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Politik des Krieges: Was macht(e) die Bundeswehr in Afghanistan?

Eingereicht on 16. Oktober 2021 – 11:52

Antimilitaristische Gruppen aus Berlin. Dies ist kein Beitrag über die Bundeswehr im Auslandseinsatz generell. Die Bundeswehr sammelt seit spätestens 1993 in Somalia erste Kriegserfahrungen, mit dem Einsatz in Jugoslawien wurde 1999 erstmals wieder Krieg – wenn auch noch nicht so bezeichnet – von deutschem Boden aus geführt. Dies ist ein Text über den bislang längsten und umfangreichsten Bundeswehreinsatz, der 2001 begann und erst vor wenigen Wochen mit viel Ach und Krach beendet wurde.

Nach den Anschlägen 2001 in New York und Washington wurde als erste Vergeltungsmaßnahme der Nato-Bündnisfall ausgerufen. Die Anschläge wurden als Angriff auf ein Mitglied der Kriegsallianz gewertet und damit als Angriff auf alle verstanden. Dies stellte für die westliche Militärbündnisgeschichte eine Zäsur dar. Kurz darauf machten sich die westlichen Bündnismächte auf, Afghanistan – das als Hort des Terrorismus auserkoren wurde – mit Krieg und Besatzung zu überziehen. Ein ähnliches Szenario wiederholte sich 2003 im Irak. Nur diesmal nicht vom Nato-Bündnisfall gedeckt, sondern von einer „Koalition der Willigen“ vollzogen und ohne direkte deutsche Beteiligung.

Dass die Bundesrepublik als Nato-Mitglied ihre Bündnispflichten erfüllen musste, war nicht der Grund für die Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Es war vielmehr eine willkommene Gelegenheit, die Bühne der global player auch im Tarnfleckoutfit zu betreten, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Deshalb schickte sich die Propagandamaschine an, die noch nicht vollends an Kriegseinsätze gewöhnte bundesdeutsche Öffentlichkeit darauf vorzubereiten, dass Krieg führen ein gängiges Mittel deutscher Außenpolitik ist. Und wie schon 1999 begann der Kriegseinsatz der Bundeswehr 2001 mit einer Lüge. Anders als damals wurden aber nicht Hufeisenpläne und konzentrationslagerähnliche Zustände erfunden, sondern von einem humanitären Einsatz zum Schutz der Frauen und zum Bohren von Brunnen schwadroniert.

Zehn Jahre nach Kriegsbeginn wurde zu diesem Zweck sogar die bundesdeutsche Entwicklungshilfe militarisiert. Ehemals zivile Entwicklungshilfeeinrichtungen wurden zur GIZ GmbH – der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – fusioniert. Sie soll sicherstellen, dass bundesdeutsche Mittel nur dann vergeben werden, wenn damit eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr im Einsatz einhergeht. Dies alles nur, um die eigentlichen Kriegsgründe zu verschleiern: die Freude darüber, die erste größere Nebenrolle mit Aussicht auf weitere Engagements im Theater der kriegsführenden Nationen zu spielen, und gleichzeitig auch Bereitschaft dafür zu zeigen, zur Sicherung der eigenen Interessen militärisch einzustehen.

Wer anderes behauptet, dem konnte diese Behauptung Kopf und Kragen kosten – mustergültig durchexerziert am Beispiel des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Dieser hatte sich im Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio erdreistet, eine Wahrheit gelassen auszusprechen: Ein „Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ Kurz gesagt: Krieg führen, damit es der deutschen Wirtschaft gut geht. Für diese einfache Wahrheit schien die bundesdeutsche Öffentlichkeit noch nicht bereit – ein neuer Bundespräsident musste her.

