich vereinbart und man kann sich die Arbeit selber einteilen. Auch braucht man anfangs keine Qualifikation. Es gab einzelne Versuche bereits vorher, sie verblieben aber an der Oberfläche. Diese Gruppe ist ein Produkt jener Versuche. Das plötzliche Veranstaltungsverbot hat uns wieder zusammengebracht. Sollte uns allen in den nächsten Tagen eine angemessene Ausfallentschädigung zugestanden werden, so werden wir uns trotzdem weiter betätigen. Denn jetzt endlich haben wir auch die Zeit, uns den branchebedingten Missständen zu widmen...“

Quelle: labournet.de… vom 30. März 2020

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