Der historische Hintergrund des US-Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine
Andre Damon. Mit dem Krieg in der Ukraine ist die nukleare Vernichtung der Welt näher gerückt als je zuvor seit der Kubakrise 1962.
Erst vor zwei Monaten warnte US-Präsident Joe Biden, dass der Krieg in einem „Armageddon“ enden könnte. Damit meinte er einen umfassenden atomaren Schlagabtausch zwischen den Vereinigten Staaten und Russland.
Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine wurden bereits 200.000 Menschen getötet oder schwer verletzt. Während die Kämpfe immer gewaltsamer und brutaler geführt werden und immer mehr Zivilisten und Soldaten – sowohl Ukrainer als auch Russen – ihr Leben lassen müssen, weiten die USA den Konflikt unerbittlich aus und ignorieren dessen potenzielle Folgen.
Der amerikanische Imperialismus, der diesen Krieg provoziert und angezettelt hat und ihn nun in die Länge zieht, hält ein „Armageddon“ für ein akzeptables Risiko und setzt damit den Fortbestand der menschlichen Zivilisation aufs Spiel.
Jedes Mal, wenn die Vereinigten Staaten bestimmte Maßnahmen in der Ukraine in Worten ausschlossen, schritten sie anschließend zur Tat.
So erklärte Biden im Mai: „Die Vorstellung, dass wir offensives Gerät schicken und Flugzeuge, Panzer und Züge mit amerikanischen Piloten und amerikanischer Besatzung einsetzen, nennt man Dritter Weltkrieg.“
Und doch haben die USA nicht nur gepanzerte Fahrzeuge, Drohnen und Langstreckenraketen in die Ukraine geschickt, sondern auch die Besatzungen geschult, die sie bedienen, und deren Einsatz gelenkt. Im November bestätigte das Pentagon, dass sich in der Ukraine amerikanisches Militärpersonal im aktiven Dienst befindet und im ganzen Land unterwegs ist, um die Verteilung und den Einsatz der von den Vereinigten Staaten bereitgestellten Waffen zu überwachen.
In einem Leitartikel mit dem Titel „Was Amerika in der Ukraine tun wird und was nicht“ wurde Biden mit folgenden Worten zitiert: „Weder ermutigen wir die Ukraine noch ermöglichen ihr es, jenseits ihrer Grenzen zuzuschlagen“.
Doch genau das hat Washington getan: Es hat dem ukrainischen Militär gezielt Informationen, Waffen und logistische Unterstützung zur Verfügung gestellt, die es dem Land ermöglichten, zunächst russische Militäreinrichtungen auf der Krim und dann auf dem russischen Festland anzugreifen.
Jede Erklärung, die das Weiße Haus über den Krieg veröffentlicht, strotzt vor Widersprüchen.
US-Regierungsvertreter erklärten der Öffentlichkeit, Russlands „unprovozierte“ Invasion markiere einen unwiderruflichen Bruch mit der Welt, wie sie vor 2022 bestanden habe. Die russische Invasion in die Ukraine, erklärte Biden im März, habe einen „Kampf … zwischen einer regelbasierten und einer von roher Gewalt beherrschten Welt“ ausgelöst.
Was für eine unglaubliche Heuchelei!
Die Cheerleader des amerikanischen Kapitalismus erklärten, die Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 sowie die Marktreformen in China würden ewigen Frieden und eine sogenannte „Friedensdividende“ bringen und das „Ende der Geschichte“ einläuten.
In Wirklichkeit reagierte der US-Imperialismus auf die Auflösung der UdSSR mit einem weltweiten Blutbad und versuchte durch die Beherrschung der ehemaligen Kolonialländer globale Hegemonie zu erlangen.