Doch bereits im März 2010 hatte der ehemalige Gebirgsjäger und damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg davon gesprochen, dass Mensch bei dem, was die Bundeswehr in Afghanistan mache, durchaus „umgangssprachlich“ von Krieg reden könne. Und das nachdem sein Amtsvorgänger Franz Josef Jung zurückgetreten war. Grund für den Rücktritt war die Bombardierung zweier Tanklastzüge nahe Kunduz. Auf Befehl von Oberst Klein wurden bei diesem ersten deutschen Kriegsverbrechen seit dem 2. Weltkrieg 142 Zivilisten ermordet.

Vielleicht läuteten nach diesem Tabubruch von zu Guttenberg bei Köhler die Glocken. Vielleicht dachte er sich, wenn jetzt schon der Bundeswehr-Einsatz ein Stückchen weiter ins rechte Licht gerückt werden kann, wieso dann nicht auch gleich den eigentlichen Grund klar und deutlich benennen. Wir werden es nie erfahren. Wessen wir uns aber sicher sein können, ist, dass bei ähnlichen Fauxpas weiterhin Politiker*innen-Köpfe unter das Schafott der öffentlichen Meinung gelegt werden würden. Das Gegenteil kann gerne bewiesen werden: Als Anlässe schlagen wir etwa die Entsendung der Fregatte Bayern ins Südchinesische Meer oder die seit zwei Jahren stattfindenden Defender-Europe-Manöver vor.

Dass aber auch der Kriegsminister zu Guttenberg bald ins Straucheln kam und letztendlich gefallen ist, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Das lag aber nicht an dem feinen Näschen des ehemaligen Elitesoldaten für kriegerische Angelegenheiten. Immerhin kam seine Äußerung nur wenige Tage vor dem sogenannten Karfreitagsgefecht 2010. Diese erste länger anhaltende Kampfhandlung unter deutscher Beteiligung brachte der bundesdeutschen Öffentlichkeit bei, dass Bundeswehrsoldaten nicht nur in der Lage sind, andere zu töten, sondern auch, getötet zu werden. Zu Guttenberg ist darüber gestolpert, weil rauskam, dass er bei seiner Doktorarbeit beschissen hatte. Und ein Kriegsminister, der sich bei Lügen erwischen lässt, ist für den Job nicht zu gebrauchen. Es sei denn, er lügt im Sinne der politischen Propaganda

Aber langer Rede kurzer Sinn: Aus bundesdeutscher Perspektive ging es in Afghanistan nie darum, freedom and democracy nach Afghanistan zu bringen. Spätestens nach der Halbzeit des Einsatzes war klar, dass Entwicklungshilfe, Brunnenbohren und Schulen bauen und all die anderen Elemente dieser Aufstandsbekämpungsstrategie in Afghanistan nicht fruchten würde. Deshalb wurde ab 2014 auch der ISAF-Einsatz beendet und von der Mission Resolute Support abgelöst, die den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte zum Ziel hatte. Im April 2021 wurde bekannt, dass auch dieser Einsatz beendet wird und alle westlichen Truppen bis September abgezogen werden und das Land seinem Schicksal überlassen wird.

Dass durch den Abzug der Truppen kurz- bis mittelfristig die Taliban wieder an die Macht kommen würden, war allen klar. Denn niemand hat ernsthaft damit gerechnet, dass es gelungen wäre, eine Demokratie nach westlichem Vorbild in Afghanistan zu etablieren. Dies zeigen schon die verschiedensten Beispiele aus der Kolonialgeschichte, die bis heute auch all die Geschichten von wirtschaftlicher Unsicherheit, kriegerischen Auseinandersetzungen, von Flucht und Vertreibung prägen. Ein Vorhaben wie in Afghanistan konnte nicht klappen. Und wir unterstellen den verantwortlichen Planer*innen, dass ihnen das auch sehr schnell bewusst gewesen sein muss. Deshalb offenbaren die Bilder der verzweifelten Menschen am Flughafen in Kabul, die in die Besatzer ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben gesetzt haben, die grausame Perfidie des Krieges aufs Neue. Es ging nie um die Interessen der Menschen in Afghanistan, sondern immer nur um die Interessen der verschiedenen Akteure im Theater dieses Krieges. Dass die Grausamkeit der westlichen Akteure nun tatsächlich so weit reicht, dass diese nur unter großem Murren und Bohei dazu bereit sind, Menschen, die während der Besatzungszeit mit ihnen kollaboriert haben, Asyl zu gewähren, ist dennoch erschreckend. Stattdessen droht die derzeitige Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer offen damit, künftige Einsätze in Afghanistan, sollte es sie jemals geben, nur noch aufs Brunnenbauen zu beschränken. Gleichzeitig wird aus dem Entwicklungshilfeministerium versprochen, ihre Unterstützungsleistungen einzustellen. Wer jetzt denkt, wieder an den Anfang des Textes gerutscht zu sein, irrt sich. Wie die Geschichte weiterginge, sollte es tatsächlich soweit kommen wie angedroht, dürfte sich aber dennoch dort nachlesen lassen.

