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Österreich: Oben rechts – unten links?

Eingereicht on 15. Oktober 2017 – 8:52

Heute, den 15. Oktober, finden in Österreich Wahlen statt und es scheint sich jetzt schon ein Rechtsruck anzudeuten, das liegt zum einen daran das SPÖ und insbesondere ÖVP nach rechts gerückt sind und gleichzeitig

die FPÖ wahrscheinlich in die nächste Regierung einziehen wird. Wir sprachen mit David Albrich, führendes Mitglied von Linkswende jetzt und Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, über die aktuelle Situation, den Rechtsruck und antifaschistischen Protest.

Die Freiheitsliebe: Am Sonntag, 15. Oktober finden in Österreich Parlamentswahlen statt, welche Situation hinterlässt die aktuelle Regierung?

David Albrich: Die politische Situation zeichnet sich durch zwei Tendenzen aus: einem Rechtsruck an der Spitze der Gesellschaft und einem Ausschlag des Pendels an der Basis nach links. Insofern ist die Entwicklung ziemlich ähnlich jener in Deutschland.

Bei der Präsidentschaftswahl im Dezember 2016 gaben zwei Drittel der Van der Bellen-Wähler als Hauptwahlmotiv an, den blauen Kandidaten Norbert Hofer verhindern zu wollen. Seit der gewaltigen Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen im Jahr 2015, als die Regierungen gezwungen wurden die Grenzen zu öffnen, haben sich Tausende in der freiwilligen Hilfe für Schutzsuchende engagiert, haben demonstriert und die Stimmung in den Stadtteilen und Dörfern, wo sie aktiv waren, stark beeinflussen können. Das Statistische Jahrbuch für Migration und Integration dokumentiert, dass die Haltung gegenüber Flüchtlingen von 2015 bis 2016 positiver geworden ist – genau zu jener Zeit, als die Regierung ständig behauptet hat, die Stimmung wäre gegen Flüchtlinge gekippt. 2015 beurteilten nur 41 Prozent die Integration als eher gut oder sehr gut, 2016 stieg der Wert auf 49 Prozent. Im Wiener Bezirk Liesing, wo Antifaschisten im Frühjahr 2016 zu tausenden einen rassistischen Aufmarsch der FPÖ gegen ein Flüchtlingsunterkunft gestoppt hatten, stieg nach der Eröffnung des Asylheims die Akzeptanz von 45 auf 72 Prozent.

Diese Bewegung hat aber keinen massenhaften politischen Ausdruck in Form einer parlamentarischen linken Alternative gefunden, die dem Druck von rechts etwas hätte entgegensetzen können. Während sich SPÖ und ÖVP im Wahlkampf darüber duellieren, wer von beiden die Balkan- beziehungsweise Mittelmeerroute für Flüchtlinge geschlossen hat, braucht die FPÖ nur zuschauen, wie eine rassistische Forderung nach der anderen umgesetzt wird. SPÖ-Chef Christian Kern brüstet sich damit, das Tragen der Burka verboten zu haben und kündigt im AfD-Ton an, mit „eiserner Faust“ gegen Radikalisierung unter Muslimen vorgehen und die „illegale Migration auf null“ zu drücken, da ansonsten „unsere Gesellschaft zerfallen“ würde. ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka hat mitten im Wahlkampf eine rassistische Abschiebewelle nach Afghanistan losgetreten.

Hinzu kommt, dass die „hohe Politik“ Faschismus und die FPÖ in einer bisher unbekannten Art und Weise legitimiert hat. Bundespräsident Van der Bellen erklärte im Sommer im Interview mit der Zeit, dass die FPÖ nicht „rechts“ sei, sondern lediglich „nationalistisch“. Die SPÖ-Spitze wiederum beendete die sogenannte „Vranitzky-Doktrin“ (benannt nach dem SPÖ-Bundeskanzler von 1986 bis 1997), die seit dreißig Jahren eine Koalition mit den Freiheitlichen ausgeschlossen hatte. Jetzt stehen wir knapp davor, dass eine im Kern von deutschnationalen Burschenschaftern geführte Partei Teil der nächsten Regierung sein und den Innenminister stellen könnte. Der Widerspruch zur Basis der Gesellschaft könnte schärfer nicht sein.

