Großbritannien: Streiks und die Komplizenschaft der Gewerkschaften
Thomas Scripps. Die Streiks bei British Gas, British Airways sowie den Logistikunternehmen DHL und Eddie Stobart in Großbritannien gehen weiter. Auch bei dem Busunternehmen Go North West steht ein Streik bevor. Diese Entwicklung ist ein Anzeichen dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie die Unterdrückung von Arbeitskämpfen, die sie während der Pandemie durchgesetzt hat, nicht mehr aufrechterhalten kann.
Als das Coronavirus Europa erreichte, kam es in Großbritannien und ganz Europa zu spontanen Arbeitskämpfen für die Sicherheit der Arbeiter. Um eine drohende soziale Explosion abzuwehren, mussten Premierminister Boris Johnson und seine Amtskollegen im Rest Europas Lockdowns einführen und Arbeiter kurzfristig nach Hause schicken. Gleichzeitig arbeiteten die Gewerkschaften Hand in Hand mit der Tory-Regierung daran, im Namen der „nationalen Einheit“ Streiks abzuwürgen.
Dadurch ermutigt, gingen die Konzerne zu heftigen Angriffen auf die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten über. Vor allem nach dem ersten Lockdown begannen verschiedene Unternehmen brutale Kampagnen, in denen sie Arbeiter zwangen, schlechtere Arbeitsverträge zu akzeptieren, indem sie ihnen mit Entlassung drohten, falls sie ablehnen.
Diese Angriffe fanden vor dem Hintergrund wachsender Arbeitslosigkeit und von Hunderttausenden Entlassungen statt. Die Gewerkschaftsbürokratie unterstützte auch diese Angriffe mit ihren üblichen Tricks: Arbeitskämpfe wurden verzögert, unterbrochen, isoliert und zermürbt. Danach wurde den Arbeitern eine Vereinbarung aufgezwungen, die die Gewerkschaften vorher mit dem Unternehmen ausgehandelt hatten.
Teile der Arbeiterklasse haben sich jedoch durch die zahllosen „Beratungsabstimmungen“ und Verhandlungsrunden des ACAS (die nationale Schlichtungsstelle für betriebliche Auseinandersetzungen) gekämpft und ihre Gewerkschaften gezwungen, endlich Streiks zu organisieren.
Der größte Arbeitskampf findet bei British Gas statt. Mehr als 7.000 Ingenieure der Gewerkschaft GMB streikten Anfang des Monats gegen Pläne, Personal zu entlassen und zu schlechteren Bedingungen wieder einzustellen, wozu längere Arbeitszeiten und Einkommensverluste in vierstelliger Höhe gehören. Das Unternehmen hat mit einem massiven Umstrukturierungsprogramm begonnen, das Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und den Abbau von 5.000 Stellen vorsieht. Die Arbeiter streikten am 13. und 16. Januar, weitere Streiktage sind für heute, Freitag sowie den 1. Februar geplant.
Die Muttergesellschaft Centrica steht unter großem Druck ihrer Aktionäre, nachdem sie in den letzten Jahren Verluste im hart umkämpften Energiemarkt hinnehmen musste. Der Aktienkurs von British Gas ist in den letzten fünf Jahren um 75 Prozent gesunken. Die Londoner Times titelte letzte Woche: „Kostensenkung soll Profite von British Gas erhöhen.“
Die GMB hat getan, was sie konnte, um ihren Mitgliedern einen faulen Kompromiss aufzuzwingen. Im August letzten Jahres haben die Mitglieder in einer der „Beratungsabstimmungen“ für einen Streik gestimmt. Der erste Streiktag fand nach fünf Monaten, erst in diesem Januar, statt. In der Zwischenzeit haben die Gewerkschaften, die Tausende von anderen Centrica-Beschäftigten repräsentieren, eine Vereinbarung mit dem Unternehmen geschlossen.
Das Gleiche geschieht am Flughafen Heathrow, wo etwa 850 Beschäftigten der Luftfrachtsparte von British Airways die Entlassung und Neueinstellung droht, wodurch ihre Arbeitsbedingungen verschlechtert und ihre Löhne um Tausende Pfund pro Jahr gesenkt werden sollen. Die Gewerkschaft Unite hat neun Tage „unterbrochener Streikaktionen“ vom 21. Januar bis zum 7. Februar organisiert.
Die Belegschaft von BA musste bereits im letzten Jahr Tausende Entlassungen und Lohnsenkungen hinnehmen. Auch die Vereinbarung, die dem zugrunde lag, hatte Unite ausgehandelt.
In Manchester drohen fast 500 Busfahrern von Go North West, einem Teil der Go-Ahead Group, Entlassung und Neueinstellung. Das Unternehmen will die Zahl der Fahrer um zehn Prozent senken, eine Krankengeldvereinbarung abschaffen und die Zahl der unbezahlten Arbeitsstunden erhöhen, was einer Lohnsenkung um 2.500 Pfund pro Jahr gleichkommt.
Im September stimmte bei einer Beratungsabstimmung von Unite eine überwältigende Mehrheit für einen Streik, doch die Gewerkschaft organisierte nichts. Stattdessen schlug sie dem Unternehmen vor, ihren Plan zur „Kostensenkung um eine Million Pfund und Nullrunden im Wert von 200.000 Pfund“ zu akzeptieren. Go North West lehnte dies ab und versucht nun, die Fahrer in Einzelgesprächen zu zwingen, den neuen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Die Gewerkschaft erklärte, sie werde über einen tatsächlichen Streik abstimmen lassen, doch nannte bisher kein Datum.
Genau wie Centrica sind der British-Airways-Mutterkonzern International Airline Group und die Go-Ahead Group milliardenschwere Konzerne, deren Aktienkurse aber schwächeln. Deshalb versuchen sie, durch Kürzungen bei den Arbeitern ihre Profite zu erhöhen, um ihre Investoren zufriedenzustellen.
