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Italien: Der Widerstand der Arbeiterklasse geht weiter

Eingereicht on 8. April 2020 – 15:16

Wenn sich in den letzten Tagen in bundesdeutschen Medien die Meldungen häufen, in Italien beruhige sich die Lage – so kann dies nur bewertet werden als Hilfestellung für die Absichten der Unternehmerverbände Italiens, möglichst schnell die Tätigkeit wieder aufzunehmen. (Eine Kampagne, die natürlich auch ähnliche Bestrebungen in der BRD unterstützt). Die Menschen in Italien erleben dies keineswegs so, sondern kämpfen mit einem Alltag, der immer problematischer wird. Die gewerkschaftsübergreifende Streikbewegung der letzten Märzwoche hatte nicht nur die Absichten der Unternehmen massiv durchkreuzt und behindert, sondern auch den Pakt von Unternehmen, Regierung und großen Gewerkschaftsverbänden, der mindestens 12 Millionen Menschen zur Arbeit gezwungen hatte, zum Muster ohne Wert werden lassen, der daher nachgebessert werden musste. Auf diesen Erfahrungen aufbauend wird jetzt ein Kampf fortgeführt gegen die Pläne der Unternehmen und für die soziale Absicherung aller – auch jener sehr vielen Menschen, die ohne Papiere arbeiten und leben, unter üblen Bedingungen, und deren wesentliche Rolle bei der alltäglichen Tätigkeit in der italienischen Wirtschaft inzwischen – zähneknirschend – allgemein anerkannt werden muss, was auch eine Bankrotterklärung der Hasskampagnen der italienischen Rechten bedeutet. Siehe zur aktuellen Lage in Italien unsere aktuelle Materialsammlung „Soziale Sicherheit für alle – gegen die Normalisierungspläne der Unternehmerverbände Italiens“ vom 08. April 2020:

„Soziale Sicherheit für alle – gegen die Normalisierungspläne der Unternehmerverbände Italiens“

(08. April 2020)

 „Wir wollen unsere Rechte – kollektive Regularisierung jetzt!“ von Potere al Popolo am 06. April 2020 beim re:volt magazine (in deutscher Übersetzung) zur Situation und den Forderungen der „papierlosen“ und hier muss wirklich gesagt werden „arbeitenden Massen“: „… Doch während die großen Einzelhandelsunternehmen inmitten der gesundheitlichen Notlage und der ökonomischen Krise ihre Gewinne steigern, zahlen die rund 350.000 Landarbeiter*innen den Preis dafür; nach Angaben von Ärzt*innen für Menschenrechte arbeitet weniger als die Hälfte der Landarbeiter*innen mit einem regulären Arbeitsvertrag. Die migrantischen Landarbeiter*innen – die sogenannten braccianti – lebten und arbeiteten schon vor der aktuellen Corona-Krise unter prekären Verhältnissen. Ihre Lage ist determiniert von einer Gesetzgebung, die den arbeitenden Migrant*innen keinen automatischen Zugang zur Aufenthaltsbewilligung und somit zu den nationalen Sozial- und Gesundheitsdiensten gewährt. Ihre papierlose Existenz hat sich nun jedoch aus mindestens zwei Gründen weiter prekarisiert: Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit verunmöglicht es ihnen, in die Regionen Italiens zu reisen, in denen die frühjährliche Obst- und Gemüseernte beginnt (in Apulien für Tomaten, im Piemont für Äpfel usw.); In den verschiedenen Zeltlagern entlang der Felder (Arbeitsorte) herrschen Unterbringungsbedingungen, die es ihnen nicht erlaubt, sich vor einer Covid-Ansteckung zu schützen: kein fließendes Wasser, infrastrukturelle Unmöglichkeit, sichere Abstände einzuhalten, und so weiter. Ähnliche Probleme haben die Care-Arbeiter*innen, die sich täglich um die Hausarbeiten und um die älteren Menschen unserer Gesellschaft kümmern. Die Alterung der Gesellschaft und die Entscheidung des Staates, die Last der Pflege, die die älteren Menschen benötigen, nach dem Diktat der liberalen Ideologie auf die Familien und nicht auf den öffentlichen Wohlfahrtsstaat zu verlagern, haben zur Bildung einer Armee von Care-Arbeiter*innen geführt: Nach den jüngsten Daten gibt es etwa rund zwei Millionen Care-Arbeiter*innen, von denen weniger als die Hälfte (etwa 865.000) einen regulären Arbeitsvertrag besitzen und die große Mehrheit Frauen aus Osteuropa sind…“

