Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, International

SPD: Opportunismus – Militarismus – Sozialchauvi­nismus – Eskalation

Eingereicht on 15. November 2022 – 9:41

Deutschland ist Kriegspartei, die Parteien der Regierungskoalition sind Kriegsparteien. Sie waren und sind es – in wechselnder Be- und Zusammensetzung auch immer – seit dem Überfall der NATO auf Jugoslawien. Sie sind es erst recht im Ukraine-Konflikt, dem absehbaren Ergebnis der Osterweiterung von EU und NATO. Das war geplant, kalkuliert und wurde realisiert nach dem Motto: Gelegenheit macht Diebe. Wenn dann das Ergebnis in ihren eigenen Reihen Ängste und Befürchtungen laut werden lässt – dann sind sie von der Art, dass ihnen das Erfolgsergebnis vor der Zeit um die Ohren fliegen könnte.

Das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft … Das Verlangen nach Expansionspolitik aber verändert auch die ganze Weltanschauung des Bürgertums. Es hört auf, friedlich und humanitär zu sein. So zieht man denn „besseren Zeiten“ entgegen – anstelle der Reichskriegsflagge und der Hakenkreuzfahne weht nun die 12-SterneFahne der EU als Symbol der deutsch-europäischen „Friedens“ordnung. Die Vorbereitungen der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung auf den Dritten Weltkrieg beschränken sich nicht auf die Aufrüstung der Bundeswehr und die militärische Unterstützung für die Ukraine. Auch die Wirtschafts-, die Außen- und selbst die Klimapolitik werden in den Dienst der Kriegspolitik gestellt.

Opportunismus: Von Merkels „Zäsur“ zur Scholzschen „Zeitenwende“

In seiner Regierungserklärung[1] brachte Bundeskanzler Olaf Scholz gleich in mehreren wichtigen Punkten die letzten kritischen Stimmen innerhalb von SPD und Grünen per Kanzlererklärung zum Schweigen, indem er sich zum Beispiel klar für die bis dahin hochumstrittene Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen oder etwa für die Beschaffung von F-35 Kampfflugzeugen und damit die Beibehaltung an der „Nuklearen Teilhabe“. Völlig zu Recht erhielten allerdings die Passagen, die sich mit der künftigen finanziellen Ausstattung der Bundeswehr beschäftigten, die mit Abstand größte Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang enthielt die Regierungserklärung zwei weitreichende Ankündigungen. Erstens wurde ein hoher Mindestbetrag für den offiziellen Rüstungshaushalt ausgelobt: „Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr (!) als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.

Nicht umsonst war eine solche Größenordnung zwar lange von der NATO gefordert, aber ebenso lange für völlig undenkbar gehalten worden. Denn was hier so beiläufig mit Zahlen im unteren einstelligen Bereich daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Erhöhung der Ausgaben um riesige Milliardenbeträge. Laut Statistik belief sich das deutsche Bruttosozialprodukt im Jahr 2021 auf 3.570 Mrd. Euro. Wäre hierfür bereits die Scholzsche Formel angewandt worden, hätte sich der Militärhaushalt in diesem Jahr statt der tatsächlich eingestellten 46,9 Mrd. Euro also auf mindestens 71,4 Mrd. Euro belaufen müssen.

Obwohl der Militäretat nach der Einigung auf den Bundeshaushalt 2022 am 20. Mai 2022 mit 50,4 Mrd. Euro satte 3,5 Mrd. Euro über dem Vorjahresniveau liegen wird, ist es somit offensichtlich, dass zu den von Kanzler Scholz ausgerufenen 2 Prozent eine erhebliche Lücke klafft. Diese Kluft soll künftig jährlich durch die zweite in der Zeitenwende-Regierungserklärung enthaltene Bundeswehr-Budgetaussage geschlossen werden: „Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen ‚Bundeswehr‘ einrichten. (…) Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.

Das Geld soll in diesem Jahr per Kredit aufgenommen werden, um 2023 wieder die „Schuldenbremse“ einhalten zu können. Obwohl zwischenzeitlich auch über andere Optionen spekuliert worden war, ist das Sondervermögen per Grundgesetzänderung über die Bühne gebracht worden, da es ansonsten rechtlich doch auf sehr wackligen Beinen stehen würde. Und hierfür brauchte es wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Unionsfraktion, die sich – gerade erst von der Regierungsbank geflogen – unversehens gleich wieder in einer Position sah, Forderungen stellen zu können. In den dann anschließenden Verhandlungen um die Ausgestaltung des Sondervermögens pochte die Union vor allem auf zwei Forderungen: Einmal, dass die 100 Mrd. Euro ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen dürften; und zweitens wollte sie das 2-Prozent-Ziel gleich mit ins Grundgesetz als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes mit hineindrücken.