Andere systemrelevante Arbeiter, die trotz der Pandemie arbeiten müssen, erhalten weiterhin Armutslöhne, während die Unternehmen Rekordprofite einfahren. Die Pandemie war von der immensen Bereicherung einer winzigen Oligarchie auf der einen Seite und der Verarmung der Arbeiterklasse auf der anderen geprägt.
Diese Fragen zeigen sich am deutlichsten im Streik bei DHL in Croxteth bei Liverpool. Die 120 Arbeiter, die Unite dort repräsentiert, erfüllen einen Liefervertrag mit Burton Biscuits und AB World Foods. Sie haben mehrere Tage während der Weihnachtszeit gestreikt und am letzten Mittwoch und Donnerstag erneut für 48 Stunden. Weitere Aktionen sind für den 2., 3., 4., 5., 8. und 9. Februar geplant.
Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung und ein Ende der Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern. Sie erhalten einen Stundenlohn von 8,94 Pfund, was nur 2,5 Pence über dem Mindestlohn liegt, wenn dieser im April erhöht wird. Laut dem Regionalvertreter von Unite, Kenny Rowe, wurden mehrere Mitglieder „auf Anweisung des Managements unter fadenscheinigen Vorwänden suspendiert oder entlassen“. Während der Streiks im Dezember rief das Management zu mindestens zehn verschiedenen Anlässen die Polizei zu den Streikposten. Teilweise waren bis zu drei Polizeifahrzeuge auf einmal beteiligt.
DHL gehört der Deutschen Post, einem der 30 größten Unternehmen in Deutschland und das größte Kurierdienst-Unternehmen der Welt. Im Jahr 2020 verzeichnete die Deutsche Post eine Steigerung der Gewinne um 17 Prozent auf die Rekordsumme von 4,84 Milliarden Euro, hauptsächlich weil das Geschäft von DHL durch die Pandemie boomt. Auch für 2021 und 2022 rechnet das Unternehmen mit steigenden Profiten.
Der Aktienkurs des Unternehmens ist in den letzten 12 Monaten um 27 Prozent gestiegen. In den letzten vier Jahren hat es Dividenden im Gesamtwert von 1,4 Milliarden Euro ausgezahlt.
Zuerst zog Unite den Arbeitskampf bei DHL mit fruchtlosen Verhandlungen mit dem ACAS in die Länge. Nachdem das Unternehmen alle Zugeständnisse verweigerte, rief Unite zum Streik für ein Tarifabkommen auf, das einen Lohn von nur 50 Pence über dem Mindestlohn vorsah. Danach sagte die Gewerkschaft als Zeichen ihres „guten Willens“ fünf Streiktage Ende Dezember und Anfang Januar ab, um die Verhandlungen mit DHL wieder aufzunehmen. Diese Scharade brach nach kurzer Zeit zusammen und Rowe gab zu, dass das Unternehmen ein „völlig inakzeptables Angebot gemacht hat, das die Bedürfnisse der Arbeiter in keiner Weise erfüllt“.
Die Fahrer bei Eddie Stobart Logistics befinden sich in einer ähnlichen Lage. Das Unternehmen hat den Lastwagenfahrern in Warrington, die an den Lebensmittelhersteller Walkers Crisps überlassen wurden, eine Nullrunde verordnet. Eddie Stobart weigert sich, mit Unite zu verhandeln. Ab dem 26. Dezember verweigerten die Fahrer drei Wochen lang Überstunden. Ab Montag werden sie sich bis zum 16. Februar weigern, mehr zu arbeiten, und danach für vier Tage streiken. Eine weitere Überstundenverweigerung ist im Zeitraum vom 20. bis 27. Februar geplant und ein weiterer Streik vom 28. Februar bis zum 2. März.
Schon im Mai 2019 erhielt Unite von den Arbeitern erstmals das Mandat für einen Streik und organisierte daraufhin eine Reihe von Streiks und Überstundenverweigerungen. Diese wurden jedoch ausgesetzt, nachdem das Unternehmen versprach, mit der Gewerkschaft zu verhandeln – als weiteres „Zeichen des guten Willens“ vonseiten der Gewerkschaft.
Aufgrund der gestiegenen Nachfrage in Folge der Pandemie konnte Eddie Stobart Logistics sein Ergebnis von einem Verlust von sechs Millionen Pfund in den sechs Monaten bis Mai 2019 auf 16 Millionen Pfund Profit ein Jahr später verbessern.
Diese Kampfaktionen verdeutlichen die wachsende Bereitschaft der Arbeiter, ihren Lebensstandards und ihrer Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Sie machen jedoch auch deutlich, dass diese Stimmung in den Gewerkschaften keinen Ausdruck finden kann, da die Gewerkschaften mit den Interessen der Unternehmen verbunden sind und enge Beziehungen zu diesen unterhalten. Sie werden – wie sie es seit Jahrzehnten tun – begrenzte Aktionen organisieren, die sie bei der erstbesten Gelegenheit abbrechen können. Am Ende dieser Aktionen wird ein Vertrag zum Ausverkauf der Löhne und Arbeitsbedingungen stehen, der vom Unternehmen bestimmt wird.
Die Pandemie und die Wirtschaftskrise, mit der die Arbeiterklasse konfrontiert ist, erfordern einen Frontalangriff auf die Großkonzerne und eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Dieser kann von den Arbeitern nur unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie durch Aktionskomitees auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive organisiert werden.
Quelle: wsws.org… vom 25. Januar 2021
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfe, Breite Parteien, Covid-19, Gewerkschaften, Grossbritannien, Neoliberalismus, Widerstand
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