DiEM25 und Varoufakis: Der Linksreformismus formiert sich neu
Stefan Schneider. Am Dienstag stellte der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in der Berliner Volksbühne sein Projekt „Democracy in Europe Movement 2025“ (DiEM25) vor. Sein Vorschlag: die EU zu demokratisieren. Ihn unterstützen prominente Intellektuelle, europäische Linksreformist*innen – und Blockupy. Doch das Projekt ist die Fortsetzung einer unhaltbaren Illusion.
„V for Varoufakis“ ist zurück: Der desaströs gescheiterte Politiker tourt seit Wochen quer durch Europa, um für eine neue „paneuropäische“ Bewegung zu werben: „Democracy in Europe Movement 2025“. Das Ziel: eine Alternative zur „undemokratischen“ EU zu entwickeln, die gleichzeitig nicht den Rückfall in nationalstaatliche Grenzen bedeute.
Am Dienstag wurde DiEM25 dann in der geschichtsträchtigen Volksbühne in Berlin offiziell ausgerufen. Vor ausverkauftem Saal und mit tausenden Zuschauer*innen im Livestream gaben sich große Namen des europäischen Linksreformismus und anerkannte Intellektuelle die Klinke in die Hand, um Varoufakis und sein DiEM25-Manifest zu unterstützen: Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping, Ex-Mitglied der Hollande-Regierung Cécile Duflot, Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau und Miguel Urbán aus dem Spanischen Staat, bis hin zu Wikileaks-Gründer Julian Assange und dem ex-linken Philosophen Slavoj Žižek – sie alle waren dabei. Auch Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, unterstützte Varoufakis‘ Vorschlag der Demokratisierung der EU. Weitere Intellektuelle wie Toni Negri unterschrieben Varoufakis‘ Manifest.
Auch Blockupy ist mit dabei
Auf dem Podium vertreten war auch Anna Stiede als Repräsentantin des linken Blockupy-Netzwerks. Wenige Tage zuvor besuchte Varoufakis auch bei dem Blockupy-Ratschlag in Berlin. Die Kooperation ist kein Wunder: Schon während seiner Zeit als Finanzminister unter Alexis Tsipras wurde Varoufakis von vielen europäischen Linken bis hin in die radikale Linke hinein gefeiert. Das Image des Rebells, des Widerständlers gegen die Troika haftet ihm an: Von einigen als „unvernünftig“ gebrandmarkt, gefiel vielen Linken vor allem seine angebliche Prinzipienfestigkeit gegen die Erpressung durch Schäuble und Co.. Er trat als Finanzminister zurück, bevor die Syriza-Regierung das dritte Memorandum unterzeichnete – so musste er, anders als Tsipras jetzt, nicht die Konsequenzen aus den Verhandlungen mit der Troika tragen. Doch seine Rolle beim Kniefall der einstigen „Anti-Austeritäts-Regierung“ vor dem deutschen Imperialismus war zentral.
Eine ehrliche Bilanz seiner eigenen Politik in der Regierung legte er jedoch nie ab. Ungeachtet dessen trat Blockupy in Dialog mit dem Ex-Finanzminister. Stiedes Rede stellte zwar keine offizielle Unterstützung für Varoufakis‘ Bewegung dar – eine Absage war sie jedoch auch nicht. Die Blockupy-Rede handelte von „Selbstorganisierung gegen Austerität und Autorität“, von Ungehorsam und vom Kampf auf der Straße – alles Dinge, für die Varoufakis und seine Verbündeten nicht stehen. Doch Stiede behandelt DiEM25 als strategischen Verbündeten, eben auf anderen Ebenen des gleichen politischen Kampfes für „Demokratisierung“.
Aber was ist das überhaupt für eine „Demokratisierung“, die die ganze Zeit beschworen wird?
Plan A reloaded und der Aufstieg der extremen Rechten
Offiziell setzt sich Varoufakis von Syrizas Kapitulation ab – es sei falsch gewesen, sich den Diktaten der Troika zu unterwerfen. Zwischenzeitlich hatte Varoufakis sich dann an den Debatten um einen „Plan B“ beteiligt, doch inzwischen verweigert er sich der Vorstellung einer „Renationalisiserung“ der Währungen, wie es andere Linksreformist*innen von Jean-Luc Mélenchon bis Costas Lapavitsas vorschlagen. Varoufakis argumentiert für eine angeblich dritte Option: weder Unterwerfung unter die EU-Bürokratie noch Rückkehr zum Nationalstaat, sondern die „radikale Demokratisierung der EU“.