Das Ganze wird nun coloriert mit der Mär, dass es sich hierbei um ein rein reaktives Vorgehen handelt, nach dem Motto: Eigentlich sei man ja für eine Friedenspolitik der Abrüstung, Rüstungskontrolle, zivilen Konfliktlösungen, Entspannung, Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit, aber durch den „russischen Imperialismus“ sei man nun realpolitisch zum Aufbau „militärisch wehrhafter Demokratien“ gezwungen, wie es auch in der Stellungnahme des Deutschen Bundesrates vom 8. April 2022[2] heißt. Der Kabinettsentwurf zur Sondervermögen-Grundgesetzänderung in Artikel 87a liegt bereits seit März 2022 vor. Dort heißt es: „Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 (Schuldenbremse) nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.[3]

Militarismus: Die größte konventionelle Armee innerhalb der EU …

Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung sind bereits im Koalitionsvertrag (November 2021) festgelegt worden, also bereits vor den ersten Warnungen seitens der CIA vor einer möglicherweise bevorstehenden militärischen Operation der Russischen Föderation (RF) in der Ukraine.[4] Schon im Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung zur Anhebung des Rüstungsetats auf mindestens 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf dem Weg zur Erfüllung des Zweiprozentziels der NATO, zu dem sich auch die Vorgängerregierung und Außenminister Heiko Maas (SPD) bekannt hatten, auch ungeachtet der coronabedingten Rezession. Konkret nennt der Koalitionsvertrag der „Ampel“-Regierung die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge und bewaffnungsfähiger Drohnen. Ähnlich verhält es sich mit der faktischen Aufrüstung der Bundeswehr, die 2014 begann und die damals mit der „Krim-Annexion“ durch die RF sowie den Bedrohungen durch den „Islamischen Staat“ (IS) in Irak und Syrien gerechtfertigt wurde.

In seiner Regierungserklärung brachte Kanzler Scholz schließlich gleich in mehreren wichtigen Punkten die letzten kritischen Stimmen innerhalb von SPD und Grünen zum Schweigen, indem er sich zum Beispiel ebenso klar für die bis dahin umstrittene Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen wie für die Beschaffung von F-35 Kampfflugzeugen und damit für die Beibehaltung der „Nuklearen Teilhabe“ aussprach.

Weiter führte er aus: „Die Bundeswehr hat ihre Unterstützung für die östlichen Bündnispartner bereits ausgeweitet und wird das weiter tun. Für dieses wichtige Signal danke ich der Bundesverteidigungsministerin. In Litauen, wo wir den Einsatzverband der NATO führen, haben wir unsere Truppe aufgestockt. Unseren Einsatz beim Air Policing in Rumänien haben wir verlängert und ausgeweitet. Wir wollen uns am Aufbau einer neuen NATO-Einheit in der Slowakei beteiligen. Unsere Marine hilft mit zusätzlichen Schiffen bei der Sicherung von Nord- und Ostsee und im Mittelmeer. Und wir sind bereit, uns mit Luftabwehrraketen auch an der Verteidigung des Luftraumes unserer Alliierten in Osteuropa zu beteiligen.[5]

Deutschland wird in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO verfügen“, sagte Scholz den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgemeinschaft sowie Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Damit werde die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten „maßgeblich gestärkt“.[6]

