#ZeroEntlassungen: Streiks und Mobilisierungen gegen Entlassungen!
Yunus Özgür. Ab dem 1. März sind Warnstreiks in der deutschen Metall- und Stahlindustrie im Rahmen der Tarifrunde zu erwarten. Bundesweit sollen über 400.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Gewerkschaften müssen gegen Entlassungen streiken und für Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich kämpfen.
Die aktuelle Welle der Weltwirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie gestärkt wurde, traf anders als die Finanzkrise 2008 die gesamte Wirtschaft. In Deutschland war besonders der exportorientierte Metall- und Elektrosektor betroffen. Anders als die Darstellung in bürgerlichen Medien wurden große Massenentlassungen im Automobilsektor bereits Ende 2019 vor der Pandemie, als das Wirtschaftswachstum bereits schrumpfte (ein halbes Prozent im zweiten und null Prozent im vierten Quartal) angekündigt.
2020 schrumpfte die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal auf Grund des Lockdowns bis zu etwa 10 Prozent und insgesamt laut den Daten vom statistischen Bundesamt um 5 Prozent. Jedoch steckt hinter dem Corona-bedingten Schrumpfen der Wirtschaft die Krise des Strukturwandels im deutschen Exportsektor. Die gesamte deutsche Automobilindustrie steht wegen des Umstiegs der Elektromobilität durch Konkurrenz aus den USA und China stark unter Druck. Eine völlige Transformation der Produktion wird 100 Milliarden Euro benötigen.
Es wird der Wegfall von über 400 Tausend Arbeitsplätzen in Deutschland erwartet. Die aktuelle Entlassungswelle im Exportsektor hat ihren strukturellen Ursprung also darin, dass die Automobilkonzerne die Corona-Krise als Anlass nehmen, bereits vor der technologischen Transformation Beschäftigte loszuwerden. Dabei ist die niedrigere Nachfrage nach Autos auf dem Weltmarkt ein konjunkturelles Element, was diese Krise verstärkt.
Ist der Abbau von Arbeitsplätzen die einzige Lösung? Oder besser gesagt: Nach wessen Interessen und unter wessen Kontrolle soll der Strukturwandel stattfinden? Im Interesse der Arbeiter:innen oder der Kapitalist:innen? Die aktuelle Tarifrunde der IG-Metall (Metall und Elektro, Textil und Bekleidung, Eisen und Stahl, Holz und Kunststoff) und Streiks, die über 4 Millionen Arbeiter:innen betreffen, werden entscheidend sein, wie diese Frage beantwortet wird.
Abwehrkämpfe im Schatten der Sozialpartnerschaft
Seit 2019 erleben wir eine große bundesweite Entlassungswelle, wie bei Daimler, BMW, den MAN-Motorwerken oder bei den Voith-Werken, die jeweils tausende Beschäftigte entlassen wollen. Die Gewerkschaftsführungen weigern sich bisher, einen erstzunehmenden Kampf gegen die Entlassungen zu führen, sondern beschränken sich lediglich auf gelegentliche Demonstrationen und die Aushandlung von Sozialtarifverträgen oder Sozialplänen.
Diese bedeuten jedoch für Arbeiter:innen meistens eine langfristige Verschlechterung der Lebensbedingungen, aufgrund des Jobverlustes. Die Ausrichtung auf Sozialpläne geht auch einher mit einer Spaltung zwischen den unterschiedlichen Werken eines Unternehmens, wo die Kapitalist:innen die Standorte gegeneinander ausspielen und durch die Angst der Schließung große Kompromisse durchsetzen.
Während es die Notwendigkeit existiert, in allen Betrieben, an denen Entlassungen stattfinden, bundesweit koordinierte Aktionen und unbefristete oder verlängerbare Streiks zu organisieren, hält der IG Metall-Vorstand sich an die Waffenruhe mit der Regierung und den Kapitalist:innen. Die Kosten zahlen die Beschäftigten.
Im Gegensatz dazu stellten die Streiks bei den Voith-Turbinwerken im April 2020 ein fortschrittliches Beispiel dar. Die Kolleg:innen streikten über 33 Tage gegen die Schließung ihres Betriebes und gegen Massenentlassungen und riefen: „Voith kann gehen, wir bleiben hier!“
Die Streiks, die nur durch den großen Druck der Belegschaft auf die Gewerkschaftsführung zustande kamen, endeten leider mit einer Niederlage, da der IG-Metall-Vorstand den Kampf nur auf die Aushandlung eines Sozialvertrags beschränkte und von Anfang an die Entlassungen hinnahm. Die Lehren für die Kolleg:innen in anderen Betrieben sind viele, aber vor allem eines ist klar: Streiks für den Erhalt aller Arbeitsplätze sind notwendig.
