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Nach Biden-Besuch in Kiew: Wann starten die Ukrainer die Offensive?

Eingereicht on 21. Februar 2023 – 9:35

Bernd Müller. Washington drängt seit geraumer Zeit auf eine Offensive der ukrainischen Armee. Für die üppigen Hilfen werden zunehmend Erfolge erwartet. Dafür gibt es gewichtige Gründe.

US-Präsident Joe Biden hat am Montag der Ukraine einen kurzen und symbolischen Besuch abgestattet. Allein diese Tatsache verleitet manche Medien dazu, Mythen über diesen Kurztrip zu verbreiten.

Die Reise sei streng geheim gewesen, heißt es etwa bei Spiegel Online, und Biden habe sich fast vollständig auf den Schutz durch die Ukrainer verlassen. Der Autor des Berichts wertete das als klares Zeichen in Richtung Moskau.

Er lässt auch den Mut nicht unerwähnt, der mit einer solchen Reise verbunden sein muss. Schließlich heulten die Luftschutzsirenen in Kiew, als Biden gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ein Ehrenmal aufsuchten. Am Ende entpuppte es sich Show für die versammelte Presse.

Dass innerhalb der US-amerikanischen Regierung über eine Reise Bidens nach Kiew diskutiert wurde, hatte Politico bereits am Wochenende berichtet. Allerdings seien die meisten Berater der Meinung gewesen, „dass das Sicherheitsrisiko für Biden oder die Ukraine es nicht wert wäre“.

Am Ende sicherte man sich aber doch beim Kreml ab. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew schrieb auf seinem Telegram-Kanal, Biden habe vor seiner Reise Sicherheitsgarantien aus Moskau erhalten.

Die Nachrichtenagentur Associated Press bestätigte diese Version indirekt und berief sich auf den nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan. Moskau sei demnach über Bidens Besuch in Kiew kurz vor seiner Abreise aus Washington informiert worden, „um die Lage zu entschärfen“ und um eine Fehlkalkulation zu vermeiden, die die beiden atomar bewaffneten Nationen in einen direkten Konflikt bringen könnte.

Der Besuch Bidens war vorwiegend symbolischer Natur, er versprach weitere Waffenlieferungen und dass die USA der Ukraine helfen werde, solange dies notwendig sei. Biden „versprach viele Waffen und schwor dem Neonazi-Regime bis ins Grab die Treue“, ätzte Medwedew. „Und natürlich gab es gegenseitige Zaubersprüche über den Sieg, der mit neuen Waffen und einem mutigen Volk kommen würde.“

Das Weiße Haus will langsam Fortschritte der ukrainischen Armee sehen

Thema dürfte aber auch eine ukrainische Offensive sein, zu der die Regierung in Kiew seit geraumer Zeit von den USA gedrängt wird. Sowohl Politico als auch die Washington Post hatten zuletzt darüber berichtet.

Das Weiße Haus habe die Regierung von Selenskyj angewiesen, sich jetzt auf eine Offensive vorzubereiten, hieß es bei Politico. Der Bericht stützt sich auf die Angaben mehrerer US-Beamten. Und laut Washington Post sei der Druck auf Kiew erhöht worden, um auf dem Schlachtfeld deutliche Fortschritte zu erzielen.

Hintergrund dieser Berichte ist die Furcht vor einem langen Krieg, der den Westen ermüden und damit die Hilfsleistungen für die Ukraine gefährden würde. Schon jetzt gebe es eine wachsende Fraktion innerhalb der Republikaner im Repräsentantenhaus, welche die Finanzierung der Ukraine infrage stellt.

Ein ranghoher US-Beamter sagte gegenüber der Washington Post und mit Blick auf die ukrainische Regierung: „Wir werden weiterhin versuchen, ihnen klarzumachen, dass wir nicht alles für immer tun können“. Innerhalb der US-Regierung sei man der „festen Überzeugung“, dass es schwierig sein werde, weiterhin das gleiche Maß an Sicherheits- und Wirtschaftshilfe vom Kongress zu erhalten.

Die Führung im Weißen Haus blicke auch mit Sorge auf Europa und seine Fähigkeit, der Ukraine Munition, Waffen und andere Hilfsgüter zu liefern. Die Rüstungsindustrie sei überlastet, und einige Länder betonen bereits, dass ihre Vorräte aufgebraucht seien.

Was die Alliierten spaltet

Je länger der Krieg andauert, desto größer ist die Gefahr, dass manche westlichen Länder ihre Unterstützung für die Ukraine reduzieren oder einstellen könnten. Denn Inflation, hohe Energiepreise und wirtschaftliche Probleme zehren an ihrem Willen, durchzuhalten.

Der Brigadegeneral a.D. David Hicks, der US- und Nato-Truppen befehligte, betonte gegenüber Politico: „Ich denke, es bleibt abzuwarten, ob [Biden] die Nato zusammenhalten kann“. In Zukunft werde das immer schwieriger werden. Und: „Die Ukraine wird mit der Hilfe, die sie erhalten hat, Ergebnisse vorweisen müssen“.

Es verwundert deshalb nicht, dass zahlreiche hochrangige US-Beamte versuchten, der ukrainischen Regierung die Brisanz der Lage näherzubringen. In dieser Mission waren der stellvertretende nationale Sicherheitsberater Jon Finer im letzten Monat in der Ukraine, ebenso die stellvertretende Außenministerin Wendy Sherman und der stellvertretende Verteidigungsminister Colin Kahl.

Laut Washington Post waren diese Gespräche auch Ausdruck der Bemühungen, die Ziele der Ukraine mit dem in Einklang zu bringen, was der Westen unterstützen kann. Die Gespräche seien nicht immer einfach gewesen, heißt es. Doch die Diskrepanz zwischen den Zielen hat die Befürchtung genährt, der Krieg könne unbestimmte Zeit andauern und den Westen überfordern.

Während der Westen darauf dringt, dass der Konflikt nicht ewig andauert, verweigert der ukrainische Präsident Selenskyj Friedensverhandlungen. Wiederholt hat er deutlich gemacht, dass nicht verhandelt wird, solange nicht das gesamte ukrainische Territorium wieder unter Kiews Kontrolle ist.

Das bedeutet einmal, dass der Donbass wieder ukrainisch werden müsste; aber auch die Halbinsel Krim müsste von der russischen Armee geräumt werden. Das würde allerdings ihre vernichtende Niederlage voraussetzen.

Der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Oleksij Danilow, geht in seinen Forderungen noch weiter. Er träumt bereits davon, dass die ukrainische Armee Moskau besetzt. Gegenüber der Zeitung The Sun sagte er: „Unsere Panzer werden auf dem Roten Platz stehen, und das wird Gerechtigkeit sein“.

Am Ende bleibt die Frage, ob auch der Westen dieses Kriegsziel teilt.

#Bild: https://t.me/VoxCartoons/199

Quelle: telepolis.de… vom 21. Februar 2023

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