Und was ist aus der in der SPD so heftig geführten Debatte um die „Nukleare Teilhabe“ Deutschlands letztendlich geworden? Im Mai 2020 sorgte ein Vorstoß aus der SPD-Spitze für eine Beendigung der Stationierung von US-Atomwaffen im Rahmen der sog. Nuklearen Teilhabe Deutschlands – ein Abschreckungskonzept der NATO – für große Aufregung. Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte zuvor dem Tagesspiegel in einem Interview gesagt: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil.“ Es sei daher an der Zeit, „dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt“. Mützenich verwies auch auf US-Präsident Donald Trump: „Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann.“ Praktisch zeitgleich stellte der SPD-Kovorsitzende Norbert Walter-Borjans die „nukleare Teilhabe“ insgesamt in Frage. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schrieb er: „Ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen.“ Deshalb lehne er es ab, „Nachfolger für die Kampfflugzeuge zu beschaffen, die für den Einsatz als Atombomber vorgesehen sind“.[7] Dem Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2021 war noch zu entnehmen gewesen: „Eine Welt ohne Atomwaffen ist und bleibt das Ziel sozialdemokratischer Außenpolitik. (…) Wir brauchen reale Abrüstungsschritte. (…) Auch setzen wir uns ein für den Beginn von Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur verifizierbaren, vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich mit dem Ziel, die in Europa und in Deutschland stationierten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten.“ Im für die kommenden vier Jahre ausgehandelten Koalitionsvertrag – unter dem Leitspruch „Mehr Fortschritt wagen“ –hieß es dann: „Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.[8]

Der große Schlagabtausch unter den Imperialisten ist weder führbar noch gewinnbar ohne die atomare Option. Mit der Befürwortung der Atomaren Beteiligung durch die Ampel-Koalition steht die Tür wieder offen für die erneute Forderung nach einer eigenständigen Atommacht Europa. Den Anfang hatte am 24. Mai Thorsten Frei, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gemacht. Frei ließ sich in einem Namensartikel in der FAZ über den Ukraine-Krieg („niemand vermag zu sagen, welche Ausmaße er noch annimmt“) und über einen etwaigen US-Wahlsieg von Trump im Jahr 2024 („Frönt der Populist dann wieder dem Isolationismus?“) aus, bevor er zum Kern der Sache kam: „Europa muss eine Antwort auf die Frage finden, wie es sich notfalls auch ohne den großen Verbündeten behaupten kann.“ „Den eigentlichen Schutz“, behauptete der CDU-Abgeordnete, „bietet letztlich nur die nukleare Abschreckung“. Weiter: „Die Europäer“ müssten sich daher nun „ernsthaft fragen“, ob ihre „bisherige nukleare Teilhabe auf eine eigenständige europäische Ebene gehoben werden kann“.

Die am nächsten liegende Lösung sei, „die Europäisierung der französischen Atomstreitmacht“. Diese müsse einem „eigenständige(n) Entscheidungsgremium“ der EU unterstellt werden – „in die Verantwortung eines Europäischen Sicherheitsrates“ etwa. „Sollte Frankreich dazu nicht bereit sein“, fuhr Frei fort – und in der Tat war Frankreich nie bereit, die Verfügungsgewalt über eine zentrale Säule seiner Abschreckung freiwillig aufzugeben –, dann „müssten die EU-Mitgliedstaaten selbst über den Aufbau eines atomaren Schutzschirms nachdenken“.[9]

Deutschland ist heute genauso wenig eine „Friedensmacht“ wie am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Die herrschende Klasse nutzt den von der NATO provozierten Ukraine-Krieg, um lang gehegte Aufrüstungs- und Expansionspläne in die Tat umzusetzen. Dafür soll auch die beschönigende Rhetorik der Groko von Militäreinsätzen als letztes Mittel der Außenpolitik über Bord geworfen werden. Der SPD-Kovorsitzende Lars Klingbeil gab am 21. Juni auf einer „Zeitenwende“-Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin die Parole aus: „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.“ Friedenspolitik bedeute, „auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“. Und weiter: „Nicht das Reden über Krieg führt zum Krieg. Das Verschließen der Augen vor der Realität führt zum Krieg.“ Vor 5 Jahren nannte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) deutsche Aufrüstung „völlig idiotisch“ und warnte, dass ein „Militärbulle“ mitten in Europa entsteht. Klingbeil schmückt jetzt das Vieh, dem nicht nur die SPD-Herzen zufliegen sollen.[10]