Angesichts der nationalen Einheit zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der Bourgeoisie wurde die aktuelle IG Metall Tarifrunde Anfang 2020 bereits einmal mit einer Nullrunde verschoben. Diese Burgfriedenspolitik war in Worten für das Wohl der gesamten Wirtschaft oder der „Allgemeinheit“, was jedoch in Wirklichkeit nur eine Deckung für die spezifischen Interessen der Kapitalist:innen war: Waffenruhe während Massenentlassungen. Der Hintergrund für diesen Frieden ist, dass die Gewerkschaftsspitzen die „Standortlogik“ von Kapitalist:innen und Großaktionär:innen eins zu eins verfolgen. Die Logik liegt darin, dass es eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ der deutschen Wirtschaft bräuchte, um sich konkurrenzfähig mit den USA und China machen zu können. Diese gemeinsame Kraftanstrengung bedeutet in der Realität jedoch nichts anderes, als die Unterordnung der Interessen der Arbeiter:innenklasse unter die der Kapitalist:innen.
Die IG Metall forderte in dieser Zeit staatliche Subventionen für Betriebe, die in finanzielle Schwierigkeiten wären und daher gezwungen seien, ihre Beschäftigten zu entlassen. Diese Politik ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Wir sehen, wie viele Unternehmen wie Lufthansa, Tui oder auch Galeria-Karstadt-Kaufhof, die staatliche Hilfen in Milliardenhöhe bekommen haben, trotzdem ihre Beschäftigten entlassen, währen sie weiterhin Gewinne an Großaktionäre ausschütten.
Die aktuellen Verhandlungen laufen seit November, in der die Arbeitgeberseite dreist neue Angriffe angekündigt hat. In der Textilindustrie fanden bereits die ersten Warnstreiks statt, während in Metall- und Stahlindustrie mit ersten Warnstreiks ab März zu rechnen ist.
Die Forderungen der Gewerkschaftsspitze sind bescheiden: Während es die Notwendigkeit gibt, eine bundesweite Streikbewegung gegen die Schließungen aufzubauen, ignorieren die Gewerkschaftsspitzen die Massenentlassungen und fordern eine Lohnerhöhung bis zu vier Prozent, während die Unternehmen selber entscheiden sollen, ob die Lohnerhöhung an die Beschäftigten gehen wird oder ein Teilausgleich für die Arbeitszeitverkürzungen wird. Dies bedeutet eine enorme Flexibilisierung im Sinne der Unternehmen. Die Bosse verlangen eine Aufweichung des Flächentarifvertrags und die IGM-Führung erlaubt ihnen genau das.
Für Streiks und Demonstrationen gegen Entlassungen!
Obwohl die Forderungen der Gewerkschaftsspitzen unzureichend sind, wird über das Ergebnis der Runde erst im Kampf entscheiden. In kommenden Versammlungen in Betrieben und an den Streiktagen sollen wir fordern:
- Streiks und Demonstrationen gegen die Entlassungen mit dem Ziel, alleArbeitsplätze beizubehalten! Diese sollten über die einzelnen Betriebe hinaus und bundesweit koordiniert stattfinden.
- Arbeitszeitreduzierung mit vollem Lohn- und Personalausgleich (30 Stunden) anstelle von Stellenabbau oder Teilausgleich auf Kosten der Lohnerhöhung. Der Ausgleich muss durch die Gewinne und Vermögen der Großkapitalist:innen und Großaktionär:innen finanziert werden.
- Offenlegung und Kontrolle der Geschäftsbücher aller Betriebe durch die Belegschaften. Im Falle von angekündigten Schließungen sollten die Betriebe unter Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht werden.
Um diese Forderungen stark zu machen, reicht es jedoch nicht, dass wir einfach öffentlich unsere Forderungen kundtun. Es braucht eine Organisierung der Beschäftigten (Streikkomitees, Streikversammlungen und so weiter) vor und an Streiktagen, um über diese Forderungen zu diskutieren und sie als Resolution zu beschließen. Wenn ein Streikkomitee in einem Betrieb einen Beschluss fasst, sollte dieser bindend für alle Gewerkschaftsgremien sein. Ebenfalls kann über Hygiene- und Lockerungsmaßnahmen in Bezug auf die Pandemie in solchen Komitees entscheiden werden.
Für unsere Würde als Arbeiter:innen: Auf zum Kampf!