40% der Frühlingsernte stehen auf dem Spiel, Landwirtschaftsministerin Bellanova ist daran, dank den “grünen Bewilligungen” der EU ein Abkommen mit Rumänien zu finden, um 100.000 Landarbeiter*innen nach Italien zu holen“ am 06. April 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. zur keineswegs „migrantenfreundlichen“ Reaktion der italienischen Regierung, die Kurzzeit-Einsätze will…

„Erwacht die italienische Arbeiterklasse?“ von Alexis Vassiley am 06. April 2020 in deutscher Übersetzung bei den Maulwürfen fasst die Entwicklung der Streikbewegung mit dem bisherigen Höhepunkt am 25. März 2020 und ihre Ursachen nochmals zusammen: „… Während in Italien oft über ein gutes Gesundheitssystem berichtet wird, liegt das Verhältnis von Betten zu Bevölkerung bei 3,6/1.000, gegenüber 5,8/1.000 im Jahr 1998 und einem der niedrigsten in der OECD. Siebzigtausend Betten sind im Rahmen der neoliberalen Gegenreformen verschwunden und für über 37 Milliarden Euro wurden die Kapazitäten in den letzten Jahren abgebaut. Die Arbeitsplätze wurden viel zu spät geschlossen – Die Epidemie war bereits voll ausgebrochen. Allein in der Lombardei gab es 4.000 Tote. Schon damals wurden Dinge wie die Reifenproduktion und die Waffenherstellung als «lebensnotwendige» Industrien angesehen. Die von dem Regierungserlass ausgenommenen Industrien beschäftigen schätzungsweise 12 Millionen Lohnabhängige. (…) Die Streiks drängten die Regierung, mehr Maßnahmen zu ergreifen, um die nicht lebensnotwendige Produktion einzustellen. Die landesweiten Streiks am 25. März hatten laut dem italienischen Sozialisten Piero Maestri zwei Merkmale: «Erstens deckte der Streik eine Reihe von verschiedenen Industriesektoren ab: Chemie, Luftverkehr, Metallarbeiter, der von den großen Gewerkschaftsverbänden CGIL-CISL-UIL organisiert wurde», erklärt er per E-Mail. «Zweitens, ein landesweiter Generalstreik, zu dem die Unione Sindacale di Base und andere Basisgewerkschaften aufgerufen haben. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens beteiligten sich auch durch Solidaritätsfotos und symbolische einminütige Unterbrechungen». (…) In Fabriken wie GKN, Piaggio, Electrolux und Fincantieri – die über eine starke Basisorganisation verfügen – hatten sich die Beschäftigten neben denen von FIAT-Chrysler bereits Gehör verschafft. Starke Streiks gab es in der Logistik, wo die Basisgewerkschaft Si-Cobas bereits seit mehreren Jahren organisiert ist. Ciro Tappeste und Giuliana Martieri berichteten am 26. März in Left Voice, dass für etwa 10 Tage nach der Unterzeichnung des Protokolls «die Aktivitäten durch Streiks in mehreren Sektoren, in denen ‚Basisgewerkschaften‘ aktiv sind, ausgesetzt oder gelähmt wurden». «Seit Montag, dem 23. März, als [Premierminister Giuseppe] Conte auf die Forderungen der Arbeitgeber reagierte, ist die Situation eskaliert, mit Streiks im Luftfahrtsektor, insbesondere bei Leonardo (36.000 Beschäftigte), Gavio und LGS, aber auch bei der Safilo-Brillengruppe (wo die Gewerkschaften vorgeschlagen haben, die Luxusproduktion auf die Herstellung von Schutzmasken umzustellen), und in der Metallverarbeitung in Padua, wo die Beschäftigten … am 24. März für 48 Stunden streikten»...“

„IL PREFETTO DI TARANTO HA DECISO SI LAVORA E SI VENDE ANCHE COL CORONAVIRUS“ am 06. April 2020 bei Operai Contro meldet, dass der Bürgermeister von Taranto in seinem neuen Erlass vom 03. April dem Drängen von Arcelor Mittal nach Wiederaufnahme von Produktion und Vertrieb nachgegeben hat, seine Beschränkungen vom vorherigen Dekret aufzuheben und dem Unternehmen zu erlauben, 3.500 Beschäftigte sowie 2.000 Beschäftigte von Subunternehmen zur Arbeit zu zwingen, trotz der vorhandenen Fälle von Infektionen. Die Reaktion der großen Gewerkschaften: Keine. Und diese Meldung steht hier stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlicher Nachrichten aus allen Ecken des Landes – und vermutlich noch für eine ganze Reihe mehr solcher Vorgänge, die erst gar nicht in den bürgerlichen Medien auftauchen.