Sozialchauvinismus: Fortsetzung der Agenda-Politik

Gemeinhin werden sinkende Sozialausgaben und steigende Ausgaben für Waffensysteme und die fortschreitende Militarisierung ziviler Bereiche (THW, Transportwesen und Klinikorganisation) unmittelbar ins Verhältnis zueinander gesetzt. Das erscheint einleuchtend, ist doch der gesellschaftliche Nutzen eines Kindergartens im Verhältnis zu einem Leopard-Kampfpanzer für jeden erkennbar. Dabei geht die Wahrnehmung staatlicher Ausgaben- und Verschuldungspolitik über das Allzuoffensichtliche nicht hinaus. Dazu muss nämlich auch alles hinzugezählt werden, was dem bürgerlichen Staat zugunsten der herrschenden Klasse – den Finanzoligarchen und ihrer Herrschaftselite – „entgeht“. Verminderte Steuersätze, Steuerprivilegien, Steuerhinterziehung, Subventionen und „Lobbyismus, Kapitalflucht und andere „Freiheiten“ – da wird der Rüstungsetat als Teil des Gesamtproblems erkennbar. Es ist also das monopolkapitalistische Gesamtsystem, das uns den Lebensfaden regelrecht abschneidet. In diesem Zusammenhang offenbart der fortschreitende Sozialabbau erst seine ganze Brutalität.

Angesichts wirkungsloser Sofortmaßnahmen macht sich nicht nur in der Ampel-Koalition Unruhe breit. 8,2 Prozent mehr war die Lohnforderung in der Eisen- und Stahlindustrie vor dem Abschluss, wobei viele Vertrauenskörper und Belegschaften sogar eine zweistellige Tarifforderung aufgestellt hatten. Die Diskussion um einen Lohnnachschlag – ergänzend zu den tariflichen Forderungen – war ebenfalls Thema in den Betrieben. „Konzertierte Aktion – Scholz“ Rückgriff[11] auf die Politik der Großen Koalition in den 1960er Jahren soll die Rettung bringen. Mindestens 10 – 15 Prozent beträgt die reale Inflationsentwicklung bezogen auf die Einkommen von Arbeiterfamilien, Rentnern, Hartz-IV-Empfängern.[12]

Konzertierte Aktion – ja wie das denn? Die Preisentwicklung fällt also vom Himmel und Arbeiter und Kapitalisten „gemeinsam“ sollen mit ihr „umgehen“. Tatsächlich nutzen etwa die Energiemonopole die Ukraine-Krise schamlos aus, um mit Monopolpreisen satte Extraprofite zu scheffeln. In der Generaldebatte des Bundestages zur Haushaltspolitik Anfang Juni sprach Scholz sogar von der „Lohnpolitik als Treiber der Inflation“ – und forderte das Abrücken von „überzogenen Forderungen“ und wärmte die Mär von der Lohn-Preisspirale auf.

Wenn ab 2023 die „Schuldenbremse“ wieder gilt, sind schwerwiegende Verteilungskonflikte programmiert. Das wird sich auch in der Regierungskoalition zuspitzen, wenn etwa der Bundeskanzler sein Versprechen halten will, das Rentenniveau von 48 Prozent zu bewahren, d. h. nicht noch mehr Altersarmut als schon bisher zu zulassen, während aber der Bundesfinanzminister versprochen hat, die „Schuldenbremse“ durchzusetzen. Diejenigen Kräfte, denen in der Regierung und in der Opposition, der Sozialstaat schon immer ein Dorn im Auge war, d. h. der FDP, der CDU/CSU unter Friedrich Merz und den Rechtslibertären in der AfD, wird diese Situation zupass kommen. Mit Christian Lindner hat der schwarz-braune Bürgerblock einen Verbündeten im Amt des Bundesfinanzministers, und dessen Berater Lars Feld hat bereits betont, dass man wegen des „Sondervermögens“ „das ein oder andere in der Legislaturperiode … nicht realisieren“ könne. Ganz explizit nannte Feld das Rentenniveau und andere „strukturelle Mehrausgaben im Sozialbereich“. Die jetzt stattfindende Verschuldung sei in den nächsten anderthalb Jahrzehnten „abzutragen“.[13] Diejenigen, für die das Geld angesichts explodierender Miet-, Energie- und Lebensmittelpreise heute schon am Monatsende nicht reicht, können sich aber die in Folge des „Sondervermögens“ kommende Sozialabbaupolitik genauso wenig leisten, wie die Klimakrise keine Pause einlegt, bloß weil die Logik des Militärischen heute alles dominiert.

… und die Gewerkschaften?

Am 7./8. Mai fand in Berlin der 22. Ordentliche DGB-Bundeskongress statt. Yasmin Fahimi, SPD-Mitglied, Bundestagsabgeordnete und Partnerin des Vorsitzenden der IG BCE, Vassiliadis, wird auf dem DGB Kongress in Berlin mit überwältigender Mehrheit als Nachfolgerin von Rainer Hoffmann gewählt.