Im Jahr 1991 marschierten die Vereinigten Staaten in den Irak ein. 1999 bombardierten sie Jugoslawien, 2002 fielen sie in Afghanistan ein und 2003 in den Irak, 2011 zerstörten sie Libyen und zettelten noch im selben Jahr den Krieg in Syrien an. Das Wall Street Journal schrieb 2003, das Motto dieser Kriege laute: „Gewalt wirkt.“
Seit Beginn des Kalten Kriegs waren es die Vereinigten Staaten, die mit Abstand in die meisten Länder der Welt einmarschiert sind. Sie stationierten ihre Truppen oder führten Putsche oder Operationen zu deren Destabilisierung aus.
Die Verbrechen des US-Imperialismus wurden besonders durch den Vietnamkrieg deutlich, bei dem über eine Millionen Menschen ums Leben kamen. Systematisch verübten amerikanische Truppen Massenmorde an Zivilisten; darunter das berüchtigte Massaker von My Lai, bei dem nicht weniger als 504 unbewaffnete Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge getötet wurden.
Die Invasion des Irak im Jahr 2003, die ausschließlich auf Lügen beruhte, zerstörte eine ganze Gesellschaft und führte zum Tod von Hunderttausenden Menschen. Die Folterfotos aus Abu Ghraib offenbarten die Kriminalität der amerikanischen Besatzer und entlarvten die grausame Realität, in der systematische Folter durch das US-Militär zur Staatspolitik wurde.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet nicht die Negierung der amerikanischen Verbrechen in Vietnam, Afghanistan und im Irak, sondern deren Fortsetzung.
Schließlich war es der Kriegsverbrecher George W. Bush – der Urheber des Irak-Kriegs –, der 2004 Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowenien in der Nato willkommen hieß und 2008 erklärte: „Es ist in unserem Interesse, dass die Ukraine der Nato beitritt.“
Seitdem arbeiten die Vereinigten Staaten daran, die Ziele Bushs umzusetzen. Dafür inszenierten sie den Sturz der ukrainischen Regierung im Jahr 2014, brachten anschließend Waffen im Wert von Milliarden Dollar in die Ukraine, bildeten ihr Militär nach Nato-Standards aus und erklärten de facto ihre Unterstützung für das Ziel der Selenskyj-Regierung, die Krim mit militärischer Gewalt zurückzuerobern.
Der Krieg in der Ukraine ist das Ergebnis der systematischen Bemühungen der Vereinigten Staaten, Russland militärisch einzukreisen und es an seinen Grenzen in Stellvertreterkriege zu verwickeln. Putin antwortete auf die Provokationen des US-Imperialismus mit einem reaktionären Überfall auf die Ukraine und tat damit genau das, was sich die Imperialisten erhofft hatten: Er tappte in die Falle, die die USA jahrelang vorbereitet hatten.
In der medialen Berichterstattung über den Krieg findet diese Vorgeschichte keine Erwähnung. Vielmehr wird das Drehbuch, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verwendet wurde, wieder hervorgeholt: Im Interesse einer entschlossenen Reaktion auf eine unvorstellbare Gräueltat ist kein Platz für historische Analysen, Vernunft und kritisches Denken. Die Taten des „Bösewichts der Stunde“ rechtfertigen jede Reaktion der USA.
Doch genau wie bei den Kriegen, die auf den 11. September 2001 folgten und mit zynischen Lügen und Medienpropaganda vorbereitet wurden, sind auch die Eskalation des Kriegs der USA mit Russland sowie die Kriegspläne gegen China jahrelang vorbereitet worden.
In amerikanischen Militärdokumenten, die selbstverständlich öffentlich nicht diskutiert werden, wird der Krieg als Mittel gerechtfertigt, amerikanische „Interessen“ in einem von zunehmender Konkurrenz geprägten globalen Umfeld durchzusetzen, in dem die Hegemonie der USA durch das Wirtschaftswachstum Chinas bedroht ist.
Der Krieg, erklärt das Pentagon, sei unerlässlich, um die Interessen des amerikanischen Kapitalismus zu verteidigen.
In einem Dokument zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA heißt es, die 2020er Jahre seien ein „entscheidendes Jahrzehnt für Amerika und die Welt“, in dem „die Bedingungen für den geopolitischen Wettbewerb zwischen den Großmächten festgelegt werden“.