„Coronavirus, USB: no alla riapertura delle attività non essenziali, stato di agitazione nazionale di tutto il settore privato“ am 06. April 2020 beim Gewerkschaftsbund USB ist der Aufruf der Basisgewerkschaft, den Widerstand landesweit zu organisieren, um eine Wiederaufnahme der Produktion in nicht lebensnotwendigen Bereichen zu verhindern, wie sie von den Unternehmern und ihren Verbänden gefordert und betrieben wird.

„Per un patto d’azione: mozione finale assemblea 2 aprile“ am 06. April 2020 bei SI Cobas ist der Bericht über und die Entschließung einer landesweiten virtuellen Versammlung am 02. April, an der rund 150 Personen als Vertreterinnen und VertreterDutzender politischer, sozialer und gewerkschaftlicher Organisationen teilnahmen,  die gemeinsame Aktionen vereinbarten. Das Ergebnis besteht vor allem in einem gemeinsamen Forderungskatalog, der insgesamt 13 Punkte umfasst, die nicht zuletzt durch eine gemeinsame Aktionswoche direkt vor dem 1. Mai erkämpft werden sollen. Der Katalog umfasst die Einrichtung einer Sondersteuer von 10% auf die reichsten 10% des Landes, die etwa 400 Milliarden Euro einbringen würde ebenso, wie die Fortzahlung des Einkommens aller, die während der Epidemie zu Hause sind, die sofortige Gleichstellung aller zur Beseitigung der Diskriminierung breiter Teile der arbeitenden Menschen, die dies ohne Papiere tun und solche Forderungen wie die Verteidigung des Streikrechts unter dem Motto „Wer arbeitet, darf auch streiken“ und die Streichung geplanter Militärausgaben…

„«Compriamo sottomarini e la gente muore in ospedale»“ am 04. April 2020 bei Rassegna Sindacale ist ein Interview von Stefano Milani mit Gino Strada, der vor allem den Widerspruch kritisiert, zwischen den aktuellen Notwendigkeiten im Gesundheitsbereich und der Tatsache, dass gerade in diesen Tagen die Regierung den Kauf neuer U-Boote beschlossen hat…

„Coronavirus: quale il ruolo della CGIL?“ am 03. April 2020 bei Il sindicato è un’altra cosa ist ein Beitrag, in dem ausgehend von den Positionen der organisierten Opposition im größten Gewerkschaftsbund CGIL dessen Rolle in der aktuellen Situation diskutiert wird. Dabei wird insbesondere hervor gehoben, dass der Streik am 25. März 2020 wesentliche Verbesserungen erreicht habe, zu dem aber nur die Metallgewerkschaft im Bezirk Lombardei (zusammen mit zahlreichen Basisgewerkschaften) aufgerufen und mobilisiert habe, nicht aber der Verband. Was als ein wesentlicher Fehler bewertet wird, der für weitere Aktionen unbedingt vermieden werden müsse.

Ein internationaler Aufruf von italienischen ArbeiterInnen an die ArbeiterInnen der Welt“ am 02. April 2020 bei Der Funke ist die deutsche Übersetzung eines Aufrufes aus Italien, in dem eine Basisgruppierung unter anderem darauf abhebt: „… Dieser Aufruf geht an die ArbeiterInnen der Welt, weil es sich hier nicht um ein rein italienisches Problem handelt, sondern um ein weltweites. Das Virus kennt keine nationalstaatlichen Grenzen, so wie auch die Wirtschaftskrise keine Grenzen kennt. Wir glauben, dass aus unseren Erfahrungen Lehren für die ArbeiterInnen anderer Länder gezogen werden können. Die italienische Regierung hat die gesamte Bevölkerung aufgerufen, zuhause zu bleiben, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Doch das gilt nicht für Millionen ArbeiterInnen, die gezwungen sind, auch in gesellschaftlich nicht notwendigen Industrien und Sektoren zu arbeiten. Der einzige Grund, warum wir gezwungen sind zu arbeiten, ist, dass wir den Profit der Eigentümer der Unternehmen sicherstellen müssen. Die Regierung weigert sich, die Schließung aller gesellschaftlich nicht notwendigen Produktionsbetriebe anzuordnen und gefährdet damit unsere Gesundheit und die Gesundheit unserer Familien, weil sie dadurch einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt sind. Unsere Gesundheit wird auf dem Altar des Profits geopfert. Die Beschäftigten im Gesundheitssystem sind mit einer noch schlimmeren Situation konfrontiert. Die Krankenhäuser sind zu Zentren der Ansteckungsgefahr geworden. Das medizinische Personal muss die PatientInnen versorgen, ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen und ohne die dringend notwendigen Coronatests zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das Gesundheitssystem kollabiert wortwörtlich unter dem Druck der Pandemie. Das ist die Folge von jahrelanger Unterfinanzierung und der Privatisierung des Gesundheitssystems. Als führende GewerkschaftsfunktionärInnen, BetriebsrätInnen und einfache ArbeiterInnen glauben wir, dass es notwendig ist, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir verlangen, dass alle Fabriken und Betriebe, die keine gesellschaftlich notwendigen Güter produzieren, geschlossen bleiben und die Unternehmen den Lohn zur Gänze weiterbezahlen. Wenn die Unternehmer sich weigern, diese Forderung umzusetzen, dann müssen wir überall, wo es möglich ist, in den Streik treten. Die Streiks, die in Italien, Frankreich, Spanien, in den USA, Kanada und anderen Ländern bereits ausgebrochen sind, bestätigen, dass die ArbeiterInnen in allen Ländern sehr gut den Ernst der Lage verstehen und nicht länger bereit sind, als Schlachtvieh für die Profitwirtschaft herzuhalten…“

