Wenn das abgelehnte CO2-Gesetz wenigstens CO2 gesenkt hätte…
Emil Spotter. Nach der Ablehnung des Schweizer CO2-Gesetzes gibt sich die parlamentarische Linke konsterniert. Dabei war das Gesetz gar nie brauchbar im Kampf gegen die Klimakatastrophe.
Das CO2-Gesetz, für das die parlamentarischen Linken und NGOs sowie die politische «Mitte» bis hin zur FDP die letzten Monate geworben haben, wurde knapp abgelehnt. Dies kann durchaus eine Chance sein. Denn gegen das Gesetz sprachen eben nicht nur die Gründe, um die sich SVP und Erdölindustrie kümmern. Auch wir haben – zusammen mit den linken Strömungen in der Klimagerechtigkeitsbewegung – das linke Referendum gegen das CO2-Gesetz unterstützt. Ein kurzer Blick zurück und ein weiterer nach vorn.
Ein kurzer Blick zurück
Nachdem das alte, absolut peinliche CO2-Gesetz von 2018 versenkt worden war, hat letztes Jahr das nun leicht linkere Parlament eine neue Vorlage zum Klimaschutz verabschiedet. Dieses neue CO2-Gesetz wurde dieses Mal von der parlamentarischen Linken und von so ziemlich jeder nennenswerten NGO unterstützt. Das JA-Lager erstreckte sich so weit nach rechts, dass selbst der Wirtschaftsdachverband «Economiesuisse» und die nationale FDP die Vorlage unterstützten.
Als Gegner:innen des Gesetzes wurden allen voran die SVP und die Erdöllobby identifiziert. Als Rechte und Unternehmer:innen schafften sie es, eine Sorge zu instrumentalisieren, um die sie sich ganz bestimmt nicht scheren: «das Portemonnaie» der (einfachen) Leute. Sie spielten die Beträge, die das CO2-Gesetz erhoben hätte, massiv hoch, obwohl mit dem Klimafonds wieder Geld zurück an die Bevölkerung geflossen wäre. Das wirkliche Problem mit dem Gesetz lag aber woanders. Unabhängig davon, ob es stimmt, dass die Bevölkerung unzulässig stark mit Abgaben belastet worden wäre – ein solch individualisierender Ansatz kann weder als wirksamer noch als sozialverträglicher Klimaschutz verkauft werden, weil er es einfach nicht ist.
Das «Verbraucherprinzip» verstellt den Blick
Bei diesem CO2-Gesetz ging es um viel mehr als einige neue Abgaben auf Flugreisen, Heizöl und Benzin. Entsprechend ist die Überforderung an der Urne nachvollziehbar, denn das neue CO2-Gesetz ist äusserst komplex und vielschichtig: Es betrifft so viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche und stellt an unterschiedliche Akteur:innen ebenso unterschiedliche Anforderungen. Das Onlinejournal «Das Lamm» hat sich – als so ziemlich einziges Medium in der Schweiz – genauer mit dem neuen Gesetz auseinandergesetzt. Verglichen mit dem neuen CO2-Gesetz sei selbst «Game of Thrones» noch ziemlich unterkomplex, schreibt «Das Lamm». Entsprechend waren acht eigenständige Artikel nötig, um die Vorlage verständlich einordnen zu können und um aufzuzeigen, was sich bei Annahme und Ablehnung verändern würde.
Bei diesem genaueren Hinsehen wurde klar, dass die von SP, Grünen und Gewerkschaften vorgetragene Formel JA=Klimaschutz so nicht stimmen kann. Denn das neue CO2-Gesetz lässt zahlreiche Hintertüren offen und geht die Hauptemittenten in der Schweiz überhaupt nicht an. Vielmehr wurde das falsche Verständnis gefördert, dass die Klimakrise von uns allen ein Stück weit verursacht wird, weil wir so viel kaufen, so viel wegwerfen und so viel reisen würden. Erst unter dieser Annahme wäre das neue Gesetz ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gewesen, dem weitreichendere Klimapolitik folgen könnte. Aber jenseits solch floskelartiger Bekundungen wurde nicht erläutert, ob mit diesem Gesetz überhaupt die richtige Richtung beschritten wird, um mit der wahrscheinlich grössten Bedrohung des 21. Jahrhunderts umzugehen. Die parlamentarische Linke beschränkte sich gefühlt darauf, Sinn und Zweck von zweistelligen Beträgen auf Flugtickets zu verteidigen.
Die Zeit zur Eindämmung der Klimakatastrophe drängt unglaublich, wie selbst Bürgerliche eingestehen. Das Überschreiten der planetaren Belastbarkeitsgrenzen kann nur verhindert werden, wenn in den kommenden Jahren drastische Veränderungen eintreten. Deshalb muss sofort bei den grössten Hebeln – den zentralen Verursachern – angesetzt werden. In der Schweiz ist der mit Abstand grösste CO2-Emittent der schweizerische Finanzplatz, der mit seinen weltweiten Investitionen in klimaschädliche Projekte das 20-fache der Treibhausgasemissionen der ganzen Schweiz verursacht. Banken, Versicherungen und Pensionskassen wurden in ihrer Verantwortung von dem nun abgelehnten Gesetz aber ausgenommen. Ihre Rolle blieb auf das Vorantreiben der «grünen Investitionen» und den Handel von CO2-Zertifikaten beschränkt, womit wir beim zweiten grundlegenden Problem angelangt sind.