Amerikanische Militärstrategen erklären, wir seien in ein Zeitalter des „Großmachtkonflikts“ eingetreten. Es handle sich um eine Periode, die sich – in den Worten der Nato – durch „hochintensive dimensionsübergreifende Kriegsführung gegen gleichwertige Wettbewerber, die Kernwaffen besitzen“ auszeichnet.
Seit Jahren sind US-Militärstrategen dabei, „Armageddon neu zu denken“, um Szenarien zu entwickeln, in denen Atomwaffen tatsächlich zum Einsatz kommen würden. Sie erklären weiter, die Welt sei in das „zweite nukleare Zeitalter“ eingetreten, in dem der Einsatz von Atomwaffen nicht mehr undenkbar sei.
Um diese Kriege führen zu können, modernisieren die Vereinigten Staaten ihre Nuklearwaffensysteme von Grund auf. Der B21-Bomber, der diesen Monat mit viel medialem Getöse vorgestellt wurde, ist nur eine Komponente davon.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, inmitten der Trümmer von Nürnberg, geißelte der amerikanische Verfassungsrichter Robert Jackson in seiner Eröffnungsrede zu den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher „die größte Bedrohung unserer Zeit – Angriffskriege“.
Jackson verurteilte die Nazis, Wirtschaftsvertreter und Generäle, die die Eroberung Europas durch Deutschland geplant hatten, und ächtete die „erbitterten Nationalismen und den Militarismus, die Intrigen und Kriegsführung, in die Europa von Generation zu Generation verstrickt ist“. Jackson erklärte, die „Zivilisation kann sich keinen Kompromiss leisten“ mit „diesen sozialen Kräften“.
Die Erfahrungen des 20. und 21. Jahrhunderts zeigen, dass die „sozialen Kräfte“, die zum Krieg führen, nur durch die Mobilisierung der entgegengesetzten „sozialen Kräfte“ bekämpft werden können.
Die großen Marxisten des 20. Jahrhunderts, allen voran Wladimir Lenin und Leo Trotzki, verstanden den imperialistischen Krieg als einen Ausdruck der Herrschaft des räuberischen Finanzkapitals über die Gesellschaft. Krieg und Kapitalismus sind untrennbar miteinander verbunden.
Das Kriegstreiben des amerikanischen Imperialismus wird von einem Frontalangriff auf die gesellschaftliche Stellung der Arbeiter in den Vereinigten Staaten und weltweit flankiert. Doch Arbeiter antworten auf die drastischen Sparmaßnahmen und die soziale Konterrevolution mit einer globalen Streikwelle.
Jugendliche müssen sich in ihrem Kampf für die Zukunft an dieser Massenbewegung der Arbeiterklasse orientieren und sich ihr anschließen.
Die Kriegstreiber im Pentagon behaupten, wir befänden uns im „entscheidenden Jahrzehnt“, um die Vorherrschaft des amerikanischen Kapitalismus sowohl innen- als auch außenpolitisch zu sichern.
Für Arbeiter wird dieses Jahrzehnt aus einem anderen Grund entscheidend sein. Die World Socialist Web Site begrüßte das Jahr 2020 mit den Worten, dass das „Jahrzehnt der sozialistischen Weltrevolution“ angebrochen ist.
Dieselben Bedingungen, die zu imperialistischen Kriegen führen, schaffen auch die Grundlage für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft. Die endgültige Abschaffung des Kriegs setzt die endgültige Abschaffung des Kapitalismus voraus. Es ist unsere Generation, der diese bedeutsame Aufgabe zufällt.
Wir müssen die Warnung Albert Einsteins ernst nehmen: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der IV. Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen ausgetragen.“
Einstein hatte recht. Es gibt keine Garantie für das Überleben der Menschheit. Wenn junge Menschen eine Zukunft haben wollen, müssen sie dafür kämpfen.
Quelle: wsws.org… vom 16. Dezember 2022
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitswelt, Imperialismus, Neoliberalismus, Politische Ökonomie, Russland, Strategie, USA
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