Die Aussage in ihrer Antrittsrede, dem Aufrüstungsprogramm der neuen Bundesregierung „kritisch“ gegenüberzustehen, ist nicht mehr als ein unverbindliches Lippenbekenntnis, um den „linken“ Apparat zufrieden zu stellen und zugleich der Regierung zu signalisieren, dass daraus nichts folgt. Die Zustimmung der neuen Vorsitzenden zu Waffenlieferungen in die Ukraine bezeugt hingegen, dass sich unter Fahimi kein Kurswechsel oder gar Kampf gegen die kommenden Angriffe auf die sozialen und Arbeitsbedingungen anbahnt. Das Gegenteil ist zu erwarten. Beschlüsse, die es im DGB und seinen Einzelgewerkschaften gegen Waffenlieferungen in Krisenregionen und gegen die Aufrüstung der Bundeswehr gibt, werden von ihr kurzerhand über Bord geworfen, mit dem Argument, „dass diese Zeit neue Antworten braucht“[14] und biedert sich gerade dem Kriegs- und Aufrüstungskurs der Ampel-Koalition an!

Damit die Kröte leichter geschluckt wird, darf es an markigen Worten nicht fehlen. So heißt es gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Wir wollen einen grundlegenden Umbau unserer Wirtschaft … Nötig seien Gemeinwohlorientierung und gute Daseinsvorsorge“ und „mehr soziale Rechte.“ „Ganze Familien säßen in Armutsfallen fest…“ „Ohne diese sozialen Rechte bleiben viel zu viele Menschen Bittsteller.“ Außerdem fordert sie eine „dynamische Investitionsstrategie der öffentlichen Haushalte“. Scholz wisse, dass er „keinen Schmusekurs“ kriege.

Am Ende der Metall-Tarifrunde hat man sich in der „Mitte“ getroffen. Die IG Metall forderte 8,2 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Der Arbeitgeberverband Stahl (AGV Stahl) hatte zuletzt 4,7 Prozent bei einer Laufzeit von 21 Monaten angeboten. Ab August sollen die Löhne und Gehälter nun um 6,5 Prozent steigen, wie die Tarifpartner am Mittwoch morgen in Düsseldorf mitteilten. Der Vertrag läuft 18 Monate und beginnt im Juni. Für die ersten zwei Monate bekommen die Beschäftigten insgesamt 500 Euro als Einmalzahlung, Auszubildende 200 Euro.

Schon im Vorfeld der Tarifrunde hatte die IG Metall erklärt, dass die laufenden und kommenden Tarifverhandlungen nicht dazu da seien, einen Inflationsausgleich zu schaffen. „Exorbitante Inflationsraten sind nicht durch Tarifpolitik auszugleichen,“ sagte Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg und Verhandlungsführer der Gewerkschaft für Pilotabschlüsse. Denn die hohen Teuerungsraten seien das Ergebnis von politischen Entscheidungen und müssten daher von „der Politik“ korrigiert werden.

Bisher hatten die Gewerkschaften immer erklärt, die Lohngestaltung sei ausschließlich Aufgabe der Tarifpartner, die Regierung habe da keine Vorgaben zu machen. Inflation plus Produktivitätszuwachs dienten als Faustformel zur Berechnung der Lohnforderung. Jetzt, wo nach ständiger Kurzarbeit die Preissteigerungen existenzbedrohend werden, soll das nicht mehr der Fall sein! Mit anderen Worten: Die IG Metall geht mit dem erklärten Ziel in die Tarifrunde, die Reallöhne zu senken

Vor wenigen Wochen unterschrieb Zitzelsberger im Namen der IG Metall eine gemeinsame Erklärung mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall, die die „geschlossene und entschlossene“ Reaktion Deutschlands, Europas und seiner Verbündeten auf die „militärische Aggression Russlands“ gegen die Ukraine begrüßte. „Wir unterstützen die beschlossenen Maßnahmen,“ betonten beide Verbände. Zitzelsberger und Arbeitgeberpräsident Porth ließen keinen Zweifel daran, dass damit auch die dramatische Erhöhung der Militärausgaben gemeint war. Ausdrücklich begrüßten sie die Sanktionen gegen Russland, trotz ihrer schlimmen Auswirkungen auf die Bevölkerung in Russland und hier. „Diese Maßnahmen werden uns allen Opfer abverlangen,“ hieß es in der Erklärung.[15]

Die Gewerkschaft Verdi – die Pflegekräften, Erziehern und Lehrern Nullrunden und Reallohnsenkungen verordnet hat – hat in einem aktuellen Statement die „nachhaltige Verbesserung der Bundeswehr“ und eine „Verbesserung der Cybersicherheit“ der Streitkräfte gefordert. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB verlangte zuletzt einen „substanziellen Beitrag“ Deutschlands zur militärischen Stärke von NATO und EU.