„Aus Angst vor Hungerunruhen: 20.000 Soldaten nach Süditalien verlegt“ von Allison Smith am 07. April 2020 bei wsws zur „Option“ Armee-Einsatz, die auch in Italien Formen annimmt: „… Anstatt jedoch finanzielle Unterstützung und Nahrungsmittel bereitzustellen, fordern die italienischen Regionalräte eine verstärkte Militär- und Polizeipräsenz. Der Regionalrat von Sizilien hat sich kürzlich auf Artikel 31 des sizilianischen Statuts berufen, der der Region die Befugnis verleiht, „die Leitung der staatlichen Sicherheitsdienste (einschließlich Militär und Polizei) zu übernehmen, um wirksam und unverzüglich auf alle staatlichen Notsituationen zu reagieren, die die öffentliche Ordnung, Gesundheit und Sicherheit in der Region oder einem Teil davon beeinträchtigen“. Artikel 31, der bisher noch nie angewendet wurde, stellt dem Regionalpräsidenten Polizei und Armee zur Verfügung, um jede Form von Protest oder Klassenkampf zu unterdrücken, die als Folge der Covid-19-Pandemie in Italien auftreten könnte. Über den Regionalpräsidenten von Sizilien, Nello Musumeci, sagte der Journalist Giacinto Pipitone im Giornale di Sicilia: „Musumeci tut seit Wochen so, als befänden wir uns im Krieg.“ Die ständigen Anschuldigungen gegen die italienische Bevölkerung sind überheblich und reaktionär. Sowohl die Medien als auch die herrschende Klasse versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit davon abzulenken, dass die Regierung unfähig ist, mit der Pandemie fertig zu werden. Sie wälzen die Schuld für die kriminelle Vernachlässigung des Staats von den Spitzenbeamten auf die Menschen ab, obwohl diese in Quarantäne leben und nicht einmal mehr die finanziellen Mittel haben, um Lebensmittel und andere Gebrauchsgüter zu kaufen. Dieselbe Mitarbeiterin des Lebensmittelgeschäfts erzählte der WSWS, dass etwa 20 Prozent ihrer Kunden staatliche Unterstützung beziehen, und dass viele Kleinunternehmer aufgrund der Pandemie nun ohne jegliches Einkommen dastehen. Eine Freundin besitzt ein Reisebüro, und alle ihre Buchungen werden in diesem Jahr storniert, so dass sie praktisch über Nacht kein Einkommen mehr hat. Sie muss jedoch Kontrollpunkte der Polizei und der Armee passieren, weswegen sie eine Selbsterklärung mit sich führt, dass sie auf dem Weg zur Arbeit sei. Die Regierung versucht, mit dem Armeeeinsatz davon abzulenken, dass die herrschende Klasse für die kriminell verspätete Reaktion auf das Virus verantwortlich ist. Gleichzeitig reagierte sie auf den Ausbruch von spontanen Massenstreiks in ganz Italien und auf internationaler Ebene. Arbeiter protestieren gegen die offizielle Covid-19-Politik und fordern das Recht auf Schutz im eigenen Land. Die Regierung versucht offensichtlich, ihre Position gegen die Arbeiterklasse zu stärken…“

Quelle: labournet.de… vom 8. April 2020

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