Aus dem Schock der Bilder vom Kabuler Flughafen heraus, ist es nur allzu verständlich, die sofortige Evakuierung aller Menschen zu fordern. Es ist der Ausdruck eines mitmenschlichen Gefühls, nach Möglichkeit andere Menschen aus lebensgefährlichen Situationen zu helfen. Es ist ein Appell an die Vernunft, die das Menschenrecht auf Asyl einräumt. Es ist aber auch ein Ausdruck der Verzweiflung, Forderungen an diejenigen zu richten, die die Misere maßgeblich verursacht haben.

Einzelne Stimmen aus Afghanistan – die der RAWA (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans), der Solidaritätspartei und von Malalai Joya – haben immer gefordert, diese Besatzung sofort wieder zu beenden. Denn eine „Befreiung“ von Taliban und Warlords durch Krieg und Besatzung kann keine Befreiung sein, die ihren Namen verdient. Diese Einschätzung hat sich bewahrheitet. Gleichzeitig haben sie an uns gerichtet appelliert, den Krieg in Afghanistan dort zu beenden, wo er begann: vor unserer Haustür. Dieser Forderung sind wir bis dato nicht nachgekommen, sollten sie aber auch angesichts der Bilder aus Afghanistan nicht vergessen.

Die Grausamkeiten von Krieg, Flucht und Vertreibung lassen sich mittel- und langfristig nicht durch Evakuierungsmaßnahmen lösen. Schon gar nicht, wenn sich die Appelle an diejenigen richten, die die Lage verursacht haben. Einigen wenigen mag dadurch geholfen werden, das Problem als solches wird aber nicht gelöst. Die Kunst besteht darin, nicht so zynisch zu werden wie diejenigen, die für die Misere verantwortlich sind. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass es Dinge gibt, die wir tun können, die über kurzfristige Forderungskataloge hinausreichen.

Denn die Zeit wird kommen, in der Afghanistan nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Vielleicht ist es dann an der Zeit, die Evakuierung der Menschen aus Mali zu fordern. Oder aus Somalia. Oder aus dem Libanon. Oder von irgendwo sonst, wo die Bundeswehr prominent ihren Kriegseinsatz beendet.

Oder wir fassen uns ein Herz und packen das Übel an der Wurzel. Eine bessere Welt für alle ist nur möglich ohne Bundeswehr. Sollte der verschobene Große Zapfenstreich zum Ende des Afghanistaneinsatzes noch nachgeholt werden, sind wir gefordert, dieses widerliche Militärspektakel nicht unkommentiert geschehen zu lassen. Aber auch darüber hinaus sollten wir jede Angriffsfläche nutzen, die sich uns bietet, um der Bundeswehr ein für alle Mal den Garaus zu machen. Vom Werbeplakat an der Bahnhaltestelle über Niederlassungen von Kriegsgewinnlern wie Rüstungsunternehmen, Crossmedia und Castenow bis zu öffentlichen Bundeswehrauftritten in Jobcentern, Schulen und Gelöbnissen.

Quelle: diefreiheitsliebe.de… vom 16. Oktober 2021

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