Als Handlanger der Regierung zwingt so die rechte Gewerkschaftsführung uns, die Waffenlieferungen an die Ukraine, den NATO-Krieg gegen Russland und die gigantische militärische Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren

Gegen die Eskalation: Welchen Frieden brauchen wir?

Erneut strebt der deutsche Imperialismus danach, Europa unter seine Vorherrschaft zu bringen und sich zu einer führenden militärischen Weltmacht aufzuschwingen. „Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen“, lautete bereits 2014 der Titel eines Beitrags auf einer offiziellen Website des Auswärtigen Amts. Nun sollen diese Pläne in die Tat umgesetzt werden mit allen Konsequenzen.

Wiederum übernimmt die rechte Führung der SPD und der von ihr kontrollierten Gewerkschaften des DGB die Aufgabe, die Arbeiterklasse zu „befrieden“, Widerstand zu paralysieren, Demoralisierung und Disziplinierung voranzutreiben.

Wir stellen fest:

– die 100 Milliarden werden nicht für unsere Interessen genutzt, sondern dafür, dass die Bundeswehr im Ausland Handelswege, Absatzmärkte, Ressourcen und Einflussgebiete im Sinne deutscher Unternehmen sichert.

– die 100 Milliarden sollen Deutschland für zukünftige Kriege rüsten – Kriege, in denen wir Kinder und Jugendliche verheizt werden.

– die 100 Milliarden Euro und die Waffenlieferungen an die Ukraine werden nicht zur Deeskalation beitragen, sondern die Eskalationsspirale noch weiter ankurbeln.

– die 100 Milliarden Euro werden uns fehlen – für die Renovierung maroder Schulgebäude, für mehr Lehrerinnen und Lehrer und mehr Dozentinnen und Dozenten an Schulen und Universitäten, für zivile Ausbildungsplätze, für Schwimmbäder und Jugendzentren, für ein gutes Gesundheitssystem mit ausreichend Personal.

– die 100 Milliarden Euro gehen mit einer enormen Militarisierung der Gesellschaft einher. Werbung für den Krieg, Bundeswehrsoldaten in Schulen und Gesundheitsämtern sind heute schon Normalität. Die Zukunftsangst von uns Jugendlichen wird ausgenutzt, um zur Bundeswehr zu locken.

Fraktion Ausrichtung Kommunismus, AG Antimilitarismus

Stand: 23.06.22

1 Die vollständige Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz siehe: olaf-scholz.spd.de/aktuelles/interviews-reden/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz/

2 Deutscher Bundestag 20. Wahlperiode, Drucksache 20/1409, S. 11.

3 FAZ,15.3.2022.

4 Axel Gehring u. Ingar Solty: „War is Peace“, in: LuXemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Januar 2022, Link: zeitschrift-luxemburg.de/artikel/war-is-peace/

5 Zitate jeweils aus: olaf-scholz.spd.de/aktuelles/interviews-reden/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz.

6 Spiegel.de, 31.05.2022.

7 Alle Zitate nach jW vom 09.05.2020.

8 Atomwaffen in Deutschland – ein Nachtrag, Das Blättchen Nr. 25, 06.12.2021.

9 jW 14.06.2022. Siehe auch: www.german-foreign-policy.com/news/detail/8931, 25.05.2022.

10 Alle Zitate siehe jW 22.06.2022.

11 tagesschau.de 01.06.2022.

12 expressTV 2610.2021.

13 ZDF-Heute-Journal 23.05.2022.

14 sueddeutsche.de 9.5.2022,,

15 Vgl.: zeit.de 23.05.2022, tagesspiegel.de 14.06.2022, jW 16.06.20022.

#Bild: Deutsche Friedenstaube für die ukraine. Quelle: kaz-online.de…

Quelle: kaz-online.de… vom 15. November 2022

Tags: , , , , , , ,