Wie der Kampf gegen Entlassungen zu führen ist, zeigen gerade die Kolleg:innen von Ölraffinerie-TOTAL in Frankreich, die 700 Beschäftigte entlassen wollen, was mit pseudo-ökologischen Argumenten begründet wird. Die Kolleg:innen haben seit Anfang des Kampfes ein Streikkomitee gebildet, das aus Mitgliedern der Gewerkschaft und Unorganisierten besteht. Es organisiert sich nach zwei Prinzipien: Erstens, kein:e einzige:r Beschäftigte:r darf entlassen werden. Zweitens, ökologische Transformation kann nicht den Bossen überlassen werden, sondern die Komitees von Beschäftigten müssen diese selbst kontrollieren.
Seit Anfang Januar befinden sie sich in einem unbefristeten (und verlängerbarem) Streik. Nicht nur entscheiden sie jeden Tag in Streikversammlungen, wie der Kampf weitergehen soll, sie haben auch auch die Kontrolle über die Verhandlungen. Das haben sie gegenüber der Gewerkschaftsspitzen so durchsetzen können, weil sie von Anfang an diese Streikkomitees aufgebaut haben, die die volle Legitimität der Belegschaft besitzen. Falls die Gewerkschaftsspitzen versuchen würden den Kampf abzuwürgen, sagen sie, dass sie weiter streiken würden, da es um „alles“ ginge – und um ihre Würde als Arbeiter:innen.
Auch in Deutschland erlebten wir heldenhafte Kämpfe der Arbeiter:innen der Metallbranche, die Hunderttausende erfassten. 2007 beteiligten sich 300.000 Arbeiter:innen an den Aktionen der IG Metall gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 67, viele davon erhoben Forderungen an die Gewerkschaftsspitzen nach einem bundesweiten Streik gegen die Rentenreform, was von dieser jedoch verweigert wurde. Zwischen 1969 und 1973 streikten insgesamt über 290.000 Arbeiter:innen der Metall- und Stahlbetriebe in den sogenannten spontanen oder wilden Streiks, die durch Betriebsräte und Komitees der Beschäftigten organisiert wurden, da sie die Tarifabschlüsse der Gewerkschaftsspitzen zu niedrig fanden. Ebenfalls gab es in den 60er Jahren Streiks und Demonstrationen der Belegschaften gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr und die Ausnahmegesetze der Bundesregierung.
Es geht also darum, diese kämpferische Tradition wieder aufzunehmen, sich über die einzelnen Betriebe hinweg in Streikkomitees zu organisieren und den eigenen Willen gegenüber den Gewerkschaftsspitzen durchzusetzen. Auch in Hinblick der angekündigten Rentenreform der CDU, die vorsieht, das Renteneintrittsalter auf 70 zu erhöhen, brauchen wir eine bundesweite Vernetzung der kämpferischen Arbeiter:innen und Gewerkschaftsgruppen, um die Gewerkschaften dazu zu bringen, zu bundesweiten Streiks und Mobilisierungen aufzurufen.
Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, deren Teil ebenfalls die Zeitung KlasseGegenKlasse ist, nimmt sich als Ziel vor, den Kampf der Kolleg:innen in der IG Metall-Runde zu unterstützen, sowie dazu beizutragen, dass die Beschäftigten über ihre Kämpfe, Forderungen und Streiks selber in Streikversammlungen entscheiden, damit nicht alles vom Gewerkschaftsvorstand diktiert wird. Nur der Druck der Kolleg:innen in der Basis und ihre Selbstorganisierung in Streikkomitees können dazu führen, dass die Gewerkschaften einen Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze führen, anstatt den Stellenabbau mitzuverwalten.
Die Position von KlasseGegenKlasse ist, dass wir die Kapitalist:innen und Großaktionäre durch Streiks und Mobilisierungen dazu zwingen müssen, dass sie für die Kosten der Krise mit ihren Vermögen aufkommen, die sie durch die Ausbeutung der Beschäftigten angesammelt haben. Falls die Unternehmen behaupten, dass sie sich in einer finanziellen Notlage befinden, müssen ihre Geschäftsbücher geöffnet und seitens der Beschäftigten kontrolliert werden. Anstelle von Entlassungen muss die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich reduziert werden. Der Ausgleich darf nicht von Kurzarbeitergeld finanziert werden, sondern durch Vermögensabgaben der Großaktionär:innen. Falls Betriebe eine Schließung ankündigen, müssen sie unter der Kontrolle der Belegschaft entschädigungslos verstaatlicht werden.
Die zwei Top BMW-Aktionäre haben während der Corona-Krise alleine drei Milliarden an Vermögen angereichert, während sie 6.000 Beschäftigte entlassen haben. Lasst uns das nicht hinnehmen und uns dagegen organisieren.
Quelle: klassegegenklasse.org… vom 16. Februar 2021
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitswelt, Covid-19, Deutschland, Gewerkschaften, Strategie, Widerstand
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