Die Finanzialisierung des Klimaschutzes
Problematisch ist nämlich nicht nur der individualisierende Blick des «Verbraucherprinzips» auf die Klimakrise. Zentraler Fehler ist der Ausbau eines Systems, das versucht, CO2-Emissionen zu bepreisen und damit als Ware in den Kapitalismus einzugliedern. Vielleicht kann der Kapitalismus klimapolitisch in den nächsten Jahren nicht zurückgedrängt werden, aber das bedeutet doch nicht, dass die Linke ihn ausbauen soll, indem sie weitere Bereiche kommodifiziert. Mittels Emissionshandel, CO2-Zertifikaten, Kompensationszahlungen sowie dem Klimafonds wäre der Klimaschutz aber weiter finanzialisiert worden.
Darüber, ob mit einem ausgebauten Emissionshandel und mit neuen Abgaben die Klimakrise überhaupt in den Griff zu bekommen sei, sprach niemand. Die skandalöse Regelung, wonach mehr Firmen Gratisemissionszertifikate erhalten sollten als noch mit dem alten Gesetz, blieb unerwähnt. Und auch die gern zitierte «humanitäre Tradition der Schweiz» spielte keine Rolle in den Diskussionen, ob es sinnvoll sei, Treibstoffimporteurinnen mit billigen Kompensationen im Globalen Süden «klimaneutral» werden zu lassen.
Klimaschutz kann nicht darin bestehen, nachträglich zu ratifizieren, worauf Teile der Finanzindustrie sich bereits geeinigt haben: neue Investitionsmöglichkeiten, weiter ausgebaute Marktmechanismen, neue Kompensationszahlungen, kurz: mehr Warencharakter. Was sich stattdessen fundamental ändern müsste, wäre ungleich materieller: Die mit dem Konsum so verstrickte Produktion, die Lieferketten sowie die Arbeits- und Wohnverhältnisse in Gänze.
Die Peinlichkeiten des CO2-Gesetzes kulminierten im Punkt, dass das CO2-Gesetz nicht einmal die Pariser Klimaziele von 2015 eingehalten hätte. Der historische Kompromiss, auf den sich die Nationalstaaten vor ein paar Jahren festlegen konnten, wurde in den Wind geschlagen und die Klimazerstörung dadurch legalisiert. Doch der «gute Schweizer Kompromiss» lässt sich mit dem Klima nicht schliessen.
Ziel bei solch liberalen Vorschlägen ist eine Welt, in der Waren ihren «richtigen» Preis hätten, der auch negative Kosten wie CO2-Emissionen beinhaltet. Eine Welt, in der sich Unternehmen dank finanzieller Anreize und dank (zu billigen) Kompensationszahlungen als «klimaneutral» zertifizieren lassen dürfen, ohne dafür ihre Produktion umstellen zu müssen. Eine Welt, die ökologisch nachhaltig wäre, weil ein Buchhaltungsprinzip bestenfalls zu netto null CO2-Emissionenen verpflichtet. Eine Welt, in der die vom Globalen Norden ausgestossenen Treibhausgase mittels oft zweifelhafter Kompensationsprojekte im Globalen Süden kompensiert statt im Vorhinein verhindert werden.
Klimaschutz von unten
Die Klimapolitik hat in den letzten Jahren zwar stark an Fahrtwind aufgenommen, aber nur um sich nun direkt wieder in eine Sackgasse zu manövrieren. Staat, Kapital und Parteien können sich die Reduktion von Treibhausgasen einzig mittels neuer Abgaben, mit einem ausgebauteren Emissionshandel und mittels Kompensationszahlungen vorstellen. Aber das Umleiten von Zahlungsflüssen und die Neuausrichtung von Marktmechanismen kann keine ökologisch nachhaltige, geschweige denn eine sozial gerechte Produktionsweise hervorbringen.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat demgegenüber in den vergangenen Jahren deutlich aufgezeigt: Ziel muss die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit der Natur in ihrer Gesamtheit sein, was klar stellt, dass weder allein die Emissionen noch ein individualisierter Konsum das zentrale Problem sind. Klimaschutz bedeutet vielmehr demokratische Kontrolle aller Energie- und Transportunternehmen, die Revolutionierung der bezahlten wie unbezahlten Care-Arbeit, Reparationszahlungen der besitzenden Klasse an den Globalen Süden, eine Landwirtschaft ohne Pestizid- und Saatgutkonzerne und einiges mehr, sodass die kapitalistische Akkumulationslogik endlich gebrochen wird.
Zum Abschluss sei zur Veranschaulichung noch ein Beispiel genannt: Warum bitteschön sollen Flugpreise nur mittels neuer Abgaben erhöhbar sein? Simple gewerkschaftliche Forderungen nach höheren Löhnen, weniger Arbeitszeit und besseren Arbeitsbedingungen würden das auf gerechte Weise bewirken. Fordert man dies nicht ein, akzeptiert man stillschweigend die weitere Subventionierung des Flugverkehrs auf dem Rücken der am prekärsten Beschäftigten. Erst einem radikalökologischen Ansatz, der die kapitalistischen Verhältnisse als die Triebfeder des Raubbaus an der Natur erkennt und den Klimanotstand bei seiner Wurzel packt, kann es gelingen, eine gesellschaftlich längerfristig stabile, sozial gerechte und demokratisch abgesicherte ökologische Welt zu erstreiten. Erster Programmpunkt einer solchen Klimapolitik in der Schweiz wird dafür der RiseUpForChange sein, der zwischen dem 28. Juli und dem 11. August 2021 dem Schweizer Finanzplatz den Geldhahn zudrehen möchte.
Quelle: sozialismus.ch… vom 15. Juni 2021
Tags: Ökologie, Ökosozialismus, Politische Ökonomie, Sozialdemokratie, Steuerpolitik, Strategie, Widerstand
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