Was wie ein „Plan C“ klingt, ist jedoch nichts weiter als eine neue Variante des „Plan A“ von Tsipras. Die Europäische Union des Kapitals bleibt der einzige politische Horizont, unter dem eine progressive Politik möglich sei – hinter dieser angeblich unhinterfragbaren Einsicht steckt ein Zynismus, der die bisherige Unfähigkeit der europäischen Linken, eine radikale Alternative zum Europa des Kapitals zu denken, in den Sachzwang der EU-Institutionen drängt.
Besonders perfide ist dabei, dass dieser Sachzwang sich gerade als das Gegenteil ausgibt: eine angeblich „radikale Utopie“ gegen die „schreckliche Dystopie“ der einzig vorstellbaren Alternative: dem Aufstieg der extremen Rechten.
Das Motto von DiEM25 lautet dementsprechend: „Die EU wird entweder demokratisch sein, oder sie wird zerfallen!“ Diese Losung ist jedoch vor allem das Eingeständnis einer Niederlage: Die aktuelle kapitalistische Krise und die politische Rechtsentwicklung im Kontext der Migrationskrise stehen einem Unvermögen gegenüber, eine linke Alternative zu präsentieren.
Blockupy macht auf die Notwendigkeit aufmerksam, eine Mobilisierung auf den Straßen gegen das europäische Krisenregime zu organisieren. Doch der Schulterschluss mit Varoufakis ist kein Schritt in die Richtung, sondern eher in die entgegengesetzte. Denn Varoufakis und DiEM25 wollen die Institutionen des Kapitals nicht angreifen, sondern setzten auf „Transparenz“ und die existierenden europäischen Verträge. Eine Widerstandsbewegung sieht anders aus.
Ein bescheidenes Manifest ohne Antwort auf die drängenden Probleme der Massen
Varoufakis akzeptiert in typischer Sachzwangmanier den Rahmen der EU und will ihn „demokratisieren“. Das Manifest seiner „Bewegung“ analysiert, dass es falsch sei, zwischen der Akzeptanz der EU-Bürokratie und der Rückkehr zu rein nationalstaatlichen Regelungen wählen zu müssen.
Die Verantwortlichen für die aktuellen Probleme in der EU, die DiEM25 identifiziert, bestehen aus einer „Verschwörung kurzsichtiger Politiker, ökonomisch naiver Beamter und in Finanzdingen inkompetenter ‚Experten’“, die „sich sklavisch den Beschlüssen der Finanz- und Industriekonzerne“ unterwerfen. „Stolze Völker werden gegeneinander aufgestachelt. Nationalismus, Extremismus und Rassismus erwachen wieder.“
Für Varoufakis ist die EU „ein böser Betrug“ – eine Verschwörung der EU-Bürokratie gegen die demokratischen Bestrebungen der Menschen in Europa. Dabei hätte es nicht so kommen müssen. Laut dem DiEM25-Manifest war der ursprüngliche Geist der EU ein ganz anderer: „In den Nachkriegsjahrzehnten, in denen die EU erbaut wurde, wurden nationale Kulturen in einem Geist des Internationalismus, der Überwindung von Grenzen, gemeinsamen Wohlstands und eines steigenden Lebensstandards wiederbelebt, alles Entwicklungen, die die Europäer einander näher brachten.“
Der „Plan A“ von Tsipras und Co. hatte zum Ziel, die Austeritätspolitik im Rahmen der Währungsunion neu zu verhandeln. Varoufakis‘ Alternative besteht darin, die EU von innen heraus zu „demokratisieren“. Das Hauptproblem sind in beiden Fällen nicht die Interessen verschiedener nationaler Kapitalfraktionen, in dessen Rahmen sich das deutsche Großkapital die Kontrolle über die südeuropäischen Märkte erobert. Das Hauptproblem liegt in den technokratischen Strukturen der EU, den „naiven“ und „inkompetenten“ Beamt*innen. Sie seien die Hauptfeinde der „Demokratie“ und somit der „Austerität“.