Die Freiheitsliebe: Lange sah es so aus, als würde die FPÖ stärkste Partei, besteht diese Gefahr noch?

David Albrich: Ja, diese Gefahr besteht, oder sagen wir: sie besteht wieder. In den Umfragen ist sie (relativ) stark eingebrochen, von bis zu 35 Prozent im Sommer 2016 auf knapp 23 Prozent im Sommer 2017. Jetzt steigen ihre Umfragewerte wieder, das hat einerseits mit der rassistischen Agenda und „Entgiftung“ von Faschismus von SPÖ und ÖVP zu tun, andererseits durch den fabelhaften Facebook-Skandal der SPÖ, in dem auch die ÖVP verwickelt zu sein scheint. SPÖ und ÖVP streiten sich wie wild, und der lachende Dritte könnte die FPÖ sein, die ihr Image als Protestpartei wieder aufpoliert.

„Dirty Campaigning“ ist das Schlagwort dieses Wahlkampfs. Die SPÖ hat hunderttausende Euro für gefälschte Facebook-Seite ausgegeben, die mit antisemitischen und rassistischen Inhalten den ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz von rechts angegriffen haben. Jetzt ist der Riesenskandal aufgeflogen. Zudem gibt es den Vorwurf, dass ein hochrangiger ÖVP-Funktionär einem Mitarbeiter im SPÖ-Wahlkampfteam 100.000 Euro für interne Wahlkampfinfos geboten haben soll. Strache reibt sich angesichts des Schlagabtauschs die Hände. Wir wissen überhaupt nicht, wie die Wahl ausgeht, den Umfrageinstituten kann man (besonders in so einer Situation) nicht trauen.

Die Freiheitsliebe: Was sind die Ursachen für den Rückgang der FPÖ in den Umfragen?

David Albrich: Ein Hauptgrund ist, dass die FPÖ an ihrem Image als radikale Oppositions- und Protestpartei gesägt hat. Kurz nach dem Brexit gaben 82 Prozent der FPÖ-Wähler an, dass es Österreich ohne die EU besser gehen würde, 84 Prozent sind für einen Austritt Österreichs aus der EU. Im Präsidentschaftswahlkampf hat Norbert Hofer massiv Kreide gefressen. Hofer hat mit seiner Abkehr von einer radikalen Anti-EU-Haltung vor allem EU-Gegner vergrämt, die bisher zur FPÖ tendiert haben. 68 Prozent der Hofer-Wähler gaben noch im Mai 2016 bei der (später aufgehobenen) Stichwahl als sehr wichtiges Wahlmotiv an, dass der blaue Kandidat ihre Sorgen verstehe – dieser Wert fiel in sechs Monaten bei der Wiederholung der Stichwahl im Dezember 2016 auf 55 Prozent.

Dieser Trend wurde in diesem Frühjahr verstärkt, als man vor dem Kapital in die Knie ging, das sich nach dem verhinderten 12-Stunden-Arbeitstag – das zentrale Projekt von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung in Österreich – eine Neuauflage von Schwarz-Blau erwartet. Mit Rassismus hat das exportorientierte österreichische Kapital kein Problem, aber mit einer kritischen Haltung zur EU. Der wirtschaftsliberale Flügel in der FPÖ, der unbedingt regieren will, hat deshalb derzeit die Oberhand in der Partei. Aber es gibt noch einen zweiten Grund, warum das Image der FPÖ als Protestpartei angekratzt ist.

Der Rückgang ist zu einem wesentlichen Teil von der antifaschistischen Bewegung mit verursacht, die der faschistischen Basis in der FPÖ eine schwere Niederlage verpasst hat. Der Kern von deutschnationalen Burschenschaftern hat das langfristige Ziel, eine militante Bewegung als echten Machtfaktor auf der Straße aufzubauen. 2016 unternahm die FPÖ-Parteispitze einen systematischen Versuch eine solche Bewegung über Aufmärsche vor Flüchtlingsheimen aufzubauen. Die antifaschistische Bewegung hat dieses Vorhaben der Freiheitlichen bislang erfolgreich bekämpft. Nach zwei Aufmärschen in den Wiener Bezirken Liesing und Floridsdorf, wo wir jedes Mal um ein zigfaches mehr an Gegendemonstranten waren, gab die FPÖ das Projekt wieder auf.

Die Freiheitsliebe: Wie hat es die ÖVP geschafft in den Umfragen stärkste Partei zu werden?

David Albrich: Die österreichische Tageszeitung Der Standard hat es ganz treffend formuliert: Vielen FPÖ-Wählern geht es „um Protest gegen das System. Und genau den kann Strache derzeit nicht bieten.“ Sebastian Kurz hat es zum Teil erfolgreich geschafft, das durch das Kreidefressen der FPÖ freigewordene Protestpotenzial aufzusammeln. Viele Menschen sind zu recht angefressen auf die EU und die etablierte Politik, die ihnen ständig nur leere Versprechungen gemacht hat. In Abwesenheit einer linken, systemkritischen Alternative fallen viele jetzt auf Kurz herein, der die alte schwarze ÖVP in türkiser Farbe anstreicht und denselben Neoliberalismus in eine „Bewegung“ kleidet. Man traut Kurz zu für „Veränderung“ im Land zu sorgen.

Neu ist dabei freilich gar nichts. Kurz tritt auf die Schwächsten in der Gesellschaft und treibt den Rassismus gegen Muslime und Flüchtlinge auf die Spitze. Aber es ist nicht so, dass die ÖVP der FPÖ erfolgreich die Themen weggenommen hätte, wie viele behaupten. Vorausgegangen ist der Entwicklung die Niederlage der FPÖ auf der Straße und ihre Abkehr von der radikalen EU-Kritik. Strache ist gefährlicher als Kurz, weil die FPÖ anders als die ÖVP versucht, eine militante Straßenbewegung aufzubauen oder zumindest zu fördern – man erinnere sich nur an ihre engen Verbindungen zu den „Identitären“ oder ihre Versuche, „Bürgerwehren“ und „Stadtwachen“ zu etablieren.

Die Freiheitsliebe: Welche Alternative haben Linke und Antifaschisten bei der Wahl?

David Albrich: Wir haben uns im Wahlkampf darauf konzentriert, die außerparlamentarische Bewegung aufzubauen, und bemühen uns, eine breite Allianz gegen den Rechtsruck und insbesondere gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu schmieden. Eine Woche vor der Wahl gingen in Wien tausende Menschen gegen die Deportationen nach Afghanistan und gegen den Rechtsruck auf die Straße. Das macht Mut. Faschismus wird nicht im Parlament bekämpft, sondern auf der Straße.

Wir wollen die Linke für einen Bruch mit der Toleranz gegenüber der FPÖ gewinnen und organisieren am 13. Oktober, zwei Tage vor der Wahl, die F*CK Strache-Demo. Sollte die Wahl so verheerend ausgehen, wie befürchtet, sind bereits Proteste am Wahlabend, 15. Oktober in Vorbereitung. Wir mobilisieren auch zur Tag-X-Demo der Plattform Radikale Linke am Tag der Angelobung einer schwarz-blauen Regierung und bereiten mit der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, der Offensive gegen Rechts und System Change not Climate Change einen heißen Herbst vor. Wir lassen der FPÖ keine ruhige Minute.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Quelle: diefreiheitsliebe.de… vom 15. Oktber 2017

 

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