Die gesamte Frage der Wirtschaftskrise und der Abwälzung ihrer Kosten auf die Arbeiter*innenklasse, die Jugend, die Rentner*innen, Migrant*innen und Frauen, wird zu einem demokratischen Problem. Verwischt werden jegliche Klasseninteressen, Schuld ist die Intransparenz der „Verschwörung“ der EU-Bürokratie.
Doch die EU war von ihrer Gründung an ein Projekt verschiedener imperialistischer Mächte. Sie wollten ihre Stärke auf Kosten der Arbeiter*innenklasse in ganz Europa ausbauen, um ihre Einflussgebiete auszuweiten und im Konkurrenzkampf mit anderen imperialistischen Mächten wie den Vereinigten Staaten besser dazustehen.
Entsprechend mager sind auch die Vorschläge des Manifests: In einem ersten Schritt sollten die EU-Institutionen transparenter werden, beispielsweise durch die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle im Internet. Innerhalb der nächsten zwölf Monate soll sodann „mit den bestehenden Institutionen und im Rahmen der bestehenden EU-Verträge“ die Wirtschaftskrise „angegangen“ werden – als ob sie nicht schon seit Jahren „angegangen“ wird: im Interesse des Kapitals. Aber darin sieht Varoufakis ja gar kein Problem, sondern in der „Handlungsunfähigkeit“ der nationalen Regierungen und der „willkürlichen Macht Brüssels“. Das Werkzeug: die „kreative Neuinterpretation vorhandener Verträge und Satzungen“.
Aufbauend darauf fordert DiEM25 eine verfassungsgebende Versammlung, die die EU-Institutionen reformieren und bis 2025 in einer EU-weiten Verfassung die bestehenden europäischen Verträge ersetzen soll.
Eine tatsächliche Bewegung gegen die EU des Kapitals aufbauen!
Varoufakis‘ „Bewegung“ besteht bisher nur auf dem Papier – bislang ist sie nichts weiter als eine Anhäufung von kleinbürgerlichen Intellektuellen und Linksreformist*innen. Die Unterstützer*innen von DIEM25 setzen letzten Endes auf die Relegitimierung der Institutionen des Kapitals. Angereichert wurde das in der Veranstaltung am Dienstagabend durch eine gehörige Portion Pathos: Der europäische demos gegen die „Eliten“, ein Hohelied auf die „Willkommensinitiativen“ und den „Sommer der Solidarität“ zur Unterstützung von Geflüchteten, oder das Wettern gegen die „Diktatur der Finanzmärkte“ – all das durfte nicht fehlen.
Die „paneuropäische Demokratiebewegung“ bietet aber außer Pathos nichts an – eine Parodie auf einen tatsächlichen Internationalismus.
In einem Punkt haben Varoufakis und Co. jedoch Recht: Die Wahl besteht nicht zwischen der Unterwerfung unter die EU-Institutionen oder der Rückkehr zum nationalen Kapitalismus. Die Lösung besteht aber nicht in einem als „Plan C“ verkleideten „Plan A“, sondern einzig und allein in der Zerschlagung der EU in der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Eine internationalistische Perspektive, die gleichzeitig ein Programm der Arbeiter*innenklasse gegen die Krise erhebt. Nicht ein Programm zur besseren, „vernünftigen“ Verwaltung der Krise, sondern ein Programm, damit die Kapitalist*innen die Krise bezahlen und welches die demokratischen Forderungen der Massen aufnimmt.
Mit einem „Plan I“ wie Internationalismus wollen wir gemeinsamen mit den ausgebeuteten und unterdrückten Massen diesen Weg gehen. Die Kapitalist*innen und ihre EU-Bürokratie werden ihre Macht nicht „demokratisch“ aus den Händen geben – sie müssen hinweggefegt werden. Varoufakis und DiEM25 sind auf dem Weg dahin nicht nur keine Verbündeten, sondern bieten die schrittweise Wiederherstellung des Vertrauens in die Institutionen des Kapitals an. Wenn Blockupy den Schulterschluss mit dieser „Bewegung“ sucht, werden sie genauso enden. Blockupy, sowie die gesamte revolutionäre Linke, darf sich nicht weiter mit diesen hoffnungslosen Illusionen abgeben, wenn sie wirklich einen Widerstand gegen das europäische Krisenregime aufbauen wollen, nicht weiter mit diesen hoffnungslosen Illusionen abgeben.
Quelle: klassegegenklasse.org vom 12. Februar 2016
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